Clair Lüdenbachs Kritik, als sie das erste Drittel der Rohmontage gehört hatte, ging d a h i n: Man wisse gar nicht, wo man sei vor lauter Assoziationen, und erfahre auch gar nichts über Allan Pettersson; weshalb seien da plötzlich Kriegsgeräusche? was machten die Säuglingsschreie dort? was habe das alles mit dieser Musik zu tun? Die Collage wirke völlig beliebig, wenn es keine Erklärungen gebe.
Das brachte mich, obwohl ich lächelte, in Harnisch; z u gut klangen die montierten Kapitel, es war alles auch zu wahr, um einfach so abgetan werden zu können. Wir begannen zu diskutieren, dann ließen mich die Einwände die ganze Nacht über nicht los. Zwar, ich wollte und will auf gar keinen Fall journalistisch, auch nicht dokumentarisch arbeiten; ich habe mehr als nur eine Abneigung dagegen, Kunst zu erklären, sondern ich will immer ins Vorgestellte h i n e i n, nicht auf Distanz dazu gehen und dann analysierend oder doch beschreibend davon erzählen. Aber der Einwand schien mir auch wieder etwas sehr Richtiges zu haben, etwas überaus Wichtiges… und es war klar, daß ich eine Möglichkeit finden mußte, dem Hörer eine Art Geländer zu geben, o h n e daß man die Baufirma sieht, die es aufstellt.
Die erste Idee, die ich hatte und morgens umsetzte, war, aus den Hexameter-Gedichten einzelne Zeilen, auf die sich die verwendeten Töne bezogen, herauszukopieren und über die jeweiligen Stellen ins Klanggebilde mit einzusetzen. Sofort bekamen die dann eine innere, geradezu schlagende Plausibilität, auch wenn diese Sätze, imgrunde nur wenige Worte, sehr sehr kurz aufschallen; u n d die Intensität der jeweiligen Komplexe erhöhte sich, weil die zitierten, geradezu hineingewehten Sätze nun den Character von Leitmotiven annahmen. Des weiteren war eine Umstellung in einer der beiden Erzählungen vorzunehmen, wodurch das Requiem eine nachvollziehbare Verlaufsgeschichte bekommt; tatsächlich konnten daraufhin Striche angebracht werden, die dann mein eigentliches Nebenziel realisierbar machten: nämlich auf keinen Fall länger als 80 Minuten zu werden. Damit läßt sich nämlich eine CD-Produktion ins Auge fassen.
Nachdem das alles fertig war, begab ich mich an die Säuberung der Schnitte, wobei ich etwas Neues lernte. Schon am Montag hatte Leukert gesagt: „Wir schneiden nicht mit Kopfhörern, sondern mit den Zimmerlautsprechern. Es geht darum zu hören, was auch die Hörer hören, was sie normalerweise hören; die meisten sind nicht mit High-End-Geräten ausgestattet. Wir produzieren ohnedies schon für eine Minderheit; schaffen wir ein feinst ausgehörtes Werk, verlieren wir weitere Hörer, weil sie den Eindruck, den wir haben, n i c h t haben und deshalb bei selbst gutem Willen nicht folgen können.“ Bislang habe ich alle Stücke unter Bedingungen geschaffen, die von einer High-End-Situation ausgehen, habe ganz bewußt auf technische Bedingungen nicht geachtet, wie sie in ‚normalen’ Wohnzimmern und (Leukert:) Küchen (!!!) herrschen; deshalb hört man die meisten meiner Stücke am besten konzentriert mit dem Kopfhörer an. Diesmal ist das anders. Wobei uns beiden, Leukert und mir, klar ist, daß wir die Montage noch einmal neu abmischen müssen, wenn es wirklich zu einer CD-Produktion kommen sollte. Ich werde nun s o vorgehen: den Feinstschnitt in den nächsten Tagen auf meinem eigenen Gerät CD-fähig machen, indes Leukert den Rundfunkschnitt behält, ausspielt und sendet. Davon bekomme ich eine CD Meinerseits werde ich eine CD als quasi-‚Mutter’ herstellen, die auf die anderen Bedingungen ausgehorcht ist, nämlich denen der CDs und High-End-Anlagen. Sehr viel zusätzliche Arbeit wird das gar nicht machen. Falls jemand von Ihnen Interesse an der Produktion haben sollte, dann melden Sie sich bitte über das Kontaktformular, das Sie im Fiktionsraum bei >>> herbst & deters fiktionäre unten links finden.
Die Sendung wird am 31. Oktober um 21.30 Uhr in hr 2 ausgestrahlt werden. „Dieses Ding kann sich hören lassen“, sagte Leukert zum Abschied, was, sowohl gemessen an der Komplexität der Arbeit wie daran, daß er Musikredakteur und – nicht selbstverständlich – auch -kenner ist, einiges heißen will. Zufrieden, aber sehr müde reise ich heim.
AP 27 <<<<