…jaja, das mit dem „Tagebuch“ ist eine Idee, an der >>>> Lindner strikt festhält. Er hat ein paarmal über Die Dschungel geschrieben, sie seien n u r dort interessant, wo sie Tagebuch seien. Ich glaube, in seinem Kopf beackert sich eine Theorie, die sich darauf partout gründen will. Er ist rezeptionsästhetisch pop-bestimmt, theoretisch allerdings von der Moderne durchdrungen; im Tagebuch scheint er das zusammenbringen zu wollen. Wahrscheinlich will er den Pop erkenntnistheoretisch „retten“ – verständlich bei jemandem, der mit ihm sozialisiert ist und also mit ihm f ü h l t. Nicht zuletzt sind ja 1968 und die Folgen ohne das, was man heute Pop nennt, gar nicht vorstellbar; er war das Schmiermittel des außerparlamentarischen Widerstands. Das gibt man, Adorno hin oder her, nicht ohne weiteres auf, k a n n man gar nicht aufgeben,weil es ja die Emotionen so geprägt oder recht eigentlich erst geformt hat.
Imgrunde ist das wie das Verhältnis junger Israelis zu ihrem Heimatland; es ist mit R e c h t ihr Heimatland, denn dort sind sie aufgewachsen. Fangen sie politisch zu denken an, läßt sich allerdings der Widerspruch, den das Gefühl mit der politischen Erkenntnis, daß für diese Heimat ein anderes Volk zwangsenteignet worden ist, fast nur noch über ein Tabu aushalten. Tatsächlich reagieren viele junge Israelis auf jede Infragestellung des status quo wie auf einen Tabubruch. So auch, in unvergleichlich geringerer moralischer Hinsicht, bei der Pop-Sozialisation. Daß Pop ein direktes Ergebnis der Kulturindustrie ist und an ihm hängt wie der Kranke am Tropf – er ist gewissermaßen der emotionale Ausdruck der Emotionen des Kapitalismus – mag zwar theoretisch verstanden sein, wird aber abgewehrt, weil man verständlicherweise seine Heimat behalten möchte.
Etwas ähnliches scheint sich nun bei dem Weblog, das einmal (sofern nicht von Anfang an auf journalistisch-öffentliche Gegenöffentlichkeit angelegt) n u r Tagebuch war, zu begeben. Deshalb, möglicherweise, Lindners Beharren auf dem Weblog-als-Tagebuch. Deshalb auch seine geradezu Hypostasierung des Rainald-Gotz’schen Unternehmens ABFALL FÜR ALLE; schon dieser Titel verweist auf eine Ideologisierung des Trashs, Tarantinos usw. Es wird geradezu so getan, als könnte es noch darum gehen, dem elitären Anspruch eines doch längst vergangenen Großbürgertums zu widerstehen. Hiergegen stehen auf meiner (ästhetischen) Seite Lynch, Cronenberg, Gaddis, Pynchon und die Europäer: Godard, Rivette, Krausser, Böhmer und tatsächlich einige andere mehr.