Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (55).

Ebenso ist eine Form zu entwickeln, die es erlaubt, in den Öffentlichen Raum private Mitteilungen einzubauen, die für den Leser indes literarische Figuren sind: Wir sprechen Maria an, meinen jedoch Cara; diese merkt’s und versteht, aber auch Maria fühlt sich gemeint, da sie den Text als einen liest, der den Dialog literarischer Personen vorführt. Ja sogar, indem das Private dem Öffentlichen wie eine Hintergrundstrahlung Aura verleiht, die wir hier Zweite Authentizität nennen wollen, bekommt die Erzählung recht eigentlich Kraft. Dabei ist es imgrunde egal, ob Namen fingiert sind oder nicht, egal für Maria, nicht für Cara, denn Cara weiß, Maria aber – und mit ihr die ‚übrigen’ Hunderte Leser – n i c h t. Die können immer nur ahnen. Diese Ahnung ist die Klaviatur, auf der gespielt wird, so daß die Fantasie der Leser sich lustvoll, jedenfalls spürbar anregt.
Nun ist das Authentische nicht ein Authentisches-an-sich, es m u ß nicht wirklich privat sein (sollte aber den Anschein erwecken; weshalb wir es Z w e i t e Authentizität n e n n e n); was daran nämlich so lockt, ist die Erzählung. Die meisten Leser verschlingen d i e und nicht etwa die ‚Ergebnisse’ daraus; insofern ist es gar nicht so sehr ein Voyeurismus, der sie hält, sondern die emphatische Teilnahme an einem fremden Leben, das ebensogut das Leben einer Romanfigur sein könnte, sofern sie denn glaubhaft und nachvollziehbar daherkommt – sympathisch muß sie übrigens n i c h t sein, viel wichtiger ist, daß sie sich als Projektionsfläche eignet. Interessanterweise nämlich werden (a)moralische Haltungen, die den Lesern nicht egal sind, im Tagebuch sehr viel eingehender diskutiert, dort wird auch entschiedener angegriffen, als stellten wir dieselbe Aussage in Form eines theoretischen Textes hier vorne in die Hauptseite ein. Es ist also w i e d e r u m nicht der Gedanke, sondern die Person, was zu Stellungnahmen verleitet. Eine Person läßt sich sanktionieren, der Gedanke hingegen nicht. Deshalb sind die Gedanken frei.

[Die zunehmend persönlichen Attacken gerade im Tagebuch führen dazu, die dortige Kommentarfunktion immer mal wieder zu deaktivieren, damit sich die Gemüter beruhigen, sowohl der Leser wie des Autors. Gleichwohl ist ein enormes Potential an Emotionen im Spiel – sehr viel unmitelbarer im Vergleich zu einem Buch. So wird, daß d i r e k t Emotionales ausagiert wird, zu einem Kennzeichen des in der Schriftlichkeit allerabstaktesten Mediums.)

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