Willis ließ die schwere Waffe sinken. „Ach du Scheiße“, dachte er und versuchte die ihn anstarrenden Leute mit einem Lächeln zu beruhigen. „Dat is vielleicht’n Ding“, sagte er, „dat is’n Ding! Wat mach ick mir jetz? Tschuldijung: Wo jeht’s’n zur Ubahn?“ „Da lang, Rambo“, sagte ein kichernder Halbwüchsiger; es war ja ganz klar, daß man es mit einem Irren zu tun hatte, und wie der diesen Flammernwerfer da hinter sich herzog, war es ein ganz harmloser, mit dem sich vielleicht auch ein Spaß treiben ließ. Tatsächlich hatte Willis von Gewalt durchweg die Schnauze voll, und als die Jungens ihn nun so verspotteten, kam er sich wie ein müder Schwertransporter vor, um den herum lauter winzige Sportwagen flitzen. Mit lethargischen Handbewegungen scheuchte er sie, als wären es schimärische Fliegen, fort. Und treppte in den Unterleib der Stadt, um sich erst einmal nach Hause fahren zu lassen, wo ihn eine gänzlich fassungslose Dolly II empfing. „Um Gotteswillen, was ist geschehen?“ „Ick weeß et nicht, Dolly, ick weeß es wirklich nich.“ Und sackte erschöpft ins Sofa. Sie machte ihm erstmal einen starken Kaffee. Dann schoß auch hier der Lichtblitz durch die Stadt >>>> und brachte die Fensterscheiben zum Glühen: soviel voraus hatte die Zeitwelle Willis zurück nach Buenos Aires gebracht. Wir wissen seither, daß auch Zeit eine Energieform ist; Einstein hat insofern zwiefach geirrt: sie ist keine Ableitung, sondern primär, und sie ist schneller als Licht. Vorausgesetzt allerdings, daß beide, Licht und Zeit, voneinander gespalten werden – ein mit Kernspaltung nicht identischer, ihr aber analoger Prozeß. Jedenfalls hatte die Digitalisierung Stuttgarts nunmehr auf alle drei Systeme zugegriffen und ihre Paradigmen gehörig vermischt; aber auch bei uns begannen Kabel zu schmoren, und die Übertragung wurde problematisch, die Screens schienen zu zerfallen, wir maßen ganz erschreckende Farbverschiebungen, es gab überdies einen Tinnitus, den wir alle hörten, der sich aber wiederum nicht messen, also objektiv nicht nachweisen ließ. Einigen von uns ließ er es aber so übel werden, daß sie nicht mehr arbeiten konnten; einige übergaben sich sogar. Der Arzt schüttelte nur den Kopf. „Da ist nichts! Da ist nichts!“ Ich hörte diesen Tinnitus aber auch. Und in Wiesbaden, >>>> SIEMENS/ESA, saßen ein paar ziemlich hilflose Leute vor der von Beutlin verwaisten Apparatur und blickten unter anderem in einen leerstehenden ICE-Großraumwaggon der Deutschen Bahn, den es hinter Stuttgart, fast schon bei Ulm, auf ein Abstellgleis geschoben hatte. Was dieses ‚es’ aber gewesen… keine Ahnung. In den übrigen Screens war, escudellerseitig, der Eingang zum Boudoir zu sehen, noch standen einige >>>> Schutzstaffler dort; man sah auf die eigenen Kollegen, Eidelbek hatte nur in sich hinein gemumelt: „gute Arbeit“ – und seinen Leuten knapp zugesprochen: „Behalten Sie das im Blick“, dann war er nach Koblenz gefahren. Dann kam die erbebenähnliche Erschütterung auch über Wiesbaden, die Zeitwelle lief voran, Minuten- und Stundenzeiger bäumten sich hinter ihren Gläsern, einige sprengten sie, sprangen heraus, Wecker begannen zu klingeln zu fiepen zu jaulen; die Innenzeitmessung sämtlicher kybernetischen Geräte desynchronisierte sich in Hunderstel Sekunden, von denen einige zurückliefen, was zu Katastrophen führte, als der Anlaß längst vorüber war, und hier bereits gab es Kurzschlüsse, es knallten, im Wortsinn, Sicherungen durch, schon schmauchten auch in der SIEMENS/ESA Kabel, und Funken sprangen über, Haare stellten sich, elektrostatisch mit Gegenzeit geladen, Hand in Hand mit den entsetzten Seelen auf, drei Leuten schwappte es in Schwällen vom Magen hoch – dann war das vorüber. Auch hier hatte es keine Sekunde gebraucht. Doch dann kam das Licht
und füllte die Straßen 27 Fenster erblindende Retinen: Es strahlte, wie der Präsident es versprochen, bis in den hintersten Osten:: Wie ein flirrendes arktisches Licht, wie die schweifhafte schimmernde über das Firmament jagende Krone eines NachtApollons sah es aus:: war >>>> hyperboreische Energie. Und Stuttgart ganz Stuttgart und einiges mehr darin gelöst und rein körperlos zu sich, in einen einzigen Dom aus göttlichem Scheinen seiner Selbst, gebracht.
Die Physik „Wir wissen seither, daß auch Zeit eine Energieform ist; Einstein hat insofern zwiefach geirrt: sie ist keine Ableitung, sondern primär, und sie ist schneller als Licht. Vorausgesetzt allerdings, daß beide, Licht und Zeit, voneinander gespalten werden – ein mit Kernspaltung nicht identischer, ihr aber analoger Prozeß.“
Woher stammt diese These? Ich konnte keine Verweise in meinen Büchern, die sich wissenschaftlich mit der Zeit auseinandersetzen, finden.
Richard P. Feynman erklärte einmal sehr schön in seinem Buch „Vom Wesen physikalischer Gesetze“, warum Zeitreisen eher unwahrscheinlich sind, jedoch auf Molekularer Ebene denkbar wären („Die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft“, S. 138 und folgende) Zitat:“…nach heutiger Überzeugung gehorchen die meisten, durch die Bewegung von Atomen hervorgerufenen alltäglichen Vorgänge in der Welt vollständig umkehrbaren Gesetzen.“ Jedoch sind die alltäglichen Vorgänge dennoch unumkehrbar. Zitat (S.140) „…die Unumkehrbarkeit ist einzig und allein durch die allgemeinen Zufälle des Lebens bedingt…“ Interessant in diesem Buch das Beispiel mit den „blauen“ und „farblosen“ Atomen – in kleinsten Maßstäben und einem geschlossenen System läßt sich ein physikalischer Vorgang umkehren, nur dauert das unter Umständen sehr lange. Im Makrokosmos sind komplette Umkehrungen unwahrscheinlich. Eine Umkehrung der Zeit betrifft immer alles und jedes, das „Ganze“.
Interessant sind hier Denkansätze des renommierten Astrophysikers Gregory Benford, der in seinem Roman „Zeitschaft“ einen Denkansatz für eine Zeitreise liefert – aus Sicht heutiger wissenschaftlicher Erkenntniss.
Wie dem auch sei. Sollte diese technische Möglichkeit in ARGO metaphorisch gemeint sein, also als dramaturgischer „Kniff“ in Ihrem Roman, so sei es Ihnen gegönnt. Sollten Sie aber Anspruch auf Realität und Glaubwürdigkeit im Umgang mit physikalischen Gesetzen hegen, also in diesen Teilen des Romans zu einer „Hard-SF“, einer technisch und wissenschaftlich akkuraten Darstellung gelangen wollen, müßten Sie mir schon die oben zitierte These genauer erklären, vielleicht mit einer Quellenangabe belegen.
Raum/Zeit-Spaltung als poetische Idee. So entstand es, wie >>>> h i e r um 7.53 Uhr protokolliert. Es war eine Lösung, die aus dem in seiner Konstruktion festgefahrenen Text überaus schlüsig (und mich selbst überraschend) herausführte. Inwieweit dem nun >>>> eine auch-‚hardware‘-physikalische Möglichkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit zukommt, vermag ich nicht zu sagen. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, daß eine künstlerische Spekulation der wissenschaftlichen Findung, ja selbst Theorie vorauging. Das ist allerdings so gut wie nie dem Dichter, sondern fast durchweg der Eigengesetzlichkeit von Dichtungen zuzuschlagen. Mag jedenfalls sein, an dieser für den Roman nunmehr sehr schlüssigen Idee denkt noch ein – wissenschaftlich – Berufenerer herum.
‚Metaphorisch‘ allerdings ist die Idee so wenig wie es seinerzeit die des Cyberraums gewesen ist – auch von jemandem übrigens erschaffen, der von der Materie allenfalls tangentiale Ahnung hatte.
Das göttliche in uns Es ist schon seltsam. Manchmal keimt in mir der merkwürdige Gedanke auf, daß die Wissenschaftler, die fleißig nach neuen Erkenntnissen suchen und Wissen schaffen manchmal die Gestzmäßigkeiten – die scheinbar vorgegeben sind – nicht entdecken, sondern selbst schaffen. Wäre nach althergebrachter und aktueller Mythologie eigentlich logisch. Das göttliche in uns, das schöpferisch die Welt neu erdenkt und erschafft. Da wäre Literatur, so sie denn wie etwa damals bei Jules Verne wissenschaftliche Beachtung findet (oder zumindest von Wissenschaftlern gelesen wird) richtungsweisend. Wittgenstein hat einmal in seinem Tractatus geschrieben: (6.362) „Was sich beschreiben läßt, das kann auch geschehen, und was das Kausalitätsgesetz ausschließen soll, das läßt sich auch nicht beschreiben.“ Da wir noch sehr wenig über Gravitation, Magnetismus und die Zeit wissen, denke ich, sollten Sie ruhig ein wenig über die Zeit nachdenken und schreiben, vielleicht ändert sich dann etwas? Tempora Mutantur.