Melusine Walser. (1). Erotischer Roman.

Mein Bester,
dieser Brief erreichte mich heute mittag.

Was meinen Sie? Wollen Sie das angehen?

HED

P.S.: Das war doch richtig? Sie wollten meine Freundin doch Melusine Walser nennen?


Logroño, 11. Dezember 2004

Liebster Freund,

Sie hatten mich bei unserem letzten Treffen um Zusendung der Papiere gebeten, von denen ich Ihnen erzählte. Seitdem haben Sie nichts mehr von mir gehört. Auch im Chat bin ich lange nicht mehr gewesen. Bitte mißverstehen Sie meinen Rückzug nicht. Ich wollte mich nicht verwundbar machen.
Nun aber ist eine grundsätzliche Wende in meinem Leben eingetreten. Das hat mich dazu durchringen lassen, Ihnen die Papiere doch noch zu schicken. Ich hätte die Aufzeichnungen, vornehmlich die Notizen meines Vaters, längst wegwerfen sollen. Daß ich sie aufbewahrte, spricht dafür, es sei in mir eine Art archivierender Verdrängung am Werk gewesen.
Bitten Sie Ihren Schriftsteller – leider ist mir sein Name entfallen – mit dem gebotenen Nachdruck, Namen und Orte zu verstellen. Zwar dürfte mein Vater, in seinem so verwirrten Gemütszustand, nicht mehr straffähig sein. Und die Mutter ist ja ohnedies nicht mehr greifbar. Aber unvorsichtige Indiskretionen könnten den Stand, ja das Leben meines Mannes gefährden. Lassen Sie also keinen Zweifel daran, daß ich jeden Grund habe, meine Eltern zu bewundern. Daran ändert nichts, daß besonders meine Kindheit den Menschen und wahrscheinlich auch Ihrem angestellten Autor bizarr vorkommen wird. Hätte meine Erziehung eine andere Richtung genommen, ich wäre heute nicht derart gewählt verheiratet worden, geschweige verfügte ich über meine Ihnen ja bekannte Autorität.

Bleiben Sie mir gewogen.
Ich küsse, in gebotener Distanz, Ihre Eichel,

J. G.

>>>> MW 2

2 thoughts on “Melusine Walser. (1). Erotischer Roman.

  1. Lieber, wirklich nicht! Die Sache ist reizvoll, aber ich werde auf keinen Fall ARGO unterbrechen. Selbst das ist ja schon völlig unfinanziert, und ich weiß momentan eh nicht recht, wie es ökonomisch weitergehen soll.
    Zum anderen aber – ARGO beiseite – hat ja schon das Romanprojekt „Die Liebe in den Zeiten des Internets“ Lektoren, Agenten und Verlage auf die Palme der Wohlanständigkeit gebracht. Wenn ich mich nun dessen entsinne, was Sie mir von Ihrer Freundin… ja, nennen wir sie Melusine… was Sie mir also von Melusine erzählt haben, dann ist deren Geschichte nun wirklich noch um einiges heftiger. Das vertrügen die Literaturvermittler nicht. So etwas kann man heutzutage nur heimlich verfassen und vielleicht auch nur unter Pseudonym herausgeben… möglicherweise müßte auf etwas zurückgegriffen werden, das man Ende des vorletzten Jahrhunderts gerne „Privatdruck“ nannte. Jedenfalls sehe ich derzeit keine Chance für die Publikation solch eines Textes… und zwar selbst dann nicht, wenn mit keinerlei gerichtlicher Intervention gerechnet werden müßte.

    Ich werd deshalb auch die von Ihnen gewählte Rubrik ändern und Ihren Beitrag nicht unter „Arbeitsjournal“, sondern „Projekte“ ablegen. Auf absehbare Zeit jedenfalls.

    Was, übrigens, haben Sie sich dabei gedacht, mir diesen Brief s o zur Kenntnis zu bringen? Sie hätten doch einfach anrufen können. Das wissen Sie doch, daß ich auch auf indirekten Zwang nicht reagiere, sondern lieber eine Katastrophe in Kauf nehme.

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