Gewissermaßen läßt sich sagen, Leinsam habe an das gute Böse im Menschen geglaubt und auf gerechte Entlohnung gehofft, nämlich nach Balmers Neutralisierung selber mit der Firmenleitung betraut zu werden. Insofern alle Moral auf ein Bezugssystem angewendet wird und auch nur aus ihm verständlich ist, war Bruno Leinsam ein sogar ü b e r a u s moralischer Mensch. Daß sich, wie er empfand, seine Geschäftspartner in seine ethischen Imperative nicht unbedingt teilten, ging ihm nicht ein. Das ist ihm letztlich kaum zu verübeln, da seine Vorstellung von Macht-Raison so eingeschränkt war wie er selbst. Deshalb hatte Skamander recht, ihn für gefährlich einzustufen; nicht an sich, aber sofern er unter falschen Enfluß geriet. ‚Falsch’ bedeutet: unter einen, der Skamanders Interessen zuwiderlief, die immer auch Ungefuggers waren.
Das geschah. Nämlich ebenfalls am Abend all der vielen anderen Treffen im SILBERSTEIN. Ich muß schließlich zugeben, daß Leinsams erster Auftritt in diesem Roman – Seite 16, lesen Sie’s nach – ein wenig in der Luft hängt; bis jetzt weiß ich nicht, was er im SILBERSTEIN gewollt hat, als er erst so nervös im Gastraum herumschnürte und dann wieder verschwand, ohne, wenigstens poetologisch, ein anderes Motiv bekommen zu haben, als daß ich die Figur halt irgendwie wieder aufnehmen wollte. Das ist besonders angesichts des Umstands arg dünn, daß er dort sc h o n etwas suchte. Nicht etwas, sondern jemanden. Auch ihm, ganz genauso wie Balmer, war es um sagen wir ‚Kapitalanlage’ gegangen; Balmer reflektierte auf ein Konto bei Korbblut, Leinsam war da sehr viel direkter: Er mußte Geld waschen. Weshalb wir die erste Version wieder aufnehmen, derzufolge Balmer Elke Bräustädts Rochus hinterherverduftet war. So daß ihn weder Goltz noch vor allem Möller ansprechen konnte, jedenfalls nicht in dieser ersten notturnen Variation. Dennoch bleibt sie erhalten, tatsächlich erscheint Balmer, obwohl ihn nach der ersten Möller nicht hat ansprechen können, fortan ohne den einen Löwenring; sie behält also völlig ihre Funktion, obwohl sie sich gegen die zweite ausschließt. In meinem Kopf aber, hier am Küchentisch in der Schönhauser 101, hat b e i d e s stattgefunden, denn poetische Wahrheit braucht keine logische Konsistenz, dachte ich, als ich mich wieder davonmachte und Cordes an seinem Küchentisch weiterwerkeln ließ. Sie muß nur sinnlich präsent sein.
Leinsam kam nämlich, nachdem er so seltsam abgegangen war, zehn Minuten später zurück. Und da hatte er dann Glück – oder Unglück, wie man nun will; die Begegnung mit Möller, der innerhalb dieser zehn Minuten aufgetaucht war, wurde für ihn schließlich verheerend. Welche für graue Geldgeschäfte eminente Autorität der Mann besaß, war Leinsam zu diesem Zeitpunkt ohnedies nicht bewußt.