Sucht & Kunst. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (23).

[Anour Brahem, Astrakan Café]

Wie aus einer Geschichte sofort die nächste und wiedernächste entsteht, ganz unmittelbar, und wie früher der Schreibtisch mit Zetteln, füllt sich nun der Bildschirm mit Notizdatei um Notizdatei. Oft ist es die Formulierung, die zur neuen Idee überleitet, ein Wort nur, ein Idiom, das direkt auf die kleine innere Trommel der Assoziationen schlägt. Bisweilen aber auch eine persönliche Erinnerung… an einen Duft, an ein Haus in S. Lucia, an meinen Bruder.
Die literarische Arbeit, da sie sich aus sich selbst fortpflanzt, wird genau deshalb, wie Vila-Matas bemerkt (und was er seinerseits zur Voraussetzung und zum Thema eines Romanes macht), zu einer Lebensform, darin von nicht-künstlerischen Tätigkeiten scharf unterschieden – mit Ausnahme interessanterweise von jenen, die sich mit Computern und Software beschäftigen. Auch diese, da in Wirklichkeit nicht dinglich, sondern Realisierung von Innenwelt, tendieren dazu, ein Lebensmilieu zu schaffen, aus dem man nur schwer wieder auftauchen kann. In beiden Fällen wirkt etwas, dessen Dynamik an die von Süchten gemahnt, aber nicht mit ihnen identisch ist. Denn die Sucht konsumiert nur, die kybernetische und künstlerische Tätigkeit hingegen produziert. Daß dennoch nicht selten die eine Lebenswelt die andere befördert, zumindest befördern s o l l, zeigt beider Verwandtschaft. Sie lassen sich miteinander verkoppeln, man kann von der Wohneinheit in die Arbeitseinheit wechseln, ohne die Dynamik selbst verlassen zu müssen. Wiederum haben beide einen Zug ins vereinsamend Asoziale, und zwar sogar dann, wenn ihnen gemeinschaftlich nachgegangen wird. Die im Orbit des kybernetischen Raums schwebenden Stationen bilden communities von bloß scheinbarem Sozialcharakter aus. In Wirklichkeit sind es Monaden. Das tatsächliche Gespräch, zu dem Speichel gehört, wird von einem abgelöst, das man – in der Literatur wie in der kybernetischen Kommunikation – mit Avataren führt, denen Feuchtigkeit den Garaus macht. Der Avatar in der Dichtung ist der Leser genannt, – eine reine Konstruktion des IchIdeals, das seine Anima projeziert.

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