III, 354 – Neujahrsnacht e dintorni

Das Jahr begann mit einer unvorgesehenen Autofahrt bzw. mit der Gewißheit, mir am Vormittag Zigaretten kaufen zu können, wie das auch Weihnachten möglich war, denn zumindest an den Vormittagen der Sonn- und Feiertage hält der “ho più di 80 anni”-Vater (sagte er mir neulich) des Tabaccaio den Laden 100 Meter weiter offen. Am Neujahrsmorgen indes nichts. Alles zu. Da ich nur noch eine Zigarette hatte, blieb nur eine sichere Möglichkeit: die Raststätte an der Schnellstraße Richtung Orte zu erreichen und gleichzeitig dort zu tanken. Denn soviel Sprit war da nicht mehr. So ein Dreißigkilometerspäßchen. Unterwegs stellenweise heftiger Regen.
Zu dieser Sicherheit hatte mich am Vorabend der Gärtner bewogen: es fände nichts statt bei Tullia, sie sei woanders eingeladen, und er, der bei ihr mit der Japanerin untergebracht, wisse noch nicht so genau (somit durfte ich sicher sein: keine Feier, kein Zigaretten-Schnorren). Erstmal schlafen, meinte er. Sie, die Japanerin habe überhaupt ein wenig unter all dem “Kulturschock” gelitten (oder unter seiner Kultursorge? als sie beide am ersten Abend nach der Ankunft hier waren, schien das nicht so bei ihr (ich fürchte, er hat sie einfach nur überanstrengt mit der Reise nach Rom und zum Flohmarkt Porta Portese am Sylvestertag (alle paar hundert Meter sei eine Band spielbereit gewesen da in Trastevere – cool! (fand zumindest er)))). Wie lange sie denn schon bei ihm sei? Drei Monate. Direktemang aus Tokio zum Kaiserstuhl. Und dann die Reise jetzt nach Italien. Bereits am Tag davor, ich wollte zum Bioladen, standen sie vor dem Hofaufgang nach einem Spaziergang durch Amelia. Er schickte sie zum Ausruhen bei Tullia, begleitete mich zum Bioladen und saß noch ein Weilchen bei mir.
Übertriebene Schutzgesten. Und irgendwie unheimelig und wie aufgedruckt der etwas sterile Lippenkuß vorm Fortschicken.
Ein Zehntausendkilometerspäßchen? Auch Tullia, der ich gestern zum Neuen Jahr gratulierte, meinte, sie habe ihn nie so gesehen. Und sie kennen sich schon lange. Immer im Zimmerchen, die beiden. Und waren abgefahren, ohne sich verabschieden zu lassen.
[Cavalcai] con intenzione sincera nei miei desideri, la quale / mi portava a speranze bugiarde che venivano dalla preoccupazione dell’animo. Ibn Hamdis : Reiten in der aufrichtigen Absicht, die mir Wunsch gewesen und falsche Hoffnungen mir eingab, die der Sorge des Herzens entsprossen. Oder so.
Und landete dann an Sylvester lang nach der Essenszeit und wieder mal nach einigen Seiten mit Beschreibungen von Schwänzen (Penissen? Penaten? männlichen Geschlechtsteilen?) bei Pasolini (Dinner for One habe ich mir tatsächlich angesehen, aber das Kind ist nicht mehr in mir, das dabei lacht: Öde) beim ami belgique. Alles en famille. Ein Freund mit fünfjährigem Sohn noch dabei. Und Kindersprache üben. Die anderthalbjährige Tochter.
Im Ostello gegenüber ebenfalls eine Feier. Überraschend diskret. Ganz ohne Beat. Merci!
Heimgang gegen zwei Uhr nachts. Da hält an der Gärtner neben mir mit seinem Auto. “Zu Valda?” “Nur, um zu gucken.” Runter zu Valda. Anhalten. Ein Pulk junger Menschen davor. “Ich fahr’ wieder rauf.” Hatte nichts dagegen. Abschied mit einem “à demain” beiderseits, aber da kam niemand, also vorgestern. Dann die abschiedslose Abreise.
La dissociazione è ordine. L’ossessione dell’identità e la sua frantumazione è disordine. Pasolini, Petrolio

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