Die Muse küßt binär. (Aber wen?) Kleine Theorie des Literrarischen Bloggens (19).

[Erwin Schulhoff, Flammen.]

Im Literarischen Weblog greifen Erzählung, ihre Poetologie und die Produktivitätstheorie ineinander, der Leser muß sich nur angewöhnen, in ihm wie in einem Buch zu blättern, teils den inneren Verweisen folgend, teils den hinausführenden Links, die bei Mitspielern ja auch wieder zurückführen… und Mitspieler kann über einfache Linksetzung j e d e r werden; hier hört die Macht des walpurgis’schen „Herrn der Dschungel“ auf. [Ich war eben versucht, „Tarzans“ zu schreiben, aber das wäre dann wieder, um mit Herrn WELT-Blank zu sprechen, übercodiert gewesen… womit, denk ich unterdessen, das Verfahren gemeint war, hinleitende Zwischenstufen auszulassen. Wohl wahr, dazu hab ich eine Neigung. In der Mathematik nennt man sie elegant.]
„Rayuela“ ließe sich hier ganz anders lesen; es wäre aber auch bald heraus, wie ungenügend Cortázars zweifache Roman-Codierung eigentlich ist; dennoch, ich bin mir sicher, hätte er bereits über dieses Medium v e r f ü g t, es hätte ihn nicht nur in den Fingern g e j u c k t, das Verfahren, wie eine Fuge mit mehreren Themen, zu vervollkommnen. Freilich greift es tief in die Produktionsweise ein: Ich schreibe einen Text, habe einen ihm fernliegenden Einfall, lege sofort ein neues Fenster an, in das ich ihn schreibe, kehre zurück, schreibe am ersten Text weiter, nächster Einfall, nächstes Fensternotat usw. Ist der erste Text fertig, stell ich ihn ein und gehe an irgendein anderes der offenen Fenster. Oft verwickelt sich die Arbeit, weil mir nicht nur je e i n Einfall neu kommt, sondern meist sind es zwei oder drei, die ihrerseits Ableger ausbilden, so daß bald der Bildschirm wie von Hunderten Zetteln gefüllt ist. Die Arbeit ist nicht kontinuierlich wie bei einem Roman, sondern sie s p r i n g t, was zu einer enormen Anzahl neuer Gedanken führt, gleichzeitig aber den Fluß der Erzählung immer wieder unterbricht: – also auch den Fluß der einfühlenden Imagination. Das ist sicher nicht unproblematisch, jedenfalls für die gängige Vorstellung von „Romanen“.

Die enorm vielen Leser, die der Literarische Weblogger hat, sind um den Preis der Konzentration auf eines erkauft. Daraus kann eine neue Qualität des Erzählens erstehen, etwa die jederzeitig hellwache und auch aufleuchtende Gegenwart des Dichters (schon um die publizierende Frequenz zu erhalten, die sich durch wachsende Zugriffe kenntlich macht, also durch wahrgenommene Präsenz), aber es kann eben auch zur (im gebräuchlichen Sinn des Wortes) oberflächlichen Formulierung führen, die mit ständigem Blick auf die Zugriffstatistik und fü r sie schulterzuckend in Kauf genommen wird. Hier muß sich, auch für die Fiktionäre, erst eine ästhetische Haltung entwickeln. Jungen Dichtern, denen die Gestaltung von Sätzen noch nicht im Blut fließt und die noch auf kein Werk schauen lassen, ist dieses Medium – gefährlich.
(Es dürfte klar sein, daß hier ganz bewußt Begriff und Aura des Wortes „Dichter“ verwendet werden, nicht etwa vom „Schriftsteller“ gesprochen wird. Der profanierenden Nüchternheit des Mediums sperrt sich widerständig die Muse.)

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