Da kann schon erschrecken, wer einen deutschen Namen trägt und seine Geschichte überwunden hoffte. Die „Tränen aus Titan“ entstammen ausgerechnet der online-Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“. Ferner dürfen wir dort lesen: „Deutschland ist hart (…)“, ja von einem „Potpourri aus Blut und Wut“. Und in der FAZ aufersteht mit Götze der „Erlöser“, indessen als, f ü r dessen wohl, „Blutkrieger“ der Herr Schweinsteiger gilt: so in Die Welt. Als wäre alles vergessen. Das Unheil bleibt, doch profaniert. „Fußball ist längst Pop“, schreibt ebenfalls Die Zeit, und Pop ist die Ästhetik des Kapitalismus. So schrieb ich es an >>>> anderer Stelle. Der hat die Leute absolut im Griff und macht nun fröhlich Party, von „Trümmer“ bis „zerschmettert“.
Daß die „Weltpresse“ locker da mittanzt, beschlägt das Bild mit Eisen aus Jubel. Auf in die nächsten tausend Jahre. Ich erkenn sie an den Worten. So schreibt denn auch die Washington Post vom „erweckten (!) Nationalstolz der Deutschen“. Und Götze zieht in den >>>> Kyffhäuser ein, um das Reich zu retten.
Daß die „Weltpresse“ locker da mittanzt, beschlägt das Bild mit Eisen aus Jubel. Auf in die nächsten tausend Jahre. Ich erkenn sie an den Worten. So schreibt denn auch die Washington Post vom „erweckten (!) Nationalstolz der Deutschen“. Und Götze zieht in den >>>> Kyffhäuser ein, um das Reich zu retten.
Ich teile Ihr Unbehagen. Bislang war in wirtschaftlichem Kontext da und dort der Ruf nach dem „sanften Hegemon“ zu vernehmen. Man könnte zur Auffassung gelangen, dass bei der Annäherung an das Rollenbild das Attribut „sanft“ mittlerweile nur noch stört. Und all das unter Führerschaft einer „Übermutter“.
Opium des Volkes@schlavmayr. >>>> Damit ist imgrunde alles gesagt. Profanierte Religion, Religion aber doch. Banalisierte Metaphysik. Genau deshalb taucht der Begriff des Erlösers auf. Was derzeit zum Beispiel auf den Golan-Höhen vor sich geht, spielt keinerlei Rolle.
Selbstverständlich war Frau Thatcher-Merkel dabei. Allerdings hätte ich sie gern im Tor gesehen.
Ich sehe darin weniger „Opium fürs Volk“, sondern in der Gesamtheit vielmehr die Befeuerung eines insgeheim lange schon ersehnten Chauvinismus. Herr Bundespräsident hat die entscheidende Richtung bereits gewiesen.
„eines insgeheim lange schon ersehnten Chauvinismus“: Das glaube ich nicht, nicht einmal bei s e h r einfachen Menschen. Aber dieses Opium dient dem Chauvinismus, der ein nationaler letztlich nicht ist, auch wenn er nationalistische Masken trägt; vielmehr wird ein narzißtischer Wert daraus gezogen, wo die Grundlage der einigermaßen sicheren Existenz fehlt. Ein Deutscher zu sein, heißt ja nichts außer einer administrativen Bestimmung, wenn es nicht auch ein kulturelles Fundament gibt. Dieses aber, sofern überhaupt da, ist längst westlich-global. Etwa bezweifle ich, daß sehr viele dieser Deutschen meine Anspielung auf den Kyffhäuser überhaupt noch verstehen, geschweige denn wissen, daß die Legende ursprünglich Friedrich II, den Staufer, im Grab liegen hatte, einen frühen Europäer, den man nationalinteressiert durch Karl den Großen ersetzte und schließlich durch Barbarossa, worauf sich wiederum – ausgesprochen wirksam – Hitler bezog.
Ich kann Ihren historischen Zugang sehr gut nachvollziehen – es gab übrigens eine bemerkenswerte 21-teilige Serie im ZDF: „Die Deutschen“. Der Kyffhäuser wurde aber spätestens Ende der ’90-Jahre vom DAX abgelöst.
Unter den Tisch fällt beim historischen Zugang, dass Deutschland seit Beginn der ’00-Jahre wirtschaftlich tatsächlich Krieg führt; zunächst gegen die eigenen Leute (Agenda 2010). Dann weitete sich das Kampfgebiet auf den europäischen Binnenmarkt aus mit verheerenden Folgen für die Währungsunion. Und jetzt, nachdem der Beweis für die Überlegenheit Deutschlands erbracht ist, sollen nun auch deutsche Soldaten für den Frieden kämpfen, wie Herr Bundespräsident kaum verbrämt meint. Nachdem der wirtschaftliche Wettbewerbssieg so durchschlagend war und sich die Verlierer über Jahrzehnte hinweg nicht mehr davon erholen werden. Bei den Verlierern wird noch dazu über Jahrzehnte hinweg unsagbares Leid großer Bevölkerungsteile die Gesellschaft prägen. Fußballweltmeisterschaft gibt’s indes in vier Jahren wieder.
Wie der wirtschaftliche Krieg gegen die eigenen Leute erfolgreich geführt wird, kann beispielhaft >>>dort nachgelesen werden. Das darin erwähnte DAX-Unternehmen weist für das Jahr 2013 eine Eigenkapitalrendite von knapp 23% aus bei einer Eigenkapitalquote von fast 50%. Und keinen stört’s. Vor 30 Jahren war eine Eigenkapitalrendite zwischen 5% und 10% noch Ausweis höchst soliden Wirtschaftens. Bei einer Eigenkapitalquote von maximal 30%, wohlgemerkt. In diesem Zusammenhang muss am Rande auch erwähnt werden, dass Marktwirtschaft infolge der sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Finanzierungsströme faktisch nicht mehr existiert.
Man kann’s auch anders sagen: „Kauft die Trikots, Leute! Die Löhne zahlen wir zwar den Chinesen; woher ihr das Geld nehmt, um die Trikots zu kaufen, interessiert uns nicht! Fragt nicht, kauft!“ Und der Laden läuft noch, wie man sieht.
Chauvinismus ist nicht bei sehr einfachen Menschen anzutreffen, das stimmt. Er ist, verstärkt seit 2010, bei jenen zu beobachten, die von der wirtschaftlichen Kriegsführung Deutschlands profitieren. Das sind [in]direkte Kapitaleigner und Beschäftigte in einer überproportional aufgeblasenen Exportwirtschaft, welche bereits mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht (im internationalen Kontext angemessen wären um die 20-30%). Man muss sich nur mal deren Argumente kritisch zu Gemüte führen. Dazu kommt, dass sich die größte Volkswirtschaft der EU Extrawürste brät hinsichtlich der Kriterien für Ungleichgewichte im Außenhandel – 6% für Überschüsse und 3% für Defizite. Darin kommt der Chauvinismus am deutlichsten zum Ausdruck. Deutschland macht aktuell 7% Überschuss. Die entsprechende Kommissionsuntersuchung wurde im Frühjahr, wen wundert’s, konsequenzlos beendet. Warum wohl?
Die sehr einfachen Menschen sind mittlerweile abgehängt und ihrem kargen Schicksal überlassen. Für die mögen Fußballereignisse als Betäubungsmittel herhalten. Wer wollt’s ihnen ernsthaft verdenken? Die anderen fühlen sich dagegen in offensichtlichen Widersprüchen wie zu Hause und empören sich leidenschaftlich, wenn mal ein lästiger Finger darauf hindeutet.
auch@schlavmayr: Nachtrag zu den „Masken“. Auch, wenn’s >>>> ein Vortrag ist. Piketty, Capital in the 21st Century.
Dass Sie auf Misik verweisen, hat besonderen Charme. Nicht nur deshalb, weil er Österreicher ist. Er ist nämlich auch einer, der sich das selbständige und laute Denken, allen Anfeindungen zum Trotz, nicht verbieten lässt.
Ich mach‘ noch einen abschließenden Punkt zum Chauvinismus:
David Graeber
Thomas Piketty
Thilo Sarrazin
Viel gekauft und viel diskutiert sind alle drei Autoren.
Wer setzt sich langfristig durch? (ist selbstverständlich eine rhetorische Frage)
(ich gelobe, mich in Hinkunft wieder in angemessener Zurückhaltung zu üben)
Inszenierung der Bilder. Die von Ihnen angerissene Struktur wird von der Zensur der Bilder, einer der Auswahl, gerahmt. Sie ist sogar die Leinwand selbst. Ich möchte sagen, daß der Zensurbegriff als eigentlich eines Eingriffs staatlicher Instanzen unterdessen ebenso geoutsourct wurde, wie Liegenschaften und Aufgaben der Öffentlichen Hand fast widerstandslos veräußert werden können.
Darüber hinaus erinnert mich die massiv durchgeschlagene „Nobilitierung“ des Fußballs zu einem gemeinschaftlichen Wir innerhalb der Intelligenzia strukturell an den „Anschluß“ der Universitäten. Tatsächlich handelt es sich um eine Gleichschaltung für allerdings andere Interessen als seinerzeit. Dies ist nur dem Anschein nach national, es vollzieht sich global, nämlch auf „Inseln“. Das entspricht einer Militärtheorie, die Länder nicht über feste Fronten, sondern modulweise zu erobern sucht und ebendie Taktiken übernimmt, die eigentlich „dem Feind“ vorgehalten werden: irregulärer Krieg.
Mit Hurra zum Endsieg Ich übergebe das Wort direkt an → zwei aufrechte Bergdeutsch… äh… Österreicher.
Weniger unterhaltsam, aber nicht weniger aktuell … ist dieser Artikel zu einer → Studie zur Fußballweltmeisterschaft: Fußballtaumel und Fremdenfeindlichkeit (Süddeutsche Zeitung, 2012).
@brsma. Der Artikel bestätigt, fürchte ich, >>>> Deters‘ „Anschluß“gedanken. Hier scheint mir auch die eigentliche Gefahr zu liegen und nicht in der Begeisterung des „einfachen“ Volkes, vielmehr in einer Verklumpung der Niveaus. Dem entspricht die Gleichsetzung von U und E für die Kunst, damit die Diskriminierung und Minderschätzung des „Schwierigen“ als elitär.
am ende fallen „Glücklicherweise gibt es noch andere Positionen als die Rauschhaften.
Saß gestern Abend in aller Ruhe vor dem Gerät und verfolgte zu Hause mit
meiner Frau das Spiel und freute mich, da mein aktives und passives
Fußballerleben zurückgeht bis zur WM ´58 in Schweden, wo eben Brasilien
eine neue „Fußballkultur“ in die Welt dribbelte´, freute mich also, wie
ich mich als Kind schon freute, wenn wir ein Spiel gewannen, mir gar ein
Tor gelungen war. Interessant für mich war u.a. zu sehen, dass
Schwarze, fast ausschließlich Schwarze als Ordnungskräfte eingesetzt
wurden, sowohl um den Flitzer auf dem Feld auszuräumen, die Regie blendete den Vorgang erst ein, als er unsichtbar zwischen den schwarzen
Zweimetermännern liegend abgetragen wurde, als auch, als es galt,
Sieger wie Besiegte abzuschirmen beim Gang zur Siegerehrung. ´58 waren
es fast ausschließlich Schwarze um Pele, Didi, Vava, Ballzauberer, wie
der Zauber ihrer Namen, die den WM-titel errangen.“
Das Untertauchen, das Sichauflösen in der Masse ist auch ein Phänomen des menschlichen Selbstschutz. Alle gescheiterten Einzelnen, die mit den Vorteilen der individualisierten Lebensform nichts anfangen können flüchten in die Unverantwortlichkeit der Masse.
Heinrich Schirmbeck:
„Das Zeitalter der Masse ist das Zeitalter ohne Liebe, weil es das Zeitalter des Vermischten, des Undeutlichen, des Amorphen ist. Die Dinge sind deshalb gestaltlos geworden, weil sie potentiell atomisiert sind. Eine bloße Zusammenballung von Atomen ist immer amorph, gestaltlos; was eigentlich gestaltet sein sollte, tritt uns aber nur deshalb als Amorphes entgegen, weil wir selber bereits atomisierte Masse sind. Das ist eine der geheimen Entsprechungen unserer Zeit. Die Einsamkeit des Menschenmenschen spielt sich inmitten der Menge ab; sie erhebt ihr Medusenhaupt mit Vorliebe im Getümmel der Freizeitindustrie. Das darf nicht nur vom technischen Literaturstandpunkt her verstanden werden: vor allem moralisch und poetisch.
Wo aber ist der Dichter, der die Sprache des Atoms verstünde, wie der Held des Märchens die Sprache der Vögel; der das Atom zum Sprechen brächte und in kommunizierender Wechselrede den Einsamen aus dem Turm seines anarchischen Selbst lockt, bis ihm im jauchzenden Reigen der Atome die Musik von der Geburt einer neuen Welt erklingt?“
Meiner Meinung nach sind gerade Sie, die anscheinend nicht-verstandenen Literaten gefragt, eine neue Gemeinschaft zwischen Mensch und Materie zu entwickeln, diese neue Welt erklingen lassen.
Es ist eigentlich alles noch viel schlimmer… Man mag zu Fußball stehen wie man will: Man höre sich ein beliebiges Interview mit einem der Akteure an, und schon weiß man, mit welcher Geisteslage man es da zu tun hat. Genau diesen „Helden“ aber liegen alle teilnehmenden Nationen zu Füßen, pflegen dabei nicht selten einen Chauvinismus, der hart an der Grenze zur Straftat ist. Die Medien tun ein Übriges. War nicht gestern zu vernehmen, daß man sich vor einem Herrn Schweinsteiger gar nicht tief genug verneigen könnte – also kommt eine verquere Religion strafverschärfend hinzu.
Egal, daß sich Erwachsene mit Tröten und Kinderrasseln in der Öffentlichkeit vernehmen lassen. Nicht egal, daß für ein solches Ereignis ein Land wie Brasilien immer tiefer in Schulden gestürzt wird, wenn nur die Kasse bei der Fifa klingelt. (Wer die zahlt, ist ja klar.) Sogar Erz-Linke, die noch im Tiefschlaf klassenkämpferisch unterwegs sind, sehen sich in der Lage, die tatsächlichen Verhältnisse auszublenden, wenn das Bällchen nur ins richtige Tor rollt (was tuts da, daß man eigentlich dem sonst verteufelten Kapital zujubelt).
Spannend dürfte sein, welche Rolle die Wettmafia beim Kauf von Spielen spielt. Es wäre ja nachgerade saudumm, wenn die nur Schiedsrichter bei Kreisklassen bestechen, um Ergebnisse herzustellen, die ihrem Konto zuträglich sind, aber aus ach so reinem Sportsgeist die Finger von Spielen lassen, bei denen es wirklich was zu verdienen gibt. Honni usw…
Die Angst der kulturell Gebildeten vor dem Fußball amüsiert mich immer wieder. Was man so alles in Dahergeschriebenes und Dahergesagtes projizieren kann ist schon erstaunlich.
Gast schreibt: „Man höre sich ein beliebiges Interview mit einem der Akteure an, und schon weiß man, mit welcher Geisteslage man es da zu tun hat.“ Bei allem Respekt, aber sowas kann nur jemand schreiben, der vom Fußball(-zirkus) keinen Schimmer hat. In meiner kurzen Zeit als Sportjournalist hab ich zwei Dinge gelernt: 1. Das alles ist viel profaner als man glaubt. 2. Interviews von Spielern und Trainern geben nie die Wahrheit wieder, weil es auswendig gelernte Phrasen sind, die den profanen Betrieb profan und am Laufen halten. Das fällt einem aber erst wirklich auf, wenn man Woche für Woche aus den gleichen Aussagen neue Meldungen machen muss. Da kann man auch schon mal auf das Geschwätz vom letzten Monat zurückgreifen. Das fällt niemandem auf.
„Genau diesen „Helden“ aber liegen alle teilnehmenden Nationen zu Füßen, pflegen dabei nicht selten einen Chauvinismus, der hart an der Grenze zur Straftat ist.“ Nope. Das nennt man Rivalität, und die hält den Sport am Laufen. Macht nicht mehr daraus, als es ist.
Mit anderen Worten: Es ist alles nicht so schlimm und Fußball nicht der Vorbote des drohenden Untergangs. Versprochen.
P.S.: Wer sich auf einem höheren Niveau beruhigen will, dem empfehle ich Hans Ulrich Gumbrechts „Lob des Sports“.
@Clarknova. „weil es auswendig gelernte Phrasen sind“: Ecco! Gebildeten Menschen dreht genau das den Magen um. Aber genau das ist vorbei – daß ist das einzige, was ich beklage. Denn der Verlust des Geschmacks wirkt sich auch auf andere Bereiche aus.
Nix gegen Fußballfreude oder Handballfreude oder Hamsterzüchten. Kann alles sein. Es zu Ereignissen von Bedeutung zu nobilitieren (und in deren Schatten ungemerkt Politik zu machen), da liegt das Problem. Die von Ihnen „kulturell Gebildeten“ genannten Leute haben ja gar kein Problem mit dem Fußball, im Gegenteil, sie jubeln wie irgend einer der im Fußball sich nationalbetaumelnden Neo-„nazi“, brechen es allerdings auf ein sich selbst beschuppendes „Is‘ doch nur Spaß“ herunter. Was für den Fußball gilt, gilt frelich insgesamt für die am Mainstream orientierte Unterhaltungsindustrie, die Adorno mit fast prophetischem Recht Kulturindustrie genannt hat. Die Demonstration der „deutschen“ Spieler am Brandenburger Tor, wie ein „Gaucho“ gehe und wie ein „Deutscher“, sprach Bände. Daß Helden in aller Regen nie im Kopf bedeutend sind, ist allerdings klar. Sie taugen auch nicht zu Vorbildern deshalb, haben aber im Kampfeinsatz ihre Funktion.
„Die Demonstration der „deutschen“ Spieler am Brandenburger Tor, wie ein „Gaucho“ gehe und wie ein „Deutscher“, sprach Bände.“
Ich finde da sprach überhaupt nichts, außer der Siegestaumel von besoffenen Weltmeistern. Ein Gesang übrigens, den man in deutschen Stadien schon seit Jahren hören kann. Hat bisher niemanden interessiert. so what?
„Es zu Ereignissen von Bedeutung zu nobilitieren (und in deren Schatten ungemerkt Politik zu machen), da liegt das Problem.“
Aber der „Gaucho-Dance“ wird nicht zu einem „Ereignis mit Bedeutung“ nobilitiert? Nein… er wird zu einem Ereignis hochstilisiert, weil er nicht im Stadion oder der Kabine, sondern vorm Brandenburger Tor sich ereignete. Da sind wir wieder bei den Symbolen, die in bester Voodoo-Manier mit Bedeutung aufgeladen werden.
Irgendwie sehe ich in der Debatte um den „Gaucho-Dance“ die Phrase von der Intelligenz geadelt, weil sie mit Bedeutung aufgeladen wird.
Stellen Sie irgendwo, auf einem oeden Feld, ein paar bunte Fahnen auf, und bald werden sich dort Leute versammelt haben, kaum wissend warum. So hat das der große Schopenhauer gesehen. Und er hatte recht. Was soll man auch mehr dazu sagen?
Das Fremde und das Eigene oder: Von der Gastfreiheit Was mich am meisten interessiert und worauf bisher niemand so recht eine Antwort geben konnte: Was motiviert einen Sieger, den Verlierer zu verhöhnen? Sollte ich mich denn als Sieger nicht vielmehr über meinen Sieg freuen, sofern er den gerecht errungen wurde, und eine sportliche Geste für den übrighaben, der verlor? So zumindest sehe ich den Kampf. Sport ist bekanntlich die eingefriedete, kulturell gehegte Form desselben. Bestimmten Positionen des Feminismus (ich meine das nicht abwertend!) werden diesen Ansatz zunächst einmal als männliche Sicht lesen, in der Kampf und Krieg der Vater aller Dinge seien. (Ob die Mutter nun die Weisheit ist, bleibt dahingestellt.) Aber ich denke, daß auch in einer feministischen oder aber anderen Blickrichtung der Kampf und der Gegensatz, der Widerspruch, sowie die (sich messende) Auseinandersetzung durchaus Triebkräfte – Trieb hier in einem mehrfach konnotierten Sinne gedacht – sein können.
Trotzdem bleibt die Frage nach dem Sinn des Spottes, der leicht in die Aggression umschlägt.
Ein interessantes, von Sekunde 0:24 bis 0:39 polemisches Video dazu gibt es auf Youtube. Wer die ersten Sekunden der singenden Deutschen nicht sehen mag, springe zu 0:39, wo dann Adorno zu Wort kommt. Eine gelungene Kombination von Bild und Text.
https://www.youtube.com/watch?v=LielpmdAh-U
Im Kontext dieser Diskussion mag man entgegnen, daß dies alles nun nicht so hoch gehalten werden müsse. Das ist richtig. Aber es scheint mir zugleich, daß die Kritiker der Kritiker, die ansonsten so viel Spaß verstehen, da einiges zu hoch hängen. Meine Frage geht, wie auch die Ausführungen Adornos, in Richtung der Motive. Der Begriff der Gastfreundschaft und wie sie gebrochen wird, scheinen mir zentral. Das aber ist in der Tat ein generelles Problem, das nicht speziell mit dieser WM zu tun hat. Das Bedürfnis eben, den Gegner nach Niederlage zu verhöhnen.
Ich glaube nicht, dass der „Tanz“ als Hohn gemeint war. Und selbst wenn… die Argentinier haben es nicht so gesehen. Wie gesagt… „So geh’n die XY, die XY geh’n so…“ ist ein etablierter Fußballgesang, der wohl von niemanden im Fußballbetrieb wirklich kritisch gesehen wird.
Da sind wir dann auch beim ollen Adorno, der vom Fußball redet wie der Blinde von der Farbe. Im Stadion galten noch nie die Regeln des „normalen Lebens“. Auch im alten Rom nicht. Es war/ist immer ein/e Projektionsraum/-fläche für Emotionen, die man im Alltag so nicht lebt/e (weil man sie so wahrscheinlich auch nicht empfand).
Und weil in Sachen Fußball schon immer dieser nicht zum Schweigen zu bringende Adorno zitiert wird, will ich endlich mal Albert Camus zitieren: „Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball.“ Ich persönlich finde Camus cooler als Adorno. In jeder Hinsicht.
Bei Adorno können Sie auch einiges über Moral und Verpflichtung lesen. Aber ich verstehe es, wenn einer nicht immer nur „nein“ sagen will.
@bersarin Es ist eine aus der Leidenschaft zum Paradoxon gewonnene Einsicht Nietzsches, dass der Umgang mit einem Sieg schwieriger ist mehr Charakter von einem Menschen erfordert als es bei einer Niederlage der Fall ist.
Wenn Sie aber wissen wollen, weshalb es vornehmlich die Schwachen sind, auf welche losgegangen wird, dann lesen sie einfach „Eichmann in Jerusalem“
Spott und Hohn haben mE zunächst einmal territoriale Anspruchsfestigungsfunktion. Es wird bei genauer Betrachtung auffallen, dass diese Affekte gemeinschaftlich „zu Hause“ ausgelebt werden, fernab unmittelbarer „Vergeltungsgefahr“. (könnte man darin böswilligerweise „Feigheit“ erkennen?)
Interessant in diesem Zusammenhang (WM) ist, dass Herabwürdigung einem sich an die Regeln gehalten habenden Wettkampfgegner widerfährt. Darin kommt Siegereuphorie insofern nachvollziehbar zum Ausdruck, als just in diesem Augenblick die kapitalistische Camouflage des Faustrechts fallen gelassen werden könnte. Ein Sieger setzt sich durch – mit, gegen, oder auch ohne Regeln.
Diesem Rauschzustand gibt man sich hemmungslos hin. Dem Sportsgeist geschuldet wäre hingegen eine Würdigung gegnerischer Fairness und Leistung. Der Mehrwert für das eigene Ansehen läge auf der Hand. Allerdings ist das den grandiosen Sportjournalisten nicht zugänglich. So kann folglich die tatsächliche Verrücktheit des kindlich überschäumenden Triumphgefühls nicht angesprochen und reflektiert werden.
Den „tanzenden“ Fußballern im Video unterstellte ich übrigens keineswegs bewusste Herabwürdigungsabsicht. Wohl aber den darüber mit heroischem Impetus berichtenden Journalisten, welche per definitionem Öffentlichkeit gestalten. Moralische Fragwürdigkeit der Haltung wäre also nicht einer fußballbegeisterten Gesellschaft, sondern einer kleinen, dafür aber umso mächtigeren Minderheit anzulasten. Denn diese Minderheit hat es faktisch in der Hand, irrationale Stimmungen auf andere politische und wirtschaftliche Bereiche zu übertragen. Bereiche, in denen laufend gigantischer Schaden angerichtet wird. Den abgeschirmten Blick auf ein einzelnes Sportereignis und die Verleugnung von Querwirkungen halte ich deshalb für lächerlich.
@ schlavmayr
Ihren Ausführungen stimme ich weitgehend zu, insbesondere, was die Medien und ihre Weise der Berichterstattung und vor allem: worüber berichtet wird, betrifft. Dieser Gaucho-Tanz darf eben nicht vereinzelt gesehen werden, und absurd wäre es, hier individuellen Rassismus unterzuschieben. Schlimmer ist es da schon, daß in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld oder in deren Umgebung, wie ich gelesen habe (ob es stimmt, weiß ich nicht) nach dem Spiel gegen Ghana Feuerwerkskörper auf Ghanaer geworfen wurden.
@bersarin Mir wäre an Ihren Einwänden gelegen.
(nicht, um sie zu entkräften, sondern um meine Denkarbeit zu verfeinern)
Dem folgt deutscher Gesang @ Clarknova
Cool oder uncool sind Kategorien des Pop, des persönlichen Geschmacks und der Befindlichkeit. Manche finden halt Thilo Sarrazin cool oder Geert Wilders. Andere wieder das Sankt Oberholz oder das „Berghain“. Das aber sollte kaum das Thema sein. Über Coolheit kann man schwierig disputieren. Hier greifen andere Diskurse.
Wer sind „die Argentinier“? Hast Du alle befragt?
Daß niemand diesen etablierten Fußballgesang bisher kritisch sah: spricht das nun für den Gesang oder gegen die Sehenden?
Übrigens sind die Differenzen zur Gewalt in Deiner Diktion nur graduelle. Andere nämlich finden die dritte Halbzeit ziemlich cool. Und das kann ich sogar verstehen. Weshalb auf dem Platz bleiben, wenn es auch außerhalb und dabei noch aktiv geht? (Für alle Sinnlichkeits- und Unmittelbarkeitsfetischisten ist das übrigens allemal reeller als jedes Spiel.) Auch dort ist das Schlagen übrigens nie so gemeint, es wird nicht jemand aus persönlichen Gründen verprügelt, weil das Gesicht nicht gefällt. Und wer am Boden liegt, wurde seinerzeit in Ruhe gelassen und hatte verloren. In einem erweiterten Sinne läßt sich diese dritte Halbzeit auch als Sport und nicht als Gewalt interpretieren. Da ist sogar einiges dran: Den dieses Spiel nach dem Spiel richtet sich gegen den durch und durch verbürgerlichten und kommerzialisierten Fußball. Hier wird Fußball noch in seiner Reinkultur zelebriert.
Niemand will Leidenschaften im Fußball oder sonstwo verbieten. Sie gehören dazu. Aber es gibt Fragen, die zu stellen mir nicht uninteressant scheint. Ich frage mich immer, weshalb die ansonsten nicht Zimperlichen und wenig Empfindlichen da plötzlich so empfindsam werden.
Camus ist sozusagen der Sepp Herberger der französischen Philosophie: Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten. Seinsmäßig. Und im Sinne von Sein und Zeit: Dasein ist gegerbtes Leder, das sich irgendwann im Alter in gekerbte Haut verwandelt. Den Fußballplatz als irgendwie ausgezeichneten Ort zu behandeln, halte ich für sehr fragwürdig. Über Moral und Verpflichtung kann man überall etwas lernen: in einem Gefängnis oder als Angestellte/r in einem Großkonzern.
@ tom
Zur Moralphilosophie eignet sich Adorno nur bedingt. Ich bin bereits froh, wenn seine Texte einigermaßen verstanden und nicht als Slogan sinnentstellend herausgebrochen oder an Wände gesprüht werden. (Nicht anders übrigens als bei Walter Benjamin, der von der post-pop-industriellen Minderdenkgeneration mit etwas mehr Wohlwollen aufgenommen wurde als der gute alte Teddy.) „Tocotronic“ sangen eines dieser schönen Lieder: „Über Sex kann man nur auf englisch singen“ (http://www.youtube.com/watch?v=EJzPXLwq1XE) Analog sage ich mal so: Über Adorno kann man nur mit Adornos Texten reden. Zu komplex, sonst wird es allgemein.
Ich verstehe sehr gut, weshalb jemand immer „nein“ sagen will: weil einige Dinge nicht so eingerichtet sind, wie sie sein sollten. Das nennt sich: Finger in die Wunden legen. Oder sollen alle „ja“ jubeln? Das wiederum ist mir suspekt und angesichts einer beschädigten Welt nicht angemessen.
„Eichmann in Jerusalem“ liefert meines Erachtens wenige Erklärungen dafür, weshalb auf Schwache oder auf den Verlierer eines Wettbewerbs losgegangen wird. (Es liefert nicht einmal eine Erklärung für den Antisemitismus.) Vielmehr zeigt das Buch die Strukturierung eines Befehlsempfängers, der in seiner Position durchaus ein gewisses Maß an „Kreativität“ (um es im heutigen Jargon der Betriebsamkeit zu schreiben) entwickelte.
nota bene – merke wohl Das nämliche Buch zeigt vornehmlich „die Strukturierung eines Befehlsempfängers“, das ist richtig. Allerdings sind wesentliche Einsichten aus „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955) in den Prozessbericht aufgenommen worden. Dies ließe sich an entsprechenden Textstellen zeigen. Das Buch ist alleine schon deshalb mehr als ein protokollarischer Bericht, weil es im Kontext der politischen Theorie der Verfasserin gelesen werden kann und soll.
Danke für den Hinweis zu Hannah Arendt sowie zum Kontext des Eichmann-Buches. Es ist allerdings zu lange her, daß ich mich mit ihren Texten beschäftigte, um hier Sinnvolles schreiben zu können.
@bersarin: In diesem Falle meinte ich mit „die Argentinier“ das argentinische Medienecho bzw. die Reaktion der AFA. Also das große Schulterzucken.