>>>> Iko Freese/drama-berlin.de.
Gemälde Daphne: John William Waterhouse, 1908.]
Es wird Verrisse hageln. Wir haben doch aber Befreiung erwartet, Glück, Erlösung.
Die Kritiken werden ungerecht sein. Ungerecht und, weil wir ja doch nicht ausweichen können, dumm.
Vielmehr.
Diese Inszenierung hat entschiedene Größe. Aber es ist ihr Problem, daß wir das erst in den Erwachensszenen des Dritten Aktes begreifen können, sinnlich begreifen, heißt das, weil wir es da erst sehen. Und da dann ist es ein Schock, der einen den Mund offenstehen läßt. Nein, ich möchte den „Clou“ nicht verraten, stattdessen Ihnen ans Herz legen, Vertrauen in diese Inszenierung zu haben, Kairsih einfach entgegenzukommen und es auszuhalten, daß man vieles von dem, was gezeigt wird, nicht vor dem Dritten Akt erfaßt. Oder man muß ziemlich denken, will man Kairishs Konzept schon vorher auf die Spur kommen. Das ist ein schmerzhafter Prozeß, wenn man doch darauf eingestimmt war, sich den Abend über behaglich zu fühlen. Es ist, schreibt Nietzsche, kühl da oben auf den Bergen des Geistes; wir aber, gestern abend, hatten unsere festen Jacken vergessen. So war in der Pause immer wieder zu hören: „Ich verstehe diese Bilderwelt nicht.“ – Ja, was sollte man anfangen mit Elben, die alle zwar kinderklein, aber von greisem Antlitz sind und ungelenk, von ihrem Alter eben, in ihrer Bewegung?
Sein Sommernachtstraum ist ein vergeblicher. Er schreitet unaufhaltsam dem Tod zu, aber nicht einem plötzlichen, sondern dem langen, der sich, bevor er dann kommt, mit dem Bechterew quält, mit Alzheimer vielleicht, jedenfalls mit dem Versagen unserer Körper. Genau darum stellt Kairish ins Zentrum seiner Inszenierung diese unsere Körper hinein, sei es den des mit einem bizarr langen Geschlechtsteil ausgestatteten Esels, zu dem Zettel wurde – aber eben als Esel und nur als Esel in allertiefstem Glück -, sei es der der nach eben diesem Geschlechtsteil gierenden und dabei wirklich befreiten menopausen Titania – selten habe ich das Begehren, sich etwas einzuverleiben jenseits von Pornografie so evident dargestellt erlebt wie hier: Besessenheit von und Gier nach dem Schwanz – befreit, weil die hemmenden Konventionen abgefallen sind; immerhin, sie ist eine Königin… (wir könnten, fürs Publikum, auch „eine Bürgerliche“ sagen) – – sei es der beiden zunehmend, indem sich ihre Begehren gedreht und furchtbar verwickelt haben, zu Pflanzen mutierenden höfischen Liebespaare; eine großartige Bildgebung hier, wie aus ihnen Zweige wachsen, die sich begrünen, immer mal wieder abgerissen werden, aber nachwachsen, bis sie von vegetativen (!) Korsetts geradezu geschnürt sind – eine wahre ovidsche Metamorphose:
Das Orchester spielt Brittens eingängig nur anmutende Musik – tatsächlich ist sie hochkomplex – in großartiger Durchsichtigkeit und scheut wiederum die emotionalen Ausbrüche nicht; Britten sei einer gewesen, hat Leonard Bernstein geschrieben, der mit der Welt verfallen war. Welch eine Kraft deshalb der Vornehmheit, für die er komponierte – zugleich voll britischer Zurückhaltung: ein permanentes Understatement bei höchst leidenschaftlicher Schöpfer-, ja einer Kraft des Mitempfindens, Mitleidens (Sym/Pathos), die sich selbst oft völlig zurücknimmt – von dem autobiografisch getönten Spätwerk „Death in Venice“ vielleicht abgesehen. Dies alles muß sehr viel sinnhafter ausbalanziert werden als bei anderen Komponisten, weil es vor allem keinerlei verschmierende Füllsel in dieser Musik gibt, schon gar keine Effekte, sondern jede Nuance und eben ihre Balance bestimmt den Klangcharakter und dieser das, was erzählt wird; man kann etwa sagen, daß bei Britten die Tonfarbe nicht nur Tonfarbe, sondern Thema-selber ist, ja bisweilen setzt die Tonfarbe das komponierte Thema fort, ohne daß es thematisch noch ausgeführt würde. Kristiina Poska leitet das wundervoll sensibel, wie, als ließe sie alle ihre Musiker selber schweben. Dazu David DQ Lees schöner Oberon-Counter; seine körperliche, fernasiatische Erscheinung beinahe art-deco-arabesk.
Dazu Nicole Chevaliers, deren S t i m m e sogar lasziv wird, wenn sie einverleiben will; dazu außerdem sehr schön Günter Papendells Demetrius – überhaupt dieses Sänger:innentableau, das fast vollständig aus dem reichen Ensemble der Komischen Oper besteht. Und Jens Larsens Squenz ließ mich plötzlich begreifen, fühlen, wie sehr dieser wenn zwar nicht Schuster, sondern Zimmermann Brittens ironische Verneigung vor Hans Sachs ist – sozusagen transzendente Höhepunkte einer Aufführung, die man eigentlich erst hinterher, viel später, wirklich erfaßt. Und daß der Puck von einem Mann gespielt wird, Gundars Ābolinš, aber in kurzen Jungenhosen, macht die Inszenierung rund. Nicht einmal >>>> David Bennents seinerzeitiger Bilderbuch-Puck (unter 15 Uhr im Link), unter Langhoff, vermag sich noch darüberzublenden.
Hineingehen. Aber mindestens zweimal.
Ein Sommernachtstraum
Oper in drei Akten (1960)
Libretto nach William Shakespeare von Benjamin Britten und Peter Pears.
Deutsche Übertragung nach August Wilhelm von Schlegel, eingerichtet von Ernst Roth, revidiert von Walter Felsenstein.
Inszenierung Viestur Kairish Bühnenbild & Kostüme Ieva Jurjāne
Dramaturgie Johanna Wall Kinderchor Dagmar Fiebach
Lichtdesign Diego Leetz
David DQ Lee – Nicole Chevalier – Gundars Āboliņš – Alexey Antonov –
Christiane Oertel – Tansel Akzeybek – Günter Papendell – Annelie Sophie Müller – Adela Zaharia – Stefan Sevenich – Jens Larsen – Peter Renz – Hans-Martin Nau –
Máté Gál – Bernhard Hansky.
Kinderchor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Kristiina Poska.
Die nächsten Vorstellungen:
So 29.9.
Fr 4.10., Do 10.10., Sa 26.10
sowie im Juli 2014: Di 8.7.
>>>> Karten.
Noch eines, aber nur als hingeworfene Anmerkung. „Mir fehlt der Shakespeare dabei“, sagte in der Pause der Freund, der mich begleitete, „ich höre einfach den Shakespeare nicht.“ „Vielleicht“, entgegnete ich, „liegt das daran, daß Kairishs Ästhetik einer Tradition des Ostens entstammt. Sein Shakespeare klingt nach Gogol, und der Witz hat einiges Derbe, das sich auch bei Schnittke, im Tagebuch eines Idioten, findet oder eben in Schostakowitschs Vertonung der Nase von Gogol. Möglicherweise machte diese Inszenierung schon gleich von Anfang an einen anderen Eindruck, würde auf Russisch oder Lettisch gesungen.“
Wir unterschätzen noch immer viel zu sehr die Unübersetzbarkeit der kulturellen Codes; das, wenn wir nicht Muttersprachler sind, kaum halberfühlte Englische, dessen wir uns zur Verständigung nur allzu oft bedienen, verschmiert das: daß das Tiefste, jedes‘, aus dem Gespräch gesperrt bleibt – gerade weil Sprache etwas viel Weiterreichenderes ist als bloße Funktion einer Weitergabe definierter – eineindeutiger – Informationen.
Ein toller Text, der große Lust macht, diese Inszenierung zu sehen und zu hören.