Hin- und herüberlegt habe ich, ob ich über >>>> „Aschemond“ überhaupt schreiben soll. Als wir am Mittwoch abend die zweite Vorstellung nach der Uraufführung verließen, kochte G., mein bester Freund, vor Ekel und kanalisierte ihn in Verachtung: „Das war die schlechteste Oper, die ich jemals gesehen habe“. Schon saßen wir in der Strandbar beisammen, um uns zu erholen. Er schimpfte und schimpfte. Denn in der Tat: Was einem da zugemutet wurde, ist nicht zu begreifen, dieses Ausmaß an Regression und Regressionssucht, Kitsch, Schwulst, hohlem Pathos, überdies einem – an Henry Purcell – Mißbrauch, der die ästhetische Vergewaltigung nicht nur streift, wenigstens aber – nimmt man die Oper als von Helmut Oehring geschrieben – einerseits gnadenlosem Plagiieren gleichkommt, anderseits einer Form von Leichenfledderei, über die bereits Karl Kraus schrieb, daß es für einen kleinen Menschen nicht wirklich leicht sei, einem großen auf den Kopf zu spucken, und zwar auch dann nicht, dies nun nicht mehr Kraus, wenn man an fremder Kopfhaut saugt, um vom Gehirn abzukriegen. Egal. Alle haben gejubelt; auch die Kritiken nachher.
Man fragt sich nur: wem zu? Denn wirklich, die Sängerinnen und Sänger waren großartig, desgleichen sämtliche Instrumentalisten, der Dirigent; auch die Bühne, imgrunde, stimmte, die Videoprojektionen stimmten, die Abläufe, die Regie – nur als das, was dieses Stück sein soll, ging es bis in den Selbstmord durch seine Peinlichkeit daneben. Und dies wahrscheinlich bereits als Konzept.
Aperghis’ Stück betont in dieser Interpretation nicht nur das experimentelle Theater der 50er/60er Jahre, sondern übertritt bereits in sich selbst die Grenze von Performance, mimischer Darstellung, Clownerien, Verzweiflungen und Begeisterungen, ja selbst zum action painting. Damit ist das Stück noch völlig frei von – um dies im deutschen Mißverstehen des Begriffs zu schreiben: – „postmoderner“ Affirmation, die den Abend davor, also Oehrings Schwulststück, vielleicht am allerbesten charakterisiert und auch die Begeisterung, mit der es aufgenommen wurde. Nein, Asperghis ist, bei aller komödiantischen Lust, streng. Er läßt uns auf die Binnentöne hören, Binnenklänge, ganze Klanghöfe – dabei immer nur sehr kurz angesungen –, die als Musik eben auch Geräusche verstehen, auch solche, die durch die Gänge der Darstellerin erzeugt werden, durch die Absätze ihrer Schuhe auf dem hohl von ihnen klingenden Boden, oder allein durch ihr Atmen, dann wieder vermittels rhythmischem Fingerschnippen. Wobei es eine Meisterleistung für sich ist, vom französischen Text so in einen deutschen zu springen, daß sich Einzelne aus dem Publikum direkt ansprechen lassen. Was denen erstmal peinlich ist, klar, aber das gab sich gestern abend schnell, und spätestens, nachdem wir von unseren Sitzbänken aufstehen mußten, weil die Darstellerin sie verrücken wollte und das auch tat, und als wir dann wieder saßen – mit bisweilen ganz anderer Sicht, anderen Nachbarn – lösten wir uns und wurden zum Teil des Spiels. Wobei besonders spannend ist, daß in Stöpplers Auffassung das Publikum letztlich ebenso Teil des Interieurs ist wie der (mit blauer Farbe befüllte) Feuerlöscher, wie anfangs die immer wieder aus der Wand kippende Tür, wie die Längsstreben, die von der Decke herabkamen und ihrerseits Teil der Aktion wurden. Daraus spricht aber nicht nur karikierende oder sich zergrübelnde Spiellust, sondern – weil die Sängerin letztlich allein bliebt, denn die aktive Mitwirkmöglichkeit des Publikums ist scharf begrenzt – vor allem eines: Einsamkeit.
RÉCITATIONS
von Georges Aperghis
Inszenierung Elisabeth Stöppler – Ausstattung Annika Haller
Dramaturgie Detlef Giese
Voix Seule Uta Buchheister
Dabei war billig schon der musikalische Auftakt: nach elektronischem Dräuen à la Geschichten aus der Gruselgruft ein Herzschlag unter alles gelegt – wie wenn man da die Absicht nicht bemerkte. Bemerkte man auch nicht. Dann schon, leicht verfremdet von Oehrings Instrumentation, der erste Purcell-Song, gefolgt von metaphysischem Seinwollen des Klangs und Stimme, bedeutungsschwanger, aus dem Off, mal wieder eine Anlehnung an Ligetis Requiem, dann, sagen wir mal, Psychodelickereien. Dazu eine Story, wie sie abgelatschter gar nicht sein kann. Mann um die fünfundvierzig kehrt in sein Heimathaus zurück, gerät an das Tagebuch seiner toten Mutter und erfährt nach und nach – indem er teils als Geist, teils als Kind-wieder-selbst Zeuge der Vergangenheit wird -, weshalb sich seine Mutter unmgebracht hat. Nun ja, das kann wirklich einen Grund gehabt haben, über den niemand je sprach. Aber was stellt sich heraus? Aus Liebeskummer und wegen eines Überdrusses an den von Trieben bestimmten Menschen und daran, daß sie Rituale des Alltags noch und noch wiederholen. Jesses, denkt man da, das soll dieser doch eigentlich reife Mensch nicht vorher schon gewußt haben? Wo ist da das Geheimnis? Was aber Helmut Oehring und Klaus Guth, der für die Texte mitverantwortliche Regisseur, daraus abziehen, ist eine Sehnsucht nach Regreß, die jeden erwachsenen Menschen kotzen lassen müßte, wäre es nicht so entsetzlich lächerlich.
Dazu gesellt sich obendrein eine extreme, als „edel“ und „verloren“ kaschierte Ablehnung von Sexualität, wie wir sie allenfalls von calvinistischen Sekten kennen oder, na gut, aus dem Biedermeier – hier um so schlimmer, als sie sich – abermals bedeutungsschwanger aus dem Off über die Szene gesprochen – an einem aus dem Zusammenhang gerissenen Shakespeare-Sonett bedient, das schamlos hochgemotzt ins Deutsche übersetzt wird, ohne auf Metrik und Metaphorik zu achten, ja sie zu mißachten, was den Text in ein moralinsäuerliches Rülpsen verwandelt, das als Botschaft daherkommt und wahrscheinlich der neuen zeitgenössischen Reinlichkeit – einer, die zugleich gerne foltert – ausgesprochen entgegenkommt:
ist die Wirkung der Lust; und bis sie wirkt,
ist Lust meineidig, mörderisch, blutig, voll Schuld,
brutal, drastisch, roh, grausam, ohne Vertrauen.
Nicht länger genossen, geradewegs verschmäht.
Vorbei, gehetzte Vernunft, nicht mehr da,
vorbei, gehaßter Verstand, verschluckt wie ein Köder,
ausgelegt, um das Opfer verrückt zu machen.
Zuvor: versprochene Wonne, danach: ein Traum,
Is lust in action; and till action, lust
Is perjured, murderous, bloody, full of blame,
Savage, extreme, rude, cruel, not to trust;
Enjoy’d no sooner but despised straight;
Past reason hunted; and no sooner had,
Past reason hated, as a swallowed bait,
On purpose laid to make the taker mad:
Mad in pursuit, and in possession so;
Had, having, and in quest to have, extreme;
A bliss in proof, and proved, a very woe;
Before, a joy proposed; behind, a dream.
(All this the world well knows; yet none knows well
To shun the heaven that leads men to this hell.)
sind Lust und Geist im Werk der Schmach verschwendet.
Kein Meineid, kein Verrat ist unbewußt,
nicht Mord dem Sinn, den jene Lockung blendet.
Doch sie verkürzt ihn. Denn in tollem Wagen
wird Lust Verlust und nichts verbleibt den Sinnen
als noch der Wunsch, sich fortan zu versagen
und niemals mehr von neuem zu gewinnen.
Wie Wahnwitz giert und allzu bald ersattet,
bevor das Unmaß der Erfüllung voll —
unselig, den die Seligkeit ermattet,
und den das Glück gleich einem Gift macht toll.
Wer wüßt’ es nicht, und würde nicht durch Gluten
des Himmels doch sich in die Hölle sputen!
Der Mann – und das Publikum offenbar mit ihm – will nicht lernen, mit Amibivalenzen umzugehen, flüchtet sich immer mehr hinter seine als Kind getragene Katzenmaske, deren trauriger Ausdruck unterschlägt, ebenfalls unterschlägt, daß Katzen Raubtiere sind, die gerne ihre Mäuse quälen.
Es sind Oehring und Guth selbst, die die Erdbeersahne verstreichen – darin nicht unähnlich >>>> Lars van Triers „Melancholia“, wo auch schon „Le Weltschmerz“ zur Begründung hinreichen sollte, daß alles untergehen müsse. Anstatt sich den Problemen zu stellen und wirkend einzugreifen, gegenzusteuern. Mein Gott, die Mutter hat aus Liebeskummer Selbstmord begangen. Das ist nicht schön, aber kommt vor. Wir hatten solche Anwandlungen alle, aber sehen wir zurück, begreifen wir daran unsere einstige Unreife. Auch hier kann Shakespeare uns einiges lehren – auch das Lachen, das dieser klebrigen Oper komplett abgeht und von dem Goethe geschrieben, es habe immer einen dunklen Grund. Tutto nel mondo è burla! ruft lachend der begreifende Falstaff aus, auch wenn der Spaß auf seine Kosten ging. Oehring aber will zu Werther zurück, und mit schlechteren Mitteln.
So auch die Regie. Wird jemand – wie die Mutter – hysterisch, verrenkt sie sich an der Wand oder windet sich spastisch am Boden; dazu dräuend die Musik. Hier wird eine Bühnensprache verwendet, von der Sloterdijk einmal sehr zu recht gesagt hat, die Hysterie sei das erfolgreichste Exportprodukt Europas, nämlich eines des Operngeschranzes. Was fürs 19. Jahrhundert freilich noch angehen mochte, wiewohl Mitursache für die dann folgenden Greuel, ist bereits für die zweite Hälfte des zwanzigsten, nach der Erfahrung dieser Greuel, schlichtweg inakzeptabel. Oehrings Oper ist politische Reaktion-pur, ein mit dem Zucker des Selbstmitleids überbackter musikantischer Wiener Kongreß, und entspricht exakt dem Kniefall unter den globale Kapitalismus mit all seinen schauderhaften Folgen. Während ich dies schreibe, soll eine deutsch-US-amerikanische Freihandelszone eingerichtet werden, die die EU quasi auf die USA erweitert, aber ohne daß Europäer dort dauerndes Lebensrecht hätten. Geschmiert wird das alles vom Pop – ich meine nicht den in seiner experimentellen Ausprägung, sondern die am Schlager orientierte billige Massenversion, deren Texte mit exakt derselben an einem sogenannten Einfachen ausgerichteten Verlogenheit daherkommen – , genau dem, da hatte mein Freund völlig recht, ist diese Oper zuzurechnen.
Wenn man sich jetzt die Musik an„sieht“, also insoweit sie von Oehring überhaupt stammt, dann handelt es sich um leichte Dekonstruktionen der Purcell-Lieder, von denen er aber alle Wirkung bezieht. Es tut den Liedern manchmal ganz gut, daß sie von Oehring aus der abgestandenen Hörgwohnheit herausgelöst werden; das bestreite ich nicht; aber so etwas ist mit allereinfachsten Mitteln zu bewerkstelligen und muß mit Komposition gar nichts zu tun haben. Es gab Meister dieses Fachs, Schnittke etwa, der dafür berühmt war, aber auch Berio, und auch bei Henze, in seinem „Tristan“ zum Beispiel, finden wir es: Stücke eines meisterhaften Synkretismus, mit dem ich durchaus sympathisiere – seine Gegner denunzieren ihn gerne als Eklektizismus –, ein Formspiel, das nicht nur Gesten übernimmt, sondern das „alte“ Material im Eigenen kompositorisch aufhebt. Wo Oehring so etwas gelingt, bleibt es aber seinerseits Zitat, etwa kurz vorm Ende der ersten halben Stunde im untergelegten Cembalo. Sogar die E-Gitarre ist aber zaghaft, fast, als müßte sie um Entschuldigung bitten; im übrigen bleibt es beim Auffächern der Klänge, einer Art Zerlegung, die allzu gern in ein Heavy Metal münden, von dem man, große Gutwilligkeit vorausgesetzt, sagen könnte, daß es von Stravinski herkommt.
AscheMOND oder The Fairy Queen
Oper von Helmut Oehring unter Verwendung von Musiken Henry Purcells.
Konzeption und Libretto von Stefanie Wördemann.
mit Texten von William Shakespeare, Heinrich Heine,
Adalbert Stifter und Helmut Oehring.
Inszenierung Claus Guth – Bühnenbild & Kostüme Christian Schmidt – Licht Olaf Freese
Choreographie Ramses Sigl – Video Kai Ehlers – Elektronik Torsten Ottersberg
Chor Eberhard Friedrich – Dramaturgie Konrad Kuhn & Jens Schroth
Marlis Petersen – Tanja Ariane Baumgartner – Bejun Mehta – Topi Lehtipuu
Roman Trekel – Ulrich Matthes – Uli Kirsch – Christina Schönfeld
E-Gitarre Jörg Wilkendorf – Solo-Gitarre & Banjo Daniel Göritz
Solo-Kontrabass – Matthias Bauer
Staatskapelle und Staatsopernchor Berlin, Johannes Kalitzke
Akademie für Alte Musik Berlin, Benjamin Bayl