I N F E K T I O N ! Das Festival für Neues Musiktheater der Staatsoper Berlin. 14. bis 30. Juni 2013. Infektion (1).



Nun also geht es los mit einem der kunstästhetisch spannendsten Festivals in Berlin: dem Infektion mit Ausrufezeichen benannten für neues Musiktheater. Wir werden sehen (und vor allem hören), welche Richtung „das Kunstwerk der Zukunft“ momentan nimmt. Davon einen kleinen, vermutlich aber nicht repräsentativen Eindruck vermittelten seit heute am frühen Mittag zwei Proben, zu denen Pressevertreter – aber ich auch, der alles andere als ein Vertreter der Presse ist; da ich dennoch über das Operntheater schreibe, nenne man mich also einen, auch, Musikschriftsteller, schöner noch einen „homme de lettres de la musique“ (doch was das sei, versteht keiner mehr) – – zu denen und zu den kleinen Gesprächen wir also geladen waren, die teils vorher, teils nachher stattfanden, mit den beteiligten Komponisten, Arrangeuren, Dramaturen, sowie dem derzeitigen Intendanten der Staatsoper, Jürgen Flimm.

Gleich zu Beginn, im Gläsernen Foyer des Schillertheaters, die heikle Situation für das Regieteam: nicht nur ließ die Probenwirklichkeit die Aufführung eines wenigstens annähernd repräsentativen Teiles nicht zu, überdies hatte Michael Boder, der eigentlich vorgesehene musikalische Leiter, der auch schon viel Arbeit investiert hatte, plötzlich ins Krankenhaus gemußt, und fliegend hat Johannes Kaltizke das schon insofern sauschwere Dirigat übernommen, als zugleich zwei Orchester, ein improvisierendes Trio sowie ein oft, wurde erklärt, hinter der Bühne singender Chor zu führen seien, und ebendieser Herr Kalitzke konnte am heutigen Tag nicht; deshalb war die Staatskapelle schon daheim. Geblieben war allein die Akademie für Alte Musik, und also probte man Purcell-Parts. Von dem, was Oehrings eigene Musik ist, bekamen wir nahezu gar nichts mit. Ich hatte indes eine Idee, fragte nach; es war ein bißchen bizarr, wie schroff der ansonsten außerordentlich freundliche und gesprächsoffene Mann entgegnete: „Ich schreibe keine dissonante Musik!“ Als hätte er „Apage, Satanas!“ gerufen. Wozu er dann moderierend ausführte, es wäre absurd, wenn ein heutiger Komponist nicht die musikalischen Entwicklungen von der Vergangenheit bis heute mit verarbeiten würde – hier nun bezogen auf Purcells The Fairy Queen, die auch tatsächlich Thema – mehr metaphorisch allerdings, hatte ich den Eindruck, denn konkret. Es ging im Gespräch auch ein bißchen durcheinander, was denn Surrealismus sei; ich zucke, wenn ich Shakespeares A Midsummer Night’s Dream surreal genannt werden höre. Das Stück kennt zwei Realitäten; anders als in der surrealen Ideenwelt sind aber beide nach konkreten Gesetzen strukturiert; Oberon mag zaubern können, doch seine Zauberei ist immer auch bedingt, d.h. von Gesetzen abhängig. Dennoch, wie – und auch, indem es auf dieser Probe noch mißlang – Oehring drei Lieder von Purcell zur sich drehenden Bühne übereinanderlegt, ist von großem Reiz, zumal diese, die Bühne, ein geradezu naturalistisches Wohnungsszenario zeigt: das geht bis zu dem matten Fenster im Flur.

An sich mag ich so etwas gar nicht mehr sehen: hier aber, durch die simultanen Musiken, deren Tonalität sich im Collagieren auflöst, gewinnt es eine enorme Strahlkraft, und zwar dies, obwohl die Lichtregie noch gar nicht funktionierte; es würden, wurde erzählt, Videos dazuprojeziert. Das kann schiefgehen, ja, aber es kann auch von rasender Kraft sein. Am 16., also übernächsten Sonntag, wird man es sehen – ich selbst leider nicht, weil ich dann nicht in Berlin sein werde; aber ich werde nach der zweiten Vorstellung am 19. berichten. Noch weniger läßt sich bislang über Claus Guths Regie sagen, der das Stück – als bereits gemeinsames viertes – mit Helmut Ohring konzipiert hat. Er vermittelte immerhin den Eindruck einer unaufgeregten und visionorientierten Seriosität, irgendwie das Gegenteil der inszenatorischen Wildheit Calixto Bieitos.

Als tatsächlich problematisch empfand ich das zweite vorgestellte Stück, Falk Richters, der da auch Regie führt, For the Disconnected Child; aufgeführt als Zusammenarbeit mit der Berliner Schaubühne eben dort. Einige Presseleute wurden mit zwei Minibussen hinübergefahren, ich nahm mein Rad und hatte, draußen vorm Café, gut Zeit, noch einen Cigarillo zu rauchen und mich von der Sonne bescheinen zu lassen. – Nach mir zuerst, ebenfalls mit dem Fahrrad, kam der Pressesprecher Johannes Ehmann an, sah mich, grinste und sagte: „So muß das sein.“ Ich fand nicht die Gelegenheit, ihm zu erzählen, daß ich mir dies SoSein geradezu herausgeschnitten hatte, nämlich aus den >>>> ArgoFahnen, und nun wirklich glücklich war, das fünf Minuten lang genießen zu können. Denn schon waren die andern da: Nicht unwitzig, wie sie den Büslein entstiegen; ‘s ist ebenfalls nicht ohne Witz, daß sich Herr Flimm im Smart, so vernahm ich, hatte herfahren lassen, für den eigens ein Parkplatz auf dem Innenhof der Schaubühne reserviert worden sei.
Er – Flimm, nicht der Smart – hatte denn auch das erste Wort, als wir nunmehr drinnen saßen. Wie wunderschön es sei, wieder hier zu sein, sagte er, und daß sein Herz zwar für die Oper, doch auch noch für das Schauspiel schlage. Es waren die Worte eines Mannes, der zurückblickt: seltsam nostalgisch für einen Regisseur der Gegenwart, sehr menschlich, sogar berührend, aber ohne Interesse für jemanden, den die Zukunft interessiert und das Vergangene insofern, als es in diese Zukunft zu führen, mitzuführen sei. Von anderem Schlag dann, völlig anderem Schlag, Falk Richter. Ich würd ihn einen Jungdynamiker nennen: gut gekleidet, aber lässig, Sportschuh an den Füßen, Chucks, wenn ich mich richtig erinner; auch Flimm war mit sowas erschienen. Auch das Bühnenbild des Stücks könnte „typischer“ sein, für Schaubühne und des Regisseures Erscheinung: höchster technischer Standard, laufende Rückprojektionen, die auch direkt szenisch werden können usw.

Das ist viel Glanz, aber nicht wirklich aufregend. Auch die Musik ist nicht aufregend, wenngleich sich manche Hörerfahrung machen läßt: etwa daß zu einem Schubertlied, das der Bariton – Gyula Orendt – gnadenlos schön vortrug – bitte, geben Sie mit dem ganzen Zyklus ein Konzert, ich buch schon jetzt die Karten… – daß zu diesem Lied also mit Gestampfe, Reiben an Vittelflaschen und einer Art Bierkasten, die jemand wie seinen Kopf immer wieder an die Wand knallt und dran herunterknartaschen läßt, perkussioniert wird, was als eine Störung des Liedes gemeint ist, es vielleicht sogar zerstören soll; aber erreicht, ich merkte das im späteren Gespräch auch an, wird das Gegenteil. Denn Schuberts Lied klagt über Nichterfüllung, und genau das wird in dieser Szene laut. Schubert kommt durch die Störung deshalb zu s i c h, die leidende Seele gewinnt hier mehr Kraft, als sie es auch nur entfernt in einem „klassischen“ Konzert könnte, worin sich alle längst auf das Tränchen geeinigt haben, das man sentimentalkokett am Revers trägt; man betrachtet es als einen Diminutiv, den man zu den Geschäftzeiten ganz kommod vergißt. Hier wird das Tränchen nicht nur Träne, sondern ein klagendes Meer. Ganz toll. Ich frage mich allerdings, und fragte das auch Richter, wieso die zeitgenössische Musik dabei so untergehe; das war nicht ganz so stark, aber ähnlich, in dem ersten Stück, das wir hörten, durch das immer wieder Puccini drang. Als ich fragte, mit welchem Konzept die Musiken denn collagiert worden seien, war die Antwort insofern ein wenig dünn, als sie für den Puccini auf den Komponisten abstellte, ohne zu realisieren, daß wir es so mit einer schlechten Verdopplung zu tun haben, wenn der Komponist dem Regisseur, was der tut, vorhertut.
Für ästhetische Fragen blieb aber nicht wirklich Raum, geschweige, sie ernstlich zu diskutieren. Ich hatte auch den Eindruck, sie interessierten die Presseleute nicht; jedenfalls nahm niemand die Steinchen auf, die ich warf. Vielleicht aber einfach deshalb, weil sich aus dem Gesehenen und Gehörten nur in höchst relativer Weise Schlüsse auf das Gesamtergebnis ziehen lassen; man müßte denn mit sehr viel künstlerischer Fantasie begabt sein und sie überdies verwundbar machen, indem man sie zeigt, sie sozusagen vor die anderen hinwirft. Mag sein, daß so etwas mit Recht nicht als journalistischer Akt empfunden wird. Egal.

Das Problem des übrigens perfekt inszenierten Ablaufs ist, aus meiner Sicht, die doch recht beliebig erscheinende Kombination der Musiken, strukturell beliebig, meine ich, nicht etwa im Effekt. Aber der, eben in seiner Perfektion, drängt sich vor – durchaus auch mit Witz, etwa bei dem Monolog eines jungen Mannes an die Begehrte, worin er mit ihr bei Besuchen Neuer Musik „seine Hörgewohnheiten erweitern“ will. Das ist, seitens Richters, ganz sicher Ironie, und ich mußte auch auflachen einmal – aber sie wird bizarr, wenn man bedenkt, daß das, woran das Ohr „gewöhnt“ werden soll, nahezu einhundert Jahre alt ist und seinerseits längst Geschichte schrieb – von Webern bis Dallapiccola und weit noch darüber hinaus. Die Wahrheit ist nämlich anders: Wie kriegen wir wieder den Kitsch aus den Ohren, mit dem sie die Kulturindustrie zugestopft hat, an der wir aber alle irgendwie hängen, und zwar gern und willentlich. Wir sind durch sie sozialisiert. Genau das wird von solchen, ich sag mal Arrangements, gespiegelt. Dabei sind die Einzel- und Ensembleleistungen meist enorm, auch hier steht bisweilen die Wirkung vor der Seele.
Gar nicht, allerdings, bei der Tanzeinlage, die ich vorhin sah. Das war groß. Dieses Paar, das von der ersten Verliebtheit über den Kuß, das intime Beisammen zum Streit, ja zur Szene, die man sich durchaus gewaltsam macht, bis hin zum erschöpften aneinander Niedersinken, Embryonalhaltung er um sie, – dieses Paar macht einen Besuch der Premiere – 14. Juni – geradezu nötig. Zudem sind meine nachdenklichen Bemerkungen sämtlichst ausgesprochen ungesichert, lediglich abgeleitet von dieser Probe. Die Premiere wird ein völlig anderes Stück zeigen können, als ich aufgrund eines zudem unfertigen Ausschnitts sah. In jedem Fall wird es tüchtig Anlaß zu diskutieren und darüber zu reden geben, was das Kunstwerk der Zukunft denn werde, vielleicht ein bißchen auch schon sei. In zwei Wochen werde ich erzählen: vom 19. bis 24. Juni jeden Abend von einem anderen Stück.

INFEKTION!
Festival für Neues Musiktheater

Staatsoper Berlin

Die Premieren:

  • Aschemond ODER The Fairy Queen
    Von Helmut Oehring und Claus Guth.
    Sonntag, der 16. Juni 2013, 10.30 Uhr.
    (In der Staatsoper im Schillertheater).
  • For the Disconnected Child
    Von Falk Richter.
    Freitag, der 14. Juni 2013, 20 Uhr.
    (In der Schaubühne Berlin).
  • Récitations
    Von Georges Aperghis.
    Donnerstag, der 20. Juni 2013, 20 Uhr.
    (In der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater).
  • Hanjo
    Oper von Toshio Hosokawa.
    Sonnabend, der 22. Juni 2013.
    (In der Staatsoper im Schillertheater).
  • Europeras 3 & 4
    „Kompendium“ von John Cage.
    Sonnabend, der 22. Juni 2013.
    (In der Werkstadt der Staatsoper im Schillertheater).

>>>>Karten für die Staatsoper.
>>>> Karten für die Schaubühne.

>>>> Infektion 2

2 thoughts on “I N F E K T I O N ! Das Festival für Neues Musiktheater der Staatsoper Berlin. 14. bis 30. Juni 2013. Infektion (1).

  1. Gyula Orendt. Ein Nachtrag. Es war mir wichtig, ist’s immer noch. Und soeben kam die Antwort der Staatsoper. Der Bariton, der so enorm berührend gesungen hat, heißt >>>> Gyula Orendt. Ich hab’s jetzt im Text selber nachgetragen, aber da ihn schon einige gelesen haben, braucht es eine gesonderte Erwähnung. Wenn er schon auf einer Probe derart singt, wie wird das dann erst zur Premiere sein?

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