Schicksalshafterweise, so bin ich zu schreiben versucht, funktioniert das aber nur noch o h n e die Szene, und zwar auch dann, wenn Loy in geschicktem und sinnlich ausgesprochen plausiblem Rekurs auf den Wildwest-Stummfilm (schwarzweiß und ungefähres, weil konturweich verwischtes Bild, das überdies mit leichten, durch quasi die Drehkurbel bewirkten Verzögerungen die Projektion zur realen Szene ergänzt); geschickt besonders deshalb, weil dieses Stilmittel einerseits in eine Art Vorzeit distanziert, aber gleichzeitig über unsere Vertrautheit mit der Geschichte des Films eine ganz besondere Nähe herstellt, und weil er, Loy, dieses Mittel nicht durchgängig einsetzt, sondern, quasi seriell, immer wieder wie eine Erinnerung-selbst.
Auch die sich bisweilen geradezu übergangslos ineinanderstürzenden Stimmungsschwankungen der Männer, von Mitleid zu Grausamkeit, vom gemeinsamen Gebet bis zur Mordlust, ja bis dahin, daß sie als Pennäler die Schulbank drücken, und Minnie unterrichtet sie, bleibt als Erzählung zugleich glaubhaft wie sie das Ungenügen an solch einer retardierten Lebensform ausdrückt, deren Begehren und Begierden nach wie vor das Fundament des derzeit sowohl ökonomisch wie militärisch mächtigsten Staatenverbundes unserer Erde sind – im Keller bleibt der Genozid gestapelt, über dem sich der Wohnraum der Macht erhebt. Deutlicher läßt sich das nicht darstellen, als durch die Squaw, die zur Dienerin einer zwar herzensguten, aber möglicherweise viel einfacheren Frau herabsank, als sie selbst vor ihrer Niederwerfung gewesen. Daß Loy die Indianerszene danebenging, ist wirklich ein Jammer: Sie hätte die Quintessenz des gesamten Stückes sein können – eingeschlossen den „edlen Räuber“, der letztlich deshalb Räuber ist, weil er – anders als die beiden resignierten Indianer – seiner Enteignung, die eine seines Volkes war, nach wie vor Widerstand entgegensetzt und sei’s nur, um wenigstens noch die eigene Familie ernähren zu können.
Eva-Maria Westbrock singt die Minnie – eine den Umständen nach resolute Erscheinung – mit sehr, ja fast ein wenig zu großer Stimme, nämlich gegenüber den Männerparts: Noch ein wenig mehr Druck, und die wären zu Mäuschen geschrumpft. Das macht sie auch gegenüber Ashley Hollands Rance und sogar Carlo Ventres Ramerrez unüberhörbar dominant, die ihr gegenüber beide, anderes als die übrigen Männer, nicht regredieren dürfen – Rance nicht wegen der ihm eigenen Brutalität, Ramerrez nicht wegen seiner Zartheit unter der rauhen Schale; der Stücklogik nach muß seine Zartheit der ihren, Minnies, entsprechen; deshalb eben erkennen sie einander, und deshalb erkennen’s die Mannskinder an ihnen. Genau deshalb lassen sie sie ziehen, indessen der unerbittliche, haßerfüllte Rance in Minnies Kämmerchen quasi eingesperrt und am Ende der Oper aus der Szene geschoben wird und damit aus der Gemeinschaft gewiesen. Daß er nicht verzichten will, macht ihn billig, daß sie verzichten, wiederum, die einfachen Menschen edel, eben weil sie fortan ohne Minnies Erscheinung leben müssen, die ihnen ein fast transzendentes Versprechen gewesen, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verrotten werden. – Wäre ich an Loys Stelle gewesen, übrigens, und wäre ich an Sebastian Weigles Stelle gewesen, dann hätte ich hier, am Ende dieser Oper, tatsächlich einmal in die Partitur eingegriffen: nämlich die Wiederholungen von Rances und Minnies irgendwie falsch-heldischem Addio zumindest ganz am Ende gestrichen und die Klangszene allein dem Trauern des Chors überlassen, weil er ja nun wirklich allein ist und es bleiben wird, und weil schon das Libretto hier lügt: in seiner Verklärung der „schneebedeckten Berge der Sierra“ – die und deren vorherige Bewohner, soweit man die am Leben ließ, doch für nichts anderes dawarn, als für die erbarmungslose Ausbeutung eben durch die Erniedrigten und Beleidigten selbst und dann schon durch diejenigen, die all dies mit Infrastruktur und Geschäft so richtig flüssig machten. Insofern hier, und nur hier, Libretto und Musik tatsächlich den Verblendungszusammenhang affirmieren, wird das Utopische einer freien Menschlichkeit desavouiert, um das es Puccinis Oper geht.
Vorzüglich und leidenschaftlich musiziert das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Sebastian Weigle, der sich einmal mehr als ein durchaus würdiger Nachfolger des großen Georg Soltis erweist: Er dirigiert mit durchaus vergleichbarer Glut, auch wenn das nicht alle Sänger trägt, bzw. stützt. Man merkt da die Schule, die ihn geprägt hat. Noch hat er nicht Barenboims Macht, die unter den großen Sänger:inne:n der Welt einfach auswählen kann. Das hat auch Vorteile, solche der Darstellung etwa; wie so oft kann die Beschränkung Conditio für das Meisterhafte sein. Notwendig freilich ist das nicht – hinreichend aber auffallend oft.
>>>> LA FANCIULLA DEL WEST
Oper in drei Akten. Text von Guelfo
Civinini und Carlo Zangarini.
Regie
Regie Christof Loy – Szenische Leitung Anna Tomson – Bühne und Kostüme Herbert Murauer
Licht Bernd Purkrabek – Video Hobi Jarne, Nils Fridén, Emil Gotthard – Choreografie Thomas Wilhelm
Produktionsdramaturgie – Yvonne Gebauer – Dramaturgische Betreuung Norbert Abels – Chor
Matthias Köhler
Eva-Maria Westbroek – Ashley Holland – Carlo Ventre – Peter Marsh – Alfred Reiter – Simon Bailey – Michael McCown – Bálint Szabó – Sungkon Kim – Hans-Jürgen Lazar – Beau Gibson – Nathaniel Webster – Björn Bürger – Carlos Krause – Elisabeth Hornung – Franz Mayer – Cheol Kang – Francisco Brito
Chor der Oper Frankfurt – Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Sebastian Weigle
Die nächsten Vorstellungen:
16.05.2013 | 19.05.2013 | 24.05.2013 | 30.05.2013 |
02.06.2013 | 09.06.2013 | 12.06.2013 | 15.06.2013
>>>> Karten.
Ich liebe Ihre Opernbesprechungen – sie hallen nach, obwohl man gar nicht drin war!
@Frau Kiehl. Das können Sie ja auf das leichteste nachholen – die nächsten Termine habe ich angegeben.
(Wollen Sie mich >>>> wieder gnädig stimmen? Obwohl ich nach wie vor nicht trinke, jedenfalls bis Ende meines Ramadans? Heut war der 19. Tag.)
*Lacht* Gnädig, das klingt immer, als müsse man Knödel zerdrücken.