[Händel, Partenope.]
So hieß das „alte“, erste Neapel: Parthenope, 7. vorchristliches Jahrhundert. Zweihundert Jahre später wurde wenige Kilometer Richtung Vesuv die „Neustadt“ gegründet, Neapolis also. Parthenope stürzte sich, eine der Sirenen, vom Felsen elend in das Meer, weil es auch ihr nicht gelungen war, Odysseus – in anderer Mythe Orpheus (auch die Vermischung beider, unter anderem, ist >>>> in Argo ein Motiv) – mit ihrem Gesang zu sich zu locken. Dort, wo ihr Leichnam angeschwemmt wurde, unterhalb des Pizzofalcone, gründete man die Siedlung. Händel, der in Neapel eine extrem fruchtbare Zeit unter den arkadischen Fittichen der sehr schönen Donna Aurora Sanseverino verbrachte, immerhin einer direkten Nachkommin Monteverdis, der zu Zeiten des „napolitanischen Händels“ ziemlich viel aufgeführt wurde, hat der Legende mit seiner allerdings erst „Londoner“ Oper ein kleines Denkmal gesetzt. Die Mäzenin komponierte und dichtete selbst – „dilletierte“, wie man das zweihundert Jahre später, und zwar mit Achtung und Zuneigung, nennen wird.
Man sollte keinen starken Rum trinken, jedenfalls nicht ich. So aber tat ich’s gestern nacht in Clärchens Ballhaus zu einer nicht selten wundervoll die Salsa tanzenden Menge, der wir zusahen, der Profi und ich. Jedenfalls beschert mir hochprozentiger, sofern reiner Rum – Meyer’s ist deutlich bitter – tiefe Täume, die aber über meine frühen Arbeitsstunden immer weit hinausreichen, will sagen: ich verschlief. Und sitze seither an den letzten Vorbereitungen für die Reise, namentlich solchen meiner Arbeit; immer noch werden einzelne Pdfs erstellt, immer noch finde ich Neues, immer noch zeichne ich in Google Earth meine geplanten Wege aus. Je mehr Sie von einer Stadt wissen, desto kürzer wird die Zeit, die Sie für Sie aufwenden, man schafft nicht ein Prozentelchen, so daß gute Planung wichtig ist, z.B., welche Busse wohin fahren usw. und was man überhaupt zu sehen und ich vor allem: zu hören vorhat. Aber wahrscheinlich, wenn ich vor Ort sein werde, wird ohnedies alles anders sein. Jedenfalls werde ich Ihnen ab morgen täglich direkt aus der Stadt erzählen, in der nicht Blut das Synonym für Leben ist, sondern das Feuer. Und ich habe den Gedanken, meine Napoli-Texte in Rhythmen zu schreiben, quasi als Lyrik. Aber mal sehen.
Es gibt auch ein bißchen was, um mich zu ärgern: Anders als >>>> Dieter Richter, der auf mein kleines Schreiben nahezu sofort reagiert und mir überdies etwas empfohlen hat, auf das ich ganz gewiß niemals von allein gekommen wäre, nämlich die von der Santa Maria della Sanità Priester Don Antonio Loffredo geleitete >>>> Jugendkooperative La paranza in Sanità – Selbsthilfe-Projekt in einer Stadt, deren junge Menschen einer Arbeitslosigkeit von nahezu 50 % ins Gesicht starren müssen, was die ungebrochene Macht des „Systems“, im Wortsinn schlagend, erklärt; hier aber starrt man nun nicht mehr, – – – anders also als Richter hält es das napoletanische Goetheinstitut nicht einmal für nötig, mir wenigstens eine kurze Antwort auf meine Frage zu schicken; ich buche das unter schlechter Erziehung ab, werde aber dennoch dort hineinschauen, schon, weil es in den Palazzo Sessa unweit des berühmten Palazzo Serra di Cassano gezogen ist, ich die Gegend also ohnedies durchstreifen werde. Aber erst einmal muß ich mir jetzt den zweiten Latte macchiato meines Vormittags bereiten.
Eine sehr schöne Napoli-Site bauen übrigens >>>> diese beiden Damen auf; ich möchte das während meiner, weil eben für meine Vorbereitungsarbeiten auf keinen Fall unerwähnt lassen.
17.20 Uhr:
[Canzone napoletane.]
Über die >>>> „Neomelodici“ gelesen und einige angehört; dazu später im Hörstück. Ein bißchen schummrig wird einem da s c h o n. Aber sowieso hab ich mich heute über den Tag mit neapolitanischer Musik beschäftigt, Geschichte und Gegenwart. Sprachkräftig und in einigem, scheint mir, nach wie vor von Gültigkeit, ist Walter Benjamins 1924 entstandener kleiner Aufsatz zu Neapel:
[Walter Benjamin, Gesammelte Schriften IV, 1: „Denkbilder“.]