[Arbeitswohnung.]
Ganz >>>> so werden aus Revolutionen Diktaturen, die ihrerseits Revolutionen verlangen. Dialektik der Macht. Für die Revolutionäre heißt das, nach dem „Sieg“ sie abzugeben. Auf diesen Ton stimmte mich die eigentliche Sanftheit Pasolinis, die man verstehen lernen muß. Anders sanft ist dagegen >>>> read Ans neues Gedicht den Händen gewidmet. Vorher aber, als ich >>>> in der „literarischen Einladung“ las, war da eine Merkwürdigkeit; ich habe das berühmte O sole mio nie ernst genommen, den Schlager, der das ist, für einen Schlager auch gehalten. Aber hören Sie einmal den Text:
Heitere Luft nach einem Sturm!
Schon wegen der frischen Luft scheint es ein Fest.
Wie schön ist ein sonniger Tag.
Aber eine andere Sonne,
Viel schöner, Liebste,
Meine Sonne,
Scheint in deinem Gesicht.
Es funkelnd deine Fensterscheiben,
Eine Wäscherin singt voller Stolz,
Und während sie auswringt, aufhängt und singt
Funkeln deine Fensterscheiben.
Aber eine andere Sonne,
Viel schöner, Liebste,
Meine Sonne,
Scheint in deinem Gesicht.
Wenn es Nacht wird und die Sonne untergeht
kommt mir beinahe die Schwermut;
Unter deinem Fenster möchte ich stehen,
Wenn es Nacht wird und die Sonne untergeht.
Mich überraschte diese Schlichtheit, der die Abwesenheit von Kitsch entspricht.
Auf Napolitano:]
n’aria serena doppo na tempesta!
Pe’ ll’aria fresca pare già ne festa…
Che bella cosa na jurnata ‘e sole.
Ma n’atu sole
cchiù bello, oi ne’,
‘o sole mio
sta nfronte a te!
Lùceno ‘e llastre d’à fenesta toia;
‘na lavannara cante e se ne vanta
e pe’ tramente torce, spanna e canta,
lùceno ‘e llastre d’à fenesta toia.
Ma n’atu sole
cchiù bello, oi ne’,
‘o sole mio
sta nfronte a te!
Quanno fa notte e ‘o sole se ne scenne,
me vene quase ‘na malincunia;
sotto ‘a fenesta toia restarria
quanno fa notte e ‘o sole se ne scenne.
Giovanni Capurro und Eduardo Di Capua (1898)
Latte macchiato, erste Pfeife.
Abermals wieder Sonne. Unabweislich, nun endlich, scheint er sich über uns herabzusenken, der Frühling, und er steigt hie und dort aus dem Boden wie ein noch schmaler Rauch auf. In Neapel soll er sich heute, las ich eben, achtzehn Celsiusgrade über seine Schultern hängen; wo aber die Sonne direkt scheint, legt er sogar dieses Mäntelchen ab.
Guten Morgen.
20.42 Uhr:
[Händel, Cantata della guerra amoroso, Neapel 1708.
Espresso mit Pfeife nach dem Abendessen (Fisch, Aglioli, Blumenkohl & Muscat.]
Ein weitere Merkwürdigkeit ist, daß das alte Hafenviertel Santa Lucia erst da ins Bewußtsein der Napolitaner und in ihre Folklore eingeht, als es unterm Umbertismus zerstört wird, eine ähnlich gründerzeitiche Stadtbereinigungsaktion wie in Paris die großen Schneiden des Barons Haussmann. Aber hier nun, bis in den Schlager, wird besungen, was de facto Elendsquartier gewesen; die Baumaßnahmen hatten auch durchaus sanitäre Gründe, vor allem nach der großen Cholera-Epidemie in den 80ern des 19. Jahrhunderts. „Im Marktviertel gibt es keine einzige saubere Straße,“ schreibt Matilde Serao, „seit Jahren ist dort der Straßenfeger nicht mehr vorbeigekommen. Dort gibt es das lavinaio, den großen Waschplatz, wo alle dreckigen Lumpen des alten, armen Neapels gewaschen werden. (…) Dort gibt es die sieben Gäßchen della Duchesca; in einem einzigen, so habe ich es in einer Depesche gelesen, gab es innerhalb von einer Stunde dreißig Cholerafälle.“
Mein Kopf ist zum Platzen mit Informationen gefüllt, das dabei ist, ein Wissen zu werden. Meine Notate aus Exzerpten sind abgeschlossen, auch die Fährten zu Händel in Napoli, zur napolitanischen Musikschule, auch in Folklore und Pop; ich habe bereits einige Musiken, unter anderem >>>> Pino Danieles berühmtes Napule è, in der Sammlung, ja sogar einen napoletanischen House-Mitschnitt aus dem letzten Jahr. Daniele, übrigens, ist meines Jahrgangs. Spannend.
Guten Abend.