A l c y o n e ! Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 7. März 2013. Mit Regen in Pineten, Limonen, sowie dem ungebändigten Leben und einer Neuausgabe des Gräfenberg-Clubs.

8.57 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ich stehe am Herd, rühre das grüne Paprikagemüse wieder um, stelle die Gasflamme auf klein und decke das Gericht ab, begebe mich an den Schreibtisch zurück und finde eine Facebook-Nachricht des Verlegers der >>>> Literatur-Quickies: „(…) ich habe Dir ein Druck-PDF geschickt, ist schon einige Tage her. Hast Du es bekommen und können wir in den Druck gehen? fragt Lou mal so von Hamburg nach Berlin.“ Es geht um meine Kurzgeschichte „Der Gräfenberg-Club“, die dort noch zu dieser Leipziger Messe herauskommen wird. Ich antworte: „Oh, darauf habe ich gewartet, es kam aber nicht an. Ich guck mal eben, ob das vielleicht in den Spams gelandet ist…“
Genau so war es. Dabei entdecke ich, eben auch im Spamordner, eine Einladung des >>>> Elfenbeinverlags – und zwar zu — heute (also gestern) abend! – Noch köchelt mein Gemüse, ich habe Hunger, nichts gegessen seit dem Nachmittagslauf, aber das geht nicht, ich muß da hin: des grandiosen, wenn auch, vor allem als Lyriker, nahezu unbekannten Dichters Ernst-Jürgen Dreyers, den mir >>>> in Amelia der Freund ans Herz gelegt hatte, Übersetzungen dieses riesigen Werks D‘Annunzios. Mit meinem Elfenbeinverleger Držečnik, eines Mannes, der Bücher aus Leidenschaft und eigentlich nur aus Leidenschaft macht, schöne Bücher, hatte ich oft über dieses wagemutige Projekt gesprochen, das Hans-Ulrich Müller Schwefe ihm angetragen hatte, der über, muß man sagen, Jahrzehnte einer der wichtigsten Lektoren Suhrkamps war, nach seiner Pensionierung jetzt für Suhrkamp immer noch weiter tätig ist, zum Beispiel Rainald Goetz betreut, aber D‘Annunzios in Italien berühmten Alcyon-Zyklus nicht im Haus durchsetzen konnte. Und nun liegt dieses Buch vor:


[496 Seiten italienisch/deutsch, gebunden mit Fadenheftung.
48 Euro. >>>> Bestellen.]
Gar keine Frage, daß ich zu dieser Präsenation hinmußte! Aber es war bereits Viertel nach sieben Uhr abends. Gut, mit dem Fahrrad war das zu schaffen in einer knappen Dreiviertelstunde, aber meine Beine taten weh vom Lauf, und ich hatte doch lesen wollen, >>>> den Sommer weiter. Also die UBahn nehmen. Wär ich da noch pünktlich? Nix überlegen, sondern gleich rein in die Schuh und den Mantel! – Oh, der Herd! Zurück, die Flamme ausdrehen. Ist noch eine zweite Flamme an? Tut mir leid, o mein Essen.
Und ab.
Um sieben Minuten nacht acht kam ich an, man hatte bereits begonnen. „Nicht mal ein akademisches Viertel“, nöle ich an der Kasse, reiche meine fünf Euro rüber, der Mensch an der schweren hohen Holztür läßt mich hinein.
Angenehm gefüllt ist der Vortragssaal, Ernest Wichner, Leiter des Hauses, winkt mir zu, ihm gegenüber, vorn in den Reihen, sitzen Držečnik, Müller-Schwefe, Susanne Gretter, die dessen Partnerin, zugleich ebenfalls Lektorin bei Suhrkamp ist; bei denen nehme ich Platz und – ja, höre einer der tollsten Lesungen zu, die ich überhaupt je gehört habe, also außerhalb eines Aufnahmestudios. Das liegt vor allem an der Vortragskunst >>>> Frank Arnolds. Ja, das hat sich gelohnt, so pötzlich meinen Abend umzuwerfen und herzukommen. Einfach fantastisch, wie Arnold D‘Annunzios raffinierte Verse deklamiert, wie er aber auch, wenn auch mit geäußertem leisen Unbehagen, in die Dithyramben einsteigt; seine Bemerkung, von hier aus sei des Dichters Weg in den italienischen Faschismus schon spürbar, hätte ich gerne sofort kommentiert, verbiß mir das aber:
Siehe, beim Fest, siehe die Pferde!
Wer führt sie?
Sieh die Peitschen, siehe die Klappern,
die Zimbeln, die klingenden Becken,
überdröhnt vom Pulsschlag der Herzen;
siehe die leichtgeschürzten barfüßigen Weiber,
berauscht vom Licht,
siehe die Jünglinge, strotzend von Stierkraft,
berauscht vom Geschrei.

Ditirambo I.
Denn zugleich, eben, innig:
Oleander, Zwitter, dem Apoll geweiht,
der in des Abends Glühen Ambra haucht;
Granatbaumblüte, die sich rot befreit
wie Flämmlein, einem Kelch von Wachs enttaucht;

Der ozeanische Lorbeer.

Dabei ist die Leistung Dreyers – eine poetische-selbst – eigentlich gar nicht begreifbar, derart elegant, kunstfertig, ja kunstbesessen und zugleich intensiv-einfühlend sind seine Übertragungen, so genial-eigene Gedichte sind es auch. Besorgen Sie sich dieses Buch. Unbedingt.

Anold zur Seite, weiblich-sanft, nicht ohne Koketterie und bisweilen gerührt von poetischen Erinnerungen, moderierte Angiese Grieco den Abend, klug vor allem, immer wieder auf die Bedeutung hinweisend, die D‘Annunzios Verse für quasi alle italienischen nachherigen Dichter gehabt haben und haben, etwa für Montale, dessen skeptische Antwort auf La pioggia nel pineto erst sie auf Italienisch, dann Arnold auf Deutsch vorlesen:

Und dann durch die blendende Sonne ziehn
und fühlen mit überraschter Trauer,
wie all dies Leben und sein Bemühn
ein Wandern ist entlang der Mauer,
auf der die spitzen Scherben glühn.

Montale, Zitronen, dtsch. von Herbert Frenzl

Bei D‘Annunzio klingt das so, ich zitiere je das Ende der Gedichte:
Wer weiß wo, wer wohin!
Und es rinnt,
rinnt uns aufs Gesicht, das vom Wald gepackte,
regnet uns auf die nackte
Hand,
die leichten
Kleider und die Gedanken feuchtend,
die die Seele spannt,
die wiedererblühte;
regnet auf die schöne Mythe,
die gestern mich
täuschte und heute dich,
o Hermonie.

Der Regen im Pinienhain.

Ich kenne gegenwärtig in Deutschland nur einen, der so raffiniert mit dem Reim umgehen kann, außer eben >>>> ihm selbst, der aber leider im Dezember 2011 verstarb, über eben diesen D’Annunzio-Übersetzungen. Er, Dreyer, wäre ein wichtiger poetischer Gesprächspartner gewesen; ich hätte gerne von ihm gelernt. Nachdem Wohlleben, der Inhaber >>>> dieses kleinen Hamburger Verlages die Arbeit eingestellt hat, ist seine Lyrik editorisch unbetreut. Vielleicht, daß ich ihn wenigstens s o ein bißchen ehren kann:


(am 5. März 2011)


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Stimmungswechsel.
Um halb sieben heute früh erst hoch, noch steht hier der erste Latte macchiato.
Zu allererst war der Löwin eine Email zu schreiben. Danach, in Der Dschungel hier, >>>> dieses dort anzukündigen. Bin fast ein bißchen spät damit. Der WDR wiederholt heute nacht mein poetisches Hörstück über Helmut Krausser. Falls Sie Zeit und Lust haben, hören Sie sich‘s an. Man kann es auch mitschneiden, es schneidet auch, auf die richtige Zeit programmiert, ganz selbständig mit; der WDR hat dafür eigens >>>> einen frei herunterladbaren Recorder.
Und nun an den Gräfenberg-Club: korrekturlesen und bis mittags an den Verlag hinausschicken, damit das Bücherl, >>>> Pixie für schöne Literatur, zur Leipziger Messe noch dasein kann:

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