Wie erotische Netzflirts, unter manch freilich anderm, die Übersetzung befördern. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 2. Januar 2013. AusAmelia (3).

10.07 Uhr:
[Kardinalswohnung, Kaminraum.]

Seit halb acht Uhr auf, gegen halb zwei nachts zu Bett gegangen, dessen Laken saukalt, wenn man sich darauflegt – aber wie wohlig dann, wenn’s sich, unter der ebenfalls saukalten Deck, wärmt. Denn wie schnell es das tut! Ich entsinne mich der geplätteten Wäsche meiner Großmutter, auch deren Schlafzimmer selbst im Winter die Temperaturen der Jahreszeit hatten. Höhlengefühl der intimsten Heimat, die in uns selber ist, nur in uns und nicht teilbar, vielleicht nicht einmal mitteilbar, diese Nähe zum eigenen Körper und seinen organischen Funktionen, Wegfall jeglicher, im übrigen, Scham.
Bis gegen zwölf haben wir übersetzt, >>>> Parallalie und ich, uns immer wieder >>>> vom Text entfernt, nur, um uns ihm immer wieder anzunähern, dabei jeweils unsere Perspektiven herausempfunden und formuliert; es zeigt sich, wie gut die Idee ist, nicht etwa unsere Übersetzungen zusammenzunehmen und eine daraus zu machen, sondern sie miteinander, aber verschieden in ihren Diktionen und Hinsichten, zu veröffentlichen, jede ohne den Anspruch auf Endgültigkeit, aber jede mit einem auf Wahrheit. Das gibt Joyces Text im Deutschen einen enormen schwingenden Raum und erlaubt vor allem auch Freiheiten, in denen er ganz anders atmen kann, als wenn man ihn festheften wollte. Dazu meine wachsende Erfahrung, wie genau einen dieses Übersetzen auf eigene Texte blicken läßt und eben die nicht mehr personal gebundenen Freiheiten, die auch in ihnen möglich sind, oder wären, würden sie denn rezipiert. Ich habe als erstes heute morgen diesen Freiheitsblick, zugleich aber auch seine je schnelle Historisiertheit >>>> in den Blick genommen, weil mich das noch im Schlaf beschäftigt hat. Ich wachte damit auf, wenngleich ich gestern nacht, im Netz, noch ein bißchen herumgeflirtet habe. Da man in Erotikforen als 57jähriger meist nach Zahl behandelt wird – man ist eine statistische Größe, die spricht -, saß ich dann voll in des jungen Joyces Problem, der schon mit Dreißig sein Jugendende konstatierte und dieses sofort, im Innern, ans Älterwerden band: ein älterer Mann und also ausgeschlossen zu sein. Insofern wirkt meine durchaus sexuelle Netzflirterei nun in die Übersetzung zurück und nähert mich von ganz anderer Seite dem Giacomo-Joyce-Text. Ich merkte das übrigens schnell und schrieb dann nur noch sehr junge Frauen an, mit absehbarem Ergebnis, das ich aber gerade erleben wollte. Es gab einige Verwirrung bei den noch wirklich nicht Damen, als ich ihnen dann, schließlich so richtig in Fahrt geraten, von meinen Joyce-Übersetzungsproben zu lesen gab. Sowas hatten sie in einem zumal so eindeutigen Kontaktforum mit Sicherheit noch niemals erlebt. Freilich kann Bildung eine ziemliche Flirthürde sein, was nicht ohne sogar gewaltige Komik ist. Ebenfalls nicht ohne Komik ist, daß ich nach dieser Erfahrung das monatliche Abonnement eigentlich müßte von der Steuer absetzen können, weil es sich, so gesehen, um eine berufliche Weiterbildungsmaßnmahme handelt. Ich werde das garantiert versuchen, schon weil der Eulenspiegel in mir das jetzt fordert. Und umschleich doch zugleich das Sterbebuch wie ein Tiger sein Wild. Noch reiße ich es aber nicht.

Wir aßen nicht, wir tafelten:

Uns zerging das Reh auf der Zunge. So sei es „wenigstens nicht umsonst gestorben“, wie nachts noch लक्ष्मी, die anrief, vegetarisch bemerkte; es wird heute abend zum zweiten Mal nicht umsonst gestorben sein, „an“ ein Gemüse aus Radicchio und Äpfeln sowie Grünkohl gelegt, mit in Butter und Honig gedünsteten Birnenhälften; sehr wahrscheinlich ein drittes Mal nicht übermorgen: anderthalb Kilogramm Fleisch.
Vorher waren wir in dem Konzert in der Chiesa S. Magno gewesen, ein in die Gassen zum Hang hin eingeschobenes, geradezu eingeducktes Kirchenräumchen

,
das zu einem Konvent gehört, in dem noch heute Nonnen zurückgezogen leben: eine Clausura. Allerdings erwies sich das Konzert als eine gemeindeartige Sangesveranstaltung. Was schön war indessen. Der Organist spielte auf einer kleinen Orgel des späten 16. Jahrhunderts, im Wechsel: Orgelsolo, und die Gemeinde singt. „O Tannenbaum“ auf Italienisch zu singen, ist wirklich reizvoll, versuchen Sie es mal. Hier die erste Strophe:Nel buio ti risplendi a noi abete di Natale.
Sui rami tuoi scintillano le luci colorate:
dei bimbi gli pocchi brillano, di Dio le luci vedono;
accanto ad un presepe c‘è l‘abete di Natale.

Ich sing bei sowas immer mit; auch das ist ein Ergebnis des Älterseins, daß man nix mehr so schnell peinlich findet, sondern den Moment gestaltend mittrinkt, ohne Vorschurz von Vorurteilen. Ich hab den kleinen Abend mitgeschnitten. „Offerto“t, übrigens, war das hübsche Ereignis durch Sg. Luciano Rossis „Emporio, Vini e specialità“ in der dem Stadttor entspringenden Via della Repubblica. Wie sinnig diese Nähe, dachte ich, von hochprozentiger Geistigkeit und Geistlichkeit einmal mehr.
Danach, also, gab‘s unser Mahl. Dann ging‘s erneut, wozu‘s im Holzkamin brannte, hinüber nach Triest und von dort aus, zwischenpausend, hinab in die >>>> Porcelli Tavern, um jeder zwei Grappa in uns ein- und hinunterzuflößen. Davon erwärmt, stiegen wir durch das nachtstumme Örtchen der Gassen zurück auf den Berg und zu Joyce nach Triest. Schwierigkeiten bereitete uns allerdings >>>> das Reisfeld bei Vercelli, das ja nun wirklich ganz anderswo liegt. Es hätte im engen Cortile so wenig Raum wie bei Triest; Joyce habe es, schreibt Ellmann, wahrscheinlich während einer Eisenbahnfahrt gesehen; da man weiß, wann er die unternommen, läßt sich der Text gut datieren.

Nach Rom werd ich erst übermorgen fahren. Sonnenbrillen, vielleicht auch etwas Fisch kaufen, eventuell mal wieder Schuhe, nicht eventuell am Markt der Piazza Vittorio. Und in der >>>> Villa Massimo vorbeischauen. Abends, aber, nach Amelia zurück.

Zum Übersetzen auch noch >>>> jenes. Ging mir ebenfalls im Kopf rum. Ich glaube allerdings nicht, daß der Aphorismus wirklich schon sitzt; doch immerhin hab ich Sais‘ tradutoren Vorhang gelüpft, der im Nebeneingang hängt.

(Morgenpfeife II, Caffelatte III.)

13.05 Uhr:
Hier wird bereits wieder, erst er, dann ich, geschlemmt:

Vorher jedoch – eigentlich nur, um Zigaretten zu holen (meine „klassischen“ Esportazione senza filtro, die ich in Italien, nur in Italien, rauche, gab es nicht mehr, doch bis Venerdì sei eine Stange besorgt) – einen kleinen Rundgang, erst zur Kathedrale hinauf und von dort den Blick über die milden Hügel des umbrischen Lands:

Leider ist es momentan zu bedeckt, um den Schnee auf dem Appenin zu sehen; gestern und vorgestern strahlte der Monte Terminilo blenden weiß herüber. In die Kathedrale hinein und wie immer, wenn ich allein in ein katholisches Gotteshaus komme, für meine Familie das Kerzchen gestiftet und entzündet; eine Minute für mich mit geschlossenen Augen (ja, in nichtchristlichen Häusern opfere ich auch, ein wenig Nahrung oder was ich sonst bei mir habe, sofern es sich eignet), dann durch die Gassen weiter. Schließlich, wieder am Kaminraumstisch: „Sag mal, Helmut, eigentlich müßten wir noch bei Dante nachsehen, die Gedichte an Beatrice… Da Joyce sich auf Beatrice bezieht, sie sogar nennt, wär es doch gerade bei einem Dichter wie ihm ein Wunder, hätte er ihn im Giacomo nicht zumindest travestiert.“ Keine Antwort, nur stummes Wegdrehn und -gehn; aber keine zwei Minuten später: „Hier – :“
Das wird nun meine Lektüre sein, bis wir, in etwa anderhalb Stunden, unsere Arbeit fortsetzen werde. Erst muß der Freund noch eine andere Arbeit, die Geld bringt, fertigstellen. Ich meinerseits hätt gerne einen Whiky jetzt. Muß besorgt werden, nachher, gegen Abend.

2 thoughts on “Wie erotische Netzflirts, unter manch freilich anderm, die Übersetzung befördern. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 2. Januar 2013. AusAmelia (3).

  1. à propos Kaminraum und Ofen zum Gestern dies, was ich heute las als Trouvaille auch im Kontrapunkt zum Kachelofen:

    61.

    Den Riesen nicht, von Porzellan,
    Der hier in der Spreestadt heißet Ofen,
    An dem nur gut sich wärmen kan
    Der Gleichmut eines Filosofen;
    Der, systematisch angefacht,
    Und regelrecht in Glut gebracht,
    Vom Morgen anhält bis zur Nacht:

    Ich lieb’ ein Oeflein dichterisch,
    Leicht aufgebaut aus bunten Kacheln,
    Durch dessen Zugloch immer frisch
    Des Feuers Athemzüge facheln,
    Das, wenn es nicht erlöschen soll,
    Den Mund muß haben immer voll
    Von kleinen Brocken Zoll um Zoll.

    An jenem Riesen saß ich auch,
    Er dünkte mir ein greuelhafter;
    Frühmorgens sah ich in den Bauch
    Ihm schieben Holz ein Viertelklafter:
    Nähm’ ich ein solches Frühstück ein,
    So deuchte mir das Wunder klein,
    Bis an den Abend satt zu seyn.

    Mein Oeflein aber wie ein Kind
    Hat Hunger oft nach kleinen Bissen,
    Und wie ich selber kann es Wind
    Und Luft kein kleinstes Weilchen missen;
    Daß ich sein Futter Scheit um Scheit
    Ihm reichen muß von Zeit zu Zeit,
    Ist Lust der Wintereinsamkeit.

    Wenn jener Freßer vollgepfropft
    Die Ladung hat im weiten Schlunde,
    Wird Nas’ und Mund ihm zugestopft,
    Daß alle Glut sich drin verspunde;
    Wenn so der Riese taub und stumm
    Verdauet ohne Summ und Brumm,
    Macht er mich durch sein Schweigen dumm.

    Doch dieser Kleine, wenn ein Stück
    Ich ihm von Buchen geb’ und Rüstern,
    Gleich gibt er einen Dank zurück,
    Ein helles Zischen, sanftes Flüstern;
    Und wenn ich andres denke nicht,
    Nur höre was der Ofen spricht,
    So ist auch das schon ein Gedicht.

    Friedrich Rückert, Liedertagebuch, 8.12.46

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