Vorweihnachten 1: Vor Magdalena Koženás Octavian. Mit einer kurzen Bemerkung zu Wachowski/Tykwer/Wakowskis „Cloud Atlas“. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 21. Dezember 2012.

6.55 Uhr:
[Arbeitswohnung. Luigi Dallapiccola, Concerto per la notte di natale.]
Ich kenne niemanden, der das unterm Weihnachtsbaum hören würde. Dabei ist es eine magische Musik. Magisch, nehme ich an, sollte auch der Wachowskis und Tykwers „Cloud Atlas“ werden, der eine romantische Künstlergeschichte, Soylent Green und eigentlich auch The Time Machine nett durcheinanderwirft, letztlich sogar an einer Szene aus dem ersten Highlander knabbert und seine Zukunftsarchologien aus The Fifth Element, um einige colorierte Titelseiten Perry Rhodans erweitert, was hübsch ist; magisch sollte das werden, sogar, sagen wir, weltanschaulich-mystisch; da die drei Regisseure aber sehr gemessen in ihren Bildwelten sind, vor allem eines nicht: radikal, bleibt der Film tief in der Unterhaltung stecken. Man sagt dann: „Nett“, freut sich auch an kleineren Einfällen der Kombinatorik, aber außer Idyllik bleibt zum Schluß nichts. Sogar das „klassische“ Vorgehen Hollywoods wird weiterbedient, um nämlich Ambivalenzen in einem Schmerz aufzuheben, der, weil man ja nach vorne schauen muß, überwindbar ist: damit einer der Helden mit der Frau aus der anderen (Zukunfts-)Kultur zusammengehen kann, muß seine vorherige Ehefrau sterben. So weint man zwar über den Verlust, kann aber die Hand der anderen nehmen, ohne in Konflikte zu geraten und seinerseits Schmerz zuzufügen. Und das, von mir durchaus geteilte, „Alles ist verbunden“ kommt mehr dekorativ daher, als daß es wirklich als ein verzahntes System, besser: als eine verzahnte Matrix, inszeniert worden ist. Das Ding hat keine Raffinesse, weder künstlerisch noch, vor allem, des Gedankens. Ein >>>> Thetis für Minderbegabte, heruntergebrochen auf den puren Konsum, der sogar noch die Kritik an sich selbst verzuckert (die Bürger der Zukunft werden „Konsumenten“ genannt). Ich bin ganz froh, den langen Film nicht, was ich eigentlich vorgehabt hatte, im Kino, sondern in einer recht guten russischen, dennoch deutsch synchronisierten Kopie gesehen zu haben, die mir das Netz zugespielt hat. So hab ich vernünftigerweise Geld gespart.

„Ich werde vor Weihnachten nicht mehr viel arbeiten“, sagte ich der Löwin nachts noch am Telefon, „nur etwas skizzieren; im übrigens ist ja noch einiges zu besorgen“. Ein paar Wege mit dem Fahrrad habe ich vor mir.
Die Yüen-Ling-Erzählung geht mir nicht aus dem Kopf. Immer mehr Sätze fallen mir ein; eine tatsächliche Handlung fehlt aber noch. Die wird sich aber wie so oft aus dem Schreibprozeß ergeben. Doch ich spüre, daß sich den Alma Picchiolas, Isabella Maria Verganas und anderen meiner mythischen Frauenfiguren eine weitere zugestellt hat, auch sie an der Schneide der, möchte ich das provisorisch nennen, trauervollen Grausamkeit. Wahrscheinlich tue ich der realen Person damit unrecht, aber ich hab ihr ja gesagt, vorgestern, daß ich sie umschreiben würde, und sie hat es gestattet. Den für sie bereits in den Arbeitsjournalen erfundenen Namen behalte ich bei (selbstverständlich habe ich sie auch schon in meinen realen Aufzeichnungen nicht für Fremde kenntlich gemacht; allein bei Bekannten ist das, so oder so, nicht zu vermeiden).

Heute abend, darauf freue ich mich, der >>>> Rosenkavalier mit Magdalena Kožená; es wird das erste Mal sein, daß ich diese Sängerin live hören werde. लक्ष्मी wird dabeisein. – Jetzt aber erstmal wieder an Yüen-Ling.

4 thoughts on “Vorweihnachten 1: Vor Magdalena Koženás Octavian. Mit einer kurzen Bemerkung zu Wachowski/Tykwer/Wakowskis „Cloud Atlas“. Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 21. Dezember 2012.

  1. Die Analyse … … trifft den Film ganz gut, denke ich.

    Aber immerhin schon mal gut, wenn die Akzeptanz gegenüber unkonventionell(er)em Erzählen langsam auch vermehrt im Film, in größer budgetierten Produktionen und (damit auch) in breiteren Kreisen vorhanden scheint.

    1. @Metzn zur veränderten Wahrnehmung. Mit Ihrer letzten Bemerkung haben Sie ganz sicher recht: Nicht nur das Ohr hat seine Wahrnehmungsmöglichkeiten spätestens seit der vorletzten Jahrhundertwende deutlich und zunehmend radikalisiert verändert; auch für die Auffassungsgabe der Augen selbst ungeschulter Betrachter gilt das, schlägt aber erst jetzt auch auf die Traumfabriken durch – wahrscheinlich schlichtweg deshalb, weil die dortigen Mächtigen, die noch konservativ geprägt (programmiert) sind, allmählich ihre Zepter aus der Hand geben und ganz andere Prägungen (Programme) an ihre Stelle rücken. Ein, anders als Cloud Atlas, guter Film war Memento, etwa, sowie Tykwers Lola rennt. Leider ist eine Veränderung der Wahrnehmungsweisen in der Dichtung noch n i c h t angekommen, trotz Joyce, Musil, Döblin, Pynchon. Man kann sich ganz gut mal überlegen, was das über die Rezipienten von Literatur aussagt, über, jedenfalls, die meisten.

      (Ich habe, übrigens, jetzt auch den >>>> Trailer zu Cloud Atlas in Der Dschungel eignestellt. Interessant bei nicht wirklich guten Filmen ist, daß die Qualität um so mehr leidet, um so kleiner das Bild wird. Das sagt einiges über manipulative Gehalte. Bei Godard, zum Beispiel, kommt es zu einem solchen Effekt n i e, ebenso wenig bei Lynch, um von solchen Eigenköpfen wie Rivette einmal zu schweigen.)

    2. Wahrnehmung vs. Darstellung Sie sprechen von “Wahrnehmungsweisen”, ich dachte eher an Erzählformen.
      Nun frage ich mich: Haben wir hier zwei unterschiedliche Perspektiven?
      Ich denke nicht, mich würde aber interessieren: Wie hängt das in Ihren Augen zusammen
      (Wahrnehmung von Darstellungen, Darstellungen von Wahrnehmungen – bevorzugt literarisch)?

    3. @Metzn zu Wahrnehmung ./. Darstellung. Doch, doch, wir haben zwei verschiedene Perspektiven angelegt: “Erzählformen” ist aus der jeweiligen Perspektive des Künstlers gedacht, jedenfalls von ihm gestaltbar, die Wahrnehmungsweise nicht, bzw. sehr viel weniger. Nun ist er auf die Wahrnehmungsweise aber sehr angewiesen, wenn er irgend verstanden werden will. Er muß sie, arbeitet er an “Neuem”, quasi mit seiner Arbeit verändern; gelingt ihm das nicht, kommt es – vorausgesetzt, seine Arbeit ist tatsächlich gut – zu dem in der Geschichte der Künste ja nicht seltenen Phänomen des Unverstandenseins.
      Die Wahrnehmung von Darstellungen ist die Rezeption, die Darstellung von Wahrnehmungen der Bericht über sie, etwa in einer Kritik, etwa im mündlichen Gespräch, bzw. in irgend einer Mitteilung, die auch privat sein kann. – Sind wir da einverstanden?
      Dann geht auf der künstlerischen Seite der Form der Darstellung – also der Gestalt des Kunstwerks – notwendigerweise ihrerseits eine Darstellung von Wahrnehmungen voraus, nämlich dessen, was ein Kunstwerk ausgelöst hat oder ein prima movens des Künstlers überhaupt, je verschieden in den Facetten des entsprechenden Werks.

      Die Darstellung von Wahrnehmungen ist deshalb sicherlich nicht nur literarisch, sondern kann auch bildnerisch, musikalisch usw. sein. Der Prozeß eines Berichts über diese Darstellung wird aber in den meisten Fällen literarisch sein, das Wort weitgefaßt; es kommt aber auch zu anderen Darstelliungsformen, etwa, wenn der Ausdruckshof eines Zitats geweitetn wird usw. Das kann sehr sinnvoll auch in einem eigenen Klangwerk oder Gemälde erfolgen, das dann seinerseits wahrgenommen und über das wiederum berichtet wird. (Ich ziehe insgesamt dem Begriff des Berichts den der Erzählung vor, weil sie sehr viel weniger Objektivität unterstellt und zugleich ungebundener in den Mglichkeiten ist.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .