Das Irseer Arbeitsjournal (3). Montag, der 6. August 2012. Bemerkungen zur höchst heiklen Netzüberwachung.




6 Uhr:

[Kloster Irsee, 125.]
Es gibt tatsächlich ein Internet-Problem mit den Generationen, das uns gestern einige Zeit auf- und von eigentlicher literarischer Arbeit abhielt. Ein Mißtrauen vor allem älterer Teilnehmer gegenüber dem Netz, eine fast irrationale Scheu, ja Abscheu, die einesteils von einer Art Berührungsangst herrührt, andernteils aber auch von der Schnelligkeit, die das Netz mitunter erfordert, bzw. den Momenten, die multi tasking wollen, zumal in einer so eng getakteten Zeiteinteilung wie während dieser Woche hier. Dazu aber kommt die Überwachung. Offenbar führt das „Mitschneiden“ jeglicher Netzaktivität, wie der Gesetzgeber es für öffentliche Netzzugänge nicht nur fordert, sondern persönlichkeitsrechtswidrig schon durchgesetzt hat, dazu, daß schnelle Vorgänge spürbar verlangsamt werden – etwa muß man hier jede neu aufgerufene Seite quasi zweimal aufrufen, um den aktuellen Stand zu sehen -, und vor allem bleiben offenbar Netzvorgänge in den Verzögerungen erhalten und etwa offene Email-Accounts noch nach ihrer Schließung für das WLAN-System dreivier weitere Sekunden weiter offen – was irritierenderweise ergab, daß Bestätigungsmails für neue Weblog-Zugänge an ganz falsche Teilnehmer gingen und in falschen Email-Accounts gelandet sind – ein Umstand, der das Mißtrauen meiner Teilnehmer nun wirklich nicht geringer macht. Unter ihnen ist eine Naturwissenschaftlerin, die normalerweise täglich mit dem Netz umgeht; selbst sie reagierte nun mit Mißtrauen, einem, das sich eigentlich gegen den Gesetzgeber richten müßte.
All das hält sehr von der Arbeit ab. Ich habe dann nachts eine Zwischenlösung für all jene gefunden, die sich aus den genannten Gründen an dem Irseer Netzprojekt nicht bzw. nicht mehr beteiligen wollen: habe einen Teilnehmer namens Kursteilnehmer erfunden, für den sie von mir das Paßwort bekommen und der als Beiträger von mir freigeschaltet wurde. So ließ sich denn gestern abend >>>> tatsächlich der erste Text einstellen und kann von Ihnen gelesen und, so hoffe ich, kommentiert werden. Heute werden ganz gewiß weitere Texte folgen.

Die gestern – so war auch schon mein Eindruck im „Bewerbungs“verfahren gewesen – durchweg Niveau hatten, ja auch überraschten, etwa der hier verlinkte von Janajana, die zu den älteren Teilnehmern gehört. Wie ich >>>> dort gestern nacht noch schrieb, möchte ich anfangs immer die Texte so einstellen, wie wir sie vorgelesen bekamen, und immer erst danach die Ergebnisse nach dem Lektorat. Dann können Sie sich einen Eindruck von der Arbeit machen, die wir leisten; vor allem aber können sich die Teilnehmer selbst darin üben, schriftlich kommentierend auf Texte einzugehen und damit Kritik zu einem öffentlichen Akt zu machen, wiederum jeweils die Autoren, ihren Umgang mit öffentlicher Kritik zu schulen.

Morgens die Andacht in der Kirche. Gestern eine Organistin des Ortes, bzw. aus Kaufbeuren, da der Ort selbst stadtrechtlich nur „Markt“, d.h. Dorf ist, in dem es eine Bäckerei, eine Brauerei und sonst an Dienstleistung gar nichts gibt. Das letzte, den Musen sei Dank nur kurze der gespielten Stücke war kompositorisch ein gräßlicher Kitsch, Aufeinanderkleberei von Akkorden, die so tun, als wärn sie Melodie, Erbauungskitsch halt, der sich direkt neben der Euthanasie-Tötungsstätte des Klosters eigentlich schon aus Gründen des Stiles verböte. Abend >>>> Nora Gomringers, der Leiterin des Lyrikkurses, Lesung: eine perfekte Performance von Sprache und Form.

Ah, und jetzt kommt grad die Sonne durch –


Bach, Chaconne (Partita Nr.2), Sziget.]
Der Text >>>> zu Dahlem ist fertiggeworden. Ich war dann doch wieder etwas unsicher mit ihm; in Wien las meine Löwin gegen und gab mir gestern nacht die Imprimatur. So werd ich jetzt noch einmal drüberlesen, um vielleicht ein paar kleine Korrekturen anzubringen, dann schicke ich ihn >>>> an Faustkultur hinaus und hab das Ding vom Tisch, das mich vor eine gar nicht leichte Handwerksaufgabe gestellt hat.

14.58 Uhr:
[Kloster Irsee, Vier Jahreszeiten (102).]
Das Mittagessen ausfallen lassen, um eine knappe Stunde zu schlafen. Um 13.30 Werkstatt mir Quint Buchholz, in der mir schlagartig klarwurde, daß er eines der Kinderbücher meines Jungen illustriert und geschrieben hat: den kleinen Bären.

Da mußte ich die ganze Zeit lächeln, bis auf einmal, als mir die allgemeine Übereinstimmung doch doch etwas zu sentimental wurde. Da war ich allerdings auch nicht Vater eines kleinen Burschen, der nicht einschlafen kann.

Jetzt sitzen meine Teilnehmer alle da – nein, nicht alle; einige haben sich andere Räume gesucht – und bearbeiten ihre Texte nach den Diskussionen darüber. Ich selbst bin grad ziemlich beruhigt, da von Faustkultur die Nachricht kam, daß den Herausgebern der Dahlem-Text sehr gefalle.

Damit darf ich da einen Haken machen. Und werde jetzt mal zu Nora Gomringer hinüber in den Kurs, weil zwei ihrer Kursteilnehmer gern an dem Irsee-Blog teilnehmen möchten, der nun tatsächlich >>>> lebhaft wird.

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4 thoughts on “Das Irseer Arbeitsjournal (3). Montag, der 6. August 2012. Bemerkungen zur höchst heiklen Netzüberwachung.

  1. Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben (Hanser) Es passt hier nicht ganz, aber mich hat das neue Buch von Sibylle Berg, Vielen Dank für das Leben (Hanser) tief bewegt – und ich empfehle es weiter.

  2. -> Nora Sagst einen Gruß, falls sie sich noch an mich erinnert. ich weiß gar nicht mehr recht, wo ich sie getroffen habe. Irgendein Slam (Stuttgart?). Oder doch eher was literarisches? Gar in Irsee (wo ich einmal zum Thema Netzliteratur geladen war vor sehr langer Zeit)?

    (Das Captcha läst mich grad “k*ikes” tippen, war das nicht ein wenig akzeptables Schimpfwort? Ja, nachrechecherchiert, deshalb ein * eingepuffert nach den k)

    1. Aber klar, lieber Oliver! Den richte ich selbstverständlich aus. Und werde gerne erzählen, wie sehr >>>> Du zu den, um es mit transvestiertem Kant zu sagen, “Bedingern der Möglichkeit” Der Dschungel gehört und gegen alle Unkenrufe der Netzszene, der Du vertrauter warst als jemals ich, geglaubt oder geahnt hast, es würde aus ihr etwas werden. Manchmal, ja, m u ß man die Kaffeemaschine ein zweites Mal erfinden – damit ein andrer Kaffee werde.

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