14. Februar 2025
Karlsruhe
“Briefe nach Tiest”
ANH erzählt und liest
Circus 3000, Alter Schlachthof 13a, 19 Uhr
18. Februar 2024
Berlin
In der Reihe “Das Werk” des Literarischen Colloquiums (LCB)
Eine ANH-Werkschau. Mit ANH und (Moderation noch nicht klar).
LCB, Am Sandwerder 5,
Berlin-Wannsee, 19 Uhr
James Joyce mit einer Verbeugung darin. Vor García Márquez.
Dennoch.
Aber dennoch. Wenn >>>> diese Reihe den Prägungen gewidmet ist, die sich wenigstens als Spuren in meinen Büchern bis heute erhalten haben, dann gehört, wenn eines irgend ü b e rhaupt, so d i e s e s hier hinein – aber nicht, weil ich ihm nah gewesen wäre wie den Romanen, von denen ich bisher geschrieben. Das war ich nämlich nie. Tatsächlich ist mein Verhältnis zum Ulysses distanziert geblieben. Er hat mich nie begeistert oder, wie er’s bei Arno Schmidt geschafft, beseelt; schon gar nicht verspürte ich das Bedürfnis, den Iren etwa in Form der von Schmidt versuchten und bei ihm fast verdinglichten >>>> „Etymogie“ (ohne ein lo) fortzuschreiben, einfach weil ich das Verfahren, Wörter durch Verschiedenschreibungen zu beugen, als der deutschen Sprache unangemessen empfinde; möglicherweise ist das im Englischen anders; aber das Deutsche verliert daran die Eleganz, die unsre Sprache haben kann, und der den Wörtern eingepropfte Witz, der oft auch derb gekalauert ist, zerstört die Melodie, die viele haben, bzw. einmal hatten. Vielmehr war ich drauf aus, alte Wörter, die vor der Profanierung noch nicht gänzlich in die Knie gegangen waren, neu zu verwenden, so, wie man von einer Tonart in die andre moduliert, was selbst schon ergreifende Kunst sein kann. – Doch zu Arno Schmidt werde ich erst noch kommen.
Den Zugang zu Joyce bekam ich auch nicht über ihn, sondern ausgerechnet über meine Mutter, die, als ich vierzehn/fünfzehn war, den Ulysses geradezu verschlang. Ich entsinne mich, wie sie dabei lachte. Das Wort – nach Goyerts Übersetzung – „kakaote“ hatte es ihr besonders angetan: Er kakaote vor sich hin, womit sehr schlicht gemeint ist, daß einer sinnierend Kakao trinkt. Schmidt hätte, oder hat vielleicht, ein Zusatz-r drin eingeschoben, um dem Vorgang, der nun an den Krakatau anklingen würde, etwas Katastrophisches zu geben, das in ihm auch liegen mag, falls der Held dort durch sein Zögern einer Entscheidung aus dem Weg gehen will, die ihn dann dennoch, nach Art der Tragik, ereilt – sagen wir eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Egal. Dieses Wortgedrechsel jedenfalls ist meines nie gewesen. Geschweige, daß es mich hätte begeistert.
Dann interessierte mich auch eigentlich die Handlung nicht. Zwar die unterliegende schon, der Odyssee und ihrer Transponierung in die Moderne, aber das von Joyce beschriebene Milieu besonders Leopold Blooms, dieses kleinbürgerlichen, das nach alten Socken riecht, war eines, das ich selbst erlebt hatte und unbedingt verlassen wollte, aus dem ich rauswollte. Da muß man schon masochistisch sein, um es sich in die Lektüre zu holen. Die Ausnahme, selbstverständlich, ist >>>> Stephan Dedalus, durch dessen Jugend ich einiges von Stavrogin, immer wieder >>>> Die Dämonen, spürte: etwa, der Mutter das Gebet zu versagen, die auf dem Sterbebett liegt, und zwar aus Prinzip und eitler Selbsterhöhung wegen, die Teil einer jeden Konsequenz ist, wenn sie prinzipiell wird und sich auch für Menschlichkeit nicht auflöst. Mathias Schenner, >>>> in einem Referat, schreibt sehr zu recht von „kaltem Stolz“. Solche Charactere, tatsächlich, faszinierten mich. >>>> Schon >>>> Sherlock Homes war davon eine ästhetizistische, zumal ironische Spielart gewesen, und >>>> Dracula ihrer Verzweiflung spätromantischste Idee. >>>> Jan Carl Raspe, später, kam hinzu: als, sage ich heute, reale Gegenwart gewordene Allegorie: sie hat den Menschen übernommen und besetzt. Ich werde auf Raspe ausführlich noch zu sprechen kommen.
Was aber die Umgebung Blooms angeht, war sie mir fast ein bißchen zuwider. Wo es gutgeht, hat sie das, was Thomas Mahler am ersten Akt der Walküre rügt: Kuhstallwärme.
Ich finde Kühe, von ihren Augen abgesehen, häßlich, vor allem ihr Hinterleibsgestell. Ich sehe es immer mit Kacke verschmiert. Das geht mir beim Ulysses auch so und bei Arno Schmidt. Um es selbstironisch zu sagen: Für so etwas bin ich zu sehr Aristokrat.
Und dennoch.
Dennoch ist vieles in meinem Werk, vielleicht sogar sein Bestes, ohne den Ulysses nicht denkbar. Es wäre schlichtweg nicht geschrieben worden. So daß auch ein Ekel bewirkt: auch dies ist eine Form der >>>> Sublimation. Denn ich wußte genau, was ich mit diesem Buch in den Händen hielt, welch eine Meisterschaft dahintersteckte, aber auch welch pedantisch wortverknöchertes (Her)rumabstrahieren. Penibilität. Hochgelehr-tengeschnörkel, das mit Kalauern bezahlt, weil das Klosett seinen Preis will. Noch die schlafschwer dampfende Prosa der übergewichtigen Molly, ein hinreißender innerer Monolog, hat davon was – wobei der berühmte stream of consciousness von Joyce selbst nur übernommen und fortgesetzt, sozusagen literarisiert, wurde: nämlich von William James. Dennoch schreibt man ihn immer fälschlich ihm zu. Acht Jahre später findet er in „Berlin Alexanderplatz“ auch in der deutschen Literatur seinen Platz. Ziemlich sicher ist, daß Alfred Döblin >>>> Peter Panters berühmte und in der Tat grandiose Rezension gelesen hat, mit deren Conclusio ich völlig einverstanden bin:
Bald stand ein Topf mit solcher Suppe auch auf meinem Herd. Das „Bald“ meint freilich vierfünf Jahre später, 1979/80, als ich meine Skizzen aus der Zivildienstzeit in meinen ersten Roman, >>>> ich sprach schon von ihm , zusammengoß: Die Erschießung des Ministers. Formal aber ist dieses Buch ein direktes Ergebnis aus dem Verfahren Joyce‘s und einem enorm da in mich eingedrungenen García Márquez‘: Der Herbst des Patriarchen. Die Hundert Jahre Einsamkeit aß ich wie Plätzchen, mit denen man nicht aufhören kann, – der Patriarch aß m i c h.
ohne Zeit zu verlieren, bis die Nacht einfiel, aber auch
dann schenkte er sich keine Ruhe, sondern erschien frisch
gebadet in seiner mit viereckgen Flecken geflickten Soutane
in den Hafenkneipen, halbtot vor Hunger, er setzte sich
an den langen Brettertisch und teilte die Fischsuppe
mit den Stauern, zerteilte den Fisch mit den Fingern,
zerkaute sogar die Gräten mit seinen luziferischen
Zähnen, die im Dunkeln aus eigenem Glanz leuchteten,
er schlürfte die Suppe vom Tellerrand wie die Korallenfischer,
Herr General, hätten Sie ihn nur sehen können, eins mit dem
Menschengesindel der verrotteten Segelschiffe, die, mit
Affen und grünen Bananen beladen, mit Partien blutjunger
Huren für die Glashotels von Curaçao beladen, Anker lichten
nach Guantánamo, Vater, nach Santiago de los Caballeros,
das nicht mal genügend Meer zum Hinkommen hat, Vater,
nach den schönsten und traurigsten Inseln der Welt, von
denen wir träumten bis zum Frühschimmer der Morgenröte,
Vater, erinnern Sie sich, wie anders wir waren, als die Schoner
ausliefen…
Ich las den Ulysses wenigstens zweimal ganz: einmal in Goyerts Übersetzung, ein zweites Mal in Wollschlägers. Auch wenn mich >>>> Klaus Reichert, der an der zweiten beteiligt war, danach nicht mehr einlädt, finde ich an b e i d e n Versionen vieles Gute – nur hat Wollschläger Tucholskis Kritik schon gekannt… einmal davon abgesehen, daß alle Übersetzungen altern, f a s t alle, anders als die Originale. Weniges ist ausgenommen, für das, für Shakespeare, nach wie vor Schlegel und Tieck stehn. Zu dem faszinierenden Triumvirat meiner wichtigsten Lehrer, von denen>>>> zwei schon erwähnt sind, Korol und Gruber, gehörte ein Dritter, der in seiner Freizeit den Wake übersetzte, ich komme auf seinen Namen jetzt nicht. Das ist schändlich. Sowie er mir einfällt, hol ich ihn nach – egal, in welchem Zusammenhang. Aber ich habe sein Gesicht vor Augen und seine ein bißchen untersetzte Gestalt, sowie sein braunes Cord-Jackett. Mein Eindruck ist bis heute, daß an Abendgymnasien Lehrer unterrichten, die auch Character sind. Ein Mathematiklehrer, Mura mit Namen, ergänzte die Drei zur Tetrarchie; diesem Vierergestirn verdanke ich die 1,1 meines NCs. Deren Eins hinterm Komma ist meinem Französisch geschuldet, denn bei dieser Lehrerin verstand ich die Sprache, aber verschwieg ihr‘s, anders. Wir sprechen hier über Joyce, darum ist dieses Kalau erlaubt. Schöne Frau: verzeihen Sie mir?
Ich war auch sowieso noch verklemmt. Die Befreiung hebt erst an. – Namen? Anke, Marie-Luise, Liane, Regine. Das Abendgymnasium d a n n erst. Noch fahr ich mit meinen Töpfen zwischen den Heimen hin und her. Ich trage einen spanischen Knebelbart, bisweilen auch Vollbart. Heute ist mir das peinlich. Mein Schädel ist schon mit einundzwanzig licht; erst viel zu spät ziehe ich die Konsequenz, weiche statt dessen in meinem Nacken auf einen Vorschein von Haarschwanz aus. Was ein Schwänzchen! Grauslich, Leute, einfach grauslich. Unklar noch immer und immer noch verquast. Es wird jetzt wirklich Zeit für die erste Penetration. Sabine, nein, noch nicht. Die wurde nur von Autos erregt und unter dem Blech von Motoren. Das war mein erster Alfa. Alles nur Verschiebung. Im Keller, da, wo sie jobbte, gab es einen Schießstand. Zu dem stieg der Arzt hinunter, ein Psychiater, wenn er sich erholte.
Im Heim brach Evamaria zusammen und starb. Da war sie keine vierzig.
Sie hinterließ ein Manuskript. Mir. Drin hatte sie ihr Leben aufgeschrieben. „Wenn Sie mal Zeit haben. Machen‘S was daraus.“ Medikamentensucht, die man mit Medikamenten kurierte. Die Medikation telefonisch. War es nötig, rief man an.
Peng! macht‘s im Keller.
Wir haben geträumt, ihm das Handwerk zu legen.
Kosten gespart. Landessozialamt.
Joyce dazu und dann Magdalena.
Mythologie.
Ich übernahm das Verfahren, aber radierte alles selbstgefällige Sprachspiel weg. Wichtig von Joyce ist geblieben, für mich, der immer konkrete, naturalistisch erlebte Bezug. Das Heim, das Haus, die Straße, die Menschen, Geruch und Gechmack. Rein gar nichts wird da erfunden. Man saß auf dem Stuhl. Man hörte das Lied. Man war in dem Land, der Stadt, der Straße, der Gasse und in der Frau. Was man vorher nicht weiß, probiert man am eigenen Leib. Damit man es spürt und nicht Unfug daherschwätzt. Nein, das war keine Liebe zu Joyce. Das war Exerzitie. Aber die Welt ist kein Text.
Was ich hätte lieben können, fand ich im Portrait of the Artist as a Young Man. Da gibt es aber besseres, das ich auch schon kannte. Die Dubliners gingen mich nichts an. Aber durch Hans Wollschläger ging mir der Ulysses schließlich doch in die Seele.
Er las selbst aus seiner Übersetzung, in der Bremer Glocke, die mein Konzertsaal damals war: Hermann Michael,>>>> Sie wissen ja jetzt schon, und Mahler. So war ich sowieso offen.
Es ist das Ochsenkapitel,>>>> aus dem ich selbst gerne vortrage heute, des Helios: oben ist ein Entbindungsheim, unten eine Kneipe, worin die Säufer zusammenkommen. Und was sie zoten! Derweil kommt Mrs Mina Purefoy oben nieder. Es ist eine schwere Geburt. Sie wird nicht dort, sondern unten erzählt: das Geschwätz und Geprahle der Kumpane, natürlich geht’s immer um den Sex, durchläuft parallel zur Geburt sämtliche Stadien der englischen Sprache, bei Wollschläger der deutschen. Ein unfaßbares Kapitel.
Wollschläger las an die zweieinhalb Stunden. Ich saß mit schweißnassen Handflächen da. Und dann, einmal… gar nicht da, sondern später…. einmal also… Giacomo Joyce: eine ganz späte Schrift, veröffentlicht siebenundzwanzig Jahre nach dem Tod des Dichters –
da fand ich ihn, einen, den ich auch in ihm, in James Joyce, hätte lieben können.
Ich weiß noch einen Satz: