III, 309 – Komische Tage

Und die Pupillen “iso iso”, einmal dafür auch “O O”, wenn man Medizinerbefunde interpretieren muß, darf auch “SR” und “PR” nicht fehlen: in der Stunde vor der Abgabe begann ein wahrhaftiger Streß. Kulleraugen zeitweilig vor jedem Wort und alle Trikuspidalklappen segelten im Schweiß davon, der mir allerdings erst jetzt im Nachhinein aus den Poren tritt, perinasal sich sammelnd.
Danach nur noch “genau!” gedacht bei Bernhard, in ‘Alte Meister’, daß nämlich schon der Anblick der Schubert-Sänger, besonders hinsichtlich der geliebten Winterreise (ich meine jetzt durchaus mich), im Frack am Klavier den ganzen Schubert verderbe und, ergänze ich, verhunze. Denn man versteht bei den klassischen Winterreise-Aufführungen nie ein Wort von dieser Biedermeier- oder Romantik-Odyssee, die sie ja ist, die völlig unterbewertet geblieben ist durch diese Fracksänger mit ihren den Gesang übertönenden Klavierklimperern. Also “in echt” mal genickt.
Und wie überhaupt die Worte so schrecklich untergehen bei den sogenannten ‘Liedern’ von Schubert. Ein bürgerliches Trauerspiel.
Gut, daß es Prinzen und Prinzessinnen gibt und Engländer. Erstere haben – und besonders Prinzessinnen, die sich ihrer Rolle als Thronnachfolger-Gebärerinnen und -Erzieherinnen bewußt sind – ein sehr geschultes Lächeln, der Prinz selbst darf etwas blöder lächeln, schließlich wird er dann König sein, wenn die Uroma endlich von dannen ist. Immerhin neugierig die Fotos der beiden angeguckt. Lustig, daß es sowas noch gibt und wahrscheinlich geben muß. Man merkt diesen Nachrichten darüber den Gegenpol zur Türkei und zum Brexit an.
Engländer und Schubert ist ein anderes Thema. Schubert braucht einen Engländer, und >>>> Grönemeyer sollte sich mit >>>> Antonello Venditti (mit der Ferilli aus Monterotondo!) verloben: dann können sie zusammen “Schromalke” singen. Ok, das weiß jetzt nur ich. War auch nicht wirklich gegen den >>>> Engländer gerichtet, den ich als Schubert-Interpreten durchaus sehr schätze.
Saß gestern noch vor den Vesperkartoffeln am Küchentisch, wahrscheinlich kämpfte ich mich durch den Gibbon und seine Beschreibung der schrecklich häßlichen Völker Asiens, die es damals auf den Westen abgesehen hatten und also Richtung Europa vorgestoßen sind. Was mit einer gewissen Insistenz über mehrere Seiten wiederholt zitiert bzw. aus den Quellen resümiert wird.
Die Tür stand offen. Die Sonne schien nicht mehr. Da klopfte es. Es war Sascha, der Sohn der Ukrainer, die auf der anderen Seite des Platzes wohnen. Man habe ihn gebeten, mich zum Gassen-Convivium für Samstag einzuladen. Die lange Tischreihe wie jedes Jahr für die Oberstadt-Gemeinschaft. Ich sei doch Schriftsteller, platzte es aus ihm heraus. Was ich natürlich sofort relativierte mit einem ‘ich schriebe zwar, aber…’. Er habe nämlich einen dritten Preis gewonnen für eine Erzählung, das Ganze auf Provinzebene. Er habe sich von Edgar Allan Poe inspirieren lassen.
Meine Neugier, das Produkt zu lesen, befriedigte er allerdings nicht, trotz Angabe der E-Mail-Adresse. Wie alt wird er sein? Zwölf? Keine Ahnung.
Später dann probten wieder die Amateurschauspieler vorm ‘Hoftor’. Ich stellte mich abermals neugierig auf die oberste Treppenstufe. Die Souffleurin aber, die unten auf den Stufen stand, wurde nervös, drehte sich gelegentlich nach mir um. Ich verschwand in meinen Monteverdi-Schwall.
Als ich dann wieder hervortauchte, waren sie hundert Meter entfernt, und mein Sitzen im Hofeingang mit der Zigarette machte überhaupt keinen Eindruck auf die, die da vorübergingen in den bunten Kleidern einer vergangenen Jugend, während ich noch vergeblich mich zu sonnen suchte in dem am Nachmittag Gehörten, daß ich gut aussähe mit meinem langen Haar…
Komische Tage. Kitsch as Kitsch can.

III,308 <<<<

1 thought on “III, 309 – Komische Tage

  1. Bostridge ist in der Tat ein wunderbarer Sänger, und ebenfalls stimmt, daß es sehr spezielle englische Tenöre gibt. Ein weiterer Vertreter ist >>>> Mark Padmore, der grandiose Evangelist in >>>> Sellars‘ und Rattles Matthäuspassion.
    Was nun die „klassische“ Aufführungspraxis von Kunstliedern anbelangt, nun jà, es ist eine – allerdings in den vergangenen Jahrzehnten von jungen Sängern immer wieder durchbrochene – quasi-bürgerliche Uniformierung. Mir gibt sie auch nichts, aber ich schließe dann die Augen: etwas, das sich sowieso empfiehlt. Außerdem kann ich in puncto Lächerlichkeit keinen großen Unterschied zu den absurd-bizarren Aufführungen von Pop und Rock finden – also ob man(n) und frauchen nun im Glitterlook auftritt oder mit halbem Cowboyhut und vielleicht noch das Haar gegrünt – von den stets ablenkenden sogenannten „Light“-Shows spreche ich gar nicht erst -, oder ob man Frack und Fliege trägt, das eine ist halt das Gelb, das andre das Weiß von ganz demselben Ei.
    Deutlich aber mein Veto bei den „Klavierklimperern“; es gibt Meister:innen der Klavierbegleitung, die den gesamten Charakter und damit auch die Tiefe eines Lieders bisweilen deutlicher bestimmen als die Sänger:innen. Auch hier gilt: Augen schließen! Guter Musik ist zu gucken eh abträglich. Und was die Textverständlichkeit anbelangt, schadet es erstens nicht, die Lieder erst einmal zu lesen, und zweitens sind die Texte bei etwa Rockmusik schon allein der Lautstärke und oft auch elektronischer Instrumentverzerrungen nun wirklich gar nicht mehr zu verstehen (was meistens aber ganz gut ist, weil sie in aller Regel poetisch schlecht sind und im besten Fall verkitscht).

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