Böhmers Nikolausjournal. Dienstag, der 6. Dezember 2011. Darinnen, im Hintergrund, Perchta. Und unter allem ein Ödipus im Libanon. Zu INCENDIES von Mouawad und Villeneuve: Die Frau, die singt.

7.55 Uhr:
Verschlafen. Vielleicht weil dies einer jener Tage ist, an denen ich gegen alle gewonnene große Freiheit doch aufseufzen muß, d o r t b e i nicht Zeuge mehr zu sein, nicht mich, beziehungshalber, daran direkt erfreuen zu dürfen – ein bißchen, mithin, ausgeschlossen zu sein:

Der Wahrheit halber aber muß zugestanden werden, daß ich nachts noch einen erschütternden Film sah: Incendies ODER Die Frau, die singt von Denis Villeneuve auf der Grundlage des Theaterstücks von >>>> Wajdi Mouawad, beides kanadische Kunstwerke, die auf dem Ödipus fußen und sehr genau zeigen, was eine Allegorie ist, die durch die Zeiten hindurchwirkt, sich in Zeiten wieder- und wiederrealisiert:

Allegorie also n i c h t als ein metaphorischer Zusammenhang, sondern als jeweils konkretes Ereignis der ähnlichen Wiederholung. Das klingt pur abstrakt, ist aber das genaue Gegenteil, zumal in den furchtbaren Ereignissen, die dieser Film und das Theaterstück erzählen. Abgesehen davon bekommt man ein völlig anderes Bild des Christentums gegenüber dem Islam, spürt die Verwandtschaft beider Religion gerade in ihren Gemetzeln – und es geht nicht etwa um eine Zeit vergangener Geschichte, sondern um die fast noch unmittelbare Gegenwart des Libanons der Endsiebziger bis Anfang der Neunziger Jahre. Wer diesen Satz liest >>>> Das Eisenbahnnetz des Libanon (Chemin de fer de l’État Libanais, CEL) wurde durch den Bürgerkrieg zerstört und ist heute vollständig stillgelegt, bekommt eine ungefähre Vorstellung.
Enorm bindend ist an dem Film (das Theaterstück habe ich nicht gesehen), wie unversehens wir in das antik-tragische Geschehen hineingezogen werden, das auf zwei Zeitebenen spielt. Aber ich will nicht referieren; Wikipedia erzählt den Film ausgezeichnet nach, – nur daß es ein Fehler wäre, den Artikel zu lesen, bevor Sie den Film schon sahen. Sie gingen sonst der Erfahrung verloren, und diese Ihnen. Erschütterung – eine der Übersetzungen von Katharsis. Wie nicht Freiheit uns bestimmt, eigene Entscheidung, sondern Tragik. Nur in der Distanz können wir uns daraus erheben, einem – erkenntnistheoretisch, nicht oder nur in weitem Sinn menschlich – sehr fraglichen NichtBetroffenSein; Filme wie diese holen das BetroffenSein in uns zurück. Dabei arbeitet Villeneuve nicht mit groben, sondern immer leisen Bewegungen, was bei einem Bürgerkrieg voller Massaker bereits eine große künstlerische Leistung ist, und der Tod als Kriegsmord wird so dreckig gezeigt, wie er – offenbar, ich war ja nie in einem Krieg – ist; da gibt es keine Action-Ästhetisierung. Aber Gesichter. Immer wieder Gesichter. Das eigentliche Meisterstück aber ist, wie sich sehr allmählich aus dem scheinbaren künstlerischen, rein faktischen Realismus des Films das antik-Mythische herausschält und wie die fünfjährige Sprachlosigkeit, bis zu ihrem Tod, der doch längst „geretteten“ Mutter sowohl für ihre Kinder als auch für uns plausibel wird: Sprachlosigkeit vor dem Angesicht dieser abermals wirklich gewordenen Allegorie. Sie greift so weit, daß Nawad, der libanesische Ödipus, nicht nur mit seiner Mutter schläft… furchtbares Wort! er vergewaltigt sie in Ausübung seiner beauftragten Folterpraxis… – sondern eben auch seinen Vater tötete – in übertragenem Sinn, da er doch für die Christen ‚tätig‘ ist, die eben diesen, einen jungen palästinensischen Moslem, aus privatem Religionshaß erschossen haben.
Zurück bleiben für uns die Fragen, die sich die jungen Zwillingsgeschwister nun stellen, Jeanne und Simon – die Kinder Der Frau, die singt -, dessen Satz „Vielleicht durch Vergewaltigung, ich hab es ja in den Genen“ für immer haften bleiben wird: auch Bruder und Schwester bereits in ein Schicksal gestellt, das sich von unserem nur deshalb unterscheidet, weil es um so weniger harmlos ist, als sie zugleich die Kinder eines Inzests sind. „Ohne dass es uns bewusst war, hat uns dieser Krieg beschädigt, hat uns das Exil beschädigt“, hat Mouwadi gesagt.
Und dazu, heute für uns, der Nikolaustag: Wärme und Entsetzen, alles ist immer zugleich:
(Und wenn der Morgen in der Busstation naht,
und wenn das Licht im Kintopp wieder aufflammt, vielleicht
wischen wir uns, einmal, das Gift nicht allzu schnell
aus dem Auge, vielleicht
wenden wir uns, einmal, nicht scheu beiseite,
vielleicht schauen wir uns, einen Augenblick, lange an.)

Paulus Böhmer, >>>> Achter Kaddish.

Bin ich nur deshalb, einigermaßen, geschützt, weil ich um meine Herkunft w e i ß? Was ist mit Ihnen, die nicht wissen, was Ihre Großeltern g e t a n? Wem geben wir morgen nicht die Hand?
Zur Tragik gehört auch, daß es um einen Film wie >>>> den, der im Vergleich mit INCENDIES nichts ist als Schrott, eine riesige Diskussion gab, zu diesem hier aber wird sehr wahrscheinlich geschwiegen werden.

9.54 Uhr:
Das sind so Sachen, bei denen man auch den Witz eines Mythos begreift: Iphikles war Teilnehmer an der Jagd auf den Kalydonischen Eber und fiel im Kampf gegen die Söhne des Hippokoon von Sparta. Alternativ dazu starb er nach einer Verwundung im Kampf gegen die Molionen in Pheneos, wo er als Heros verehrt wurde (zit.n. >>>> wikipedia). „Alternatives Sterben“ … also echt… – Wiederum ist dieser Tag Anlaß, sich auch um die Herkunft des NikolausBrauchtums zu kümmern: wer war das eigentlich, und wer war der Knecht Ruprecht, von dem meine geliebte Großmutter oft sprach? Ruprecht kommt von Perchta, Frau Perchta, von der Frankenberg* schreibt, sie heiße auch Berahta (Berchta!), nämlich die Glänzende, was sie mit Luzifer verbindet. So eben auch >>>> Wikipedia: „Der Name ist möglicherweise von althochdeutsch peraht für ‚hell, glänzend‘ abgeleitet“ – dem Frankenberg hinzufügt, Perchta erscheine oft als Ahnin berühmter Geschlechter; etwa habe die Mutter Karls des Großen ihren Namen angenommen. Interessanter aber ist die Bedeutungs-verschiebung, die der Luzifer-Linie folgt, einer christlichen Geschichte der Verteufelung, an deren Ende Perchta als Ruprecht zum volkstümlichen Unhold wird, der den Nikolaus begleitet. Nach der kapitalistischen, vor allem von Coca Cola bewirkten Einschmelzung des Nikolauses zum Santa Claus, dem Verführer in den Konsum, hat ein anderer Verführer, der Verführung negativ sein ließe, keinen Raum mehr. Die Amibalenz der Erscheinungen wird zur Warenoberfläche geglättet. Ähnlich ist es Samhain ergangen in der Transformation zum karnevalsken Halloween, in dem Huldas, der Gattin Wotans, Name allerdings fortschwelt, und in den B-Movies. Hulda, hier geht der Witz wieder los, sei einerseits aus einem Beinamen Friggs entstanden, der Gemahlin Odins, andererseits führt sie >>>> Göttner-Abendroth, die für meinen >>>> Wolpertinger eine sprudelnde Quelle war, in eine frühe Große Mutter zurück. Nach Alkmene zu schauen – deshalb Iphikles – war wiederum Paulus Böhmers wegen nötig, in dessen >>>> Kaddishs Alkmene immer wieder genannt wird; ihr erster Zwillingssohn, von Zeus-als-Amphytrion gezeugt, ist Herakles.

*) Gisela von Frankenberg, Kulturvergleichendes
Lexikon, Meussling Bonn 1984.

[Arnold Schönberg, Violinkonzert.]
Ich habe nicht die geringste Ahnung, weshalb von so vielen Menschen diese Musik als „schwierig“ empfunden wird. Sie ist derart süffig!

7 thoughts on “Böhmers Nikolausjournal. Dienstag, der 6. Dezember 2011. Darinnen, im Hintergrund, Perchta. Und unter allem ein Ödipus im Libanon. Zu INCENDIES von Mouawad und Villeneuve: Die Frau, die singt.

  1. Verbrennungen nebst einer Klarstellung, die der Verfasser lange vor sich hergeschoben hat Danke für diese aufschlußreiche Film-Review von “Verbrennungen”. Interessant, was Sie zum Schicksal des Vaters von Nihad-Ödipus (heißt er im Film tatsächlich Nawad?) sagen. Im Stück (ich habe es 2008 am Theater Trier inszeniert, deshalb mein Einwurf hier) blieb das nämlich sehr vage, dort wird er lediglich von Nawal getrennt und in den Bürgerkrieg hineingezogen, dann erfährt man nichts mehr über ihn. So scheint das Tragödische im griechischen Sinne sogar noch deutlicher herausgearbeitet worden zu sein; nun werde ich mir den Fim wohl doch einmal zu Gemüte führen, nachdem ich mir bisher nicht viel davon versprochen hatte. Wo doch Medien wie Volksmund beinahe jede “Katastrophe” zur Tragödie erklären, ohne zu wissen, wie sehr sie damit danebenliegen und die Wahrheit des Tragödischen profanieren (abwehren, würden Sie vermutlich psychoanalytisch sagen). Insofern finde ich auch den großen Erfolg dieses Stückes gerade auf Deutschen Bühnen schon erstaunlich. Um es böse zu sagen: es gibt da ja oftmals so ein gutbürgerliches Publikum, das gerne dann und wann seine gefühlte Betroffenheit beweisen möchte, ohne sich dabei aber selbst besonders gemeint fühlen zu müssen. Das ist eine Lust am Horror, die wie der Unfallvorbeifahrer sich eher am Opfer delektiert (gottseidank hat es nicht mich erwischt!) als zu kapieren, dass es hier um Wunden geht, die ewig klaffen, weil sie der Abgrund des Existierens von uns allen sind. Will nur sagen: oftmals verkommt die Theaterlust an der Gewalt zum Schauereffekt; und das wird dann gerade von denen, die sie nötig hätten, leider auch vielen Theatermachern, schon für Katharsis gehalten. Ganz anders sieht das natürlich im Kino aus, wo Horror- und Achterbahneffekte das Repertoire seit je noch stärker dominieren, “Verbrennungen” aber sicher jetzt in der Winterwohligaction ziemlich untergehen wird.
    Bei der Gelegenheit will ich nun dies noch loswerden: Auch heuer sind wir uns wie die beiden Male zuvor auf der Buchmesse (am Horen-Stand) kurz über den Weg gelaufen. Sie waren jedoch mit einer Dame in ein Gespräch halbwegs konzentriert vertieft, sodass ich es nicht wagte, weiter zweidrei Worte mit Ihnen auszutauschen, z.B. unseren vor ziemlich einem Jahr >>>hier begonnenen Disput über “Lost” und Ihre Möglichkeitenpoetik im Hinblick auf das Ende der Serie weiterzuführen. Nur ein “Grüss dich” entfleuchte mir etwas schüchternen Schreibadepten, und fand’s gleich peinlich – als wären wir zwei miteinander auf Augenhöhe Bekannte, was eher auf Projektionen meinerseits beruht, bloß weil ich einmal am LCB Ihre bitteren, aber darum heilenden Textkritikpillen schlucken durfte; aber natürlich auch dieses Blogs hier wegen, dessen regelmäßige Lektüre ja auch eine Art Nähe stiftet. Das Buch, zu dessen damals ersten zwei Kapiteln Sie die Medizin verabreichten, ist übrigens mittlerweile fertig. Sollte es oh Wunder auch eine Art Veröffentlichung finden, möchte ich Sie schon recht gern gegen ihren eigenen Rat im Schlussdank miterwähnen, es sei denn, sie bestünden ausdrücklich aufs Verzichten. Aber ich schweife ab, was ich sagen wollte: wahrscheinlich konnten Sie meine verduckste Gestalt am Horen-Stand onehin niemandem mehr zuordnen, jedenfalls meinte ich das in Ihrem Gesichtsausdruck zu lesen, das folgende ihnen mitzuteilen ist vermutlich deshalb überflüssig, da es nur auf einer weiteren Projektion von mir basiert, aber dennoch: ich bin wirklich jedes Mal rein zufällig in Sie hineingelaufen; für Stalking bin ich zu sehr selbstreflexiver Softie, zudem auch viel zu selbstverliebt und meiner Meinung. Aber das ist schon ein Kitzel, nachdem man glaub ich süchtig werden könnte: die Bedingungen und Möglichkeiten der virtuellen Begegnung hier, im Falle “face to face” als eine Art Live-Rollenspiel versuchen fortzusetzen … Kraft der Behauptung, die auch im Theater Realität sein lässt.
    Gute Grüsse!

    1. @poppeye zu Incendies (vor Aufnahme der Früharbeit an Böhmer). Ja, es ist möglich, daß ich Sie nicht erkannte oder nicht ‘wirklich erkannte’; sehen Sie mir das bitte nach, es tut mir tatsächlich leid – nach Ihren klugen und einfühlsamen Erläuterungen zu Incendies hierüber besonders.
      Nein, der Film Villeneuves geht mit gezeigter Grausamkeit ausgesprochen sparsam um. Sie ist allgegenwärtig, aber nicht ästhetisches Objekt des Kunstwerks und taugt deshalb nicht zur (Wol)lust an splattrigem Trash. Der Film ist geradezu ein Gegenentwurf zum permanenten Schenkelklatschen quer durchs Blut der sich dabei aufklärerisch dünkenden, quentinen Tarantinos, ebenso wie zur vom mittleren Cronenberg, den ich bekanntlich schätze, ritualisierten Faszination an pervertierter, eben nach innen projezierter Gewalt: da gilt die Faszination aber dem Ritual als Verarbeitung von Gewalt. Villeneuve verarbeitet sie nicht, poetisiert nicht, bleibt immer realistisch, in jedem seiner Bilder. Daß das schließlich die antike Tragödie ergibt, ist das Ungeheuerliche, für mich, an dem Film.
      Ich möchte Sie aber nicht präformieren; man bekommt den Spielfilm in besseren Videotheken, und auch im Netz habe ich ihn gesehen. Er braucht nicht die große Leinwand, um zu wirken; ein Screen, auf den man, die Kopfhörer in den Ohren, schaut, genügt vollkommen: so wenig macht er irgend ein Tamtam.
      Leider kenne ich das Theaterstück nicht, aber da meine eigenen Stücke vom selben Verlag vertreten werden wie Mauawads deutsche Übersetzung, muß ich da nur anrufen und bekomme dann sicher eine Kopie geschickt. Darauf hat mich jetzt erst Ihr Kommentar gebracht (doch inszeniere ich ja auch nicht fürs Theater, nur immer für den Funk – udn da völlig andere Sachen).

      Doch, bitte: Das nächste Mal sprechen Sie mich an.

      Ihr
      ANH

    2. Ein Stück, das immer schon Romanverfilmung sein wollte Werde ich tun, versprochen.
      Den Stücktext übrigens kann ich Ihnen zur Verfügung stellen, ich hab ihn hier noch auf meinem Laptop als pdf. Ebenso den Mitschnitt einer Hörspielfassung, die auch nicht lange auf sich warten ließ (in die ich aber selbst noch nicht hineingehört habe).
      Allerdings sollte ich Sie vor einer möglichen Enttäuschung warnen: Der Inhalt ist der Form des Stückes deutlich überlegen. Da schreien ein paar Symbole und Leitmotive zuviel um Aufmerksamkeit, wird häufig dreimal ausgesprochen, was längst schon zwischen den Zeilen lesbar war. Das Stück ist eher ein Roman, der liebend gern verfilmt sein möchte; insofern konsequent, das dieser Wunsch nun Erfüllung ging.
      Aus Regisseursperspektive ist da einiges beinahe lektorisch zu kondensieren, damit der Kern des Stückes umso deutlicher strahlen kann; andererseits ist die maßlose, eben beinahe romanhafte Masse an Text eine Provokation ans Theater und war für mich insofern gerade darum auch interessant, da ich in der Regel eher Theatertexte präferiere, die der einfachen Umsetzung und damit auch Zurichtung durch die Theatermaschinerie irgend Widerstand leisten. Künstlerich interessante Spannung entsteht schließlich erst dort, wo sich etwas unterschiedlich positioniert und aneinander reibt.
      Worauf man übrigens außerdem bei diesem Text inszenatorisch reagieren muss: das unvermittelte und völlig ironiefrei Gefühlspathos; auch dies für okzidentale Menschen ziemlich unerhört, ja zu beinahe zu Neid anstiftend. Und eben deshalb so fruchtbar zu machen, dass es unsere Abwehr unterläuft und Direktheit herstellt. Bin gespannt, wie das der Film gelöst hat.

    3. @poppeye zur pdf. Oh, sehr gerne; falls Sie meine private Emailadresse nicht haben, die ich wohlweislich hier nicht hineinschreibe, einfach die über Daniello laufende offizielle verwenden: fiktionaere AT gmx DOT de. Er wird sie mir dann weiterleiten.
      Das Pathosproblem kenne ich, bin aber längst nicht mehr empfindlich, da auch ich selbst seit einiger Zeit mit dem Pathos wieder zu arbeiten wage, ähnlich auch >>>> Krausser; es gab hier bereits manche Diskussion darum, etwa >>>> dort. Was nun d e n anbelangt, könnte ich mich für die pdf mit einer mp3 revanchieren; dazu aber mehr dann in einer Email, die ich Ihnen zurückschreiben würde.

      (Wegen des Pathos-“Komplexes” lassen sich weitere, auch scharfe Diskussionen schnell finden, wenn Sie das Wort rechts oben in die Suchmaske eingeben.)

    4. @herbst zuletzt kurz dies noch Falls Sie Ihr Krausser-Hörspiel meinen – den Herrn schätze ich seit “Melodien”, das ja viel mit Ecos “Foucaultschem Pendel” gemein hat, das ich damals kurz nach Abitur verschlungen habe. Den Eco mittlerweile, mehr als fünfzehn Jahre später, mag ich jedoch nicht mehr so gerne lesen, während ich Krausser weiterhin aufmerksam verfolge (und UC sich einen festen Platz in meiner Favoritenliste gesichert hat), jedoch die letzten Sachen nach “Einsamkeit und Sex und Mitleid” sowie leider die Tagebücher noch nicht geschafft habe. Darum habe ich natürlich auch Ihr Hörstück neulich aufgezeichnet, Mitte dieser Woche gerade erst gehört. Dies aber nur nebenbei spielend mit dem Sohnemann beschäftigt, weshalb ich mir ein Urteil erst nach zweitem, konzentriertem Hören erlauben möchte. Als Heiner-Goebbels-Schüler kann ich mit Ihren musikalischen Feature/Poesie-Hybriden aber allgemein durchaus einiges anfangen.
      Kurz noch was das Pathos angeht: Ich halte das derzeit sogar für ein künstlerisch beinahe wieder notwendig gewordenes Mittel, es muß nach meinem Dafürhalten nur als formal bewußt gewolltes erkennbar bzw. selbstreflexiv ausgestellt und geerdet sein, um sich vom naiven Gebrauch der historischen Avantgarden wie vom kontrollierten der Faschisten abzusetzen. Pathos quasi als kontrolliertes Kontrolle verlieren … Abgesehen davon macht ja erst die Dosis überhaupt das Gift. Und im Moment, so finde ich, darf die Dosis schon etwas höher, vielleicht gerade kurz vor toxisch sein. Das Mouawadsche Pathos hingegen ist da schon nochmal etwas anderes, da es ja nicht so beschwert ist von der Schleppe deutscher Historie, was es für uns vielleicht auch gerade in Verbindung mit dem Tragödien-Rekurs so irritierend macht. Aber das ist wahrlich ein langer und sehr vieles berührender Diskussionsschwanz, ich werde Ihrem Vorschlag deshalb gerne folgen, und mir die Fronten dazu hier in den Dschungeln bei Gelegenheit einmal zu Gemüte führen; das interessiert mich wirklich sehr.
      Der Rest dann, vermutlich erst zur Nacht, wie gewünscht über Daniello.

  2. Vielen Dank für den Hinweis auf diesen Film! In der Tat war das Kino, wie es auch mir gefällt. Bilder, die selbst auf kleinem Bildschirm noch wirken, genügend Zeit und Raum für die Schauspieler, um ihre Charaktere zu entwickeln.

    Einzig die, wie ich fand, schon Überkonstruiertheit der Geschichte war mir dann doch etwas zuviel und schmälerte die Wirkung ein wenig. Natürlich werden die Kriegswirren gut dargestellt – all das was Menschen Menschen antun – und dass in einem solchen Durcheinander dieses Unwahrscheinliche wahrscheinlich schon vorgekommen sein mag, nun ja – ich fand es nur unnötig, hätte die Geschichte fast noch stärker gefunden, wenn 1+1 auch in diesem Film 2 geblieben wäre, wie es in dem Theaterstück der Fall zu sein scheint. (Das ist aber wohl mein persönlicher Geschmack – dazu fällt mir ein, dass Ödipus mich völlig kalt gelassen hat. Diese Tragödie löste rein gar nichts bei mir aus. Keine Katharsis, nichts.)

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