[Arbeitswohnung. Jörg Birkenkötter, Solo für Violoncello (1986).]
Bin ich wirklich schon erleichtert oder noch irritiert?
Ich erhob mich um zehn nach halb fünf (kurzer Innenkampf aber: „nur noch fünf Minuten“ – „nein!“ sprach nach zweien mein ÜberIch), schlupfte (nicht ‚schlüpfte‘) in die Klamotten von gestern, abgesehen von der schwarzen Jeans; morgens trag ich, wenn es kühl geworden ist und ganz wie früher mein Vater oft am Morgen, schwarzwollene, unterdessen löchrige Leggins, in denen mich niemand sehen sollte, peinlich-peinlich – bei Damenbesuch, ich versichere Sie!, nehm ich von solchen Kauzigkeiten Abstand, auch von der dicke Alpakajacke drüber, die mit der Kapuze für g a n z kalte Tage, weil ich doch auch bei Minusgraden, wie tief sie auch immer im Keller, das Fenster offenstehen habe, weit, jedenfalls oben das ziemlich breite Rechteck, und frühmorgens hab ich den Ofen noch nicht richtig warm (schiebe abends immer einzwei Kohlen ganz nach vorne, so daß sie morgens allenfalls glimmen); dann wird die Pavoni angeschaltet für den ersten Latte macchiato des Tages- – jedenfalls erst mal zum Pinkeln aufs Klo, um dort die Erde zu begrüßen (stehend, das ist man sich schuldig als Mann – nur verschlafnen, die noch gar nicht recht aus den Augen schauen, ja eigentlich weiterhin in der Gebärmutter ihres Schlafes liegen, ist die Nesthockerstellung erlaubt), und da denk ich: ich habe heute wenig Zeit, weil mein Junge und ich am Nachmittag in eine Uraufführung gehen, die allerdings erst am Sonntag stattfindet, für den ich diesen Sonnabend hielt, l a n g e noch hielt, noch, als ich wieder an der Pavoni zurückwar und Espressobohnen in die Mahlmaschine löffelte und sie – jetzt schrieb ich gerne: muhl. Noch als ich das Latte-macchiato-Glas auswusch, das von gestern im Spülbecken stand, noch als ich, da das Wasser noch nicht zischte, zum Schreibtisch ging, um die Laptops hochzufahren, glaubte ich den falschen Tag, ja legte mir schon mein >>>> DTs zurecht. Und erst, als ich nun wirklich hier saß und die Dateien öffnete und zwei von ihnen neu wiederherstellen mußte, weil die Speicherung gestern irgend einen Fehler gemacht, Programmfehler, wahrscheinlich, erst da rieselte mir langsam ins Bewußtsein, daß Sonntag noch nicht war – nicht sein könne, erst. Dann das klare Bewußtsein.
Der fehlende Tag war ein laufendes Motiv im >>>> Wolpertinger gewesen (ist es, logisch!, n o c h), das später in die Zeitschlaufen der Anderswelt-Bücher mutierte. Jetzt habe er mich eingeholt. So sann ich. Bis ich begriff, daß dieser Gedanke (dieses Gefühl) nichts als die Fortsetzung meiner verschobenen Wahrnehmung war und also sich ganz ebenso noch auf der Ebene des Traums befand, von dem er einfach nicht loslassen wollte. Wiederum war das zugleich ein Echo des krausserschen >>>> Ultrachronos, der sich – zufällig? – um >>>> Clint Eastwoods NachTodPhantasien ergänzt hatte, die ich vorm Schlafengehen sah. Was hat mich denn zur Nacht ausgerechnet nach „Hereafter“ greifen lassen? Mit der Löwin, die halb schon schlief, als ich anrief, sprach ich nicht darüber, sagte nur „Ein guter Film“, halb mit schlechtem Gewissen, weil ich auch in die Nacht noch hatte lesen wollen, eigentlich, aber nach zehn Stunden fast unentwegter Lektüre Tapetenwechsel brauchte: das neue Buch, nur als neues Buch, hatte nicht genügend Reiz.
Daran aber – >>>> Thanatos (!) – gehe ich j e t z t.
Guten Morgen.
11.47 Uhr:
[Mahler III. (>>>> Barenboim live).]
Bis S. 112 gekommen, kurz vor dem Mittagsschlaf jetzt. Da ich mich danach aber duschen und rasieren möchte, muß ich eben den anfälligen Abwasch erledigen, damit nachher wieder heißes Wasser aus dem Boiler kommt.
Einiges notiert, wobei Kraussers Stil 1996 durchaus noch nicht die reibungslose Flüssigkeit von „UC“ hat. Hab mich erstmal etwas schwergetan, in Thanatos hineinzukommen. Das kann aber sehr wohl einfach am Buchwechsel liegen; beide Romane sind Welten von je rund 500 Seiten. Außerdem liest sich das Luchterhand-Hardcover viel weniger angenehm als das Rowohlt-Taschenbuch davor, schlägt sich zudem schlechter auf, grobes Papier, seltsam linkischer Satz. Ich wünschte, ich hätte Thanatos ebenfalls als Taschenbuch. Egal. Bis heute abend werde ich auch dieses Buch wenigstens bis zur Hälfte durchhaben. Momentan denke ich, daß ich mir nach Arbeitsschluß >>>> Melancholia ansehen werde.
Meine Barenboim-Mahler-Aufnahme hat soeben die Ordnungsnummer CD656 (a&b) bekommen.
15.02 Uhr:
[Mahler III, ff, VI Misterioso. ]
Wie Barenboim hier das Englischhorn, bzw. die Oboe aufseufzen läßt! Daß ich das vergessen habe! Dazu die ausgesprochen klare Gesangslinie Waltraud Meiers, die immer noch so gut wie ohne Vibrato auskommt. Zum Vergleich liegt meines geliebten John Barbirollis Einspielung der Dritten, mit seinem Hallé Orchestra aus dem Jahr 1969, gleich daneben. Dessen Misterioso will ich ebenfalls hören, und dann beide n o c h einmal, im direkten Vergleich,; aber erst, wenn Barenboims Finale verklungen ist.
Espresso, >>>> Herbst 84. So sitze ich, unterdessen gepflegt, für die zweite Hälfte dieses Lesetages hier, in löwinnenfarbnem Rolli zu löwinnenfarbnem Anzug, der mir allerdings nicht in der Serengeti, sondern in Madgaon geschneidert wurde, wo es gar keine Löwen gibt, jedenfalls gab es sie dort damals nicht, vor zehn Jahren. Seither bin ich in Indien nicht wieder gewesen.
Gut, ich schaffte es gern bis zur von >>>> des Umblätterers Paco so verehrten Seite 311.
15.35 Uhr:
– daß >>>> Krausser aber immer das „um“ weglassen muß, bei „um zu“, ist nervig: in die man Münzen stecken muß, {um} ihr Inneres zu beleuchten.. Dauernd macht er – also unterläßt er – das. (Sie) tat nichts, sich bemerkbar zu machen.
muhl ist definitiv stärker als mahlte.
Erinnert mich an >>> dieses!