Sehnsucht nach Sandra Maischberger. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 30. Juni 2011, mit dem Internationalen Literaturpreis für Michail Schischkin. Darinnen Anmerkungen zu einer Moderatorin und einem noch viel schlechteren Film.

10.57 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Der Arbeitstag begann >>>> so und wird so auch fortgesetzt werden; ob ich zum Sport kommen werde, ist ungewiß. Das Gefissel könnte mich ziemlich aufhalten. Doch vielleicht am Abend.
Ich rauche mal wieder Cigarillos. Zweiter Latte macchiato: am Schreibtisch sitze ich erst (die Staxhörer auf den Ohren) seit acht Uhr.

Es wurde spät gestern abend bei der >>>> Preisverleihung des Internationalen Literaturpreises; nach dem, was ich hörte, eine sehr berechtige Wahl. Jedenfalls werde ich dieses Buch unbedingt lesen.
Die Familie war beisammen, zerstritten lächelte man sich auf das freundlichste an; dazwischen der Wolf im schwarzen Schafspelz, ich. Aber einige sind mir ja wirklich gewogen; das färbt den Pelz aber nur noch schwärzer ein, wenn andere, die’s nicht sind, das sehen. Vor allem, immer wieder, diese ‚Sache’ mit den Frauen. Einvernehmlich fast, schien’s, die Honneurs, die man der Moderatorin machte, um ihrer Macht willen? ich weiß es nicht – was für eine Macht soll das schon sein, wenn eine Moderatorin im Fernsehen ist? So benahm sie sich auch. Etwa zu Ulrich Matthes: „Das stimmt doch, Ulli?” Der, schon geödet: „Was hat das hier zu suchen?” Er habe, wollte Frau Hüpfinsfeld dem Publikum erzählen, alle drei Stig-Larsson-Bücher für eine Hörbuchcassette eingesprochen. „Neun Stunden!” riefstaunte das Hüpferl laut. Wohlgemerkt: es saßen Intellektuelle vor ihr, das war nicht Mutterns Küche. Aber bei denen, den Intellektuellen, hat Sulke mal zu recht gesungen, tanzen die Forellen im hausgemachten Apfelmus ja genauso und vielleicht sogar wilder.
Doch solche Frauen, die sich als Groupiegirls inszenieren, weil das beim Volk gut ankommt, pressiert das nicht, sie machen einfach weiter und kriegen ihren Ruhm dafür. Vielleicht sind ja Fernsehgucker wirklich so, daß sie das brauchen. Aber gestern abend waren Fernsehgucker doch nicht da, hätt ich gedacht. Da lag ich aber wohl was falsch! Denn alle waren es zufrieden, daß sie sich was zugute hielt darauf, die Oscar-Preisverleihung zu kennen und das Wort „Kategorien” fehlerfrei sprechen zu können.
Meine Güte, dachte ich, gibt es denn nicht kluge, schöne, gebildete Frauen mit angemessenen Umgangsformen, die man statt dieser Ichweißnichwas hätte einladen können für die Moderation? Selbstverständlich gibt es die. >>>> Frau Maischberger etwa. Die hätte da kein Sterngegicker verhopsvorgestaltet und ihre Zahnpasta gezeigt, da wäre Stil gewesen und, vor allem, Sachkenntnis. So daß ihre Fragen wären von Sinn geedelt worden.
Aber es kam schlimmer. Es kommt immer noch schlimmer, wenn es darum geht, Niveaus zu unterbieten. Nämlich hatte die Deutsche Welle über den Preisträger und seinen Übersetzer ein Filmchen gedrehtchen. Und dieses gedrehtchenche Filmchen ließ man am Ende der Veranstaltung laufen. Also hätt ich an der Stelle Schischkins gesessen, ich hätt das keine Sekunde länger getan, sondern wäre rausgegangen. Eine suggestive Kameraführung, die einem das Buch zeigt, das, wie das ja tagtäglich vorkommt, allein auf einem Parkweg steht, umweht von wehenden Blättern, und da schreitet dann der Dichter und so, und den Übersetzer sieht man in einem verwilderten Garten sitzen und schreiben, und wenn das Buch Parallelen zu antiken Kriegen zieht, kriegen wir, na was wohl?, antike Bilder kurz zu sehen und so, und so wird dann auch gesprochen im Filmchen, so süßlich nach Kenntnis des Klappentextes und selbst den allenfalls drittels verstanden. Dazu ein streichelndes Klassikgeschnulze, das mit dem Buch nicht sehr viel zu tun hat; wahrscheinlich gar nichts. Ich hab nur gedacht, gleich kommt mir die Kotze. Schon die Moderatorin war der pure Pop, aber der Film dann… – kurz: seelische Körperverletzung.
Die Laudatio Lothar Müllers war klar und prägnant; man konnte sich zwischenerholen (da war dieser Film noch nicht zu befürchten). Vorher sprach Hanns Zischler eine Festrede irgendwie auf sich selbst, aber bekam den Bogen zu Schischkin noch hin; ist halt ein Profi, der Mann, auch wenn er ichtelt. Dann führten das Groupie, es war aber schon in den Jahren, ein lauschiges Gesprächchen mit zwei der Juroren („Wie macht man das, so viel zu lesen?”), dann zerrte man den Stifter des Preises, der ganz offensichtlich seine Öffentlichkeit gar nicht wollte, mit auf die Bühne, weil ja die Preise übergeben werden mußten, irgendwie; er stand da wie ein Junge, der sich schämt, weil er den Milchtopf umgeworfen hat. Dann sprachen, beide sehr sympathisch, Dichter und Übersetzer, dann kam leider das Hüpferl zurück.
Nachdem der Film erlitten war, strömten wir hinaus auf die Dachterrasse zu dem Empfang mit einem Sekt, der seine Süßlichkeit paradox durch Wärme intervenierte. Ich switchte zu Rotwein, um künftigem Kopfschmerz zu wehren. Das Hüpferl hüpfte da und dort und nahm Avancen entgegen, ganz in die neuen Kleider des Kaisers gehüllt ließ sie den Kleidern applaudieren. Man applaudierte auch brav, immer ein bißchen vorgebeugt mit dem Kratzfuß tief in der Seele: Vielleicht darf man ja auch mal was in Aspekte…
Das alles ließ sich nur ertragen, weil >>>> dieses Haus grandios ist. Ich schrieb es schon mal, aber wiederhole es gern: Ich liebe diese Architektur, ich liebe die Lage des Hauses, die Freizügigkeit seiner Anlage, die freien Treppen und Ebenen und auch den nüchternen großen, klaren Saal. Darinnen der Pop um so mehr schmerzt.

Aber jetzt >>>> weiter mit dem Hörstück.

22.49 Uhr:
Jetzt >>>> das Hörstück auch als mp3 abgehört. Ja, es funktioniert. Ein paar wenige Dynamikkorrekturen sind noch vorzunehmen, eventuell; daran werde ich aber erst nach dem endgültigen Okay der Redakteurin gehen. Ja. Ich bin zufrieden. So, wie sich die einhundertfünfzehn Stimmen bisweilen aus der Musik erheben, sich aus ihr entwickeln, und wie sich die Musik aus ihnen entwickelt – das hatte ich mir so vorgestellt, als ich mit dieser Arbeit begann. Interessanterweise ist das, was mir erst wie ein Hindernis vorkam – die Geräuschlastigkeit der Verkehrs usw. -, nun geradezu zu einer Stärke geworden. Was allerdings n i c h t funktionieren wird, ist, dieses Ding nebenbei zu hören… nein, man muß sich darauf konzentrieren wie auf einen Spielfilm im Kino. Und darum geht es mir ja auch. Wobei es nun de facto keine Rolle mehr spielt, ob man, wie ich, eine High-End-Anlage hat oder nicht. Um zu verstehen, braucht es nicht mehr nun als den Willen zu verstehen.

Zwischenzeitlich einen Film geguckt, um Abstand zu gewinnen. Es sieht chaotisch hier bei mir aus. Ich werde einen Tag des Ordnens und Wegräumens und Putzens einlegen müssen. Um wieder Struktur zu schaffen, damit das nächste angegangen werden kann.

4 thoughts on “Sehnsucht nach Sandra Maischberger. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 30. Juni 2011, mit dem Internationalen Literaturpreis für Michail Schischkin. Darinnen Anmerkungen zu einer Moderatorin und einem noch viel schlechteren Film.

  1. Zuviel Niveau Der entscheidende Beitrag kam meiner Meinung nach vom belorbeerten Schriftsteller, der sich ratlos fragte (und diese Frage an das Publikum weiterreichte), weshalb denn sein Buch “Venushaar” solange mit dem Hinweis, das Niveau sei für deutsche Leser zu hoch, abgelehnt wurde, bis dann die DVA sich erbarmte. In Russland wäre ihm das nicht passiert, es wäre also eine ganz eigenartige Erfahrung gewesen, dass deutsche Verlage offensichtlich ihre Leser für zu dumm halten, das Buch zu lesen.
    Da hat der Mann durchaus recht. Allerdings geht es um Marktanteile, jedenfalls für viele Verlage. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die Damen (es sind ja alles Frauen), die bei dem Verlag dessen Angestellter ich bin, ein Buch ablehnen würden, weil es zu gut ist.
    Im Übrigen darf man auch nicht vergessen, dass der Markt für gedruckte Bücher (also alles was man hier in gedruckter Buchform in Schland kaufen kann) einen Gesamtumsatz hat, der dem Umsatz eines mittelgroßen Maschinenbauunternehmens entspricht. Und weil sowieso niemand als Verleger mit Büchern reich werden kann, erscheint es mir geradezu karnevalistisch zu sein, die verlegerische monetäre Armut mit schlechten Büchern beheben zu wollen.
    Würde nicht auch ein Warnhinweis helfen: ACHTUNG DIESES BUCH ENTHÄLT NIVEAU?

    1. Für weniger dumme Leser gibt es ja die gut abgehangenen Bücher aus den “alten Zeiten”, von denen ja nicht wenige literarisch recht deutlich über dem heutigen Niveau sind, wie mir scheinen will. Ich hoffe, ich habe unrecht, also in bezug auf das heutige Niveau. Schlimm ist es allerdings, wenn solch eine Haltung deutscher Verlage als Schere in die Köpfe der Schriftsteller gerät, wenn ein Schreiber nicht nach eigener Maßgabe schreibt, sondern nach der gesetzten Norm. Vielleicht sollte man tatsächlich einen Hinweis zur Pflicht machen, so ein Sternchensystem böte sich wohl an. Oder eine Ampel, von ungenießbar bis genießbar, rot, gelb und grün.

    2. @Sukov, Schlinkert und sowieso (fast) alle. Jedenfalls auch für Olaf Petersenn, weil er sich dann hier bei Google findet. Diesen Ablehnungsgrund, von dem Schischkin gestern abend sprach (er scheint eine Odyssee durch die deutschen Verlage hinter sich zu haben), kenne auch ich: >>>> sein Autor heißt Petersenn, der Lektor bei Kiepenheuer & Witsch ist (ein Verlag, der dennoch DeLillo verlegt, aber wohl deshalb, weil der US-Amerikaner ist). – Menschen, wenn es schon Götter nicht gibt: Schützt uns vor den Poppern.

    3. So eine Petersennsche Ablehnung ist wohl das, was man ein vergiftetes Lob nennt. Aber wenn er nun mal nicht begeistert ist, was soll er machen, dann kann natürlich auch kein anderer begeistert sein, schon garnicht ein Leser. Wo kämen wir da hin!

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