Bamberger Elegien: der letzte Lauf. Mit Neil Jordans Ondine, also von Selkies und den Meeren von Meere. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 8. Januar 2011.

8.31 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Seit sechs Uhr am Ausdruck der Elegien. Ich lese mir jetzt laut vor. Es finden sich immer wieder noch Feinheiten, wo’s hakt. Mit Bleistift schreib ich die Korrekturen ins Skript. Wichtig war heute früh vor allem, daß ich bis zur Vierten Elegie inkl vordrang, weil sich >>>> parallalie diesen Text zur Übersetzung ausgesucht hat; er ist, verglichen mit den anderen Elegien, relativ überschaubar. Es muß ja auch schnell gehen, weil die Veranstaltung in Toulouse bereits Ende März stattfinden wird; das setzt auch meinen Übersetzer >>>> Prunier unter Druck, der fürs Französische nachdichtet.
Dann eben die Löwin angerufen, die aus Wien nun wieder zurück ist. Wegen der Serengeti. Sie braucht einfach anderthalb Tage daheim, um für den Flug nach Nairobi auch bereit zu sein. Zumal ich ja schon wieder am Mittwoch zurückfliegen muß, via Rheinmain, um rechtzeitig im Heidelberger Seminar zu sein. Donnerstags sehr früh dann wieder nach Berlin und mit voller Kraft, da dann die Elegien bereits im Satz sind, an Die Fenster von Sainte Chapelle. „Mit voller Kraft” heißt: nachmittags. Vormittags wird der Jungenroman weiter- und, kann ich seit gestern beruhigt sagen, zuendegeschrieben, damit UF pünktlich zum Februar sein Lektorat anfangen und ich das Buch zum März, ebenfalls pünktlich, abgeben kann. Schon im Februar wird’s an die ZurBuchÜberarbeitung der Blogtheorie gehen, im März bereits ans nächste Hörstück. Wobei ich für Zwischendrin noch die Augen-OP plane. Ab März dann endlich wieder ARGO. Weil ich jedenfalls heute den Papierausdruck der Bamberger Elegien in einem Rutsch lesen und durcharbeiten will, wird der Jungenroman einen Tag lang ruhen, wahrscheinlich. Ich will auch gerne erst abwarten, was die Kinder sagen. Daß sie gestern allerdings über den ganzen Abend bis zum Schlafengehen die 63 Seiten schon geschafft haben, kann ich mir nur schwer vorstellen. Falls ja, spräche das entschieden f ü r das Buch. Ich selbst war gestern abend vom am-Fluß-Durchschreiben ziemlich müde. Aber sah dann einen wahsinnig schönen Film, nämlich >>>> Ondine von Neil Jordan, den ich von „Zeit der Wölfe” noch innig in der Einnerung habe, und d e r Film liegt ja nun zwanzig Jahre zurück. Zwischendurch drehte er etwas, das mich nicht überzeugte, nicht berührte. Aber jetzt, diese Undine, ist von einer enorm melancholischen Kraft und Schönheit – besonders weil der ausgesprochen realistische Schluß des Films das Happy end erlaubt und nicht etwa die Mythik, mit der die ganze Zeit vorher poetisch gespielt wurde. Wie dicht die Fabel tatsächlich gewoben ist, wird einem sogar erst im Nachhinein klar: wie sehr die Welt des kranken Kindes, das beteiligt ist, die Geschichte überhaupt erst möglich macht. Aber aus dieses kleinen Mädchens Fiktionskraft heraus wird auch der Realismus des Films erst möglich, und sogar die Heilung des Kindes beruht auf ihr. Bitte, sehen Sie sich dieses von Trauer und Glück gesättigte Zauberwerk an!

Dann rief, es war schon nach eins, so daß das einige Unverschämtheit hatte, >>>> Vergil an. Er mache sich Sorgen um mich, was bedeute, daß er sie sich um meinen Körper mache. „Sie haben seit zwei Monaten quasi nur gearbeitet, und seit nahezu einem können Sie keinen Sex mehr gehabt haben. Es wird Zeit, daß Sie das ändern. Jemand wie Sie wird sonst krank.” Vielleicht hat ihm die Samarkandin, die ja bisweilen vor ihm tanzt, gesteckt, daß ich auch nahe Rendezvouz’ arbeitshalber rigoros abgesagt hatte; ich habe ja sogar ein Treffen mit Olga abgesagt, >>>> Aléa Toriks reizestvoller Mitbewohnerin, die sich endlich bereitfand, sich mit mir zu treffen, ohne daß Anstandswauwis dabeisind – „herabließ” müßte ich schreiben. Indes ich von Aléa mit guten Gründen die Finger lasse. Aber nun ließ ich sie eben auch von Olga, obwohl mir Aléa angedeutet hat, ihre Freundin lebe nicht mehr lange. Erklären wollte sie ihre kryptisch-düstere Ankündigung aber nicht, auch nicht, als ich ihr erzählte, daß ich auch über sie, Aléa, ein Hörstück schreiben und es für den WDR inszenieren werde. So ist das jedenfalls geplant, braucht allerdings noch das Okay der Programmkonferenz. Ausstrahlung wäre im September, pünktlich zum Erscheinen ihres ersten Romans.
Und jetzt aber Vergil, nachts, nicht ungehässig in seiner tiefstimmigen Lässigkeit. „Es gibt da ein Haus am Lande… An einem See… Es gibt da Nixen.” Wobei mir erst jetzt, da ich dies schreibe, auffällt, daß Vergils Anruf doch ganz offenbar mit Neil Jordans poetischem Film zusammenhängt, von dem Vergil aber doch nicht wissen konnte, daß ich ihn soeben grad gesehen hatte. Drin sagt Ondine, erinner ich mich, den Satz: „Wenn man mit einer Seejungfrau schläft, wird man sie nie wieder los.” Was aber zur zweiten Hälfte ein Satz aus >>>> „Meere” ist. Nicht zu fassen, übrigens, was da plötzlich wieder auftaucht; besser, ich kontrolliere das nicht. Außerdem ist Jordans Traumgeschöpf eine Selkie und eben k e i n e Seejungfrau. Überhaupt haben mich Jungfrauen nie gereizt, aber das „See” an ihnen hat es. Das hat nie aufgehört, lieber >>>> Aikmaier.

Weiter jetzt. Fünfte Elegie.

23.12 Uhr:
Fertig geworden mit allen Elegien, sogar die Korrekturen bereits in die Datei übertragen. Morgen geht sie an den Verlag für den Satz. Dafür aber, wie vorausgesehen, mit dem Jungenroman pausiert, den aber UF nun schon gegenlas, also die Hälfte. Er scheint mehr als zufrieden zu sein. Was mich aber besonders gefreut hat, ist, daß auch die Kinder, tatsächlich, alles schon gelesen haben und bis auf ein paar wenige Einwände („Mehr wörtliche Rede bitte…”) unbedingt wissen wollen, wie’s weitergeht.
Zwischendurch noch einmal drüben, für drei Stunden, am Terrarium gewesen und, während ich auf die Zwillingskindlein achtgab, dort weitergearbeitet, damit mein Junge und seine Mama ins Kino gehen konnten. Jetzt bin ich, hier, ein wenig abgeschlafft. Habe aber wohl auch genügend getan. Morgen geht es mit dem Jungenroman weiter, irgendwann tags kommen die Kinder, um das, was sie kennen davon, mit mir durchzusprechen.

10 thoughts on “Bamberger Elegien: der letzte Lauf. Mit Neil Jordans Ondine, also von Selkies und den Meeren von Meere. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 8. Januar 2011.

  1. Dass du etwas über mich, Alban, inszenieren möchtest, gefällt mir sehr gut.

    Wenn es dazu kommen sollte, was ich sehr hoffe, möchte ich etwas zur Musik beitragen, die mal verhalten, mal gemächlich und dann wieder wild und ungestüm sein muss. So wie wir Rumänen eben sind. Wenn wir lieben, dann mit aller Kraft und wenn wir es nicht tun, dann halten wir das ebenso, kraftvoll und leise und traurig und mit Leidenschaft. Das muss die Musik ausdrücken.

    Ich eigne mich durchaus zu Inszenierungen. Natürlich nicht ganz so gut wie Olga, die in der eigenen Inszenierung mitunter vollkommen aufgeht. Aufgeht, nicht untergeht. Olga und ich werden ewig leben. Oder sagen wir, eine Zeitspanne lang, die der Ewigkeit am nächsten liegt, mindestens noch bis übernächsten Herbst. Dann springen wir, Hand in Hand, in einen Vulkan. Und wenn wir nicht zusammen springen, dann stoße ich sie hinein. Unten, am Bodensatz, nächst dem Zentrum des Planeten, machen wir eine Party, Zutritt nur für ganz spezielle Gäste aus den äußeren Schichten des Erdballs. Eine Einladung ist dir sicher. Dann bringst du bitte die Löwin mit, die ja, wenn ich das so formulieren darf, durchaus nicht im Verdacht steht, als Anstandsdame gelten zu müssen.

    Jetzt bin ich also siebenundzwanzig und habe heute Morgen zum ersten Mal einen Menschen getroffen, der den Beruf des Lektors ausübt, meinen eigenen Lektor nämlich. Das war sehr schön, anders als ich befürchtet hatte. Das ist ein Mann, der vor allem eins will: verstehen, was ich will. Und der dann, indem er dasselbe will, mich dazu bringt, es noch intensiver zu wollen. Ich rede von Texten, nicht von Sex. Aber soweit sind die ja auch gar nicht voneinander entfernt. Ich würde niemals Lektorin sein können, weil ich mich nie so sehr dem Willen eines anderen unterwerfen könnte. Und dennoch unterwirft er, der Lektor, sich nicht meinem Willen. Eher unterwerfen wir uns beide einem gemeinsamen Ziel. Ein Ziel, das es zuvor nicht gegeben hat. Es entsteht, indem beide gemeinsam daran arbeiten. Wir haben ein Kapitel gemeinsam durchgearbeitet, um zu schauen, ob wir dieselben Phantasien haben, was Worte angeht, Straffungen und Ziele. Es produziert ein gutes Textgefühl, mit einem anderen, einem Profi, die Zeilen durchzuarbeiten und zu optimieren. Meistens haben wir ein Wort herausnehmen oder den Satz ein wenig umstellen müssen. Es macht ein durchaus noch besseres Gefühl, wenn der Mann neben einem nuschelt, „seht gut, sehr gut“, und wenn er etwas nicht angemessen findet, nehm ich‘s meist recht gelassen.

    Und so, gelassen nämlich, grüßt aus einer anderen Ecke des Prenzlauer Bergs
    Frau Torik

    1. Ein Hörstück über Aléa Torik! Vom Rand eines Vulkans aus! Da bin ich doch sehr dafür, daß das zustande kommt. Immer nur Verhörstückisierungen von Romanen, das wird langweilig, entweder weil man den Roman schon kennt oder weil man ihn nicht kennt. Hörstücke und Features (oder wie immer man das nennen mag) sind dann natürlich näher dran am Leben, weil es um etwas Originales geht, etwa um den ersten, vielversprechenden Roman einer Autorin samt des ganzen Drumherums.

  2. Wir sitzen hier und lachen über den Vulkan und Aléa schreibt dabei an ihrem Roman, aber ich mag den zweiten lieber, weil ich darin mitspiele und weil Ausgangspunkt bin. Ich habe in einem Film mitgespielt „Olgas Eyes“ und Aléa hat davon die erste Idee zu dem Roman bekommen, Aléas Ich. Jetzt sitzen wir in der Küche und lachen. Wie war das mit dem Vulkan?

  3. ondines, oui, das geht mir, lieber anh, ganz genauso. sonst würde ich den flüchtigen wesen wohl kaum nach-lesen und nach-schreiben…

    vielen dank übrigens für den hinweis auf den film, den ihc bislang nur dem namen nach kannte, jetzt aber forcieren werde.

    1. @ anh. das wäre sehr nett. unterdessen habe ich auch ein paket für Sie entgegengenommen. wir können dann ein tauschgeschäft arrangieren…

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