Raffaelas Füße. Die Fenster von Sainte Chapelle. Aus der Überarbeitung fürs Buch (3). Les secrets de Paris (14).

[>>>> „Original”text , im Link 7.33 Uhr.]

Die Algerierin stand schon im Gang, wie wenn sie mich erwartet hätte.
„Du lait?” fragte sie und lachte. Immer noch hatte sie diese gräßlichen Schuhe an. Man konnte sie keimfrei nennen. Strümpfe trug die Algerierin nicht.
„Volontiers. Mais seulement, si vous allez pieds nus.”
Sie stutzte keinen Moment, sah mich auf eine halb ironische, halb schelmische Weise herausfordernd an. Dann streifte sie, ohne sich zu bücken, ihre Schuhe ab, nämlich indem sie je die Ferse zur Hand hob, wobei sie mich ohne Unterlaß ansah. Sie trug keine Strümpfe. Die Schuhe bumsten hohl auf den Läufer.
„Mieux ainsi?”
Und bückte sich, nein, ging kurz in die Hocke, nahm ihre beiden Schuhe auf, streckte sich wieder, öffnete eines der Fenster, die den Zimmertüren gegenüber den schmalen Gang hinaufspalieren.
„Est-ce que je dois?” Damit warf sie die Schuhe hinaus, lachte auf und rief, wobei sie unvermittelt davonlief: „Point de vue ici!”
Da war ich sprachlos. Aber das war noch nicht alles. Keine fünf Minuten später war die junge Frau zurück. Auf dem Tablettchen reichte sie mir die heiße Milch, die aus der silberblitzenen Kanne dampfte, und lächelte. Die Beine waren bis übers Knie vom Kleid bespielt, die schmalen Unterschenkel des Geschöpfs aus Bronze. Es hatte wunderschöne Füße. Ihre Zimmermädchenschürze hatte die Algerierin unten abgestreift und dortgelassen. Ich weiß aber nicht eigentlich, was ich mit „unten” meine.
Wie sie heiße, fragte ich endlich.
„Raffaela.”
Lachte abermals keck. Flog durch das Fenster davon.

Ich stehe da, das Tablett in der Hand, die Blechkanne mit der dampfenden Milch darauf. Geschäumte Milch und ein Engel. Durchs offene Fenster hörte man Kinder und den Verkehr.
Erst allmählich machte ich kehrt. Es warn nur zweidrei Schritte ins Zimmer. Doch ich war wie betäubt. Auf den Dielen lag eine Löwinnenhelix aus Nylons und Slip. Die Geliebte war wieder eingeschlafen. Ich werde ihr dennoch den Kaffee bereiten. Dann aber Ihnen schreiben,



WAS AM FREITAG ABEND GESCHAH


>>>> Les secrets de Paris 15
Les secrets de Paris 13 <<<<

7 thoughts on “Raffaelas Füße. Die Fenster von Sainte Chapelle. Aus der Überarbeitung fürs Buch (3). Les secrets de Paris (14).

  1. Durch das offene Fenster Kinderstimmen und Verkehrslärm. Hörte er nicht seine Stimme? “Pa – Pa.” Er zuckte zusammen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. “Unterrichtausfall, verdammt.” Er hörte ihn polternd und unbekümmert die Treppe heraufstürmen und versuchte hastig ihre rot-weiß geringelten Socken und ihren verdrehten Schlüpfer mit der Fußspitze unter den Beistelltisch zu bugsieren. Zu spät. Adrian riß die Tür auf, in den Händen diese gräßlichen Schuhe der Algerierin. Einen kurzen langen Augenblick betrachtete der Junge seinen linken Fuß, am verwachsenen Großzeh hing dieser fleckige Damenschlüpfer. “Adrian?” Wortlos schoß der Junge an ihm vorbei, warf die Schuhe mit Schwung auf das Vulkanlager und öffnete die Badezimmertür …

    1. Halten Sie das ernstlich. Für eine angemessene Näherung an diesen Text? Oder trauern Sie, weil Sie kein Kind haben, und müssen das in Destruktionen sublimieren? So klingt das nämlich, wenn Sie ein Kind auftreten lassen. Fremd. Uneingeweiht. Unerlebt. – Aber von wessen rotweiß geringelten Socken erzählen Sie, von welchem fleckigen Damenschlüpfer? Allein das Wort “Schlüpfer” disqualifiziert sie als Erzählerin oder – wie ich wieder einmal annehmen muß – Erzähler dieser Szene. Zumal “verdreht” ja nun gar nicht geht. Hübsch ist freilich die Idee, der Junge habe die Schuhe in der Hand; daraus, in der Tat, läßt sich etwas machen. In >>>> ARGO finden Sie solche Stellen und in >>>> THETIS; auch Buñuel hat mit dergleichen gearbeitet, das man bildlich ebenso bei Marx Ernst wie später bei Ror Wolf findet. Und anderen, selbstverständlich. Wir arbeiten alle in einem Strom. Sie aber stehen, leider, am Ufer und werfen Klümpchen von Modder hinein. Weshalb? Es täte auch Ihnen gut, teilzuhaben. Und fruchtbar zu sein.

    2. Nahezu jedes Detail. In meinen Erzählungen hat existiert oder existiert noch immer. Ich bin ein realistischer Dichter: das hab ich oft genug betont. Man w i l l es nur nicht glauben. Und wenn man’s doch mal glaubte, dann wurde ich verklagt.

      Ich habe ganze Notizbücher voll von Beobachtungen und enorme Dateien voll mit ihren Belegen, und Ordner. S o gesehen, archiviere auch ich.

    3. Nahezu jedes Detail. Verrät eine geradezu (von Flaubert) beseelte Beschreibungsleidenschaft. Stand die Algerierin, der er mit offener Menschlichkeit entgegentrat, ohne jede koloniale Attitüde – wie das häufiger zu lesen ist, wenn emphatisch Kulturschaffende auf Menschen mit Migrationshintergrund treffen, mit einem “Tablettchen” in der Tür,

      (“Auf dem Tablettchen reichte sie mir die heiße Milch, die aus der silberblitzenen Kanne dampfte, und lächelte.”)

      wird es in seiner Hand ein “Tablett”.

      (“Ich stehe da, das Tablett in der Hand, die Blechkanne mit der dampfenden Milch darauf. Geschäumte Milch und ein Engel.”)

      Ich spüre förmlich die Könnerschaft verspielter Metamorphosen. Sie, die Zierliche, die Bronzefarbene, er, der Zupackende, der in der “silberblitzenene Kanne” nur die “Blechkanne” sieht, er, in dessen Hand die “heiße Milch” zur “dampfenden” wird, sie, die Lächelnde, er, der einfach Dastehende, dessen Manneskraft die heiße Milch nicht nur zum Dampfen, sondern gar zum Schäumen bringt, er, der präzis Beobachtende, der ein einfaches Zimmermädchen mit Migrationshintergrund zum “Engel” werden läßt.

      Ich lese und staune immer wieder. Lassen Sie Ihre Notizbücher sprechen. Ihre Edith

    4. @Edith88. Sie haben – kurz gesagt – einen — Knall. Einen der dummen Gehässigkeit. “Migrationshintergrund”, ich darf wohl mal wiehern. Wieso sieht er “nur” die Blechkanne im silbernen Blitzen? Was hat die heiße Milch mit seiner Manneskraft zu tun, um die Sie ihn vielleicht aber, da brach in der Möse seit Jahren, beneiden? Daß das mit dem Engel seinen Grund hat, wissen Sie längst aus den Entwürfen der Erzählung; sich darüber nun zu mokieren, ist unredlich, – ganz abgesehen davon, daß der Engel bereits deutlich gestrichen wurde.Wie man ja sieht. Doch so sind Sie halt: Gehässig, ein bißchen dumm vor Dreistheit, und in jedem Fall böszitronig vor Neid. Vor allem aber, nach wie vor: anonym. Schon deshalb reicht Ihr angeschleimter Ton, liebe Edith, nicht einmal fürs Kabarett. Ich aber sage: Und sie dreht sich d o c h! (Meine Bücher erscheinen, ob Sie das wollen oder nicht. Wenn Sie mir zwanzig Euro schicken, send ich Ihnen eines zu.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .