Lava verstehen. Isang Yun hören. Arbeitsnotat als Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 9. Februar 2017. Zum Übersetzen. Zum politischen Widerstand.


[Arbeitswohnung, 8.32 Uhr
Yun, Zweites Violinkonzert]

Beobachtung zu >>>> Helmut Schulzes und meinen >>>> Nachdichtungen der frühen Joyce-Gedichte: Wir werden deutlich „freier“ in unseren Interpretationen, lösen uns zunehmend – bei aller strikten Beachtung sei‘s der Reimschemen (ich), sei‘s der Silbigkeit (er) – von des jungen Joyces doch ziemlich pubertären Blumigkeit; das führt zu sagen wir liebevollem >>>> Spott, der zugleich das ernsthafte Gefühl des jungen Mannes nicht entehrt, ihm aber stilistisch einen „erwachseneren“ Klang gibt. Freilich erfordert das hie und da eine gewisse Frechheit, die sich unter anderem in den Vergleichen findet, die wir Joyce unterschieben. Das ist nicht schlimm, nicht einmal bedenklich, weil das Buch, wenn es im kommenden Herbst erscheinen wird, zuallererst ja die originalen Texte druckt und die englische Sprache zumindest in ihren Grundzügen als bekannt unterdessen vorausgesetzt werden kann. Ja sozusagen ist unsere Interpretationsfreiheit nun sogar Pflicht, weil Übertragungen, denen sie fehlt, geradezu redundant wären.

Der Contessaroman dreht sich momentan (noch) in seinem Bisherigen selbst: Von meiner Auftraggeberin gewünschte Änderungen haben mich alles noch einmal überarbeiten lassen. Auf Buchseiten hochgerechnet, lagen bereits an die 200/250 Seiten vor. So bedeuten die Änderungen für den Roman-insgesamt, daß seine Entstehung zweidrei Monate länger brauchen wird als geplant. Ich schätze, daß er in Erster Fassung Ende Mai bis Mitte Juni vorliegen wird – vorausgesetzt, daß nicht noch weitere grundlegende Änderungen kommen. (Welche es waren, darf ich hier freilich abermals nicht schreiben.)

Immer wieder suche ich nebenbei nach zeitgenössischen Komponisten, die das sinfonische Erbe angetreten haben. Das, was die Konzertsäle füllt, lag ja quasi brach, bzw. stagnierte im hörenden Historismus; die dissonante Abstraktheit etwa der >>>> Darmstädter Schule ließ das Publikum allein, befremdete es und stieß es ab. Von Musik wird eben auch und besonders die Vermittlung von Gefühl (womit wir mal wieder beim >>>> Pathos wären) erwartet, und zwar mit Recht: Emotionalität. Jetzt habe ich, nach >>>> Pettersson, Isang Yun für mich entdeckt, nachdem mich vorher schon >>>> Eötvös ergriffen hat. Seine – dessen – >>>> Violinkonzerte sind hinreißend, ebenso ist es die Fünfte Sinfonie:




Die großen Musikkonzerne haben das Problem übrigens langsam erkannt – der „klassische“ „Klassik“markt um Beethoven und Co hat sich quasi ausverkauft – und hypen jetzt Komponisten, die aber direkt an die vorletzte Jahrhundertwende anknüpfen und jegliche Modernität seither negieren, bzw. sich am Pop orientieren. Das führt zu einer überkitschten, völlig verquasten sinfonischen Musik, die gleichwohl das Bedürfnis des Publikums erfüllt, bzw. erfüllen soll. Darüber müßte man nicht schreiben, würde so nicht gleichsam rückwirkend der nicht selten widerständige Impuls der „alten“ Kompositionen zugunsten eines Entertainments (damals erst des Adels, dann des Bürgertums) negiert. Ein Kandidat für so etwas ist zum Beispiel >>>> Christian Jost, aber auch >>>> Schiller, wie zum Beispiel fast insgesamt die von dem bezeichnenderweise „Berlin Classics“ (ich meine Classics) genannten Vertrieb herausgegebene Reihe „Neue Meister“ für einen Kniefall vorm Markt steht, jedenfalls soweit „neue“ Komponisten dort vorgestellt werden. Schon sie bei ihrer Vorstellung als Meister zu attributieren, zeigt den beabsichtigten Schein- und Täuschungscharakter. >>>> Dort habe ich darüber schon einmal geschrieben. Gegen so etwas war Yun nun wirklich ein Meister.

Die Entwicklung ist eine politische. Sie entspricht haarfein der gesellschaftlichen Regression, bzw. Neuen Restauration, die wir zur Zeit erleben – nur daß sie, anders als es die Anfangsjahre des 19. Jahrhunderts waren, nur bedingt eine „von oben“ ist; vielmehr macht sie das freilich nach wie vor gelenkte Volk – dem als Quote gefaßten – zum Handlungsträger. Das nennt sich dann Demokratie – was sowohl stimmt als auch nicht stimmt. Der Handlungsschlüssel hier ist verweigerte, bzw. abgeschaffte Bildung, der Umbau der Universitäten in Wirtschaftsunternehmen, die manipulative Schaffung gesellschaftlicher Konsense (Rauchverbot, „political correctness“ etc) und das Brot & Spiele des Mainstream-Pops; ebenso gehört das internalisierte Gewaltverbot dazu, das aus Demonstrationen soziale Wohlfühlparties Gleichgesinnter macht. Und daß wesentliche Werte der Humanität auch an den Universitäten unterdessen relativiert werden: Die Menschenrechte seien „eurozentristisch“. So erzählte es mir eine Freundin, die studiert. Auf Klardeutsch: In anderen Kulturen sei der Menschenhandel ebenso legitim wie die Steinigung von Frauen. Das hätten wir zu akzeptieren.
Übrigens gehört auch die Neue deutsche „Recht“schreibung dazu.

Daß Problem ist, daß, wer heute im Widerstand steht – etwa gegen CETA, gegen die Abschiebung Geflüchteter, gegen die AfD usw -, auf der kulturellen Seite genau die Mächte füttert, die er auf dieser bekämpft. Es ist dies eine um so perfidere Dynamik, als sie jede und jeden, die und der klarsieht, noch immer hilfloser macht. Wir sind wieder Geworfene in einer Neuen Dialektik der Aufklärung.

Weiter mit dem Ghostroman.

ANH

(„Lava verstehen“: Es hat etwas von sinnlicher Erkenntnis. Wenn ich die Asche aus dem Kohleofen leere. Wenn sie noch heiß ist. Sie ist dann nahezu flüssig. Jedesmal seh ich es mit Erstaunen an, und mit höchst ambivalenter Faszination. Was wir nur „wissen“, wird zu Erfahrung. Jede andere Form von Heizung verwehrt sie uns. Entfremdung. Man muß sie Verabstrahierung nennen. Schon dies ein Schritt )

8 thoughts on “Lava verstehen. Isang Yun hören. Arbeitsnotat als Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 9. Februar 2017. Zum Übersetzen. Zum politischen Widerstand.

  1. verunglimpfen sie nur weiter so einen lachenmann oder boulez ( die klangmaler des gefühls ) usw. anhand eines massenpublikums als hochgradig(st)er individualist …
    und einer “darmstädter schule ” “” “””

    ich hab mich schon genug über so einen altrväterlichen duktus erregt, ähem, aufgeregt : abregen lassen, ähem :

    costa cordialmente in corpoe sana, o et filii

  2. uind bevor sie lange in selbstschmeichlerischen worten und worttönen antworten : einfach fresse zuklappen und vielleicht endlich mal weiterdenken.

    es ist noch luft da oben.

    neben

    der verblendeten masse.

    1. @elderfreak: Wo bitte habe ich Boulez oder gar Lachenmann je verunglimpft? Ich schätze Lachenmann. Vielmehr habe ich von Problemen gesprochen, die etwa die sog. Darmstädter Schule mit sich gebracht hat. Sie vertritt/-trat auch keine tatsächliche einheitliche Ästhetik. Und ich habe von etwas erzählt, das in der Literatur mindestens ebenso augenfällig ist: Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Erzählungen, nach Geschichten. Denen entspricht in der Musik die Melodie. Es ist geht um Sangbarkeit, Nachsangbarkeit, also Identifikation. “Der Mensch braucht etwas, gegen das er sich austauschen kann”, schrieb Saint-Exupéry. Ich glaube, daß er recht hat. In der Musik fanden es die meisten in der Darmstädter Schule eben nicht.. Bevor Sie also abermals aggressiv werden, lieber Lobster, gebe ich das “endlich mal weiterdenken” freundlich an Sie zurück.

      P.S.: Bedürfnisse sind nicht justiziabel. Es sind – Bedürfnisse.

    2. naja – also boulez und lachenmann werden im zusammenhang mit der darmstädter schule genannt ( wikipedisch bilde ich mir ein )
      nun, über geschmack lässt sich nicht streiten, allerdings über so ne algemmeine gefühlsidentifikation, sag ich mal ein wenig kryptisch womöglich.
      also ein mathematiker hat sicherlich auch gefühle hinsichtlich abstrakter präzision.
      das schon mal ist landläufig verkannt.
      nun 2 – es gibt gefühl für rhythmik, für farben, für linien, usw. und eben nicht nur für melodie(n) – ich ermesse nicht in einem atemzug die darmstädter schule, ebensowenig nicht mal die sachen von alban berg, wobei mir zu lulu schon mal ir´gendwie auffiel, dass da das textliche – sprich inhaltliche – gefühl nicht präzise zuordenbar ist anhand des dedeka-duktus.
      lulu müsste von lulu etc getanzt werden anhand musikalischer gebärden.

      dass sie petterson immer wieder dagegenhalten spricht aus ihrem geschmack, mehr nicht.
      ich sage mal ganz oberflächlich : handwerklich kann er sich ( feinrhythmisch ) wahrscheinlich nicht mal mit dieter schnebels sachen oder n.a. hubers messen.

      so what.

    3. hör grad nochmal lachenmanns ‘ das mädchen … ‘ mit den meinhofhölzern an, gut zu gegebenem anlss die zweite tüt im maul gehabt unbd kurz auf utubepause gedrückt.

      wenn das nicht ausgewiesenes soundgefühl verquickt mit rhythussensibilität ist nennen sie mich berufspoliotiker oder donald trumpf, trampolin springer oder dame.
      leichte dame.
      ganzganz leichte dame.
      also : lachenmanns ‘mädchen …………….’ ist klanggedühl über konventionells instrumentarium auch realisiert.
      bäng.
      gefühllos ist der die spiesser-IN DIE SICH ÜBER melodien aufregen kann, über dominanzen.

    4. ikarus, nein nicht ikterus
      dädalus und
      hominikanten
      kannten ma l den einen witz :

      es ging die dage, dass könig hirsch ausbrach
      aus seinem käfig, was andere gehege nannten.
      mum gut er frass und zeugte
      und zeugte und frass.

      später ertappe ihn ein trapper in nordamerika.
      der trpper hielt seine büchse weg und fragte :
      hey, bist du ?
      schon hier ??

      der könig schluckte ein wenig
      und trank hinter her ein wenig molle

      eine nach der anderen.

      der trapper wrad dem unschön, schoss den tot.

      so und nzn gutsein und ein wenig depeche mode hören

    5. @lobster zur Neuen Musik ff Sie verkennen nach wie vor meine Argumentation. Was ich gesagt und, ja, kritisiert habe, ist, daß “die” sogenannten Neutöner – also die strikt und durchaus zwanghaft, allerdings mit guten (politischen/moralischen ) Gründen auf herkömmliche Harmonien und Melodiken verzichtenden Komponisten – den Kontakt zu einem großen Publikum verloren hatten und daß dies zu einer unterdessen diktatorischen Macht der musikalischen Unterhaltungsindustrie geführt hat, kurz zum Mainstream-Pop. Die Stärke der nur-seriell oder sonstwie nur-dissonant komponierenden Künstler – nämlich von Unrechtssystemen nicht vereinnahmbar und benutzbar zu sein – ist zugleich ihre Schwäche geworden. Doch diese Diskussion ist längst schon wohlfeil geworden: Im Zweifel für die Tatsachen. (Daß Ihrerseits Sie jetzt >>>> Pettersson diffamieren, spricht für sich.)

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