Schmerz- und Arbeitsjournal. Dienstag, der 1. Juni 2010. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (127). Kunst & Widerstand. Eine kurze Betrachtung zum Recht.

8.09 Uhr:
[Arbeitswohnung. Henze, Zweites Klavierkonzert.]
Der Titel sei, des heutigen Arbeitsjournales, als Warnung und Hinweis >>>> für jene gewählt, die der ganze Herbstschmerz „regelrecht” anekelt; ich meine: wer hat die Regeln aufgestellt, und wie verbindlich sind sie? Es scheint Die Dschungel unterdessen als eine Art Pflichtlektüre empfunden zu werden, die Reaktionen hervorruft, wie das sattsam-elende Interpretieren von Kafka; das wäre, sollte es so sein, einerseits ein wirklich Erreichtes, indes, ich stelle keine Zeugnisse aus, beurteile die Leistungen meiner Leser auch sonst eher nicht; zum anderen gehört Schmerz zu aller Kunst hinzu: er ist einer ihrer wichtigsten Beweger. Woraus ich den Schluß ziehe, daß es manchem Leser um Kunst auch gar nicht geht. Dann ist ihm zu sagen: Sie sind hier falsch, Sie lesen besser anderswo, und Ihr schmerzender Zahn ist gezogen.
Wenn ich hier schreibe, schreibe ich selbstverständlich auch vom Schmerz; die Geschehen sind nicht so, daß ich mein Privates für ein Einzigartiges halten könnte, im Gegenteil eher. Es ist ein Allgemeines und das besondere nur, daß ich davon erzähle: öffentlich, wie es einem Dichter zukommt, der die Geschichte der Entstehung seiner Werke zu einem dieser Werke-selbst macht. Daß sich das Risiken aussetzt, der Abwehr, aber auch, möglicherweise, juristischen, liegt für Gesellschaften, die alles und jedes vermarkten, ganz auf der Hand; eben deshalb legen sie auf den Vorschein des Privaten einen solchen Wert: als Marktstrategie nämlich des Scheins, der über den Vorgang so ablenkungs- wie beruhigungshalber gelegt wird. Tatsächlich zeigt aber das Netz eine ganz andere Wahrheit; von ihr zieht Die Dschungel die Decke und zeigt auf das nackte Geschöpf. Das in diesem Fall ich bin. Wer es nicht sehen will, soll wegsehn, wie immer gerne weggesehen wird, wenn es um Existenz, nicht um Glamour geht oder selbstgefällige Ideologie. Wenn es darum geht, sich anders zu verhalten als durch Mitmachen. Es ist ja, im übrigen, nicht das erste Mal, daß radikal durchgeführte Kunst Mißfallen erregt und dann auch, möglicherweise, verboten wird. Es geschieht ebenfalls nicht zum ersten Mal, daß ein Künstler, wenn er konsequent sein will, in Widersprüche mit eigenen Wünschen, Hoffnungen, Überzeugungen gerät, die, sagen wir, menschlicher Natur sind. Auch davon aber erzähle ich. Auch das, selbstverständlich, macht mich verwundbar. Es ist eine Stärke Der Dschungel, dies nicht zu verschweigen. Angenommen selbst, sie würde per einstweiliger Verfügung, womit ich Erfahrungen habe, „plattgemacht”, wie >>>> jener Kommentator das feixend vorausschaut… – selbst dann wäre sie gewesen und hätte bleibende Spuren ihres Widerstandes hinterlassen, ja wirkte anderswo fort – denn daß es sie gibt und dann eben gab, ist längst über das Netz hinaus bekannt; als verbotene würde Die Dschungel sogar zur Legende, zumal sich ja nicht mein g e s a m t e s Werk verbieten ließe und in allen nichtverbotenen Schriften sich einiges von Der Dschungel erhält.
Nun wird es einige geben die sagen: Das ist doch gar keine Kunst. Hat man auch bei Beuys gesagt, hat man auch bei van Gogh gesagt, bei Genet usw., das ist alles, wie gesagt, nix Neues; es ist lediglich mit Schmerz verbunden, abermals, meinem, persönlichem; es läßt sich voneinander nicht trennen, so wenig wie vom Schmerz derer, denen Die Dschungel alleine deshalb wehtut, weil sie erzählt, was man nicht wissen mag. Dieses „nicht wissen mögen” ist kein Urteil, sondern Bestandssichtung. Ich kann den Schmerz alleine dadurch lindern, daß ich auf dem höchsten mir möglichen Niveau agiere; mag sein, es reicht nicht, mag sein, es reicht: das ist aber das Risiko, das j e d e Kunstanstrengung eingeht. Ob sie für Kunst dann auch dauerhaft gilt, ist nur in wenigen Fällen eine Frage der Gegenwart, und meist nicht in den besten.

8.56 Uhr:
Also der Schmerz. Ja. Ich habe meine Entscheidung getroffen und begründet und auch schon mit meinem Jungen gesprochen; er überhaupt war der erste, mit dem ich diese Entscheidung besprach. Mir geht ein Fundament verloren, ich sei, sagte die Löwin, die alldas nun aushält, vor allem meiner Liebe in Liebe verfallen, der leidenschaftlichen Idee, daß es so etwas g e b e. Daran ist etwas, vielleicht sogar einiges: Auch ich bin Tristan gewesen. Aber nicht der Schmerz um die verlorene Liebesliebe läßt mich dauernd – ich lenke mich ab, jaja, schaue Filme, gehe dann an Text, schaue wieder einen Film, schaue auf: Vision – flashbacks erleben, sondern ich sehe die Gesichter der Kindlein. Ich sehe i h r e n Verlust, nicht meinen, ihrer i s t meiner. Ich habe ein flächiges Schuldgefühl, habe versagt, habe an Kindern versagt – nicht an meinem Sohn, nein, der ist ohne jeden Zweifel geblieben und wird auch bleiben, und ich ihm, sondern an den anderen: denen konnte ich nicht genügen, kann ich nicht genügen. Ich war zu klein. Es hilft aber nichts; meine Entscheidung ist richtig. Damit ist nun zu leben.

Also ans Werk. Also an die Musik. Also an die Dichtung. Weh tut dies alles so oder so. Was ich tun konnte, tat ich. Es gilt hier wie in der Kunst: wir wissen nicht, ob wir genügen.

In der Schule gewesen, weil es wieder Ärger mit meinem Buben gab. Er ist widerständig. Dabei ist er viel sozialer, als ich es je war. Er hat Bilder gemalt. Manche sind seinem Alter entsprechend. Drei aber, die ich sah, sind atemberaubend. Der Junge wird immer dann großartig, wenn er große Formate nimmt und mit Acryl arbeitet. Selbst der Profi, der Kunst sammelt, stand vor einem und sagte: „Das muß in einen Rahmen!” Und brachte ihn bei seinem nächsten Besuch mit.Zweiter Latte macchiato. Der Junge bräuchte ein Atelier.

10.31 Uhr:
Und gleich das nächste Problem, Leben ist Kampf. Der (freundliche) Lehrer, der mich eben anrief, ließ durchblicken, daß die Situation, wenn es bereit in der Fünften so losgehe, keine Basis für eine gedeihliche Schulausbildung sei. Weshalb wundert mich das nicht? So vieles, so wahnsinnig vieles wiederholt sich. Muster. Immer wieder Muster. Mein Junge, wie ich, anerkennt keine Autorität-qua-Macht. Er fordert Erklärungen, was bei sehr vielen Kindern und nur einer Aufsichtsperson nicht immer praktikabel ist. Aber er fordert sie. Ich bin stolz auf ihn, aber sehe, welche Konsequenzen das hat; er muß, anders als ich konnte und kann, lernen, daß es Situationen gibt, in denen einem an sich völlig gerechtfertigten Anspruch aus sozusagen Notstandsgründen nicht genügegetan werden kann. Nur bin ich der Falsche, es ihm zu vermitteln, da ich mich selbst nur mit äußerstem Widerstand daran halte, und oft auch eben nicht daran halte. Das hat sehr wohl politische Gründe. Ich habe den Kriegsdienst seinerzeit verweigert – und es durchgefochten – nicht, weil ich Pazifist gewesen wäre, das war ich nie, sondern weil ich keine Befehle entgegennehme, die mir nicht erklärt werden und einsichtig sind. Man ließ mich damals wahrscheinlich allein deshalb mit meinen Argumenten durch, weil klarwar, ich würde andernfalls die meiste Zeit des Militärdienstes in Haft verbringen. (Den Ersatzdienst, übrigens, habe ich geliebt; ich war in hartem Einsatz: sozial völlig zerstörte Alte, schwerste Alkoholiker und Junkies, Psychiatrie. Da zu helfen, fand ich, war sinnvoll, und dieser Sinn war schön.)

13.53 Uhr:
Eine Stunde lang, aber etwas unruhig, geschlafen; jetzt Pfeife & Espresso, in einer dreiviertel Stunde wird mein Sohn zum Essen hiersein. Daß er morgen nicht mit auf den Wandertag darf, ist bitter, ich will mit ihm gleich sprechen. Zwei Vorschläge: Entweder ich fahre einfach mit, der Ausflugsort ist fein (Kloster Chorin), allerdings war mein Bub mehrmals schon dort; dann jedenfalls wäre jedem Einwand der Zahn gezogen; oder aber er bleibt Zuhause – daß er an dem Tag in die Parallelklasse geht, habe ich abgelehnt, wie er es wollte: das ergäbe zuviel Diskriminierung; also soll er, wird mein Vorschlag gleich sein, vormittags hierher zu mir kommen und all seine Hefte in Ordnung bringen; das mit allen Pausen, die er auch bei normalem Unterricht hätte, und auch ebenso lang. Es gab eh noch eine Klage wegen seiner Unordnung. Dann beheben wir sie halt.
Ich finde, er soll sich selbst für eines von beidem entscheiden.

Mir kam, als ich aufstand, ein Gedanke zur Relativität allen Rechts. Als Ovid für seine Schriften verbannt wurde, war auch das Recht, das Recht seiner Zeit; ebenso ist unser Recht das Recht unserer Zeit und wird von späteren Generationen und auch von anderen, von zeitgleichen fremden Kulturen aber schon jetzt, ebenso anders betrachtet werden. Genau deshalb kann sich Kunst keinem Recht beugen. Nicht einmal die Wissenschaften haben sich dem Recht gebeugt; was sie heute sind, verdanken sie genau diesem Widerstand – obwohl eben je zu ihrer Zeit das Recht a u c h Recht gewesen ist. – Darüber will ich noch gesondert schreiben. Erlaubt, für die Malerei, waren im europäischen Mittelalter nur sakrale Themen. Deshalb ist auf den überkommenen Bildern immer der Hintergrund interessant: er erzählt das Verbotene.

[ÜA: LitblogTheorie, TS 1 – 8, von derzeit 138.]

27 thoughts on “Schmerz- und Arbeitsjournal. Dienstag, der 1. Juni 2010. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (127). Kunst & Widerstand. Eine kurze Betrachtung zum Recht.

  1. “Ich war zu klein.”
    nein

    wir können unseren freien Willen auf dem Weg zu innerem und äußerem Reichtum optimal einsetzen
    wenn wir alles, was wir tun, uns aus unserem natürlichen, freien Zustand heraus entfalten lassen

    wenn wir aus einem Zustand der inneren ruhe und kraft heraus unserem Leben eine sinnvolle Ausrichtung geben, trägt uns das Leben dort hin

    dazu müssen wir akzeptieren, wo wir jetzt stehen
    und uns selbst ohne bedingung lieben
    mit all dem, was wir tun, haben oder nicht haben und glauben zu sein

    dann verankern wir unsere sschriftlich fixierte vision als absicht in unserem Inneren, in unseren Gedanken und Gefühlen

    oder auch: wir springen ins nichts, und das netz erscheint

    sie haben so viele gaben. und dazu diesen sohn,
    der durch widerstand zeigt: “ich bin ich!”

    er wird sein atelier bekommen, da bin ich mir ganz sicher
    hat schon eines, denn er hat den INNEREN raum für solche bilder

    1. @vorsicht. Ich tendiere, das ist langjährigen Lesern Der Dschungel bekannt, stark zu der Meinung, daß der Freie Wille eine – allerdings notwendige und insofern künstlerisch bedeutende – Illusion sei. Man kann ihn, – als Bedingung der Möglichkeit von Moral, zeigte Kant, m u ß man das sogar: nämlich Gott – proklamieren; er ist dann aber nichts anderes als ein regulatives Postulat und in jedem Fall religiös. Der Freie Wille ist, will ich mal sagen, ein säkularisierter Gott. Es gab in Der Dschungel darüber einige Male sehr heftige Diskussionen, in denen ich – erkenntnistheoretisch – scharf an der Seite Wolf Singers stand. Allerdings denke ich das Illusionäre im Blick einer sogenannen Realitätskraft der Fiktionen weiter, bzw. versuche ich das. Womit bei mir aber Erkenntnistheorie – Ästhetik wird. Das ist für normative Moralen, wie sie ein Rechtssystem braucht, inakzeptabel.

    2. entschuldigung,
      ich habe das nicht verstanden

      für mich ist der freie wille außerdem – jenseits von ALLER theorie –
      das, was man als ICH möchte

      klar, darüber kann man lange theoretisieren
      aber zeit, leben vergehen dabei
      und dann ist kanpp daneben auch vorbei, wenn ich mir die saloppe ausdrucksweise vorsichtig erlauben darf

      schade, ich hab gedacht, was ich schrieb, würde sie, gelinde gesagt, ein wenig aufmuntern,

      hätte ich bloß den “freien willen” anders genannt, dann wäre der rest meines textes eher angekommen, vielleicht

    3. @vorsicht. Ich habe Sie s c h o n verstanden, und es tut mir auch gut. Nur spult in meinem Kopf immer sofort ein “weiterdenken” ab.

      Seltsam. Sie haben recht: Benennungen tun viel dazu. Und s c h o n wieder: “Namen”, Unterschied von Name und Begriff, Benjamin, Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen.

    4. @ anh na, da bin ich aber froh, dass sie mich durchaus verstanden haben

      ich denke halt auch sofort weiter 🙂
      und wenn jeder immer weiter denkt (man aber die jeweilige richtung nicht kennt, was logisch und sinnvoll ist, die gedanken sind frei)
      kann man sich weit verlieren und dabei das wesentliche aus den augen
      (was für die augen aber angeblich nicht sichtbar ist)

      trotzdem: DAS wäre schade

      ihr text von heute morgen ist SEHR gut, weil es das trifft, was die leute denken
      (die NICHT weiterdenken)

      wie dichtete schon georg kreisler vor vielleicht drei jahrzehnten oder länger:
      “denn jedem künstler ist es recht, spricht man von andern künstlern schlecht”

      ja, das ist noch immer so, aber nicht überall
      ich denke so zumindest nicht, weil es allen beteiligten nur (das wort “nur” trifft es natürlich wieder nicht, aber sie wissen, was ich meine) schlechte laune macht

      ich muss jetzt was ARBEITEN
      bitte, tun sie mir, wenn es geht, den gefallen:
      denken sie NICHT wie andere, künstler müssen arm oder unglücklich oder schwierig oder eigen oder ander oder oder oder sein, um künstler zu sein
      denken sie BITTE auch hier weiter
      über den freien willen hinaus, wenn’s hilft, dann muss man über den auch nicht mehr debattieren

      wo es doch hier um trauer geht
      mit der die MASSE – obwohl von ihr umgeben – NICHT in berühung kommen möchte
      (sorry für tippfehler, schreibe brillenlos)

  2. die kunst zu leben die kunst zu leben, bedeutet, so zu leben, damit kunst ensteht. wenn kunst ensteht, bestimmt sie, wie das leben sich gestaltet. hier gibt es kein mass, kein bekanntes mass, kein gesellschaftliches mass, kein räumliches mass. es übersteigt und entwickelt, stellt in frage und fordert, widersprüche so zu gestalten, damit raum ensteht, in dem alles möglich ist, in dem freiheit möglich wird, freiheit, die das weiterführt, was die kunst entwickelt. immer ist es der mensch, der sich seine freiheit nimmt und gibt. in dieser freiheit, enstehen solch umittelbare bilder, bilder, die betreffen, bilder die eine wahrheit zeigen, eine wirklichkeit, bilder als eine dichtung, als ein ausdruck des menschseins in seiner betroffenheit und seinem anspruch zu leben und sein leben in eine gestalt zu bringen. und es enstehen dschungel.

  3. Die “braven Jungs” (und Mädchen) kämpfen auch… Erinnern Sie sich an die “braven Jungs”? Ich glaube, Sie irren, wenn Sie meinen, die passten sich ein, weil sie bereit seien, sich unerklärt der Macht zu unterwerfen. Eher ist es so: Sie fügen sich, weil ihnen geopfert wurde – und sie dies spüren, auch wenn die, die das Opfer brachten, versuchen es zu verbergen. (So wird auch schuldig, wer sich in die Pflicht nimmt, gegen sein Gefühl.)

    Ja, es wiederholt sich. Zuviel. Wir können nicht raus aus unseren Geschichten. Und geben sie weiter an unsere Kinder – wie eine “stille Post” (Kennen Sie das Buch von Christina von Braun?).

    PS: Das Bild ist großartig.

    1. @ MelusineB doch, wir können raus aus unseren geschichten
      aber es dauert!
      und es muss NICHT weiter an die kinder gehen, wie eine stille post

      aber dafür brauchen wir dir richtigen helfer, therapeuten
      (NICHT den despotischen hellinger!)

      doch die richtigen sind rar, aber es gibt welche, sonst läg ich auf dem friedhof und mein kind auch

    2. Ja, Melusine, das ist es. Und es ist das eines Zehnjährigen… nein, er war erst neun, als er es malte.

      Das Problem ist ja doch das: was wollen wir, das unsere Kinder werden? Anders? So wie die anderen? Letztres enthält, wahrscheinlich, die meiste Chance auf Glück. Aber dann heben sie auch wie andre die Hände, irgendwann arrangiert, wenn gefragt wird: wollt ihr den Krieg? (Ich kann nicht anders, als immer in diesen Kategorien zu denken, ich bin nicht ablösbar vom Hitlerfaschismus, so vermittelt auch immer er mir, allein durch meinen Namen, auf die Stirn tätowiert worden ist).
      Sind die Kinder anders, ist die Chance gegeben, daß sie die Hand n i c h t heben und n i c h t mitjubeln werden, allein, weil alle jubeln. Und sie werden auch nicht, wie Erich Kästner tat, die Hände nur in den Hosentaschen ballen.

      Wir befinden uns unterdessen als Deutsche im Krieg. Horst Köhler hatte ja r e c h t, als er, wie auch immer verschwiemelt, erklärte: dafür gebe es in Deutschland unterdessen wieder Akzeptanz. Es war mutig von ihm, das zu sagen, auch wenn es kein Zugeben, sondern eigentlich ein Einverständnis damit war, daß man Wirtschaftsmacht auch militärisch sichert. Kinder, die anders sind, werden als Erwachsene eine solche Akzeptanz nicht mittragen; es kostet sie allerdings Glück. In diesem politischen und liebenden Widerspruch steht jeder, der erzieht. Denn es geht nicht um die Bezüge auf etwas, sondern um grundsätzliche Strukturen.

      Als ich 2003 meinen Psychoanalytiker suchte und fand, hatte ich in jedem Erstgespräch gesagt: “Es gibt in meiner Familie bis fünf Generationen zurück nicht ein einziges Kind, das mit einem Vater aufwuchs. Dieses Muster will ich zerbrechen. Deshalb brauche ich die Therapie.” Immerhin das, aber eben nur für meinen Sohn, ist mir gelungen. Bisher.

    3. @ anh u.a. “(Ich kann nicht anders, als immer in diesen Kategorien zu denken, ich bin nicht ablösbar vom Hitlerfaschismus, so vermittelt auch immer er mir, allein durch meinen Namen, auf die Stirn tätowiert worden ist).”

      er ist ihnen NICHT auf die stirn tätowiert!
      man behandelt sie nur so, und WARUM die leute das machen, das hat wieder mit DEREN trauer und schuldgefühlen zu tun

      ich habe selbst einen großvater, der im hitlerreich ein hohes tier war
      und der für seine kinder nicht da war
      und ich weiß, was es heißt, in einer diktatorischen familie aufzuwachsen,
      in der allerdings die mutter das zepter schwang und den vater unterjochte

      auch in meiner familie gab es ein MONSTER-ereignis, das sich fünf generationen zuvor abgespielt hatte, das mein großvater, dann meine mutter, dann ich, dann meine tochter schleppten; aber ich konnte dieses monster so auflösen, dass eine bekannte mich fragte, was ich gemacht hätte: früher hätte sie das gefühl gehabt, mir säße was dunkles im nacken, und das wäre nun weg

      warum bewegt mich herbsts denken und tun und leben so?
      warum bewegt es viele andere?
      weil wir uns darin wiedererkennen oder (wie ich hier) versuche zu sagen:
      hallo, es geht, man kann was ändern, man muss es NICHT behalten

      und es macht mich mürbe und wütend und einsam, wenn leute um uns herum veränderungen wahrnehmen, sie aber nicht verstehen und auch nicht verstehen wollen oder können und schon GAR nicht veränderung an sich selbst wagen

      man lese mal wieder die Möwe jonathan, der ging es auch nicht anders, als sie was wagte, was erreichte und andere daran teilhaben lassen wollte

      wenn leute sich (zum beispiel) verhärten können – also in EINE richtung,
      dann ist auch die ANDERE richtung denkbar.

  4. Guten Morgen,

    und während ich offline schrieb, hat sich online schon wieder ein Kommentarbäumchen entwickelt. Aber ich ändere jetzt meinen Text nicht, d.h. beziehe mich auch nicht auf Kommentare oben, in denen von Moral die Rede ist.

    Hier die neulich angekündigte Erläuterung. Ich schreibe dies hierher, weil es viel mehr hierher gehört als in jenen Privat-Öffentlich-Kommentarbaum, und ich versuche, es zu gliedern, damit es nicht ausufert, damit ich nicht ausufere. Momentan haben Sie sicher andere Sorgen, andererseits ist, wenn ein Thema passend oder unpassend ist, eben auch so ziemlich jeder Zeitpunkt passend oder unpassend. Es ging darum, warum jemand (ich) es vorzieht, anonym zu posten, anstatt “mit offenem Visier”. Also.

    1. Warum ich hier lese: weil ich hier etwas lerne. Es gibt den Gemeinplatz, dass worüber man sich aufregt oder woran man sich abarbeitet, viel mit einem selbst zu tun hat, möglicherweise mehr als mit dem “Objekt” der Abarbeit. So trivial, so wahrscheinlich auch wahr, und deshalb lese ich hier, mit Unterbrechungen, aber für meine Verhältnisse ziemlich oft. Wahrscheinlich so lange, bis ich weiß, warum. Daneben aber lese ich Teile dieser Erzählung (ich nenne das mal so) tatsächlich gern.
    2. Warum ich trotz meinem vorwiegend persönlichen Interesse gelegentlich kommentiere: weil es möglich ist. Ich meine das nicht flapsig. Es wäre dumm, eine Erwartung daran zu knüpfen, etwa, dass Sie irgend etwas änderten, nur weil ich es für richtig hielte. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. (Leider sind die Kommentare nicht unbedingt ein Grund hierher zu kommen, und wachsen die Kommentarbäume nicht gerade in den Himmel, was Unterhaltsamkeit und Erkenntnisgewinn angeht. Und das liegt an dem, was ich nicht Trollerei, sondern lieber Vandalismus nenne. Das ist freilich nicht Ihre Schuld.)
    3. Warum ich, wenn ich poste, anonym poste: Ich möchte meinen Namen in diesem Rahmen der Welt nicht mitteilen. Ihn qua Anmeldung Ihnen mitzuteilen, wäre sicher so schlimm nicht, zumal er Ihnen ohnehin kaum etwas sagen dürfte. Nur vertraue ich tatsächlich nicht auf Ihre Diskretion. Vielleicht schätze ich Sie damit falsch ein, dann verzeihen Sie bitte. Aber mich und mein Vertrauenspotential schätze ich richtig ein. Es würde mir sofort leid tun.
    4. Persönlich, zu „dürrer Moral“. Sie haben richtig gelesen, dass ich einiges von Moral halte. Dürr finde ich sie allerdings nicht. Ich finde auch die Demokratie nicht dürr. Wenn man Unmoral und Diktatur kennt, sei es in der Familie oder im Staat, und ich habe beides kennengelernt, findet man möglicherweise Moral und Demokratie sogar ausgesprochen fett. Einladend. Gesund. Und dennoch nicht klassisch. Nicht langweilig. Nicht pausbäckig und naiv. Und vor allem nicht im Gegensatz von Liebe. Ich verstehe durchaus, was Sie meinen, wenn Sie die dürre Moral und Liebe entgegensetzen. Es gibt aber auch eine Moral, die mit Liebe einhergeht. Nicht alles zu tun, was man möchte, zum Beispiel, nicht alles zu sagen, was man weiß. Und so weiter. Wahrscheinlich wissen Sie das. Und wahrscheinlich folgen Sie dem auch, zumindest zuweilen.
    5. Ich weiß nicht, ob, was Sie in Ihrem Blog tun, den Kindern schadet oder schaden kann. Momentan, und davon ausgehend, dass Sie die „wahre Geschichte“ publizieren, scheint es anderes zu geben, das ihnen den Kindern, wahrscheinlich schadet, jedenfalls kaum nützen wird. Und dafür haben sie und auch Sie mein Mitgefühl. Ich wünsche Ihnen glücklichere Fügung.

    Anders kann ich es nicht sagen. Mit Gruß
    Lupus

    1. @ Lupus vielen dank, lupus, und weil sie schreiben, was sie schreiben und wie sie es schreiben, ist es doppelt schade nicht zu wissen, wer sich dahinter verbirgt.
      nein, dreifach schade

      manchmal postet man ins nichts, dann wieder fallen leute über einen her,
      aber konzentriert austauschen – das geht dann halt doch nur im persönlichen gespräch, auch darum: siehe oben

    2. @Lupus. Danke. Das ist ein ehrenvoller Kommentar, weil er Wahrheit mitteilt. Ich verstehe das, bin in einigem Ihrer, in anderem anderer Meinung. Vielleicht auch deshalb raufen wir uns ja immer wieder zusammen. (Ich hab letztres, glaube ich, schon anderswo so zu Ihnen geschrieben.)

      Ach so, ja… aber das wissen Sie wahrscheinlich längst: unter anderen politischen Bedingungen wäre ich ganz sicher, und heißblütig dabei, Demokrat. Und tatsächlich kenne ich derzeit keine andere politische Organisationsform, die weniger ungerecht wäre. Das schließt Opposition aber eben nicht aus.

    3. @ ANH Aber sicher, auch ich kann mir bessere und schönere Demokratie vorstellen, und auch die mit Opposition.

      Das andere: Sollte ich meine Meinung ändern, weiß ich ja, wie ich Sie finden kann, auch im Urwald.

      Nochmals Gruß
      Lupus

  5. muster lieber anh
    dann brechen sie doch die muster endlich auf!
    so viele hinweise, gedanken, ideen
    sie sind doch schon mittendrin

    eine freundin nannte es “selbstbestrafungsritual”, wenn wir neue dinge wagen –
    und plötzlich passiert uns ganz viel unangenehmes

    meine freundin (künstlerin) schrieb:
    “Die inneren Glaubenssätze manifestieren uns so viele Umstände, die wir nicht wollen. Aber Du hast den Satz ja sogar niedergeschrieben. Das ist schon ein guter Schritt. Ich bin sicher, dass Du ihn auflöst. Mir hilft immer wenn ich sowas merke, dass wissen, dass solche Glaubenssätze uns immer schützen wollen. Auch wenn sie dann eigentlich das Gegenteil bewirken. Also vielleicht weißt Du ja auch schon wovor.
    Ich habe vor kurzem wieder angefangen zu malen und mein Selbstbestrafungsprogramm kam in volle Touren. Wespenstich in den Arm, Druck vom Kunden, Zeitmangel, Strafzettel etc. Unglaublich! Die Angst meiner Seele Ausdruck zu verleihen und mich zu zeigen ist anscheinend so groß, dass ich von diesem Teil lieber klein gehalten werde. Und dieses Muster hat auch lange funktioniert. Jetzt geht das nicht mehr.
    Immer wenn ein Verhaltensmuster aufgelöst wird, zeigt es sich nochmal so richtig im Aussen. Und nach ein paar Tagen oder Wochen ist alles wieder schön und noch schöner als davor.”

    1. Lieber Alban, Ihre “Gäste” scheinen neuerdings der Singlebörse ausgekommen zu sein, die mich vor ca. 2 Jahren sehr erheiterte. 🙂

    2. Frage ist da hier eigentlich nur ein Club für BDSM interessierte, oder dürfen sich auch A-Sexuelle zu Wort melden? Ich finde nämlich den Kommentator Namens “vorsicht” so süß!

    3. Liebe und nach wie vor m e h r als nur geschätze June, ich weiß. Es scheint eine neue Strategie zu sein, die aber doch deshalb ein-wenig-viel-zu-sehr hilflos wirkt, weil das Männchen s o weder eine Waschmaschine, noch gar ein anderes Männchen gewinnt… und schon überhaupt keine Frau. Der Versuch hingegen ist der immergleiche. Wir hingegen bergen Dschungel, da muß uns ein wenig rostiger Metallrest nicht stören.

    4. *lachtschallend* Lieber Alban – erinnern Sie sich noch (oder war der bei Ihnen in Deutschland überhaupt präsent?) an den Werbespruch “Bauknecht weiß, was Frauen wünschen?”
      (War gerade eine freie Assoziation zu Waschmaschine und diesen Postings.)

      Wünsche eine angenehme Nacht.

      Ihre June

    1. unter diesen Bedingungen … würde ich dringend vom Kauf abraten, dass grenzt ja fast schon an Menschenverachtung!

    2. ich würde das Ding eh` nicht gebrauchen können (Geeschweige denn in den Mund nehmen!), denn es hat nicht einmal einen USB-Anschluss; davon abgesehen ist Apple auch für seine interne Betriebssystem-Zensur bekannt. So kann man beispielsweise keine Pornos darauf sehen, weil sich der Godfather von Apple offensichtlich für Gott persönlich hält, welcher darüber bestimmen kann, was geht, und was nicht! Völlig daneben.

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