Auf der Flucht ODER Regen und Leiber: Das Reisejournal des Sonntags, dem 20. Juni 2010. Les secrets de Paris (4). Mit einer langen, nämlich der nachgeholten Erzählung: Was im Silberturm geschah. Dazwischen die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (128).

6.06 Uhr:
[Paris, Hotelchen. Der Dichter hüte sich, seinen Ort zu verraten!]
Es regnet in Paris. Es regnet seit gestern spätabend unentwegt. Ein Wind pfeift um die Häuser, der in den Fenstern jault, wenn wir sie schließen; halten wir sie aber geöffnet, dann schlägt er sie zu oder jagt ins Zimmer und faßt unter der Löwin seidene Kleider, die über dem Paravent hängen, um zuchtlos an ihnen zu ziehen. Da ich rauche, den Morgenzigarillo zum Café, شجرة حبة aber noch schläft, selbstverständlich noch schläft, hab ich es eben wieder versucht: also ein Fenster zu öffnen; dann habe ich zwei Kissen zwischen Schmiedeeisen und Fenster gedrückt, mag’s also zuknallen wollen – habe den Paravent vor das Bett getragen, ganz leicht ist er, der Leporello mit einer Art Tapete bespannt, die voller grüner Fische ist, und habe die beiden Kleider und den langen Schal, der so dünn ist wie Nylons, vorsichtig abgenommen und über einen der beiden Stühle gehängt. Nein, das Zimmer ist nicht billig; im Gegensatz zur rue de Chevreuse ist es zurückhaltend, aber teuer eingerichtet, wenn auch nicht groß – den Umständen unserer Barschaften ein wenig mutwillig, aber nicht unklug geschuldet. Wir werden uns die Kosten teilen, meine Visa ist ja wieder frei. In Deutschland, hörte ich, sei Geld für mich gekommen; Eisenhauer hat sein Auge darauf. Auch der Profi rief an. Ich irre mich wohl: mit „Le” Duchesse hat er gar nichts zu tun.

Ich packte meinen Rucksack zusammen, legte den mir überlassenen Schlüssel auf das zweite Küchentischchen, verstaute den Laptop in dem Handrucksack, zog die Tür hinter mir zu, orientierte mich an Montparnasse auf dem Métroplan und ließ mich zur Gare de l’Est rollen, wo ich logischerweise viel zu früh ankam. Aber es war ja drum gegangen, nicht Jenny, falls sie doch wiederkäme, woran ich nicht zweifelte, es ist ja ihr Job… also falls sie früher wiederkäme, in die Räder ihres Motorrads zu rennen. Andererseits ist es kein Vergnügen, mit dem Gepäck durch Paris zu spazieren. Deshalb suchte ich mir am Bahnhof ein Café, fand auf dem Weg, nachdem ich ausgestiegen war, aber erst sogar einen Point d’Internet, wo ich Post erledigte, vor allem >>>> M. Prunier antwortete, der sich für heute angemeldet hat, Treffpunkt, Uhrzeit usw. – als mir einfiel, daß ich den USB-Stick des Gräfin immer noch habe, was mich momentlang unruhig machte. Also schrieb ich auch ihm eine Mail: er bekomme den Stick am Montag zurück, ich würde ihn dort und dort, oder Jenny, erwarten, oder er möge mir eine Adresse schicken, wohin ich den Stick zurückschicken könne. Jedenfalls hätte ich mich, so schrieb ich das: „umentschieden”, oder aber, wenn ihm das recht sei, machte ich „Auszeit” übers Wochenende. Jetzt hatte ich ein besseres, um sprachlich genau zu sein: ein weniger schlechtes Gefühl mit meiner Entscheidung. Die Sache mit Jenny war, der Löwin gegenüber, natürlich auch Jenny gegenüber, blöd genug. Ich zahlte und suchte das Café. Dort, wie seit je, wenn ich auf Reisen bin, notierte ich per Hand. Ich hab ja immer noch das schöne Skizzenheft, das mir >>>> diadorim einmal >>>> aus Brasilien mitgebracht hat; Bleistifte habe ich im Laptop-Rucksack, auch immer in der Lederjacke, eigentlich auch in jedem meine Jacketts. Leute mit Laptops vor Cafés finde ich albern, und auf eine gute Weise bringt es, draußen auf den Stühlen zu sitzen (durchbrochene Lehnen und Holz), wobei ich in ein Heft notiere, zu einem selber zurück. Ich schreibe dann meistens Gedichte, also hier eine Zeile, da eine Zeile, manchmal nur ein Wort, über die Seite verteilt, später fülle ich die Zwischenräume; oft notiere ich unter die leeren Stellen den Rhythmus mit geraden Strichen, Schrägstrichen, Akzenten. Diesmal nicht. Ich solle doch einen Roman schreiben, und Jenny hatte mich herumgefahren, damit ich Orte sähe, manchmal nur eine ganz bestimmte Tür, und die Vorhängeschlösser in den Geländezieren einer Brücke über die Seine, dort das aufgelassene Hausboot, in dem wir das Gerippe eines großen Vogels fanden, auf einem Tisch, Knochen sorgsam neben Knochen angeordnet, vor Jahren, dachte ich, es gab nur noch Spuren von Federn. Dann der vergessene Abgang in einem ganz anderen Arrondissement, ein riesiger Metallrost, durch den man in die Tiefe schaut (ohne doch etwas erkennen zu können), Minh Chau, das, sagte Jenny, „kleinste Lokal von Paris”, wo wir zu Nachmittag frische Frühlingsrollen gegessen hatten, involtiert in einen transparenten Teig aus Reis, mit Genuß biß sie hinein: da schon dachte ich, denn die Dinger fassen sich genau so auch an:: wie in einen ziemlich großen, doch nicht erregten Schwanz; statt der Adern sieht man unter der Haut die Stränge der Minze und sieht rötliche Krabbenleiber. Was hatte sie mir noch alles gezeigt? Es gab eine niedrige Kapelle mit stumpfem Turm, man betrat sie durch den Keller, in den eine Tür führte, die man beidseits hochklappen mußte; Jenny hatte den Schlüssel dafür. Dahinter gingen die Stufen hinab, Jenny schaltete links einen Lichtschalter an, gedimmtes Licht führte uns bis zum Aufgang, den wie nahmen. Ich habe, glaube ich, noch nie solch herrliche Glasfenster gesehen. Es war gar nichts darin, in der Kapelle, sie bestand nur aus ihrem kleinen Schiff. Kein Altar, keine Bänke, die Wände völlig nackt. Aber diese irrsinnigen Fenster. Wenn die Sonne durchkam, wurde einem schwindlig, wurden die Farben zu farbigem Wasser. „Wer hat diese Fenster bemalt?” Jenny lachte. Sie nahm da zum ersten Mal meine Hand, diese kleine ledrige Frau.
So verraste die Zeit, ohne daß ich es merkte, in dem Café vor der Gare de l’Est. Überhaupt: Während ich in Berlin, in Deutschland überhaupt, ständig daran bin, mich zu strukturieren, hab ich hier nicht mal den Impuls dazu, er verliert sich, ich verlier mich. Selbstverständlich liegt das an der Urlaubssituation, die so gar nicht gemeint war, als ich herfuhr: es ging doch, und geht, hoff ich, immer noch, um Übersetzungen und um den französischen Verlag, >>>> Flammarion ist in Rede, schrieb mir Prunier, in den Bänden von L’atelier du ruman sind zwei meiner Erzählungen erschienen, außerdem ist darin ein Aufsatz Prunier über >>>> MEERE erschienen; ich habe hier bei Boukinistes Bücher des Verlages aus den Zwanzigern/Dreißigern gefunden, die mir gut gefallen. Ingo Držecnik von >>>> Elfenbein hat mich wegen der BAMBERGER ELEGIEN gebeten, ihm Bücher zu zeigen, die dem ähnlich sehen, was ich mir für die Elegien vorstelle. Da werde ich hier fündig werden, bin ich bereits fündig geworden. In Berlin zurück, werde ich ihn treffen, ihm etwas davon zeigen. Eigentlich aber dachte ich an Aragons „Zu lieben bis Vernunft verbrennt”; das allerdings war Gallimard, Volk & Welt hat die deutsche Ausgabe ganz ähnlich angelegt: elfenbeinweiß und mit durchsichtigem Pergamentumschlag oder, weil’s mir spöttischer vorkommt und darum liebevoller, einem Umschlag as Butterbrotpapier. Sehn Sie, so verrast die Zeit. Als gäbe es sie nicht.Ich zahlte, hauruckte meinen Rucksack, halfterte, schönes Wort, halfterte den Arbeitsrucksack, brach auf, betrat den Bahnhof, schaute nach dem richtigen Gleis. Der ICE fuhr ein, deutscher ICE, die Leute quollen heraus, die Löwin quoll nicht, sie wippte trotz der hohen Pumps auf den Tatzen. Elegant der Rollkoffer hinter ihr her. Ihre löwinnenfarbene Stola f l o g, „senffarben”, glaub ich, sagt man; so auch das Kostüm. Ich war ein wenig unruhig, immerhin ging ich davon aus, daß sie mein Arbeitsjournal gelesen und deshalb, sowieso, bescheidwußte. „Es ist ein Jammer”, sagte sie und drehte den Kopf zur Seite weg, als ich sie küssen wollte, so trafen meine Lippen links ihr Ohr, „daß ich die Gräfin nicht kennenlernen werde.” „Aber Prunier”, sagte ich, „Prunier kommt morgen nach Paris.” „Ich habe uns ein Zimmer bestellt”, sagte sie, „rue ***.” „Ich bin weg aus der rue Chevreuse.” „Das setzte ich voraus.” Sie sah sich um. Es gibt wieder Kofferträger in Paris. Sie winkte einen heran. „Wir nehmen ein Taxi”, sagte sie. Kühl, wenn nicht in ihrer Stimme der Groll zu hören gewesen wäre. Groll ist nie kühl, auch wenn er so tut. Gut, dachte ich, daß sie grollt.

Es hat aufgehört zu regnen. Die Löwin rührt sich. Ich bereite eben einen zweiten Café, es gibt dafür eine kleine Maschine im Zimmer. Was ein großer Segen ist. Nur auf geschäumte Milch muß ich verzichen. “Die Deutschen und ihr Milchschaum”, spottete die Löwin, die ihn unwichtig findet. Sie trinkt ihren Kaffee ja sowieso meistens schwarz.

7.46 Uhr:
Es war Bewegung im Haus, mich trieb’s kurz zur Milch. Manchmal fallen mir verschüttete Wörter ein, ich hab ja mal Französisch gesprochen, vor vielen Jahren, vor drei Jahrzehnten, tatsächlich, als Paris meine Traumstadt war. Jahre später schob sich erst Afrika, dann schob sich Italien, vor allem schob sich Sizilien dazwischen; ich entsinne mich einer Busfahrt auf den Ätna, wo mir die Sprachen derart durcheinandergerieten, daß ich schließlich verstummte. Damit sackte das Französiche weg, mir kommt es vor, wie Minute um Minute, ein Radierer, der über die Linien der mit einem inneren Bleistift geschriebenen Vokabeln fährt. Aber jetzt kommt manchmal etwas zurück. Den Prozeß erschwert es, wenn man Begleitungen hat, die Deutsch sprechen, sehr. Ich sprach die Zimmerhilfe an, die höchst diskret den Gang entlangging, dessen Holz dennoch unter ihren weißen Schuhen knarrte, die gebändert überm Rist: gelitzelt eher, je zwei weiße Gummizüge, das fiel mir auf. Die junge Algerierin, wahrscheinlich Algerierin, sah mich ruhig an. Sie lächelte. Ich wunderte mich, dann wurde ich, nicht zu fassen, rot: Mir wurde klar, daß sie uns gehört hatte gestern nacht, trotz dieses Dauerregens. Ihr Blick war nicht ohne Achtung, aber auch spöttisch, so, wie Frauen Männer ansehen, von denen sie spüren, daß sie sie mit einer einzigen Berührung der Brust sich verfallen lassen können, ja daß sie Verfallene immer schon sind. Es ist eine Typos-Frage, denke ich manchmal. „Quel numero du chambre? Je le Vous apporte.” Ich wollte sagen: Sie sind sehr schön, aber spürte Verlegenheit und daß das aus mir nicht flüssig genug herauskäme, um auf eine Gegenbemerkung gleichermaßen zärtlich wie distanziert antworten zu können. Also schluckte ich meinen Satz wieder herunter und ging ins Zimmer zurück. Die Löwin ist wieder eingeschlafen, ich ließ die Maschine abermals arbeiten. Zwei Bols stehen auf dem Tablett daneben, einem lackierten Holztablett mit riesigen rotweißen Magnolien, die so dick aufgemalt sind, daß sich die Blütenblätter reliefartig aus dem Holz erheben. Ich will –

Es klopft.
Die Algerierin.
Sie hält eine offene Blechkanne voller Milch. Mit Schaum. Neugierig blickt sie herein, trifft erst gar keine Anstalten, diskret zu sein. Ich würde ihr gerne sagen, daß sie die Schuhe wechseln möchte, bitte, sage aber nur „merci”, wir stehen eine halbe Sekunde zu lange voreinander, sie schaut an meinem rechten Oberarm vorbei. Aber vor dem Bett steht der Paravent. „Merci”, wiederhole ich und weiß nicht, ob man immer noch „Mademoiselle” sagt. Die Algerierin bleibt einfach stehen, ich schließe die Tür, aber sanft, vor ihr. Eine Zeit lang, vielleicht noch dreivier Sekunden lang, bleibt es draußen still, dann höre ich die Dielen knarren.

„Bist du wach? Es gibt Kaffee.”
Die Löwin gurrt.
„Arbeitest du?”
„Ich habe nachzuholen, von gestern nachzuholen.”
„Bitte gib mir meinen Laptop.”
Ich bringe ihr die Schale mit dem Milchkaffee, bringe ihr ihre Zigaretten, sie raucht Sobranie, die man nur schwer bekommt, farbiges Papier, schweineteuer, ich bin wieder zu Gitanes zurückgekehrt. Meine Versuche, Maisblattkippen zu kriegen, sind gescheitert, selbst Jenny konnte nicht weiterhelfen. Ist eh die pure Sentimentalität. Wir rauchen. Die Löwin schaltet ihren Laptop an, ich kehre zu dem meinen zurück. Ich habe nachzuholen, wie gesagt. Sie wissen schon: La tour d’argent.

Bevor ich weitererzähle, noch ein kleines neues Segment der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens; es paßt hier zu gut, als daß ich’s mir verkneifen dürfte, wo ich ganz besonders damit rechnen muß, daß Leute mitlesen, denen man eigentlich nicht erzählen will, vielleicht nicht erzählen sollte, was man erzählt: sei’s aus Fürsorglichkeit, sei es aus Selbstschutz. Denn nachher, spätestens nachher, شجرة حبة, wirst Du, das weiß ich doch, nicht nur von Jenny, sondern auch von dieser ich sag mal algerischen Begegnung erfahren, wie Du von Samarkand erfuhrst, wie Αναδυομένη, ach so lang ist’s schon her!, auch von Dir erfuhr. „Dinge” geschehen, wir behalten sie für gewöhnlich bei uns; wenn sich aber einer darauf einläßt, sein >>>> Leben als Roman zu betrachten und es als einen solchen niederschreibt, dann sind die Gesetze der Diskretion nicht aufgehoben, nein, aber man muß sie anders fassen, muß eine neue Form für sie finden, wodurch sie sich selbst verändern. Was geschieht, bedarf dann einer poetischen Beglaubigung und Erhöhung (Gegner werden von Überhöhung sprechen, aber sie irrren), die die Geschehen in ein Allgemeines, das das Poetische i s t, überführt. Dies resultiert in verschiedene Modi der Umerfindung: wir wissen dann immer: da war was, aber wie genau…: das zieht in denselben Hintergrund, der die Diskretion als Verschweigung characterisiert.
So bin ich mir ja auch des Umstands gewiß, daß der Gräfin, wahrscheinlich ziemlich schnell, diese Zeilen und dieses Journal lesen wird. Ich will weder unhöflich noch undankbar erscheinen – alleine schon, weil ich’s nicht bin -; es muß meiner Flucht ein Grund gegeben werden, der außerhalb meiner selbst, außerhalb meines Egoismus’, liegt, welcher zwar durchaus seine Rolle spielt, aber nicht das sein darf, was sie rechtfertigt. Sondern ich muß mich auflösen, muß meine Handlungen in ein Prozeßhaftes auflösen, das nicht nur das Meine ist, sondern für etwas steht, für ein Prinzip der Natur steht, das vielleicht nicht unbedingt in allen, aber in sehr vielen von uns wirkt – oft unbewußt wirkt, man könnte auch sagen: pheromonal wirkt, auf das aber die Poesie den Blick wirft. Dabei geht es nicht ums Sezieren, das wäre lieblos; von Lieblosigkeiten haben wir genug. Sondern es biegt mit den Fingerspitzen so sachte die Blütenblätter beiseite, daß sie nicht ausfallen, und dennoch können wir nun das Wunder des Blütenstempels sehen. – Riskant freilich, ich weiß das, bleibt auch dies. Doch dieses Risiko gehört >>>> dahin.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (128)
>>>> Litblog 129.
Litblog 127 (8.09 Uhr) <<<<

Ich verliere den Faden. Also:

8.48 Uhr:

WAS AM FREITAG ABEND GESCHAH
LA TOUR D’ARGENT
*******
Erster Teil

„Sie müssen”, sagte der Gräfin, „an Ihre Jugend anknüpfen. Es ist Zeit. Sie müssen zu den Träumen Ihrer Jugend zurück. Schieben Sie mal den ganzen Kram mit der neuen Technologie einfach beiseite und schauen nach, was darunter immer noch schläft. Den wenigsten Menschen gelingt das, sie schaffen diese Vereinigung nicht, die aber Ihre, Herr Herbst, poetische Aufgabe ist.” Was mich an seiner Bemerkung irritierte, war, wie er das Wort ‚Menschen’ aussprach. Da ging mir ein Schauer über den Nacken.
Ich war selbstverständlich pünktlich gewesen, auch wenn das erst nicht danach ausgesehen hatte, als würd ich es noch schaffen… Sie erinnern sich? >>>> 18 Juni, 19 Uhr..? Das ist erst vorgestern gewesen, doch habe ich den Eindruck, bereits seit einer Woche, mindestens, hierzusein. Wenn ich erstmal anfang, mich zu rasieren, ich meine, es geht ja nicht darum, einfach mal eben unter die Dusche… ich war nur froh, nicht allzuviel Hemden zur Auswahl zu haben, auch Krawatten nahm ich zweie nur mit. Habe ich schon erzählt, daß ich mir gestern einen Anzug gekauft habe? Es ist ein schwarzer Anzug, in dünnem Stoff, der aber sehr schwer fällt.. Hätt ich vielleicht vorher kaufen sollen, denn nun erschien ich, zwar mit Krawatte und weißem Hemd, aber in hellstgrau, mit Weste, die Budapester Schuhe, immerhin, dazu. Was mich außerdem, sogar hochgradig, irritierte, war, daß alle in diesem Restaurant, selbst die Kellner, den Mann „Duchesse” nannten, übrigens auch untereinander, „würden Sie La Duchesse bitte den neuen” ich weiß nicht mehr was „bringen lassen?” Sogar M. Terrail sprach ihn mit Madame an, und ich konnte hören, wie ebenfalls er, mit einem anderen Herrn, der möglicherweise der Küche vorstand, immer wieder von La Duchesse sprach. Daß sämtliche Herren um den Gräfin mehr als bemüht waren, war augenfällig.
Wir aßen nicht in der Salle, wir hatten den Blick zwar, aber der Gräfin erwartete mich in einem, sagt man das?, Séparé… Übrigens war die Salle fast leer, vielleicht war es noch zu früh. Mich erwartete überall Gelbgold, Tische, Decken, es duftete nach Rosenwasser, nur Spuren der Küchendüfte hielten sich hier. Ich meldete mich an. Man kann nicht sagen, daß ich auf Anhieb akzeptiert worden wäre, vielleicht wirkte ich ein wenig zu forsch, vielleicht auch, wahrscheinlicher, disqualifizierte ich mich sofort durch mein unvorhandnes Französisch. Ich hatte nicht mal den Mund aufgemacht, als man mich an dem Tischchen, da die Reservierungen entgegengenommen, bzw., von dem aus die Tische zubestimmt werden, auf Englisch begrüßte. Ich antwortete Englisch, daraufhin ging man übergangslos ins Deutsche. Was schon frappierend. Doch kaum hatte ich von den Gräfin – ich sagte selbstverständlich die Gräfin, la duchesse – erwähnt, begann eine zwar diskrete, aber doch spürbare Diskretion der Hoffärtigkeit, und ich meinte zugleich in den Blicken, die einander bedeuteten, daß i c h das sei, den der Gräfin erwartete… meinte darin eine ungewisse Furcht zu spüren; sie tarnte sich lediglich als Respekt.
Die Aussicht, >>>> Melusine hat völlig recht, ist grandios, man überschaute, wäre nicht Notre Dames Wucht, detailliert die gesamte Île de la Cité, schaut drüberhin aufs Paris rive droit bis in die Ferne. Der Abend war bewölkt, was den unendlichen Lichtern eine besondere Kraft, die Kraft eines abgeschlossenen Universums gab. Wohltuend war, daß keine Musik gespielt wurde, weder das Tralala eines Softpops, noch auch, sagen wir, gediegene Musik.
„Herr Herbst, wenn ich bitte vorausgehen darf…” Das jetzt aber auf Französich…Monsieur ‘erbst
Er öffnete eine Seitentür, der dahinter sich öffnend Raum war nicht einmal klein. Es stand aber nur ein Tisch darin, dazu schiebbare Anrichte und einiges Instrumentarium kulinarischer Wissenschaften, das nicht ganz ohne Sadismus war, schon weil es so glänzte wie chirurgisches Besteck vor dem Einsatz. Ich konnte ja wirklich nicht ahnen.
La Duchesse erhob sich nicht, als ich hereingeführt wurde, La Duchesse blieb, ganz wie eine Dame täte, die das ist, sitzen und reichte mir die linke Hand. Wie zum Kuß, dachte ich und erstarrte fast. Denn momentlang hatte ich die peinigende Idee, daß… ich meine: ein Séparé, und ein Mann, der sich als Frau ansprechen läßt, zumal von solcher Zartheit… die linke Hand dann noch… nein nein, keine Rüschen als Manschetten. Es gibt Grenzen. La Duchesse übertrat sie nicht, sowieso, dachte ich dann, wie könne ich nur auf solch einen Einfall kommen? Jetzt schlug ich mir selbst übern Mund. Außerdem diese Stimme, diese für des Gräfin Erscheinung unfaßbar tiefe Stimme, die dennoch nie moduliert wurde, sondern ganz furchtbar plan, immer, blieb.
Er trug einen schwarzen Anzug, völlig unauffällig, konfirmantisch fällt mir dazu ein, trug dazu ein grauen Hemd und eine an Schmucklosigkeit unübertreffbare, leicht grüne schmale Krawatte und in den Manschetten doppelte Schildpattplättchen, die ich aber erst sah, als wir aßen.

Ich will eben duschen. Die Löwin hat das Bad freigegeben. Noch eineinviertel Stunden, bis ich Prunier vom Bahnhof abhol. شجرة حبة meint, es habe Stil, ihn erst einmal hierherzuholen, ihn aufs Zimmer zu bringen und ihm mit einem Cremant zu empfangen. Den sie dazu gestern noch kaufte. Sie geht gern in Läden.
„Du schreibst über die Gräfin?”
„Liest du es eben? Dann mach jetzt ich mich fertig.”
Sie hatte gestern drum gebeten, daß ich mich wegen ihrer Haut von meinem Dreitagebart trennt. „Außerdem will ich mal sehen, wie du ohne ihn aussiehst.”
„Ich schreibe nachher weiter – oder heute abend, wenn die Zeit mit Prunier verbracht ist.”
Er will uns zum Essen einladen. Das kommt gar nicht infrage. Aber wenn ich hier über die Märkte gehe, bedaure ich es ungemein, nicht selber kochen zu können. Könnte ich, okay, kehrte ich in die Chevreuse zurück und besorgte Töpfe und Pfanne – Pardon, ich schweife schon wieder ab. Das passiert aber nur, weil ich meine Erzählung sowieso abbrechen muß. Der neue Anzug hängt da –

10.47 Uhr:
Jetzt trage ich ihn. Der Stoff fällt wie ein Traum, La Lyonesse est très contente… Doch seltsam. Ich sehe mich an im Spiegel, rasiert, und auf dem Schädel das Haar sprießt leicht, sehr leicht, und ich sehe jemanden anderes als den, von dem ich berichte, wenn ich über meine Erlebnisse schreibe. Da bin ich immer viel jünger. Auch in der Lederjacke, die schwer ist, Büffelleder halt, „wie kannst du nur solch ein Gewicht an dir tragen!” ruft der Profi oft aus, der weiches Leder bevorzugt, Yamamotoleder in langer, knietiefer Schmale, federleicht, könnte man sagen… Ich trage Krawatte am geschlossenen Hemd. Dem Gräfin wär es ein Vergnügen, mich so jetzt zu sehen. Hat er bereits Einfluß? „Sie sind nicht korrupt”, sagte er an einer dafür völlig unvorhersehbaren Stelle unseres Gespräches, im Silberturm… gewiß… „darum macht es mir ein solches Vergnügen, Sie zu kaufen, Herr Herbst.” Bereits war die Ente angerichtet, und ich hatte diesen Schock abbekommen. Ich glaube, ich bin blaß geworden. Es war ein nicht minderer Schock als >>>> damals in Flushing, Parks’ Dofu, als sich die lebende Forelle drehte, am Spieß, und ihre entsetzten Augen unklar wurden.

Ich muß los, Prunier abholen. Viel älter bin ich, als ich bin.

20.16 Uhr:
Eine Stunde eines in der Tat sehr verspäteten, eines nicht hinweg- doch weit „nach hinten” geplauderten Mittagsschlafes geschlafen, ich wachte vom Lachen der Löwin auf. „Weshalb lachst du?” „Weil du meinen Fuß nicht aus deinen Beinen läßt.” Das war natürlich, ich schrieb schon von ihm, der Cidre. Aber nicht nur. Bis kurz nach sechs ist Prunier bei uns gewesen, Madame legte sich irgendwann auf die Couch, die das Hotelchen ins Zimmer gestellt, und sprach von dort aus mit. Der Autor und sein Übersetzer, >>>> der ja auch selber dichtet, mochten kein Ende finden. So vieles war zu bereden. Beide, Madame und Prunier, entzückten sich an >>>> Selzers Singen Leichtigkeit; da sei etwas Neues in die Texte geraten, etwas nicht immer so Schweres undsoweiter, was völlig davon absieht, daß die kleinen Erzählungen ja nicht durchweg, ja die wenigstens, neu sind, sondern hier nur einmal zusammengefaßt. Aber davon will ich hier gar nicht weiter erzählen, sondern von meinem SCHOCK. Ja, ich muß ihn in Kapitalen schreiben, nicht nur, weil es der zweite ist, von dem ich heute erzähle. Diesmal war er auch SCHRECK. Nämlich hatte ich Prunier von der Métrostation abgeholt, wir waren dann noch ein wenig über die Rue Lamarck – jetzt nämlich kann ich das schreiben, die ganze Diskretion hat keinen Sinn mehr – gestreift auf der Suche nach einer sonntagmorgens geöffneten Tabacherie, vor allem einer, ich sag Ihnen, die Sobranie führt. Ergebnislos, doch mit Surrogaten, waren wir dann ins Hotel zurückgegangen, wo uns die Löwin mit einem kühlen Cremant empfing. Vorstellung: „Madame Gelsing – Monsieur Prunier”. Wir setzten uns, plauderten, die Löwin zeigte ihm, da ich s c h o n wollte, daß er wisse, mit wem er sprach, einige ihrer Gemälde – Fotografien selbstverständlich: erstens arbeitet sie großformatig, zweitens schleppt man auch eine kleinere Leinwand an sich mit sich nicht herum. Aber es gab Abbildungen im Laptop. Momentlang hatte ich den Eindruck, daß sie Prunier… sagen wir: irritierten. Aber dann rückte er mit einer solchen kunsthistorischen Kenntnis heraus, daß ich nur staunte. Dazu dann die Literatur und gleich auch eine Geschichte über den Segen der Musik, der sie für ihn, als er Junge war, gewesen. Schließlich meine Gedichte, dann Flamarion, einige weitere Namen und was er, Prunier, grad übersetze… da war es dann schon Zeit, essen zu gehen. Wir fanden ein Ecklokal, ein Gallier führte es in weiter Windjacke, während seine Bediensteten in Weste und Krawatte bedienten. Da war ich aber schon stumm und schaute immer wieder auf den knappen Brief, der mir an der Rezeption übergeben wurde: „Monsieur ’erbst?…” Ich kannte die Schrift, bereits die auf dem Umschlag. Dieselbe wie in ihm auf dem Briefbogen, der ansonsten nackt war. Sie sind bis morgen früh 12 Uhr entschuldigt. Keine Unterschrift. Ich bin blaß geworden, bin mir sicher, mochte nicht sprechen. Erst bei Tisch reichte ich der Löwin die Nachricht. „Le Duchesse”, sagte sie. Prunier lachte auf: „Le Duchesse, das hätte Proust gefallen.” Und später bemerkte er: „Wie machen Sie das? Wenn i c h nach Paris komme, passiert mir sowas alles nie.” Ich wußte aber momenten nicht, ob es wirklich ein Nachteil war. „Er will einen Roman von mir”, sagte ich. Prunier: „Einen Roman? Und: zahlt er?” „Das ist kein Problem offenbar. Aber er will ihn nur für sich. Er soll nur in einem einzigen Exemplar erscheinen: dem dann seinen. Ich weiß nicht, ob ich mich darauf einlassen will.”
Als wir gegessen hatten – die Löwin Büffelfleisch, was sonst?, und wie ich vorneweg Schnecken, Prunier Salat und Fisch, mir aber war vegetarisch, weil… das wissen Sie ja noch gar nicht: das gehört zu des Silberturms Erzählung zweitem Teil – als wir gegessen hatten und wieder beim Hotel ankamen, fragte ich nach: „Wissen Sie noch, wer das abgegeben hat?” Der Rezeptionist sei da noch nicht in Dienst gewesen… ob es wichtig sei? Ich wüßt’ es gerne, ja… (was Prunier für mich übersetzte) „Un moment…” Mit einer älteren Dame kam er zurück. Sie erzählte. An der Löwin Gesicht… nur an ihrem Gesicht mußt ich schauen. Jenny.
„Woher kann der Gräfin wissen, wo ich bin?”
Die Löwin dachte einen Moment lang, nur einen ganz kleinen Moment lang nach. Dann sagte sie sicher: „Dein USB-Stick. Die Sim-Card. Man kann sowas orten.” Ich brauchte fast eine Stunde, um meine Verwirrung loszuwerden. Mit welch einer Macht hatte ich es zu tun? Nur Prunier, der amüsierte sich. Und die Löwin war kampfbereit… i s t kampfbereit. Nur daß sie halt morgen wieder davonfährt und ich noch einen Tag bleiben werde.
Dennoch, ich bin ja mit Widrigkeiten vertraut, und dank einer nächsten Flasche Cremant, die شجرة حبة in der Zimmerbar irgendwie verstaut haben mußte, dank dann einer weiteren Flasche Cidre, welche wir beim Hotelempfang orderten, fiel die Beklemmung von mir endlich wieder ab. Und wir begeisterten uns, er verteidigte Céline, ich Ernst Jünger, den Prunier absolut nicht mag: „Ich bitte Sie! Der Mann bleibt als Offizier der nationalsozialistischen Besetzungsmacht vier Jahre in Paris.. Bande, sag ich Ihnen, Bande!” Ich gab zurück: „Célines Rassismus ist bereits in der Reise ans Ende der Nacht in komplettster Widerlichkeit angelegt.” Undsoweiter. Ich nehme mal an, daß wir b e i d e recht haben, oder unrecht. Doch was ich von Proust erfuhr, über Aragon auch und vor allem… Claude Simon. „Das ist nicht, war nie Nouveau Roman… das ist etwas anderes”, anderes groß geschrieben: Anderes… so. Schließlich immer wieder zurück auf meine eigenen Bücher. Ich kenne wenige Menschen, die sie so lieben, wie dieser schmale, bescheidene und kluge Übersetzer mit seinen flinken Augen. Er rauchte mir zu Ehren sogar. Einen Erzählband möchte er zusammenstellen aus den Bänden, möchte aus jedem nach eigener Wahl zweidrei Erzählungen nehmen. „Dafür f i n d e ich einen Verlag.”

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20 thoughts on “Auf der Flucht ODER Regen und Leiber: Das Reisejournal des Sonntags, dem 20. Juni 2010. Les secrets de Paris (4). Mit einer langen, nämlich der nachgeholten Erzählung: Was im Silberturm geschah. Dazwischen die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (128).

  1. Diskretion – und weitere “Geheimnisse von Paris” Nun also verschwindet Jenny schon aus den Dschungeln. Wie schade. Doch verstehe ich die Gründe.
    Ein Geheimnis von Paris sollten Sie nicht versäumen: Gehen Sie bei Sonnenuntergang in die Sainte-Chapelle, wo im Licht die glühenden Darstellungen der Apokalypse erwachen. Das ist alt und wahr.

  2. Es ist schön, lieber Alban, deine Pariser Erlebnisse zu lesen. Sie sind anders als das alltägliche Arbeitsjournal.
    „So verrast die Zeit. Als gäbe es sie nicht.“: Das ist es vielleicht. Nicht, dass sie langsamer vergeht, die Zeit, oder schneller, sie vergeht einfach. Du kannst nichts dafür oder dagegen tun, du kannst nichts dazulegen oder wegenehmen: alles Ansätze die man versucht, wenn einem an normalen Tagen die Zeit davonläuft, wenn sie einem fehlt, wenn man die Zeit füllt wie ein leeres Gefäß, selbst wenn man zufrieden ist und dieses Gefäß am Abend wieder voll ist, am nächsten Tag ist es wieder leer, oder auch umgekehrt, es wird jeden Tag aufs Neue entleert; wenn ein Tag nach dem anderen kommt und geht, wenn Zukunft und Vergangenheit an einem zerren, dann hat die Zeit etwas weniger werdendes. Während es sie deinem Pariser Zimmer einfach nicht gibt. Oder deine Einbildungskraft und Imagination aus dem harten und unnachgiebigen Strom der Zeit etwas Wächsernes und Weiches formt.
    Geh nicht so nah an die Seine, da sind schon andere ertrunken! Dann nämlich gibt es die Zeit wieder, wenn sie aufhört.
    Schreib weiter!
    Aléa

    1. oh gott ich gehe unter dacht ich noch
      wie laut das wasser in den ohren brüllt
      welche kalter tod mir da vor augen stand
      mir schien ich sänke auf den grund der
      seine hinab zu perlen gold und edelsteinen

  3. Wie Alea schon richtig bemerkt hat, tun Ihnen die Reisen gut. Natürlich, wem von uns tun sie nicht gut? Aber sie wirken sich auch unmittelbar günstig auf Ihre Literatur aus. Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen hier auf berückende Weise ineinander und hinterlassen nicht jenen Geschmack gezwungener Science Fiction, der mir manchmal den Genuß an Ihren Abenteuern verdirbt. Hier ist alles wie mit einer Lasur überzogen, alles wie durch einen feinen Schleier betrachtet, der aus den Mythen der Stadt Paris und Ihren Erinnerungen gewoben ist. Offenbar werden wirklich alte Quellen angezapft und Impressionen reanimiert, die irgendwo in den Synapsen hausen. Und wie man sieht, verstummt auch sogleich das Gekläff der Kommentatoren, das mir immer öfter auf die Nerven geht. Zur Literatur hat diese Rotte glücklicherweise keine Meinung. Das zeigt aber auch: die regelmäßigen (Pseudo-)Provokationen, mit denen Sie diese Aasgeier der Blogosphäre immer wieder aus ihren Verstecken locken, dienen letztlich nur dazu den Betrieb am Laufen zu halten. Ein Schriftsteller ist zwar 24 Stunden am Tag ein Schriftsteller, doch wenn er sich darauf einläßt rund um die Uhr eine Maschine (namens DieDschungel) zu füttern, muß seine Literatur einen Preis dafür zahlen.
    Weitere Reisen wären Ihnen zu Wünschen, aber auch die Gelassenheit, in den Dschungeln öfter nächtliche Stille einkehren zu lassen. Aber Gelassenheit ist Ihre Sache natürlich nicht, schon klar.

  4. Es ist schon augenfällig, daß w i r Sie voranbringen.
    Melusine, bereit mit Ihnen ihren heiligen Sonnenuntergang zu teilen,
    Alea, die fast mütterlich besorgt vor den Untiefen der Seine warnt,
    Morelli, die die nächtliche Stille beschwört und und damit tatsächlich Aasgeir und Hyänen fernhält, nicht zu vergessen die Löwin, gurrend, schnurrend, Sie anspornend, wann immer ihre Stola senffarben duch das Bild weht. Ein Haufen Engel also um Sie herum, Ihnen ins Ohr singend, daß Sie vor Rührung zitternd aufwachen und noch lang danach fest annehmen, daß Sie im Garten Eden waren: festes Fleisch, aufrechter Gang, biegsame Hüften, wir w o l l e n – je mehr Sie schreiben.

    1. Es ist seltsam und ich mag das gar nicht aussprechen. Aber das, was Herr Herbst da täglich schreibt, ist im wahrsten und eigentlichen Sinne (und zwar wohlgemerkt im besten) FRAUENLITERATUR. Mit jedem Satz “berührt” er das weibliche Herz. Ich find das Klasse. Ich weiß, ich weiß, es gibt keine Frauenliteratur, aber wenn es sie gäbe, meine Punkte bekäme Herr Herbst.

    2. Selbstbildnis Ich seh, oh Gott, den trüben Blick,
      jetzt fleischt der Löwe sich in schwache Gnu,
      im Machtrausch selig greift die Tyrannei
      jetzt nach dem offenen Hemd,
      ich grüß Euch: Vergänglichkeit, Herbst und Alter,
      das Ende steht klar wie ein Bild vor mir.

  5. Knospen Lieber Herr Herbst,

    haben sich dort im Bild nicht
    die Pfingstrosen aus Teil 1
    versteckt? – mir knospt da ein
    Verdacht! Schön, wenn ab und
    an versatzstückhaft die Fakten
    aus der Verzahnung ragen…

    Herzlich,
    beamunt

    1. ach, es ist doch ganz reizvoll, wie die Verzahnung nicht nur motivisch,
      sondern auch “piktural” sichtbar wird. Herr Herbst macht
      dies doch schon deutlich, wenn er in der Unterhaltung
      mit der Löwin über die Gräfin im Modalstil redet –
      “wenn es eine Erzählung wäre”

    2. @beamunt. Es ist viel simpler, als Sie denken. Ich nahm die Pfingstrosen mit. Schauen Sie alleine die Vase an. Hier ist es eine – Tasse. Und diese Decke, nun, aus guten Gründen hat sie die Löwin aufgedeckt, die sich auskennt mit beschwipsten Herren. Sie hat solche Decken immer dabei, wenigstens ein oder zwei: wegen der Geparden.

      (Zusammenpacken und ab. Unten wartet Jenny. Sie ließ uns, einfühlsam, wie sie als Erzengel ist, die Zeit.)

    3. Das ist doch keine Tasse! Sogar bin ich der Meinund, im Dreieck zwischen Ihrem wohlgewandeten Arm, der Hand, der niedlichen Tischdecke und der lässig den Cigarillo haltenden Hand einen Holzboden der selben Färbung zu erkennen, wie er bereits auf dem Photo aus Teil 1 deutlich(er) sichtbar ist. Aber dies könnte – im Gegensatz zum Punkte SELBE VASE – auch Projektion sein.

      Bis zu mir reicht Ihre Hand nicht, dass Sie mich an der Nase herumführen könnten, werter Herr Herbst!

      Mit bestem Gruße,
      beamunt

  6. ein netter Versuch, zu retten, was nicht mehr zu retten war, Herr Herbst.
    Die Pfingstrosen sind als code verbrannt. Schon vor 12:51

    1. Traurig, dass Sie es “verbrennen” nennen – diese Tendenz, einen schlampig geführten Tjost in ein martialisches Duel umzuwidmen, war mir bei Ihnen noch nicht aufgefallen, verehrter Profi.

    2. Klasse! Wir schmunzeln hier sehr über den Fortgang Ihrer geheimnisvollen Geschichte. Sie verstehen es, im innigen Dialog mit Ihren wohlmeinenden Mitstreiterinnen eine Spannung aufzubauen, die ihresgleichen in der deutschen Nachkriegsliteratur sucht. Auch der Herr Profi ist ein wirklicher Gewinn. So unvergleichlich amüsant seine versteckte Munterkeit, so herzerfrischend heiter auch die Einwürfe Melusines. Man könnte doch glatt von einer verschworenen Bande sprechen. Gehört beamunt auch dazu? Ich frage, weil ihre Sprache manchmal eine hier unpassende Härte ausstrahlt. Von hier aus ein herzliches “Weiter so!”. Ihre Edith

    3. Ach ach! wer mag denn hier von Härte sprechen?
      Dass Herr Herbst solch niedere Motive
      mir unterstellte, hat mich tief betrübt, denn
      destruktiv wollt ich wahrlich nicht wirken.
      Auch ich lese, gleich Ihnen, Edith, und
      Melusine und Aléa Torik, mit großer
      Begeisterung dieses zauberhafte Journal.

      @ANH : Das “schlampig” bezog sich
      durchaus nicht auf Sie, vielmehr war
      meine Vorahnung es, die das “schlampig”
      mich selbst vorverurteilen ließ…

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