Helsinki 6: Das zweite Konzert. Finlandia-Halle: Debussy – Salonen – Stravinski. Helsinki, 21. August.

Beliebig, witzig-unterhaltsam, grandios – in dieser Abfolge läßt sich der Abend knappst zusammenfassen.Es war das erste Mal, daß Esa-Pekka Salonen mit seinem Philharmonic Orchestra in Helsinki gastierte, wo er seine Ausbildung erhielt, gewissermaßen ein kleines nationales Ereignis; der Saal war voll. Man gab „La Mer“, einen sinfonischen Schlager, über den ich nicht gern schreibe; zu parfumiert war er mir immer und, in völligem Gegensatz zu Brittens Sea Interludes aus Peter Grimes und trotz schillerndster Farbigkeit, vielleicht auch gerade deswegen, bei aller Raffinesse hochgekitscht. Der etwas pappig klingende Saal, der die Höfe der Klangfarben ausbleicht, milderte meinen alten Eindruck nicht; es ist etwas unangenehm Klebriges an dieser Musik, man möchte sich hernach die Ohrhände waschen und mag es gar nicht, wenn die heroisierten Momente einen aus der Distanz reißen wollen, als zögen einen die Leute am Ärmel und riefen: „Steh auf, wir feiern Trimphzüge nun!“ – Nö.
Dann also Salonens Klavierkonzert von 2007. Mir ist die allgemeine Begeisterung seiner Aufnahme – etwa >>>> hier – nicht ganz nachvollziehbar; durchaus nachvollziehbar ist mir, weshalb es, für ein „modernes“ Werk, unterdessen ziemlich oft aufgeführt wurde; immerhin ist sein Schöpfer einer der derzeit weltweit gefragtesten Dirigenten. Das Stück ist entsprechend, wie mal über Mahlers Musik fehlgeurteilt wurde, „Kapellnmeistermusik“: es wird sehr bewußt und seiner Mittel völlig sicher Speckschwarten nach den Publikum, die man auf ihre Verdaulichkeit durchaus nicht mehr prüfen muß.
Das Stück ist unterhaltsam, gar keine Frage, es hat viel Witz, ein rasender Rhythmus treibt es voran, Langeweile kommt wirklich nicht auf. So beginnt es auch gleich, ryhthmisch à la Stravinski, dann stockt es, dann setzt das Klavier ein (Yefim Bronfman), solo, und es jagt fast alle Zeit aufs Virtoseste mit dem und unter dem Stück weiter. Ihr hört jetzt einen Reißer, heißt das und will das. Schon klingen Harmonien hinein der 20er/30er Jahre, Tanzmusik fast, ragtime-ähnlich, mitunter hört man Rachmanninof improvisieren, auch Gershwin, logisch, ist bei der Partie. Dazu gehört auch der Einsatz des gleichsam rufend eingeführten Saxophons, wobei die zugleich stark rhythmisiert vorantreibenden Klangcollagen eher an Charles Ives’ US-Amerika erinnern als an z.B. die von ganz anderer Musik und anderen Geräuschen durchsetzte heutige City New Yorks. Das alles ist, zumal mit neo-impressionistischen Zäsuren, kompositorisch auf höchstem Niveau, ergibt aber in der Summe immer nur Erinnerungen an, sagen wir, „Goldene Zeiten“, die etwas Eigenes gar nicht entwickeln können, schon gar nicht Metaphysik. Das Stück ist well done wie ein Steak. Es zu essen, ist angenehm, es ist durchaus kein Zeitverlust, man wird gut unterhalten, erkennt diesen, erkennt jenen, freut sich an der Sauce, die dazugereicht wird; und man verdaut das Essen gut. Es gibt rein keine Nachwirkung. Es muß auch nicht alles immer eine „Aussage“ haben, die Zeit der Welterklärungen, zumal in Musik, ist vorbei, wir brauchen dringend product placement. Es reicht wirklich völlig zu hören, hier habe jemand aus den Erfahrungen, die er während seiner Dirigentenzeit in Los Angeles wahrscheinlich auf Spaziergängen gemacht, in eine Partitur überführt und spielt mit ihnen darin aufs Virtuoseste herum. Allerdings scheint er für nicht allzu viele Spaziergänge die Zeit gehabt zu haben, wie auch, bei dem Programm? – so daß die zeitgenössische Erfahrung einer Metropole von Addinsells Warsawa Concerto (1940) gänzlich überwölbt zu sein scheint. Auch insofern vermittelt das Konzert den Eindruck, Salonen habe die USA mehr über Partituren als über eigenes direktes Erleben erlebt. Also, wir erwarteten ihn, dankbarer Jubel.
Doch dann der Stravinski. Nun war Salonen wirklich bei sich. Die straff durchorganisierte, dem Dirigenten nahe Rhythmik, der Akzent auf den Ausdruck anstelle auf Farbe, die plötzlichen Einschübe, Momente des Aus- und des Einatmens, bevor es wieder unabdingbar weitergeht – all das, was das Frühlingsopfer ausmacht: hier wurde es Klang, massiv, drohend mitunter, nicht verschluckt von wohlerzogener Eleganz, sondern ruppig… auch und gerade die Finlandia-Halle kam dem entgegen oder es ihr, radikaler Einfall um radikalen Einfall, irre gut ineinandergefügt, aufeinandergeschlagen – das war nun wirklich M u s i k.

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