[Kapitel 44 bis 47 <<<< dort.]
Ich habe keine Erinnerung mehr. Bei dem einen Hieb kann es aber nicht geblieben sein, so zugerichtet, wie ich am Rinnstein der 31st St. zu mir kam. Schmerzhafte Stellen unter den Achseln. Es war bereits dunkel. Jemand hatte Zeitungen und eine Kartonpappe über mich gedeckt, die jetzt aufgequollen war wie eine Masse eingeweichter Brötchen. „He hier ist kein Schlafplatz!“ Der Gummiknüppel bohrte mir in den Weichen. „Steh auf und hau ab.“ Ich blinzelte den Cop an. Wenigstens goß es nicht mehr. Soweit ich in der Lage war, das zu registrieren, fiel nicht einmal mehr Nieselregen. „Ich hab gesagt, du sollst aufstehn.“ Er trat zu. Ich war so taub, daß ich den Schmerz nicht merkte. Wie spät war es? Ich wollte, nein m u ß t e zu dem Konzert! Versuchte hochzukommen. Was aber schon deshalb nicht ging, weil der Cop seinen Knüppel auf mich niederhieb. Weshalb sprach ich nicht? Weshalb erklärte ich mich nicht? Ich hätte zumindest um Hilfe stammeln, hätte versuchen können, etwas von Überfall und Schläger zu heulen. Ich tat es nicht. Der Cop schlug abermals zu. Wie seltsam! Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, etwas Wahres zu tun, indem ich mich so mißhandeln ließ… es tat auch gar nicht weh, machte nur dumpf für Momente, mal schlug ein Blitz durch, das war der Knüppel, dann war alles um mich her weich. Er bekam mich am Nacken zu fassen, zog mich auf. „Jetzt verschwinde. Und sieh zu, daß du mir nicht mehr unter die Augen kommst.“ Stolz aufgereckt blieb der Hüne da stehen und sah mir, unter der Lampe blitzte die WappenMarke an der Mütze, ganz Ordnungshüter nach. Schwankend, nur selten und dann schräg unterm Arm zurückschauend, machte ich mich weg. Das rechte Knie, immer wieder, knickte ab. Wollte zum Hotel. Wieso Hotel? Ich hatte seit Tagen kein Bett mehr gesehen. Statt dessen entsann ich mich eines Baches, der eine Treppe, sie spülend, hinabsprang… sah eine fette Nutte noch, das widerliche Weiß ihres hochtoupierten Sprödhaars, nein zu Fantasien hatte ich keine Lust keine Zeit, mir reichten meine Träume. Wie spät war es? meine Uhr war weg. Ich hatte seit Menschengedenken keine Uhr mehr gehabt. Aber ich trug einen Anzug. Was ist das für ein Anzug? Eingerissen naß verdreckt. Aber neu. Und bißchen blutig, von der Nase wahrscheinlich. Die Krawatte zu einem Strick verknorkelt. Nun hatte ich mit Krawatten nie was im Sinn. Ich mußte mich aus diesem Alpdruck schälen. Da hing was um mich, hing wie der schlechte Morgengeschmack einer Hoffnung, bevor du die erste Bierdose ansetzt und langsam wieder klar wirst und weißt: so ist die Realität. Stockig die verhärteten Strähnen aus Dreck in den Haaren. Es ist so kalt in New York. Lichter verschwammen in den Lidern zu Streifen Farben Blutung. Jim hatte triumphiert. Er hatte es wochenlang drauf angelegt, mich in seine Finger zu kriegen. Und es nun gepackt nach den Monaten. Schon damals, als sie mich aufgenommen hatten, war er gegen mich gewesen. Hatte Rache geschworen, als ich floh. Ich sah seine Faust noch auf mich zukommen, hatte einfach keine Lust gehabt, ihr auszuweichen. Wie mein Auge platzte. Als spritzt dir das Augenweiße durchs Hirn. Dann kam auch der Schmerz. Ich tastete die Schwellung ab. Wie eine Knorpelbeule fühlte sie sich an, ein Knochenstück. Jim hatte mich gehaßt, weil ich zur Sippe gestoßen war. Und weil mir seine Ala ihre Musch gezeigt hat. Er hat diese Mißgeburt von Fut tatsächlich G a l a genannt! Dabei hat sie das nicht mal in den Condos getan, sondern im Mordhaus. Sie hatten uns aufgegriffen und in dieses beschissene Fort Washington Shelter gebracht. Ich war voll gewesen wie selten, da war mir die Nutte an die Hose… Aber Jim hat i h r geglaubt, nicht mir. Vielleicht wollte er ihr auch glauben, um nach all der Zeit noch einen Grund zu haben. Jetzt war meine rechte Hand ganz blau, als ich sie ins Licht der Schaufensterscheibe drehte. Irrsinnig blau. Und was wölbt sie sich hoch da, so? Auch meine Fingernägel machten mir zu schaffen.
So lange lag das zurück, daß mich der MTA-Typ gewarnt hatte. Das war gewesen, nachdem ich mit Profane Alligatoren gejagt hatte. Ich weiß noch, Bung hat mich wieder runtergescheucht, ich hatte nicht die geringste Lust gehabt, diesem Vieh hinterherzuwaten, da erwischte es mich schon. Es war ein großes, sehr altes Krokodil. Ich weiß nicht, wie ich freigekommen bin, ich dachte, das frißt dir dein Bein. Bis übers linke Knie steckte ich dem Ungeheuer im Maul. Auf den Rücken gerissen über die Schultern geschwappt unterschenkeltiefes Kanalwasser schluckte. Bröselzeug Schleim schluckte Scheiße. Irgendwann aber ließ der Alligator los, ich weiß nicht, ich schmeckte ihm wahrscheinlich nicht oder er hat sich sowieso nur lustig machen wollen und, um zu zeigen, was er von so einem Leben hält in Manhattan, mit seinem Schwanz das Pissewasser aufgepeitscht. Profane soll das Ungeheuer erwischt haben nachher, es hat so ausgesehen, hat er später erzählt, wie wenn das Ding ihn zum Vollstrecker seines passiven Selbstmords ausgekuckt hat. Mich jedenfalls hatte es in einem Seitenkanal abgelegt oder einfach hineingespuckt und dann liegenlassen, den ich dann langkriechen entlangknien mußte, ich wollte ja irgendwie hoch, meine Lampe war verloren gegangen, doch das Gewehr hing mir am Halfter um den Hals. Die Schmerzen überm Knie waren ganz nett, aber nie hatte ich soviel Ekel gehabt, wie als ich die Schutzklappe öffnete, mich in die nächste Röhre zog, wo es hinten Licht gab, aus einer fingerdick staubbedeckten Glühlampe. Und dann lag da dieser von den Gleiskaninchen angefressene, aber nun auch schon lange verschmähte Körper. Ich wußte nicht, war er noch Körper. Er hätte auch flüssig sein können. Was ein Gestank! Als ich später Meldung erstattete, fand man da unten noch mehr von denen. Fand eine ganze Siedlung mit Betten Tischen sogar einer StereoAnlage Art Küche. Und gleich um die Ecke die Toten. Imgrunde ging es gerecht zu: Sie fraßen die Ratten, die Ratten fraßen sie. Ich entschloß mich, ihnen ein Krokodil zu schießen, das machte sie dann auf Wochen satt. Sie hatten ohnedies nur eine Lebenserwartung von noch drei bis fünf Jahren, starben an Fieber und einfachen Erkältungen, die sich zur Lungenentzündung ausweiteten, an Zuckerkrankheit, ja, weil das Antoniusfeuer tanzte, an geringsten Verletzungen. Nicht, daß sie mir leidtaten. Sie faszinierten mich. Offiziell bestritt man ihre Existenz. Bis mich John Denver, der bei der Gleiswacht jobbte, mit nach unten nahm. Tiefer hinab, als die ALLIGATOR PATROL je gekommen war. Dabei erzählte er, sie hätten Schwimmhäute zwischen den Zehen. Er hatte recht. Es war schwer, sie überhaupt zu sehen, derart mäuschenstill waren sie. Konnten pirschen, ohne daß sich ein Wellchen bewegte, und huschten schattenflink durch die vergessensten Stationen. Sie machten seltsame Geräusche, als zögen ferne UBahnZüge durchs Erdreich, aber es waren keine Züge, sondern war ihre Sprache: So unterhielten sie sich, so gaben sie einander Signale, du hörtest so einen Walgesang, und plötzlich, eh du dich versehen, schlugen ihre Zähne in deine Schulter. Johnny war davon überzeugt, daß sie Kannibalen sind, CHUD-People nannte er sie, das stand für CAMBALISTIC Cannibalistic HUMAN UNDERGRPUND DWELLERS, nämlich weil sie zumindest ihre Toten aßen, aber auch schon mal… wenn das Los… Schließlich verzehrten sie ebenfalls Hunde. Man schrieb ihnen, besonders in der Gegend um die Canal Street, das Verschwinden von Passanten zu, sie schienen sich auf die Lexington Line zu konzentrieren, und eines Tages, endlich, sah ich einen von ihnen, es m u ß t e einer von ihnen sein, er sprang von der untersten Plattform Broadway-Lafayette auf die Schienen, setzte vorsichtig über das dritte, die Elektrizität führende Gleis. Nicht nur, daß bei Berührung die Funken derart rüberschießen, daß du quasi verkohlst. Sondern die Arme Beine blähen sich auf explodieren. Ziemlich eklig. Trotzdem war ich hinterher. Es gab absolut keinen Platz. Wäre eine Bahn gekommen, es hätte keine Zuflucht gegeben. Ich lauschte in die Schwärze. Es war nicht leicht zu folgen, der Kerl schien nachtsichtig zu sein, man hörte kaum seine Schritte. Meine aber gewiß. Ich kam auf einen Catwalk, mußte die durchbrochenen Metalltreppen hinabsteigen an Schütten aus Elektronikschächten vorbei, Leitungen wie Adern, ein System mechanischer Organik, es wurde ganz warm: Netherworlds Schächte waren immer vier Grad wärmer als draußen. So gab es eine neue Fauna: schultergroße, von einem feinen weißen Schimmel geschützte Kokons hingen an den Wänden fantastische Wandlampen ArtDecot. Manchmal flogen Funken. Woher kam das Licht? Noch wußte ich nichts von den Meistern den Baustellen Neuen Freimaurern untertags von dem Dom, der aus der Tiefe herauferrichtet wurde. Aber sah mich plötzlich umzingelt von wenigstens zwanzig, mit Schlagringen Ketten Backsteinen bewaffneten Maulwurfsleuten. „Ich bringe euch ein Gewehr“, sagte ich ihnen. Das gewann mir Sympathie. Deshalb nahmen sie mich auf. Und sagten, ich könne bei ihnen bleiben; ans Tageslicht zurück dürfe ich fortan jedoch nur noch mit ihrer Genehmigung. Allein Jim war gegen mich, von allem Anfang an.
Kaum war ich Meissen losgeworden, stürzte ich, von religiöser Freude erfüllt, mein Stout. Ich war befreit. Die Situation hatte etwas Erlösendes, Befreiung ist ein viel zu kleines Wort. Dabei bin ich kein sonderlich gefühlvoller Typ. Ich nickte dem Barkeeper noch einmal zu und verließ das Moley Wee. Die Schläger kamen gerade um die Ecke. Ich sprach nicht mit ihnen, gab bloß Kopfnick zum Pub; so wußten sie, wo sich ihr Blutgeld holen. Im Vorbeigehn händigten sie mir zwei Schlüssel aus. Und einen Vierkantschlüssel. Was ich mit dem sollte, wußte ich nicht. Sie hatten ihn dem Kerl aus den Taschen genommen. Wahrscheinlich unterschlugen sie Beute, aber das war mir egal. Ich war mir sowieso sicher, daß sie halb vor Mitternacht bei LEGZ DIAMOND’s erscheinen würden, um mir auch noch die andere Freude zu machen. Danach wollte ich ein zweites Mal die Kleine bürsten. Vielleicht sogar ihr erzählen, wie auseinandergenommen ihr Typ war. Und sie mit seinem Geld bezahlen. Wenn ich dann ins Hotel zurückkam, ließ bestimmt Duschkin nicht mehr lange auf sich warten. Mit dem mußte ich mich arrangieren, das war klar. Ich brauchte falsche Papiere. Und weshalb eigentlich nicht: Meissen? Gottfried Meissen, das hatte was. Meissen würde sich den Ruf eines gefährlichen Mannes erwerben. Es war mir vollkommen klar, daß seine Lebenserwartung nicht sonderlich prolongierbar war. Aber bloß fünfzehn Jahre, meinethalben zehn, s o gelebt, das wog schon vierzig eines Anwaltslebens auf. Ich warf den Kopf in den Nacken und lachte in den Regen. Die Tropfen fielen mir kalt auf die Zähne. Ich öffnete die Tür des MANHATTAN INNs, checkte bei dem blöden Japsen aus und schleppte mein Gepäck, wie verabredet, rüber ins STAR HOTEL. Die Eingangstür war zu, aber natürlich paßte der Schlüssel.
Das Gebäude befand sich in einem furchtbaren Zustand. Ich konnte nur hoffen, bald anderswohin übersiedeln zu können. Das müßte ich, wegen des Namens, sowieso. Jedenfalls hatte ich unten kaum die Tür aufgeschlossen, kam mir eine zähe Schicht aus wässrigem Teer entgegengelappt: nur wenige Trittstellen waren freigeblieben, in die ich meine Schuhsohlen so vorsichtig setzte, als wäre es sich abwärts wälzendes Magma. Immerhin war das Zeug kalt. Es kam aus dem zweiten Stock, schien irgendwo dort oben aus den vom dauernden Regen aufgeweichten Dachpappen zu quillen. Wahrscheinlich rissen die Eihäute, so daß dieses Magma austreten konnte und nach unten abfloß. Das tat es aber irgendwie nur Richtung Eingang; nach hinten der Flur, in Richtung auf mein Zimmer, blieb, obwohl in gleicher Höhe und ohne sichtliche Steigung, von dem Schlick verschont. Eine steife Brise wehte von oben und übers Magma drüber; mochte also sein, es war nur an der Oberfläche kalt.
Meissen hatte sein Zeug kaum angerührt und schon gar nicht Ordnung gemacht. Nur sich umgezogen. Nicht einmal die Sachen vom Bett hatte er zusammengeräumt. Alles muß man selber tun. Ich legte das Zeug sorgfältig auf die Kommode. Auch Meissens alte Klamotten. Die Pistole legte ich in den Nachttisch. Um das Geld hatte ich mich sowieso nicht gesorgt. Steckte mir eine Zigarette an. Die Dinger schmeckten immer besser. Mein Blick fiel auf das Insektizid. Prophylaktisch sprühte ich ein bißchen herum. Hatte Meissen nicht einen Spiegel gehabt? Richtig. Ich hockte mich vor die Kommode und probierte die verschiedenen Möglichkeiten aus, eine Zigarette mit den Lippen zu halten. Und dann strömte neuerlich der Regen, strömte auf die 8th Avenue, strömte auf den Madison Square Garden und strömte auf Junkies Nutten Penner herunter.
[>>>> Kapitel 50 & 51 (Anfang).
ANH, In New York, Romananfang <<<<
Alban Nikolai Herbst, In New York, Manhattan Roman.]