Arbeitsjournal. Mittwoch, der 18. Februar 2009. Mit Laurin.

6.16 Uhr:
Nicht früher als sechs Uhr hoch, erst um kurz nach zwei ins Bett; den Abend mit DVD-Schauen verbracht; der zweite Film wäre unnötig gewesen, aber ich war verärgert-erregt und gekränkt. Denn aus >>>> dieser Diskussion entwickelte sich dann bei Skype, zu den Filmen parallel, und danach noch am Telefon eine emotional so aufgeladene private Diskussion, daß etwas zerbrach oder f a s t zerbrochen ist. Es ist erstaunlich und auch ein wenig beängstigend, welche emotionalen Ausmaße das Netz wirken kann; es gibt ja keine Blicke, keine Geste, die einlenken könnten, kein Lächeln, keinen Geruch – nichts Tierisches mithin; es ist alles reiner Geist und also, wie Nietzsche mit Recht bemerkt hat, kalt.

[Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (108).
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Also trank ich mich zu. Außerdem hatte ich in der Erregung – stand vor der Videothek im Schnee – versehentlich آناهی angerufen und nicht עשתרת und meinen Anruf, ohne aufs Display zu schauen, mit dem Satz begonnen: „Machst du jetzt Schluß?“ – was eine n o c h ganz unabsehbare Dynamik in Gang gebracht haben könnte, vor der ich mich sehr fürchte. Ich sitz hier und bin unruhig, Verlierer mal wieder hier, Verlierer mal wieder dort.
Dabei wird der Tag hektisch genug; um halb acht muß ich gleich zur Schule meines Jungen hinüber, weil er für das Max-Liebermann-Schülertheater, in dem er mitspielt, sein Kostüm braucht: Gehstock, Hut, Schal – er suchte sich das aus meinen Beständen zusammen, aber ließ es hier liegen. Dann muß ich mich für das Gespräch mit >>>> Zagrosek vorbereiten, das heute nachmittag nun stattfinden wird, also noch einmal durch Křeneks Orpheus durchhören, meine Notizen durchsehen, mir Fragestellungen so vergegenwärtigen, daß ich einfach mit ihnen plaudern kann. Das Gespräch will ich mit dem DAT-Recorder aufnehmen und später zu einem lesbaren Dialog destillieren, der zur nächsten Spielzeit in der Saisonbroschüre des >>>> Konzerthauses abgedruckt werden soll.
Worum es bei dem Streit ging? Entgegen meiner biologistischen Grundhaltung stellte ich mich im persönlichen Gespräch auf die Seite derer, die den Biologismus abwehren und meinen, der Mensch sei in seinen Handlungen und seinem Character etwas, das über die, sagen wir, Prägung durch Naturgesetze grundsätzlich hinausgeht; mithin geht es, letztlich, um Freiheit. Es ist bekannt, daß ich an Willensfreiheit nicht glaube, ich werde nicht müde, ihre Vorstellung zu unterfragen; umgekehrt weiß ich aber auch, daß das, was wir von den Naturwissenschaften (zu denen ich auch Sozialwissenschaften zähle, allein, weil eine soziale Prägung ganz ebenso Prägung ist, und zwar eine, die das Gehirn programmiert) übernehmen, letzten Endes a u c h auf einem Glauben beruht – es sei denn, man hätte, was in den Büchern, Lehrbüchern, Fachzeitschriften usw. steht, selbst überprüft. Was gar nicht geht, allein der Stoffülle wegen; ergo m ü s s e n wir glauben – oder glauben eben n i c h t, bzw. nicht das, sondern etwas anderes. So normativ meine Sätze und Paralipomena daherkommen mögen, letztlich vertreten sie einen Zweifel – und der ist gegenüber a l l e n Seiten angebracht. Diese meine Haltung setzt uns alle einer prinzipiellen Unsicherheit aus; daher die schnell hochbrandenden Aggressionen. Dabei steht meine persönliche Haltung gegenüber der Frage nach dem Freien Willen allein auf einer Schätzung nach Wahrscheinlichkeiten; es ist nicht wahrscheinlich, daß wir einen freien Willen haben, die meisten mir bekannten – bekannt gemachten – Gründe sprechen gegen ihn; aber auch ich muß diese Gründe glauben: ein „schönes“ Beispiel dafür ist, mit welchen spekulativen Lockendrehereien ausgerechnet die Theologie sich seit, kann man sagen, zwei Jahrtausenden angestrengt hat, solch einen Freien Willen zu begründen; die Naturwissenschaft hingegen geht von deterministischen Modellen aus: das m u ß sie auch, sonst gäbe es in ihr keinen Beweis, also keine Praktikablität. Für einen solchen gilt, was wiederholbar ist, er ist ein rein empirisch-praktisches Kriterum. Nach rein solchen Kriterien wäre es aber nie zu einer beseelten Kultur gekommen, d i e entsteht aufgrund von für wahr erachteten Behauptungen, zu denen u.a. und in jeder Kultur der Gottesbegriff zählt. Ohne diesen Gott – ohne Götter – gäbe es nicht ein einziges Kunstwerk, so, wie es ohne diesen Gott – ohne Götter – keine verbindliche Begründung für eine Moral außerhalb reiner Praktikabilität, bzw. reiner Machtverhältnisse gäbe: das heißt, Moral wäre dann immer das, was der Mächtigste durchsetzt. Weil das aber oft genug so der Fall ist, haben die Kritiker meines Paralipomenons recht, und es ist auf etwas zu beharren, von dem ich gleichzeitig meine, es sei ohne faktischen Boden. Am deutlichsten zeigen das >>>> die Einsprüche Diadorims, sie führen den Widerspruch – wie er sein muß – direkt v o r, indem sie sich auf logische Diskursivität gar nicht erst einlassen oder immer nur halb einlassen und dann assoziativ anderswohin davonwitchen. Ohne solche „Hexereien“ gäbe es keine Humanität: sie braucht den Begriff von Seele, und zwar selbst dann, wenn Seele, wie ich glaube, entweder gar nicht da ist oder eine Erscheinung rein der Selbstwahrnehmung und/oder ein Produkt der Chemie, mithin ein notwendig Gew o rdenes, über das wir nicht die geringste (Selbst)Herrschaft haben. Um es vereinfacht auszudrücken: Damit es Moralität gibt, müssen wir an etwas glauben, von dem wir gleichzeitig glauben können müssen, daß es nicht ist. Diese Haltung ist ein Angriff auf b e i d e Positionen, und die Vertreter beider entrüsten sich darum gegen sie, bzw. mich, der ich sie ins „Spiel“ werfe.

– Muß zur Schule los.

8.42 Uhr:
Zurück. Und schnell noch Zigaretten beim Vietnamesenschmuggler besorgt. Die Diskussion läßt nicht nach, mich zu bewegen. >>>> June hat auf ihrem Blog noch weiter reagiert, darauf werde ich eben auch noch schreiben. Anstelle mich um die Dinge zu kümmern, die jetzt vordringlich wären… (dabei bin ich gestern sogar in den >>>> BAMBERGER ELEGIEN weitergekommen)… : die Grundfrage, wie und ob eine Moral möglich ist, d.h. inwieweit über normative Machtverhältnisse hinaus es tatsächlich Schuld gibt, hört nicht auf, mich zu verstören. Junes „Plädoyer wider die Natur“ ist selber ein moralisches, d.h. in diesem Fall politisches, verständlicherweise frauenpolitisches, dessen Grundlage aber – nämlich das Moralische – gerade in Frage steht. – Nein, nicht hier.

20.09 Uhr:
Nachmittägliche Begegnung der Dritten Art. Ich öffne die Tür, sehe nach links, denke, ich seh meinen neunjährigen Jungen, aber komplett geschminkt, ganz schwarz das Gesicht, völlig irre… und hebe schon an, lachend zu sagen: „Aber Junior, wie siehst du denn aus?“ Da bemerke ich, daß das Laurin ist, nicht etwa mein Sohn – und schlucke die Bemerkung grad noch weg. Laurin, mit diesem absurden Gesicht, nachmittags um halb fünf, telefoniert heiser ins Mobilchen; dazu diese schöne Frau, jetzt besonders elegant gekleidet. Es ist ein bißchen was zu regeln wegen eines Cellokartons im Keller, an den ich nicht rankomme, weil der Schlüssel weg ist. Derweil setzt sich Laurin an den Laptop, immer noch so irre geschminkt. Irgendwie ist das alles ein Trash von Tarantino, denk ich, vor allem, als noch die Kleinen auf mich zulaufen und „Papa! Papa!“ rufen. „Ich sehe gut aus als Vater“, hat Laurin schon im November auf einer Website notiert. Ich seh über diesen Ausseh-Vater freundlich, was ja nicht schwer ist, hinweg und gehe, nachdem ich erfahren habe, daß mein Junge seine Hausaufgaben bei seiner Freundin unter Aufsicht von deren Mutter macht. Er will dort auch schlafen. Ich derweil, jetzt, radle zum Profi. Es sind Verfügungen zu treffen.
Dreivier weitere Zeilen an der dritten Bamberger geprokelt. Uninspiriert. Dafür war das Gespräch mit Zagrosek sehr gut, und möglicherweise, zwar ist die Regie für den Orpheus schon vergeben, eröffnet sich etwas anderes mit dem Křenek-Stück für mich. „Wieso haben Sie mir das nicht früher gesagt?“ fragt Zag, als ich ihm gestehe, hier hätte ich wahnsinnig gerne die Regie bekommen.

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