Arbeitsjournal. Sonnabend, der 29. November 2008. Abermals mit Philine Beutler und nun auch André Thiel

8.32 Uhr:
[Arbeitswohnung. Britten, Les Illuminations.]
Ein >>>> herrliches Konzert gestern abend, erst gelockert und sprühend vor Witz, dann s e h r innig. Imgrunde lohnt es sich allein für den Britten, dort hinzugehen (ich hab sogar schon überlegt, ob ich mich nicht nach der Pause einfach hineinbegebe; es wird nicht wesentlich mehr Publikum dasein als gestern war: das Programm ist kein „Reißer“; aber heute abend habe ich Kinderdienst). Wie immer, wenn ich begeistert von großer Musik heimkomme, ging sofort auch die Poesielust wieder los: BAMBERGER ELEGIEN.
Nachher noch mit dem Profi im Knofi Bergmannstraße gewesen; da war dann der Gedanke da: nur noch zwei Tage, und ich „darf“ wieder Wein trinken, vor allem, weil e r einen guten weißen Rum trank. Da war ich ein klitzekleines Bißchen neidisch…

Momentan brandet in Der Dschungel eine Angriffswelle; ich möchte Sie bitten, sich zu gedulden und sie mit mir durchzustehen. Ich werde mich sicher nicht von Leuten nötigen lassen, die das Erbe eines Mannes, Peter Hacks’, „verwalten“, der bis zuletzt Anhänger eines menschenverachtenden Regimes gewesen ist, und die sich bezeichnenderweise nicht schämen, >>>> Paul Reichenbach zu attackieren, >>>> der in ebendiesem brutalen System politischer Gefangener war; was >>>> diese Site insgesamt anbelangt, könnte man annehmen, ihre Betreiber wären nach wie vor glücklich über neue Schießbefehle an neuen Mauern; man könnte das annehmen, selbstverständlich tu ich das nicht, sondern denke mir, Leute wie >>>> Frau Philine Beutler und Herr André Thiel sind lediglich verleitet, vielleicht durch ihre Prägungen, und wissen gar nicht recht, daß sie Verwundungen zufügen, wo man vornehm achten sollte. Sie irren sich obendrein, >>>> wenn sie und/oder ihre politischen Mitläufer glauben, das Dschungelprojekt sei gescheitert: Was immer diese Leute tun, es läßt Die Dschungel nur um so wilder gedeihen. Ihren Irrtum erkennt man allein schon daran, daß sie sich in Kommentarorgien ergehen, was ja völlig unnötig wäre, wären Die Dschungel schon entsumpft. Was nichts ist, das kann man irgnorieren. Können sie aber halt nicht, sondern kommentieren und kommentieren. (Allein schon interessant, wie genau sie verfolgen, was in Der Dschungel wächst – und den Doppelsinn im Verfolgen gleich noch miterfüllen). Um es durch Nietzsches Kipling zu sagen: DIE DSCHUNGEL WÄCHST, WEH DEM, DER DSCHUNGEL BIRGT.

Ich werde heute nicht viel arbeiten können; die Wohnung der ehemaligen Väter-WG, in der so viele Texte entstanden sind, vor allem ist es der größte Teil von ARGO (den ich bitte, nicht mit Thiels vielleicht zu vernachlässigendem >>>> „Argos“ zu verwechseln; vielleicht ist „Argos“ aber auch eine g u t e Zeitschrift; ich weiß es nicht, doch da ich im Innersten kollegial bin, verlinke ich für Interessenten auf sie, denn es ist ungut, den Dichter für seine Anhänger verantwortlich zu machen). Ach ja, >>>> man hat mir nun abermals den Vorwurf gemacht, ich sei Sexist. Dazu ist nur zu sagen: Ja. Das bin ich. Und ich liebe es! Was hingegen eine vermeintliche Entschuldigung anbelangt, die Frau Philine Beutler von mir erwarte, so möge sie mit gutem Beispiel mir gegenüber vorausgehen – oder eine Anzeige wegen Beleidigung erstatten. Das wäre für Die Dschungel überhaupt d a s Erlebnis – und für ihre vielen Leser, ich bin des’ gewiß, erst recht. Wie können die Sache aber auch auf sich beruhen lassen, jeder von uns geht fortan seiner eigenen Wege, Verzeihung: genderkorekterweise auch “ihrer”, und das Kapitel Peter-Hacks-Nachlaßverwalter ./. Alban Nikolai Herbst hat ein sich gegenseitig so ignorierendes Ende, daß man von Frieden sprechen könnte.

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 29. November 2008. Abermals mit Philine Beutler und nun auch André Thiel

  1. Ehrenerklärung Sehr geehrter Herr Herbst,

    was immer wir voneinander und unserer jeweiligen Arbeit halten mögen: Ich kann Ihnen zusichern, dass diese “Gloria”-Figur kein Mitarbeiter der Peter Hacks Seite, eines ihrer Nebenprojekte oder meines Verlages ist. Wäre sie es, sie wäre es ab sofort nicht mehr.

    Wüsste ich, wer hinter “Gloria” steckt, derjenige hätte jetzt Ärger.

    Ich grüße in Ihre grüne Hölle,

    André Thiele

    1. Herrn André Thiele. Das ist ein sehr klares Wort, für das Ihnen der “blasse Glatzkopf” dankt. Also möge auch Frau Beutler meine Entschuldigung h a b e n. Es ist bei allem möglich, daß von einer ganz anderen Seite her versucht wird, ästhetische Positionen gegeneinander auszuspielen, die vielleicht s o entgegengesetzt gar nicht sind, und d r um spielt man sie aus. Möglich. Was dabei für mich herausgekommen ist, ist, daß ich allmählich daran interessiert bin, Peter Hacks einmal zu lesen – er lag bislang nicht im Hof meiner Aufmerksamkeit.

      Unbekannterweise grüßt
      ANH
      http://www.albannikolaiherbst.de

    2. Sehr geehrter Herr Herbst,

      man kann nur gegeneinander ausspielen, was gegeneinander ausgespielt werden kann. Die Verschiedenheit von klassischer Kunst, also zum Beispiel Hacks, und romantischer Kunst, also zum Beispiel Ihnen, ist real, er ist vorhanden und muss nicht fingiert werden. Klassik und Romantik muss man nicht erst gegeneinander ausspielen: Wenn sie sind, sind sie gegeneinander. Das ist gut so. Streit ist gut. Widerspruch ist gut. Das sagt nicht nur Gott, das sagt sogar Lenin.

      Sie haben nun aber mindestens insoweit recht, als es immer mal wieder welche gibt, die zwischen den Fronten herumwuseln und hier sticheln und da sticheln und versuchen, für sich einen Vorteil herauszuschlagen. “Gloria” ist so ein Fall. Diese Leute stören die Schlachtordnung. Sie machen einem die Pferde scheu. Das schöne ist, weil sie zu keinem der Heere gehören, darf man sie einfach aufhängen. Üblicherweise geschieht dies zur größten Belustigung aller.

      Die Mitarbeiter der Peter Hacks Seite und ihrer Schwesterprojekte sind nun keine Künstler, wie Sie, sie sind Publikum; qualifiziertes Publikum vielleicht, aber Publikum. Wir beschäftigen uns mit einem Klassiker, das macht uns nicht zu Klassikern. Es gibt bei uns mindestens ebensoviele Meinungen wie bei Ihnen, nur scheinen sie bei uns etwas einheitlicher, weil sie auf eine Person und deren Ästhetik orientiert sind.

      Wenn Sie Hacks lesen wollen, empfehle ich Ihnen die Lyrik und die Kinderbücher. Die kommen Ihrer Ästhetik am nächsten. – Das ist keine Provokation, die Kinderbücher sind wirklich außerordentlich.

      Lassen Sie uns tun, was wir können: Arbeiten, ein jeder an seinem Platz.

      Hochachtungsvoll,

      Thiele

    3. Abermals in Sachen Peter Hacks. Abermals an André Thiele. Sehr geehrter Herr Thiele,

      haben Sie abermals Dank für Klarheit, aber auch dafür, daß Sie für Ihren Brief Die Dschungel nutzen: S o, im immer weiteren, stelle ich sie mir eben a u c h vor: als ein offenes Forum für vielerlei Formen denkerischer Auseinander- und Zusammensetzung. Ich habe über Ihre Dichtomie von Klassik und Romantik nachdenken müssen, war ein paar Stunden lang versucht, ihr zu widersprechen, aber sie ist vielleicht ein ganz gutes Modell für ästhetische Positionen; es ist vielleicht auch d a s, was Sie für romantisch an meiner Arbeit ansehen, auch wenn ich an mir beobachte, wie zunehmend „klassisch“ meine formalen Ansätze werden. Vielleicht ist es einfach eine Frage des Alters; ich bin ja unterdessen kein junger Autor mehr.

      Ihre Lektüre-Empfehlungen will ich beachten; Ulrich Faure vom >>>> Buchmarkt, mit dem ich in ständigem Austausch stehe, schrieb mir auf Ihren Brief, Sie hätten mit Hacks Kindergeschichten und der Lyrik völlig recht, nur möge gerade ich bitte auch seine Essays über Opern beachten; außerdem lege er, Faure, mir Hacks’ Stücke ans Herz. Wenn unser kleiner Briefwechsel dazu dient, nun auch Dschungelleser zu diesen Hacks-Arbeiten zu bringen, soll mir das recht sein und Ihnen sowieso.

      Dennoch interessiert mich der Widerstreit Klassik ./. Romantik, nämlich mit einem ahistorischen Blick auf die Gegenwartsliteratur. Es kommt mir so vor, als wäre das unterdessen verschmolzen, wie sich stehende Kategorien ja insgesamt aufgelöst haben oder doch dabei sind, sich aufzulösen; andere Ordnungskategorien sind aber nicht in Sicht, und das ist vielleicht auch zu begrüßen. Man führt überdies über die genannte Dichotomie eine möglicherweise historische Diskussion, die sogar die Historie ein wenig außer Acht läßt, allein, wenn Sie bedenken, daß Aragons „Wirkliche Welt“-Zyklus doch immer, bis nach Elsa Triolets Tod, von der „Verteidigung des Unendlichen“ unterlegt geblieben ist, auch wenn Aragon das verschwieg; immerhin vernichtete er das Typoskript offenbar n i c h t, so daß es jetzt >>>> in Gallimards Plejaden neu aufgelegt werden konnte. Ja, liest man allein nur Goethes Harzreise im Winter, wird einem klar, wie nahe das, was „der Klassiker“ zugleich so ablehnt (denken Sie an sein Verhältnis zu Kleist, aber auch an seine auffällig Ablehnung der Schubert-Vertonungen, denen er eine Achtelbegabung vom untersten Rang vorzog, nämlich Zelters), doch bei ihm selber gegenwärtig ist. Anstatt also, was Sie mit Lenin einen „guten Widerspruch“ nennen, als Komponente der Matrix schlicht auszutragen, hätte ich den Widerspruch-selber gerne als Komponente, für die meine Arbeit dann steht – und es wäre zu fragen, welche Komponente d a n n den Widerspruch am Leben hielte, um – in dieser Hinsicht der dialektischen Sukzession durchaus folgend – zu einer nächsten, weiteren, eben: neuen These zu gelangen, die nächste, weitere, eben: neue Antithesen verlangt.

      Ich weiß, das ist jetzt erst einmal kaum eine ästhetische Argumentationslinie, sondern eine philosophische; doch hat mich seit meinem ersten Roman die Zusammenführung der Disziplinen interessiert; in diesem Anliegen bin und bleibe ich schwer, sehr schwer, von Musil beeinflußt. Genau das aber ist es, was mich so skeptisch sein läßt, wenn meine Positionen „romantische“ genannt werden. Auch wenn f ü r s Romantische wiederum spricht, daß ich strikt dagegen wäre, >>>> Gloria aufzuhängen, schon gar zur Belustigung von Mengen, sondern meine, daß, Schlachtordnungen zu stören, starkes emanzipatives Potential hat – auch wenn einem das, wie hier mir, überhaupt nicht angenehm ist.

      Mit bestem Gruß
      Ihr

      ANH
      http://www.albannikolaiherbst.de.

    4. Haltung zur späten Nacht Sehr geehrter Herr Herbst,

      was geschieht, wenn die Heere aufeinanderprallen, ist fast friedlich verglichen mit dem was passiert, wenn sie durcheinander geraten: Die meisten sterben, wenn die Schlachtordnung zerfällt. Mancher mag keine Armeen, was man aber vor allem fürchten sollte, das ist sind in Auflösung befindliche Armeen. Was klingt wie ein Plädoyer für die Ordnungstheorie, ist aber doch eine simple Beobachtung. Deswegen auch rennen die Soldaten nicht einfach weg: Weil es Sinn macht, diszipliniert zu sein. So unangenehm es für jeden ist, sich in eine Ordnung einzufügen, die so richtig auf keinen passt, so sehr viel schrecklicher ist es für alle, wenn die Blöcke zerfallen. – Fragen Sie einen Kongo-Mann.

      Ulrich Faure, der jüngst die Freundlichkeit hatte, einen Titel meines Verlages öffentlich zu seinem “Buch des Monats” zu bestimmen, hat recht: Natürlich muss man, wenn man das Werk von Hacks kennen will, seine Stücke kennen. Ich gehe diesbezüglich einen Schritt weiter und behaupte, dass man bei Hacks eigentlich überhaupt nur die großen Dramen lesen soll, dass man ihn antikisieren soll: Hacks so lesen, wie wir z.B. Sophokles lesen. Kennen Sie Essays von Sophokles? Wissen Sie, wo Aischylos uns mitgeteilt, wie wir sein Werk verstehen sollen? Hacks hat das sich selbst betreffend einige hundert Seiten lang getan. Dieses Nebenwerk ist spannend und lehrreich, es lenkt aber, dies meine These, vom Kern ab, und dieser Kern, das sind bei Hacks die großen Dramen.

      Wir sind als moderne Menschen, und das soll ausnahmsweise mal kein Vorwurf sein, zu klug um nicht zu wissen, dass alle Geisteshaltungen Theater sind. Jeder kann doch jedem und zumeist auch sich selbst nachweisen, wo die Lücken im System sind, und ob man das credo nun mit dem Zusatz quia intelligam oder mit dem Zusatz quia absurdum spricht, früher oder später spricht man es. Aber wir sind eben auch so klug, oder sollten es doch sein, zu wissen, dass wir ohne dieses Theater nicht auskommen. Denn die Haltung, die immerzu ruft “ist eh alles Theater”, die ist natürlich das allergrößte Theater. Wir sind alle immer ironisch, aber die uns aufgezwungene Ironie besteht eben darin, dass wir wissen, dass es nicht anders geht. Nichts können wir ganz ernst nehmen, obwohl wir wissen, dass ein großer Ernst ist in diesen Fragen.

      Haltungen sind wie Genres. Keine passt, alle sind sie kurios. Man will sie ergänzen, anpassen, umformen, zusammenschneiden. Aber nach langer Mühe erkennt man: Die Genres, wie die Haltungen, sie sind aus Gründen da. Und es wäre besser, man beachtete sie einfach. Der Verrat der Intellektuellen, das war eben dies: Das Aufgeben der Genres und der Haltungen. Das hat dem Denken nichts gebracht und dem Dichten erst recht nichts.

      Ein Anhänger der Klassik wird also niemals einem Anhänger der Romantik vorwerfen, er sei ein Anhänger der Romantik. Nichts, was in der Welt ist, ist ganz ohne Grund in der Welt; der möglichen Haltungen sind zu wenige, als dass sie nicht wichtig wären. Romantik ist immer. Wer legt sich denn mit etwas an, was immer ist? Wer legt sich denn mit dem Wetter an?

      Das Grundmotiv der Klassik ist also nicht etwa die Zusammenführung der Disziplinen, wie Sie das nennen, sondern deren reinliche Trennung. Aber je reinlicher man trennt, desto deutlicher wird, dass es eine Reinheit für uns Menschen nicht gibt. Jedoch, wollen müssen wir sie schon.

      Es grüßt zu späten Nacht
      Ihr ergebener André Thiele

    5. Lieber André Thiele, haben Sie vielen Dank für Ihren Nachtbrief.

      Ihre abschließende Grußformel, die ich mit meinem „lieber“ nun konterkariere, dieses „ergebener“, entzündet in mir den Funken des Anarchisten, der ich, wie >>>> Wagner, immer a u c h gewesen bin; allerdings, seltsam, je älter ich werde, müßte ich mich allmählich einen „konstitutionellen Anarchisten“ nennen, gäbe es denn diesen Begriff wie es den des konstitutionellen Moncharchisten gibt, und wäre er nicht >>>>> so widersprüchlich in sich selbst.Denn ich weiß ja sehr wohl, daß sich Strukturen bilden m ü s s e n – Sie nennen sie nicht ganz zu Unrecht >>>> „Armeen“ -, anders ließe es sich für niemanden lange überleben; ich weiß aber ebenso wohl, daß sie wieder zerfallen und auch zerfallen k ö n n e n müssen, da sie sonst erstarren und in dieser Starre ebenfalls lebensfeindlich werden. Damit sie zerfallen, braucht es u.a. Leute wie mich, die sie attackieren, aber auch – wiederum eine Frage zunehmenden Alters – neue, eigene ausprägen wollen. Zu den zerfallenden Heeren mache ich Sie kurz auf >>>> diese Kommentarfolge aufmerksam; vielleicht, daß von Ihrer Seite noch etwas hinzuzufügen ist.

      Kennen Sie Essays von Sophokles? Wissen Sie, wo Aischylos uns mitgeteilt, wie wir sein Werk verstehen sollen?Beide Male, leider, nein. Aber es ist gut, wenn ich solche Aufforderungen bekomme, weil ich selbst zunehmend in meinen Wahrnehmungen von den eigenen Kreisen eingeschränkt bin, zu denen natürlich auch Prägungen – auch Prägungen durch lebenslange Lektüren – gehören. Manchmal braucht man einen Lockstoff ins einem erst einmal Fremde. Das ist Hacks ja für mich, auch wenn es Verwandtschaften zu geben scheint; immerhin versuche ja auch ich, mehr und/oder minder direkt, Lese-Erklärungen für meine eigene Arbeit abzugeben – viele davon finden sich hier in Der Dschungel. Bei mir allerdings sind der Kern nicht Dramen, sicher nicht, es ist wohl auch nicht die Lyrik, jedenfalls noch nicht, sondern es sind die Romane, die Erzählungen und meine Arbeiten für Musik und Sprache.

      Aber wir sind eben auch so klug, oder sollten es doch sein, zu wissen, dass wir ohne dieses Theater nicht auskommen.Ich spreche in diesem Zusammenhang von „Ritus“; meine >>>> Überlegungen zum Katholizismus, die ich in den letzten beiden Jahren immer wieder angestellt habe, gehören in diesen Konnex. Imgrunde ist auch die Proklamation der Menschenrechte und ihre Einhaltung ein Ritus, der ja sogar einen Gesellschaftsvertrag formuliert, der s o nie geschlossen worden ist und mit dem wir das Problem haben und weiterhaben werden, daß ihn durchaus nicht alle Völker und Nationen „unterschrieben“ haben, allein, weil die Menschenbilder so eklatant differieren. Nietzsche war wohl einer der ersten, die Ihr „ist alles Theater“ ausgerufen haben, ebenso – was wenige wissen – Saint-Exupéry in „Citadelle“. Auch er, übrigens und bezeichnenderweise, Soldat.

      Wichtig ist mir das Stichwort „Ironie“, die für mich sehr mit Uneigentlichkeiten zusammenhängt und ihrerseits zu einer Art Ritus geworden ist, einem der Bequemlichkeit aber und letztlich einem Haltungs-Fetisch, der einem Nähe verbietet. Wir können nicht ironisch lieben, schon gar nicht ironisch leidenschaftlich sein: da liegt für mich ein Schlüssel:: wieder zu lernen, nicht alles, aber sehr vieles sehr ernst zu nehmen. Und eben auch den Ritus. Wie oft habe ich in Rom und vor allem später dann auf Sizilien in Kirchen gestanden und die Gläubigen – unironisch Gläubige, innig Gläubige – angesehen, wie wütend war ich oft über Touristen, die gänzlich unsensibel diese Gläubigen knipsten – und doch auch wieder: es machte ihnen gar nichts aus, weil die Gläubigen zu gläubig waren, um es als ehrenrührig empfinden zu können — wie oft also stand ich dabei und spürte, daß mir hier etwas fehlt, und zwar egal, was mein klarer, bisweilen zynischer Intellekt dagegenhielt. Zugleich aber glaube ich nicht, daß, wie Sie schreiben, „sie einfach zu beachten“ die Lösung sein kann, weil es auch schädliche und schädlich gewordene Riten und Haltungen, mit Ihrem Wort: Genres gibt und wir sie immer wieder auf Neue auf ihren Gehalt abtasten und gegebenenfalls auch wechseln können müssen. Im christlichen Glauben hat diese Funktion der Zweifel. Deshalb kann ich den Verrat durch die Intellektuellen so, wie Sie tun, nicht sehen: Genres und Haltungen werden dann aufgegeben, wenn sie hohl geworden sind, bis dahin bleiben sie in Funktion, oder füllen sie sich wieder, bekommen sie auch wieder Funktion.

      Nebenbei:Wer legt sich denn mit dem Wetter an?Murnau, in meinem Wolpertinger-Roman ruft aus, und er meint das ganz ernst: „Ich klage die Naturgesetze an!“ Es ist eine Eigenart des Menschen, sich mit dem Wetter anzulegen, genau das unterscheidet ihn von den Tieren. Er hat auch, schaut man die Menschengeschichte an, damit Erfolg, ganz abgesehen davon, daß ich sie selbst für einen Teil der irdischen Evolution halte, also für Natur-selber. Hier liegt ein Kern dafür, daß ich zusammenführen will.

      Mit einem guten Gruß
      Ihres

      ANH
      albannikolaiherbst.de

  2. An den blassen Glatzkopf Seien Sie Sexist Herr Herbst!
    Auch wenn es zugegebener maßen platt ist sich über Körbchengrößen und Schwanzlängen zu unterhalten und ich die Errungenschaften der Emanzipation als Frau schätze und ohne sie nicht leben möchte… so lasse ich mir doch gerne in den Mantel helfen und genieße Kavaliere der alten Schule, der Sie auch sind wie ich weiß.
    Genauso verabscheue ich jedoch Konformismus im Sinne von Gleichschaltung. Konventionen werden von einer Minderheit für die Massen gemacht, nicht auffallen, nicht rausragen, ich kenne ein Land, das hat dies fast bis zur Vollendung getrieben, ein unerträglicher Ort um zu leben, mitten in Europa (!).
    Irgend wann sind wir dann bei Orwell, haben wir alle das gleiche Hollywoodgebiss (keiner steht mehr zu seiner Zahnlücke) und die Diversität die uns die Natur gab ist aufgehoben… nicht nur in Optik auch im Denken. Menschen wie Sie schreiben mit Mut und Durchhaltevermögen dagegen an, geben denen die anders sind, anders denken, anders fühlen und doch ganz normal sind… eine Stimme…dafür allein gebührt Ihnen Dank!

    Ist ein Mann offen Sexist, können wir Frauen heute froh sein, dass er sich noch traut über Frauen nachzudenken…sein Denken und Handeln nicht hat lähmen lassen von political- und gerner-correctness. Das schafft Reibung, Reibung schafft Wärme…

    in geistiger Verbundenheit A.

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