Dennoch, nach Abschluß meiner sonstigen Arbeiten und Rückkehr nach Berlin erreichte mich die Nachricht des Pressechefs, er würde es begrüßen, besuchte ich wenigstens die Generalprobe und schriebe auch über sie – etwas, das sehr unüblich ist und sich „eigentlich“ auch nicht gehört.]
Nein, ich werde nichts über die Inszenierung schreiben, n o c h nichts, nicht vor der Premiere. Es wäre schlichtweg unfair gegenüber Premierenbesuchern, es nähme die Spannung aus den Akteuren und wäre auch gegenüber Kritikerkollegen, die sich an das stille Gebot halten, nicht gerecht. Aber ich kann erzählen, was sich eh nachlesen läßt, weil >>>> Harrison Birtwistles Io-Passion bereits 2004 in >>>> Aldeburgh – vielleicht d e r britische Uraufführungsort – uraufgeführt worden und selbstverständlich danach auch kritisiert worden ist, bzw. einige Darstellungen und Nacherzählungen erfahren hat. Die Parabel ist kurz erzählt: Eine Frau und ein Mann erlebten in >>>> Lerna einen obsessiven Schub der Leidenschaft; beide wurden davon wie überfallen, es „stieg aus ihnen heraus“; heimgekehrt wünscht sich der Mann eine Fortsetzung der Affäre, die Frau aber ist erschüttert über das, was ihr so lustgeladen widerfuhr, daß es fast wehtat – und zieht sich schließlich von dem unentwegt um sie weiterwerbenden Mann zurück.
Erzählt wird dies in getrennten Bildern, eigentlich geschieht nichts, als daß der Mann vor ihrer Haustür wartet, sie in ihrer Wohnung sitzt und denkt und liest und ihm Briefe schreibt, die er beantwortet. Aber wenn sie einschläft, kommen die Träume, in denen das Geschehen von Lerna sich reaktiviert, aber nicht mehr in den konkreten Personen – sondern heraus steigen die figurgewordenen >>>> Allegorien eines Musters, das sich seit Ewigkeiten wiederholt, und das Leidenschaftsbegebnis der beiden konkreten Menschen zeigt sich als Wiederholung ebendieses ewigen Musters, das von der Antike bis in die Gegenwart die Menschen, deren Wille keinen Einspruch erheben kann, neu und neu bestimmt. Da ist >>>> keinerlei Freiheit des Willens, auch dann nicht, wenn die schließliche Entscheidung der Frau wie eine Entscheidung wirkt: d a ß sie sich aber entscheidet, ist tatsächlich Hera zu verdanken, oder Hera ist daran „schuld“, denn in der Frau entfesselt sich, während sie träumt, der uralte >>>> Geschlechterkampf, den auch keine gender-Correctness, wiewohl sie es wollte, jemals wird befrieden können.
Anspruchsvolle Vorlage, Traumbilder ohnedies sind heikel für die Bühne, die doch immer jeden, der auf sie tritt, zugleich mit dem Fuß aufstampfen läßt, um zu zeigen: Ich bin nur ein Modell. Brecht hat daraus die dramaturgische Konsequenz gezogen, nicht nur aus erzieherischen Gründen. Dem entspricht die Form halbszenischer Inszenierungen, die insbesondere in einer Zeit, da die Illusionstechnologie des Films nicht einzuholen ist – und weshalb sollte man auch? -, auf der ritischen Szene wiederbeharrt und deren Weiterentwicklung sich das Konzerthaus Berlin angelegen sein läßt, seit Lothar Zagrosek dort Musikchef ist.Mich interessiert das Modell bekanntermaßen.
Es interessierte mich jetzt bei der Io-Passion ganz besonders.
Gespannt, mehr als gespannt trat ich leise in den Werner-Otto-Saal, worin sich das Regieteam nahe dem Computer, der das Licht und auch die (wenigen) Fremdton-Einspielungen steuerte, gedämpft unterhielten, noch mal einige Korrekturen des Bildes besprachen; ich grüßte kurz den Dramaturgen, „am besten, Sie nehmen d o r t Platz, da stört das Geländer nicht die Sicht“, schloß mein Equipment an, schon wurde das Licht gedimmt, das kleine Instrumenten-Ensemble nahm Platz; das Bühnenbild, über das ich aus genannten Gründen noch nichts sage, war allezeit als Kulisse sichtbar; der junge Dirigent gab ein Zeichen, und die ersten – sehr schwebenden, feinen, durchsichtigen – Klänge begannen das mythische Stück.
Zwischendurch Geflüster vom Regiepult, dazu ist die Lüftung des Computer viel zu laut; da sollte dringend vor morgen abend etwas getan werden. Das Flüstern geht weiter, der Dirigent dreht sich um, unwillig, das Flüstern verstummt, das Flüstern fängt wieder an, der Dirigent lehnt sich ans Geländer zurück, läßt die Musik einige Moment für sich allein; er weiß, man spielte die Instrumentalpartie auch rein ohne ihn, aber koordiniert Sänger und Ensemble, akzentuiert besonders die schöne Baßklarinette, die das Thema aus dem gleichsam Grund der Dinge vorgibt. Immer noch Flüstern, der Dirigent schüttelt leicht, aber spürbar unwillig den Kopf.
Als das Stück verklungen ist, denke ich, das war eine Stunde… aber es waren anderthalb. Was f ü r die Inszenierung spricht, vor allem aber für die Dichte dieser Musik.
Applaus-Ordnung, ein Durchgang der Abfolge. Die wenigen „Fremd“Zuschauer, vielleicht fünf, vielleicht sechs klatschen, was etwas seltsam Peinliches hat, man lacht auch peinlich vorn auf der Bühne, aber geprobt werden m ü s s e n diese Auf- und Abgänge. Sonst stolperte zum Abschluß alles irgendwie durcheinander. „Noch einmal bitte!“ :Von der Regie in s e h r auoritärem Ton. Wir klatschen tapfer weiter. Dann wurde jemand vergessen. „Um zehn Uhr nachher unten! Bitte abschminken. Sie haben fünfzehn Minuten.“
Alles Weitere nach der morgigen Premiere.
ANH
NOTA: >>>> Die Premiere ist bereits ausverkauft. Es gibt insgesamt nur fünf Vorstellungen. Deshalb ist es geraten, sich die Plätze im Vorverkauf zu sichern.