Il fiore splendente. Etta Scollos neue CD: Europas verlorene Gärten.

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Dort leicht gekürzt am 7. Oktober 2008 erschienen.]
Konzert: >>>> 30. Oktober 2008, Berlin, Kammermusiksaal der Philharmonie.]


>>>> Diese CD ist ein Glücksfall. Sie balanziert über jenen Paß zwischen Kommerz und Kunst, der auch einem mainstream-fernen Projekt Erfolg bringen könnte. Selbst das hat freilich einen Preis; hier bezahlt ihn die Poesie an den Pop, doch dafür ist sie aus der Vergessenheit in die Gegenwart wiedererweckt und läuft dem Zugriff davon come i lupi corrono alla montagna.
Es sind ins Italienische gebrachte mittelalterliche Gedichte arabischer Sehnsucht von Männern zu Männern wie zu Frauen, vor allem aber zur an die Normannen verlorenen Heimat Sizilien, eines paradiesischen Gartens auf Erden – der sich der Scollo, schreibt sie, „uns europäischen Sizilianern“, erst über diese Lyrik aufgeschlossen habe. Nun schließt sie sie uns Hörern auf. Das geht uns auch etwas an, denn kaum ein anderes Land repräsentiert ähnlich gerafft den Beginn unserer Kultur wie diese Insel. Se volete vedere la Grecia, heißt es, andate alla Sicilia. Auch Griechenlands Ursprung lag ja im Orient. Der prägte Europa noch einmal tief durch die arabische Herrschaft auf Sizilien zwischen 700 und 1000 n.C. Das Abendland, insgesamt, wurde von seinem Morgen geboren. In diesem Umfeld sind Scollos Lieder zu hören. Und der Dichter Jano Burgaretta macht dem Exilierten, auf Sizilianisch, nicht Italienisch, bitter deutlich, wie weit das heutige Sizilien von seiner mittelalterlichen Blüte entfernt ist und wie weit, denkt man, der heutige fundamentale Islam von der leuchtenden Blume der Heimat Ibn Hamdis.
Daß es unmöglich sei, schreibt Ungaretti, sich seiner im Dunkel vergangener Jahrhunderte liegenden Herkunft zu entziehen. Das wird Frau Scollo, als sie sich in diese Dichtungen versenkte, gespürt haben. Wer immer ihr zuhört, spürt es nun mit. Auch wir haben ja das Bewußtsein unserer Herküfte, haben unsere kulturelle Identität verloren und schauen ganz wie Ibn Hamdis aus einem Westen nach dem Osten zurück, wohin uns Markus Stockhausens schöne Trompete ruft. Freilich ist das auch Warnung: Un solo bacio su quella bocca, schreibt At-Tûbî, öffne den Weg der Angst. Darüber täuschen die Geigenseligkeiten durchaus nicht hinweg, die manche Vertonungen Scollos ganz furchtbar übersüßen. Ihre Arrangements sind überall dort nicht auf der Höhe der poetischen Vorlagen, wo mit spätromantischem Orchesterapparat Stimmung erzeugt werden soll. Doch immer wartet die Scollo mit so eigenwilligen Stilkombinationen auf, daß man abermals aufmerkt: gerührt und manchmal begeistert. Einige Lieder sind meisterhaft, etwa das widerspenstige Non credete, aber auch Burgarettas Ibn Hamdis zugeeignete Klage: die Scollo singt sie zur Gitarre mit angedeuteten arabischen Koloraturen, eine Bratsche kommt hinzu, seit je Todesinstrument in Zwischenlage, schon kippt das Lied und wird Chanson. Dazu läßt das Streichquartett insgesamt an ein Akkordeon, ja einen Tango denken, sogar an Klezmer: in solchen Augenblicken hat man ein ganzes Osteuropa im Ohr, und der verlorene Garten, in dem der Löwe friedlich beim Lamm liegt und tolerant der Muslim bei Mose und Christ, leuchtet momentlang heraus, als wären es Pfeile, / die brennend die Gewänder der Finsternis / mit einer Feuersbrunst zerreißen (Ibn Bishrî). Doch verweht Nabil Salamehs Rezitation wie die leuchtende Blume selbst: eine Frage in die Luft der stummen Geschichte geblasen. Das letzte Lied ist eine kleine Trilogie aus Aufbruch, Ausbruch und Entflammung, sowie einer Ergebung, die dem arabischem Gesang verbehalten ist. In einem offenen, aggressiv gedrückten Streicherakkord klingt er nicht aus, sondern wird weggeschnitten: man hört momentlang lange Leere. Selbst im Traum kommst du, um mir Adieu zu sagen. Wer das Booklet nicht aufschlug, bleibt ausgeschlossen von der Seele solcher Unerreichbarkeit.
Es muß mitlesen, wer Etta Scollos Kunst schätzen lernen will. Die Musik eignet sich nicht sehr zur Untermalung, weil sie sich allzu sehr dazu eignet: das ist ihr Dilemma. Denn wer auf konzentriertes Hören aus ist, den stören abgegriffene Pop-Stanzen, die sirupgetränkte Mumien der ersten Wiener Klassik sind, oder das Klavier geht in einen tausendfach gehörten Jazz-Standard über, aus dem einen allein erlöst, daß die Begleitstimme nicht arabisch, sondern jetzt französisch dazusingt und der Bezugsrahmen so unversehens gewechselt wird, daß man sich bei Serge Gainsburgh angekommen fühlt. Zudem ist die mittelalterliche Bildwelt nicht immer leicht zu entschlüsseln: ma questa luce è un modo del distruggersi/manda luce chi perde la sua vita. Solche sehr abstrakten Bilder weiß Scollos Vortrag – vor allem im Zusammenklang mit den ausgesprochen männlichen Stimmen – wirklich zu gestalten, nur habe ich mir manchmal gewünscht, sie hätte die instrumentale Begleitung kleingehalten: wäre bei ihrer Gitarre, bei der Oud und der Laute geblieben, bei Oboe und Bratsche, Giovanni Sollimas schönem Cello und Markus Stockhausens Trompete. Scollos Stimme, ihr Seufzen, ihr Beben, ihre bisweiligen Ausbrüche, die ganze expressive Innerlichkeit („incendiario!“), trügen es – aber es wäre dann eine experimental-puristische CD geworden und nicht die einer Volkssängerin, die die Scollo ja sein will. >>>> Ihr Auftritt kürzlich auf dem Berliner Monbijoufestival im kleinen hölzernen Amphitheater machte das einmal mehr klar; sie ist sich nicht zu schade, auch vor kleinem Publikum aufzutreten, sie ist ganz bei sich dann und in jedem Fall mitreißend authentisch, anders als wenn sie sich in Orchesterlieder wirft, deren komponierte Faktur allenfalls mit André Rieu konkurriert. Populismus geht halt immer auf Kosten der Kunst, in diesem Fall auf Kosten der mittelalterlichen Gedichte, und erst, liest man das – ausgesprochen schöne – Booklet mit, wird manch Musikmotz schlüssig oder spielt doch keine Rolle mehr. Und das Holz der Aloe mit seinem / duftenden Rauch umhüllte ihn ganz. Im übrigen schadet es nicht, hat man palermitanische Prozessionen im Ohr, die sich durch die nächtlichen Gassen um die via Marqueda drücken, von Tschinellen begleitet, von Blasinstrumenten geführt und in einem Feuerwerk, nach der Messe, endend. Manchmal hört man sogar die Fischverkäufer des alten Catanias ihre tetrachordischen abbaniatine rufen, mit denen Luciano Berio seine voci komponierte. Dann wieder, in dem homosexuellen Liebeslied È così snello, finden sich zweidrei Geigenphrasen, die an Schlußseufzer bei Othmar Schoeck denken lassen. Dazu der Scollo Schmeicheln, der Scollo Beschwören, der Scollo Trauern, ihr Turteln und Schmettern; sie kann, das ahnt man, furchtbar zanken. Da ist der Eindruck kaum abwegig, sie habe für dieses Projekt bei einer anderen Volkssängerin, der großen >>>> Oum Kalthoum, um arabischen Ausdruck nachgelauscht. In jedem Fall zieht sie in diesem Oktober mit vollem Recht in die Räume des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie ein; ich hoffe, sie läßt das Pops-Orchester draußen und gestattet sich und ihren Solisten einen nicht von Geigenbataillonen zubombardierten Raum. Sie wüßte ihn nämlich auch ohne Bombast, und uns, ganz zu erfüllen.

[Nachtrag, 29. 10. 2008: >>>> Sie k o m m t, las ich, mit kleiner Besetzung, ohne Orchester.]

8 thoughts on “Il fiore splendente. Etta Scollos neue CD: Europas verlorene Gärten.

  1. Das gefällt mir sehr, daß Sie hier Signora Scollo besprechen. Und Sizilien – ein wenig – auch!

    “Amu lu silenziu / chi mi grapi li vrazza” – etwa: ‘ich liebe die Stille, die nach meinem Arm faßt’. Das ist von Ignazio Buttita. Der ist sehr rustikal, “la cchiù silinziusa di tuttu…”, einer der wirklich zu schweigen versteht.

    Bombast, Herr Herbst, ist ein Wort, das sehr leicht zurück rollt. Nicht karstige Hänge herab, eher gepflastertes Terrain entlang. Fischverkäufer, signore, verkaufen Fisch, nicht dessen Geruch. Sie kennen sicher, wie Thunfisch gefangen wird, vielleicht von Rosselini her, nicht vom Mitmachen, vermute ich. Die Insel zumindest sollten Sie besucht haben. Klang ist da nur Echo, nicht Substanz.

    1. @Sumuze. Ich habe die Insel (Stromboli) nicht nur besucht, sondern >>>> ein gerade erschienenes (Gedicht)Buch über sie geschrieben. Das ist Ihnen wahrscheinlich, wie >>>> meine Sizilienerzählung, entgangen. Auch diese fußt bereits auf persönlicher Kenntnis. Aber macht nichts. Jetzt haben wir ja drüber gesprochen. Thunfisch, übrigens, wird vor allem an den westlichen Inseln gefangen; das Meer zwischen Sizilien und den Egadien färbte sich rot.

      Der Bombast bezog sich auf den Orchesterkitsch. Das ist keine Frage der Fülle oder gar des Pathos’, gegen das ich überhaupt nichts habe. Es besteht nur ein prinzipieller Unterschied zwischen Orchestersätzen bei Wagner oder Pettersson und dem bei André Rieu oder sonstigem Pop.

    2. Oh nein, Ihr Bezug zur Vulkaninsel ist mir durchaus bewußt, im Gegenteil – ein Freund besuchte auf mein Bitten hin einst Ihr Lesen aus diesem Text (in Sennestadt, nichts Weltbewegendes, aber eben darum, mit der einschlägigen Galerie scheinen Sie ja inzwischen Ihre Erfahrungen gemacht zu haben), und seine Schilderung Ihres Bemühens nahm mich sehr für Sie ein.

      Gott, Musik ist nicht mein Metier, ich liebe nach wie vor vielleicht den Herrn Getz und sein weiches Blech und ja, auch den Herrn Peterson (und seine Tristeza, so denke ich, falls Sie ihn und seinTrio meinten, Friede seiner Asche) und seinen Jagdgalopp, aber der ganze Schmonzenz ums Tiefsinnige des konzertanten Lärmens entgeht mir leider. Nun, was macht’s?

      Und zu dem, was Herr Parallalie anspricht: ist das nicht eher – Trotz?

    3. @Sumuze. Nichts. Aber “Schmonzes” ist falsch, und das ist traurig. Weil sich hier eine ganze Welt vor Ihnen verbirgt (weil Sie sich sie vor Ihnen verbergen lassen). Wie vor Blinden die Farbe bei Max Ernst.

      [>>>> Pettersson, nicht Peterson; das ist wichtig. Ich habe eine Requiem für ihn geschrieben. Dennoch, nichts gegen Peterson. Aber die Kategorien (Prädikate) sind gänzlich verschiedene.]

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