Rote Karten ODER Der Fall Stabigabi5. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (97).

Gibt es ein Urheber-, bzw. überhaupt Grundrecht für Avatare*? Sicherlich hat, schon gar im Rahmen eines Literarischen Weblogs, jeder Urheber das Recht, seine Beiträge wieder zu löschen. Die Frage ist allerdings, ob sich das Recht sogar darauf erstreckt, anderer Beiträge und Kommentare dadurch mitzulöschen – in die in aller Regel Gedankenarbeit und Zeit investiert wurde. Dies geschähe aber ab dem Moment, an dem auf einen Kommentar, der gelöscht werden soll, geantwortet worden ist, und auf diese Antwort wiederum geantwortet und so weiter über den Zeitstrang. Denn manche Diskussionen werden in lebenden Organismen wie Der Dschungel oft über weite Zeiträume geführt, alte, scheinbar abgesunkene Beiträge erscheinen an der Oberfläche der jeweiligen neuen Gegenwart, erhalten neue Aspekte oder alte werden neu akzentuiert. Die Frage, die sich hier stellt, ist insofern eine nach Geschichtlichkeit. Für die verbürgt sich momentan unter anderm Googles Cache, für die verbürgen sich neuerdings auch die >>>> Archive, so daß sich die eigenartige Situation herstellt, daß bei gelöschten Kommentaren und Beiträgen >>>> das fremdgeführte Archiv zum eigentlichen, allerdings zugleich verdinglichten Weblog wird, zu seiner Festschreibung als einem immer schon Gewesenen, das als Gewesenes vorbei ist.
Dagegen wäre anzuformulieren: statt zu löschen, umzuformulieren, und zwar so, daß die in den Kommentaren folgenden Argumente in dem umgeschriebenen Beitrag ihren Ansatz behielten: man würde gleichsam zum gegenargumentierenden Kommentator selbst, und die Archive hätten zu tun, ihr Archiviertes ständig zu reaktivieren und überdies die Entwicklung mitzuarchivieren, den Prozeß. D e r, in Literarischen Weblogs, ist ihr randunscharfes Wesen: der Substanzbegriff selber wird flüssig, auratisch, nahezu verbal.

[Zur Diskussion der Begriffsverwendung „Avatar“ siehe u. a. >>>> dort.]


Doch was i s t mit dem Recht des Avatars? Soweit er sich unumständlich auf eine Realperson zurückführen läßt, scheint das leicht beantwortbar zu sein; hier gilt gewiß das Persönlichkeitsrecht der realen juristischen Person. Doch zeichnen sich Avatare gerade dadurch aus, daß sie, wenn überhaupt, nicht anders rückführbar sind als vermittels staatsanwaltlicher Verfügungen, IPs zu loggen und Dahinterstehende aufzudecken – also in strafrelevanten Belangen, die in Literarischen Weblogs eine gewiß sehr nebengeordnete Rolle spielen. Denn sind Avatare zu beleidigen, sind sie zu verletzen, zumal dann, wenn reale Personen mehrere solcher Pseudonyme zugleich verwenden, die ganz verschiedene Charaktere und ebenso verschiedene Haltungen und Meinungen inszenieren? Wir müssen geradezu fragen, ob die literarische F i g u r nun auch Rechtsschutz genieße. Erstreckt sich dieser auch auf je spezielle und spezialisierte Haltungen, also auf Text? Wie wäre der Schutz dann positiv zu bestimmen (positiv im Sinn eines positiven Rechtes)? Man kann es auch so formulieren: Hat das Ichideal (oder sein dunkler Contrepart) ein Urheber- oder überhaupt ein anders bürgerliches Recht; ist seine Würde auch in den Spaltungen unantastbar? Denn tatsächlich kann der Urheber eines unter Pseudonym eingestellten Beitrages und Kommentars von einem Gegenanwurf gekränkt werden; wir empfinden das unmittelbar, und es schmerzt uns (die Emotionen, in denen sich die Realperson aus den Spaltungen eigentlich wieder zusammensetzt, springen einen nicht selten aus den folgenden Kommentaren dann an). Gibt aber nicht die Aufgabe der bestimmten Identität – womit wir zugleich etwas spiegeln, das de facto im anthropologisch noch kaum zu erfassenden Geschehen ist -, gibt nicht die strategische („literarische“) Spaltung in zahllose Teilidentitäten auch den Schutz der einheitlichen Person auf? Wie wäre der Rechtsschutz eines >>>> Netizens zu definieren? Doch hieße es nicht, die Chancen des Netizens zu v e r t u n, w ü r d e er definiert? Machte man ihn dann nicht endgültig >>>> zum Kunden?



[Die Fragen haben sich besonders >>>> hieraus ergeben.]

[>>>> Anthropologische Kehre.
Kyberrealism & Moral.]

96 <<<<
Das nach außen verborgene Innen <<<<<

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10 thoughts on “Rote Karten ODER Der Fall Stabigabi5. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (97).

  1. Ich vermag die Komplexität des Beitrages und da dort aufgeworfenen Probleme nicht vollständig zu umfassen. Daher nur einige Anmerkungen, was die Löschung eigener Beiträge / Kommentare angeht..

    Ich halte dies für eine zwiespältige Sache, insbesondere, wenn sich daran andere Beiträge anschliessen, die dann mitgelöscht werden. Ich hatte einen solchen Fall einmal auf meinem Blog,als ein Blogger so verfahren war. Mein Ärger war sehr gross, weil er tatsächlich eine interessante Diskussion ins Nirwana beförderte (Google-Cache speichert meines Wissens erst nach einer gewissen Zeit). Ich hatte allerdings eine “Sicherungskopie” gemacht und die Diskussion dann als PDF-Dokument wieder angefügt.

    Um das Löschen zu umgehen schreiben “clevere” Kommentatoren ihre Anmerkungen häufig nicht in direkter Antwort auf den Kommentar, sondern eröffnen sozusagen einen neuen Thread. Das hat meines Erachtens den Vorteil, dass nun derjenige, der seinen Kommentar löschen möchte, dies nicht tut, weil ja trotzdem die Antwort erhalten bleibt. Denn tatsächlich löscht man wohl Kommentare immer dann, wenn man die gesamte Diskussion entfernen möchte (ich habe das auch schon praktiziert – mit schlechtem Gewissen allerdings). Diese Vorgehensweise führt letztlich dazu, dass die Diskussion eher weitergeht, weil jedes Löschen ein Verlust bedeuten würde: Wen ich dann meinen Kommentar lösche, bleibt ein “diskursives Übergewicht” zu Gunsten des Widersprechers.

    Das löst nicht das Problem, ob Löschungen (sozusagen) legitim sind oder nicht.

    Umformulieren kann man bei “twoday” seine Kommentare nur, wenn man nicht “anonym” hat. “Anonym” bedeutet: keine “twoday”-Registrierung. Der Nachteil der Möglichkeit nachträglichen Änderung liegt natürlich auch auf der Hand: Die Diskussion kann ad absurdum geführt werden, wenn jemand umformuliert oder innerhalb des Kommentares streicht – die Replik des Anderen wäre dann u. U. sinnlos oder gar falsch. Zu Lösen ist das nur, wenn der Diskutant in einem neuen Kommentar umformuliert, präzisiert…

  2. Archive Ist es nicht so, dass das Wesen und die Funktionsweise des Internet von vielen BenutzerInnen nicht richtig verstanden wird oder wahrgenommen werden will? „Internet“ – das ist die Vernetzung von einzelnen Rechnern und wenn ich mich dazu entschließe, mich in dieses „Netz“ zu begeben, gebe ich auch die Kontrolle über meinen Text auf, denn dieser Text kann von jedem beliebigen anderen User auf seinem persönlichen Rechner gespeichert, auf Papier ausgedruckt und wenn man so will, auch abgeschrieben und für die Ewigkeit in Stein gemeißelt werden. Ich habe einmal in einem Artikel das Internet mit dem „Wunderblock“ von Freud verglichen, denn „die Struktur des Internets erinnert an das seinerzeit mit fast rührender Begeisterung von Freud gerühmte simple Aufschreibegerät […]: wenn man die Oberfläche löscht, bleiben trotzdem die Spuren auf der Wachsschicht erhalten und genau diese Kombination von den an sich konträren Vorgängen des Speicherns und Löschens, Erinnern und Vergessens, ist jene Fähigkeit unseres menschlichen Gehirns, der wir unser seelisches Gleichgewicht verdanken.“ Wir Archive stellen nichts anderes als diese Wachsschicht zur Verfügung, die die an der Oberfläche verlorengegangenen Spuren aufnimmt – allerdings bei weitem nicht in der Vollständigkeit wie es unser menschliches Gehirn vermag. Die „Dschungel“ treibt unsere Kapazitäten als Archiv bereits an die Grenze, denn um möglichst ‚vollständig’ zu sammeln, müssten wir unseren Harvester mindestens einmal pro Tag über die „Dschungel“ laufen lassen. Nach deiner gestrigen Anfrage, ob wir die auf der „Dschungel“ gelöschten Kommentare archiviert hätten, haben wir allerdings den Zeitplan im Harvester für die „Dschungel“ sofort umgestellt: Ab jetzt läuft er einmal pro Woche! (das schreibe ich jetzt nicht ohne Schmunzeln, denn die archivarische Gier, ‚alles’ zu ‚haben’ hat ja auch immer etwas leicht Paranoisches).

    1. zu dem Artikel Vielleicht sollte man vor solchen Archivierungen uns Blogger erst mal fragen, wer überhaupt archiviert werden will. Dann würde sich die beklagte Masse von Veröffentlichungen ganz bestimmt von allein ausdünnen. Ein anderer Punkt ist in dem englischen Modell, dass es Leute geben muss, die bestimmen, wer es wert ist, archiviert zu werden. Nach den Erfahrungen sind das aber bestimmt wieder die selben Schargen, die auch sonst schon überall bestimmen. Was wirklich besonders ist, würde da anecken und rausfallen.

    2. Mitschreiber erklären ihr Einverständnis indem sie sie mitschreiben. Das steht gut lesbar an der Seite.

      Herzliche Grüße
      montgelas

    3. zur Kritik an Archivierung elektronischer Texte Zu dem „kritischen Artikel“ gäbe es viel anzumerken, ich versuche mich aber mal auf das Wesentliche zu beschränken: Es gibt außer der British Library noch andere Institutionen, wo Experten selektiv Internetquellen für die Langzeitarchivierung auswählen, so z.B. PANDORA, das 1996 gestartete Langzeitarchivierungsprojekt der australischen Nationalbibliothek: „PANDORA is a digital archive dedicated to the preservation of and long term access to Australian online electronic publications of national significance.“ http://pandora.nla.gov.au/ Anders als die NLA, die mit einem eigenen Crawler arbeitet und selbst archiviert, übergeben andere Institutionen diese Aufgabe dem Internet Archive, das über die Initiative „archive-it“ http://www.archive-it.org/ auch Spezial-Sammlungen betreut, so zum Beispiel „Electronic Literature Online“. ELO arbeitet mit der Library of Congress zusammen und betreibt auch eine von Experten betreute Sammlung, allerdings in Kombination mit einem Wiki, das Usern ermöglicht, selbst Adressen für die Sammlung vorzuschlagen http://eliterature.org/wiki/index.php/Main_Page. Für Europa gibt es die EU-Initiative »digitale Bibliotheken« (i2010: Digitale Bibliotheken) mit dem Ziel, nationale Langzeitarchivierungsprojekte 2010 über das gemeinsame Portal »European Library« zugänglich zu machen. In Deutschland koordiniert das Kompetenznetzwerk Nestor Langzeitarchivierungsprojekte und es gab erst kürzlich einen Workshop an der DNB, wo sich eine Runde von Experten (Archivare, Juristen, Informatiker, Literaturwissenschaftler, Autoren) zum Thema Langzeitarchivierung von Netzliteratur zusammengesetzt haben.
      Und hier möchte ich nun doch auch ‚bescheiden’ auf die beiden Projekte verweisen, über die auch die „Dschungel. Anderswelt“ archiviert wird: weder das Deutsche Literatur Archiv Marbach noch die Universität Innsbruck mit dem Projekt DILIMAG archivieren sinnlosen Datenmüll (siehe das Beispiel Dschungel. Anderswelt), sondern ziehen lediglich die unvermeidliche Konsequenz aus der Tatsache, das der Literaturbetrieb sich mehr und mehr in das Internet verlagert und es aus wissenschaftlicher wie aus archivarischer Sicht nicht vertretbar wäre, dass man Internet-Publikationen ignoriert, nur weil sie eben in einem anderen Medium erscheinen als bisher.
      Und es gehört auch zur selbstverständlichen Praxis aller seriös betriebenen Internet-Archive, dass die urheberrechtlich Verantwortlichen um deren Einverständnis gebeten werden. Initiativen wie das Internet Archive, das großflächiges automatisches Harvesting betreibt, können selbstverständlich nicht um das Einverständnis einzelner Website-Betreiber bitten, doch gibt es für diejenigen, die sich vor der Archivierung ‘schützen‘ wollen, ein ganz einfaches Mittel: robots.txt wird auch vom Internet-Archive respektiert.

      So – das wärs, aber ich stehe jederzeit gerne für weitere Auskünfte zur Verfügung und einiges an Informationen zum Thema findet sich auch auf unserer DILIMAG-Homepage.

    4. @Renate Giacomuzzi Dass ich hier einen Artikel verlinkt habe, bedeutet nicht, dass ich ihm zustimme. Ich fand ihn nur passend zum Thema.

      Ich bin überrascht über den Aufwand, den man mit der Archivierung von Internet-Publikationen betreibt. Die Autorin des Artikels der “Welt” hält die grundsätzliche Archivierung von Inhalten, die jederzeit geändert werden können, für problematisch bzw. wenig sinnvoll. Das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass sie als angestammte Journalistin mit Blogs und ähnlichen experimentellen Projekten auf Kriegsfuss steht, weil sie – indirekt – ihre Deutungshoheit untergraben sieht. Dennoch ist die Frage nicht ganz unsinnig. Dass Projekte wie “Die Dschungel” gespeichert werden, finde ich fast sogar notwendig, da hier eine eigene Kunstform entsteht. Das kann man allerdings tatsächlich von der Mehrzahl der im Netz kursierenden Publikationen nicht unbedingt sagen.

  3. datenautobahnkirchen und messietum geh ich auch mal ein kerzlein anzünden.

    schreibt man hier nicht doch gerade godot um?
    komm wir gehen.
    das geht nicht.
    wieso nich?
    weil wir nicht gehen können.

    oder plan 9 from outer space?
    “future events such as these will affect you in the future!”

    wo ist woody mit den tarotkarten? ich bin schon tot, aber ich hätte gern wenigstens etwas spaß dabei.

    ist das jetzt tragisch? jemand musste stabigabi5 verleumdet haben. oder doch komisch? lange zeit hat stabigabi5 unsinnig früh unsinnig viele netzbeiträge verfasst.

    mir fällt auch noch ein szene ein. altman. short cuts. der polizist, der tim robbins ist. seine frau entdeckt den zettel mit der telefonnumer von claire dem clown in der wäsche und stellt ihn zu rede. er denkt sich eine abstruse geschichte aus, dass gegen claire den clown in so und so viel staaten ermittelt würde, und dass nun sie sich und die kinder in gefahr gebracht hätte mit ihrer unsinnigen eifersucht, die er sich nun mit der wahrheit zerstreut gezwungen sah. dabei ist es so wie sie denkt, er geht bloß fremd. tränen gelacht.

    seitdem schwöre ich bei verschwörungstheoretischen ansätzen immer auf die weniger paranoide, aber darauf, dass ich heraus gefunden habe, dass ich wirklich niemand bin, wie connor oberst singt at the bottom of everything.

    nur noch etwas zur editionsphilologie des netzes. da halte ich es mit meinem lehrer, eine historisch kritische ausgabe erschafft die geschichtlichkeit erst aus den bruchstücken mit einem navigationsangebot, nicht aus der gänze des gewesenen in einer bloßen chronologie. alles wird man ohnehin nicht sichten können, darum, schneiden sie auch noch so viel mit, sie reproduzieren letztlich damit in großen teilen bloß langeweile. aber, gut, auch die hat keinen unbedeutenden platz im leben und zwischen den geschlechtern, sie verdient aufmerksamkeit. ich versuche mich gerade als ausgleichend beruhigende plasma impression, sie dürfen wählen, aquarium oder kaminfeuer?

    ich hätte gern noch einen kaffee. ja, mit viel milch.

    einen wirklich guten morgen
    wünscht

    nemos avatar

    1. @ löschen Also aus meiner sicht geht dieses archivieren völlg in ordnung.
      Ich selbst führe hier nicht buch – soll heissen meine kommentare
      wären hier auf meinem p.c. nicht als duplikat vorhanden.
      Wenn ich desweiteren für manche vielleicht allzu exzentrisch in „gedichtform“ auf
      meist lyrische beiträge postete, so desweiteren hinsichtlich einer subjektiv
      gefühlten „rundung“ oder etwaiger „ergänzung“ des vorgelaufenen.
      ( manchmal aber ganzganz selten ausschliesslich anmachend )
      Wäre dies dezidiert mir mal als unangebrachtheit gesteckt worden, so hätte ich
      mir allerdings schon das recht des eigenmächtigen löschens – neben einer ja
      eigentlich immer möglichen diskussion über adäquanz – stets ermöglicht gewusst.
      Das passierte allerdings seltenst und es wäre auch das anliegen des beiträgers
      mir gegenüber geäussert selbst.
      Soviel zur erwiesenermassen bestehenden toleranz hier.
      Sollte ich also als avatar „mitschreiber“ einer zeitdokumentarischen „handlung“
      oder „geschichte“ sein so entzöge sich völlig meiner beurteilung wo etwas verloren ginge / gegangen wäre oder nicht.
      jene äusserst selten vorkommenden lösch- oder verschiebeaktionen von a. herbst werden ja stets fairst erklärt und daraus resultierende potentielle kränkungen erfahren ja auch nur eitle oder ego-süchtige.
      No problem, so far.
      k.

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