Arbeitsjournal. Freitag, der 30. Mai 2008.

5.06 Uhr:
[Am Terrarium. Nach Morgenzigarette bei Bodum-Kaffee.]
Bin heut früh abermals hiergeblieben, weil um 7.30 Uhr ein neuer Heißwasserboiler gesetzt wird. Eines der Babies ist schon wach, das andere schläft, es gab auch von dem schon Protest, ich: „schscht“, dann raus in die Küche und die Tür hinter mir geschlossen. Kurzes Aufweinen, dann: Stille. Es funktioniert, funktionierte sogar eben noch mal, als ich der Zigarette wegen durchs Zimmer auf den Balkon ging. Mit großen Augen sah das Zwillingsmädchen mir hinterher, kurzer Protest, als ich die Balkontür schloß (hier Am Terrarium wird nicht geraucht), aber auch der verlief wieder, ich dann wieder durchs Zimmer zurück, die großen Augen des Mädchens, die Tür geschlossen, das Mädchen weint kurz auf, ich noch, bevor ich die Tür schließe: „…schlafen… (!)…“, die Tür schließt, Stille. Mir ist schon einmal aufgefallen, daß die Geste verstanden wird: es sei noch nicht Zeit oder, wann anders, jetzt n i c h t Zeit; es funktioniert aber nur bei mir, nicht bei der Mama.

Wirklich lange mit dem Profi unterwegs gewesen, diesmal nicht in der Bar, worin donnerstags, in seinen Worten, „Tag der Handtaschen“ ist, also die wöchentliche sogenannte after work party, die ich wirklich meide, damit ich am nächsten Tag nicht ganz verklebt vom modischen Lack der Stylings bin, sondern im Herzen Kreuzbergs einmal wieder: „Setz dich auf Rad, fahr an meiner Firma vorbei, Möckernstraße geradeaus, du weißt..?“ „Richtung Yorckstraße.“ „Dann, hundert Meter vor der, rechts rein, es geht ein wenig hinauf, da fahr bis zum Ende. Du wirst sehen, was dich erwartet.“
Es ist wie zu Zeiten, da das >>>> Strandbad Mitte noch neu war, wo ich lange nicht mehr gewesen bin, fiel mir aber gestern abend erst auf. „Es ist schickimicki geworden, du hast nichts verpaßt“, sagte der Profi, der mit dem Eigentümer dealt und überhaupt seine Geschäfte wie durch Adern durch die halbe Szene fließen läßt. Auch hier war er eingeladen, und ich nun mit. Das brache Gelände des hinteren Anhalter Bahnhofs, wovon ein großer Teil dem Technikmuseum zugeschlagen, das wiederum wichtiger Spielort in >>>> ARGO. ANDERSWELT ist, ein anderer Teil liegt nach wie vor brach; BJ, die an der Möckernstraße wohnte, schwärmte stets von den Sonnenuntergängen über der Wildnis; und e i n Teil nun ist lose herausgeschnitten vermittels eines ums Gelände gezogenen Zaunes; darinnen mehrere Volleyball-Felder auf dem hellgelben Sand langer Strände; davor wie in Goa, wie in der Karibik kleine offene Baracken, die als Bars dienen, eine fahrbare Baracke für die Toiletten; sogar Umkleiderkabinchen und – – Duschen, wie am Strand. Alles umgeben und durchsetzt von wilden Robinien, wucherndem Gebüsch; das Hochhaus der Postbank blinkt von ferne hindurch, man sieht auch die erleuchteten Fenster der Anrainerwohnungen, aber erst ab Höhe des dritten Stockwerks etwa und einen Ballwurf entfernt. Zur anderen Seite hinter dem Zaun wieder Brache. „Das ist Berlin. Das ist das alte Berlin. Daß es so etwas gibt.“ Wir stehen herum, man sitzt auf Liegestühlen, auf grobem Holzgestühl, auf den provisorischen Lattenterrassen. Ein Feuer wird entzündet und flammt in die Nacht. Das Bier – Astra, man faßt es nicht! – gibt’s in Flaschen. Irgendwo wird gegrillt, weiter nach hinten steht ein Kickertisch, von dem es herjubelt.
Also spät war ich heim, z u spät, um >>>> dazu noch etwas zu schreiben. Wiewohl es mich sehr – s e h r – stutzig gemacht hat. Die Geschichte erzähl ich Ihnen g l e i c h. Natürlich vorher der Profi: „Wer ist >>>> Malos? Ich habe a u c h erst gedacht, daß du das bist.“ „Auch Cellini denkt das. Es klinge nach mir.“ „Es klingt nach Mann. Nur: Wer ist Cellini? Sie schreibt immer wunderschön. Man weiß nie: Stimmt es, stimmt es nicht, aber das spielt gar keine Rolle – derart poetisch ist das. – Und >>>> das Cello?“ „Es gab eine Leserin, die hat allen Ernstes überlegt, es mir zu kaufen.“ „Und warum tut sie’s nicht?“ Ich erzähle. Daß ich auch nicht mag, sowieso. Er: „Also DB und ich haben dir sehr viel mehr Geld gegeben; wenn etwas von den Lesern kommt, dann ist das richtig so. Du gibst ihnen etwas, sie geben d i r was. Ich kann da kein Problem erkennen, verstehe auch deine Schüchternheit nicht.“ „Es ist nicht d a s. Es ist etwas anderes. Die Leserin hatte mir etwas sehr Wichtiges geschrieben vorher: ‘Wenn Sie das Instrument im Arm haben, werden Sie fühlen, ob es Ihres ist.’ – Das war nicht so. Es ist ein schönes Cello, es ist eine Herausforderung, ja, aber es ist nicht d a s Cello, wie einer sagen würde: Das ist d i e Frau. Es macht Freude, es in die Hand zu nehmen, es reizt, es zu bespielen, auch: zu besiegen, ja, ich ritte es gerne ein. Aber ich habe nicht die Tränen in den Augen, wenn ich es wieder lassen muß.“ „Dann ist es gut s o.“ „Ja.“12.16 Uhr:
[Immer noch Am Terrarium, aber der neue Boiler hängt, und ich habe
gut Cello geübt.]

Ich weiß, einige von Ihnen hat die Formulierung „ich ritte es gerne ein“ gestört. Aber ich wollte eh etwas ganz anderes, >>>> deshalb nämlich, erzählen.
Selbstverständlich, einen solchen Satz kann jeder sagen, jedem kann er einfallen als mehr oder minder scharfes Aperçu. Dennoch, er hat mich an etwas erinnert, das 24 Jahre zurückliegt, vielleicht auch nur 23 Jahre, so daß ich selbst, >>>> Malos betreffend, ins Schwanken gerate. Er kenne mich, hatte geschrieben, aus meiner Börsenzeit. Das kommt ja nun ungefähr hin. Ich dachte ja erst, mein alter Freund MD habe dahintergesteckt, mit dem mich eine recht spannende Geschichte verbindet, seit er von der GSG 9 naturalisiert an der Börse untergebracht worden war; er war vierzig gewesen und hatte keinerlei Lust mehr gehabt, nunmehr in dem seinerzeit scharf umkämpften Beiruth eingesetzt zu werden. So hatte man ihm eine neue Identität verpaßt und ihn neben mich, Ö. und W. an den Forex trading desk von PruBache gesetzt. Einige Zeit später gingen wir zusammen in den Dienst eines unserer Kunden, der eine Art Filiale einer Schweizer Bank in XXX aufgemacht hatte und Mitarbeiter suchte, als die er uns, kann man sagen, abwarb. Nun kamen die Geschäfte so recht ins Rollen, langten nach Süditalien – na, ich muß kaum mehr erzählen, als daß ich eines Abends, die Männer saßen unterm Vorsitz des Commandantore bei Neapel zusammen am Meer… daß ich da also ein s e h r schlechtes Gefühl bekam, einfach aufstand und in die Runde sagte: „Ich geh jetzt schwimmen.“ Als ich zurückwar, war MD schon fort, mit dem Helikopter nach Mailand, hieß es; dies war das letzte Mal, daß ich ihn sah. In XXX, einen Monat später, lag dann ein Koffer voller Banknoten auf dem Hinterzimmertisch der Bank, ich stand abermals auf und sagte: „Ich trage dieses Geschäft nicht mit“ und ging. Ich erinnere mich gut des Anrufs nachts der Übersetzerin nachts um halb zwölf: „Es wäre besser, du gingest mal zwei Wochen lang nicht aus der Wohnung.“ Bon. Wieder nach Neapel bin ich damals sicherheitshalber zwei Jahre lang nicht gefahren und habe noch heute ein etwas maues Gefühl, wenn ich an dem auf dreiviertels Strecke stehenden Hotelkomplex am Meer vorbeifahr. Mein damaliger Chef setzte sich übrigens nach Cayman Islands ab, was ihm aber wenig bracht; Interpol fand ihn; er saß dann – oder sitzt noch immer – ein. MD wiederum ist nach wie vor frei und in den Diensten, soweit ich weiß, eines US-Millionärs; er, MD, ruft bisweilen mal an, betritt aber keinen deutschen Boden.
Gut, ihn hielt ich für Malos. Er hätte auch das imitative Format.
Der genannte Satz aber stammt nicht von ihm, sondern von einem Dichter. Es war die Frankfurter Zeit, meine >>>> VERWIRRUNG DES GEMÜTS war erschienen, an den >>>> WOLPERTINGER aber noch nicht zu denken; Computer spielten noch überhaupt keine Rolle. Ein paar Autoren taten sich zusammen zu einem wöchentlichen Treffen im Westend: >>>> Elmar Podlech, von dem ch gerade gelesen habe, daß er gestorben sei; >>>> Harry Oberländer, mit dem ich nach wie vor in Kontakt bin und den ich ganz gern auch als Autor für Die Dschungel gewönne, zwei jüngere Autoren, deren Name ich vergessen habe – und – >>>> Joachim Veil. Der befand sich damals auf der literarischen Karriereleiter, hatte zwei Bücher bei Suhrkamp, deren eines ich wiederum besprochen hatte. Wir trafen uns in im WIELANDECK.
Veil hatte etwas Inquisitorisches: er fragte Leute bis unter die Unterwäsche aus, ließ nicht nach, war stringent und lebte seine Lust der Überführung; tatsächlich hatten Gespräche mit ihm immer etwas von Verhören. Mich beeindruckte das, ich hatte gerade die ersten Schritte ins literarische Leben getan usw. Und dann, ich entsinne mich genau, las einer von uns, einer der beiden g a n z jungen Autoren, einen Text vor; wir hatten es uns angewöhnt, pro Sitzung einen solchen Text zu diskutieren. Der junge Mann endete, wir begannen zu sprechen, nur Veil nicht. Veil schwieg den ganzen Nachmittag über, bis kurz vor dem Ende des Treffens. Da fragte ihn Oberländer, vielleicht war’s auch ich selbst: „Und was denkst du zu dem Text?“ Veil zögerte nicht. „Ich denke, der Autor sollte mehr Fleisch essen.“
Mehr sagte er nicht, ich weiß das noch sehr genau. Und mach mir jetzt meine Gedanken.

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