Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Da der Text
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Als ich sehr jung war, gab es von Villeroy Boch eine Zeitschriftenanzeige, worauf ein silberstrahlend erigierter Wasserhahn vor dem sternendurchpunkteten Kosmos zu sehen war. Darunter stand in fettweißer Schrift: MEISTERWERK DER DICHTKUNST. Die Anzeige bediente sich, hochwirksam einpräglich, der Ästhetik Leni Riefenstahls, die oft auch Herbert von Karajans Schallplattenhüllen bestimmt hat: Kreation eines Menschen als ein sich selbst verklärendes Markenprodukt. Dahinter stand bei Karajan nicht etwa die Strategie einer PR-Firma, die bei Goebbels in die Ideenschule gegangen ist, sondern er selbst hat die Inszenierung seines öffentlichen Erscheinungsbildes besorgt und strengstens observiert. Seine Fernsehinszenierungen der Siebziger Jahre sind absolute Selbst-Inszenierungen von beeindruckend narzisstischer Geltungswut. Wer Beethoven hört, hört Karajan: Punkt. Was bei Chiquita schiefging („Vergessen Sie den Namen Banane und sagen Sie Chiquita“), Karajan gelang es. Fiel der Begriff Dirigent, stand einem sofort dieser vor Augen. Das war der auf absolute Perfektion von Sattheit und Balance des Klangs, also auf Erscheinung, bedachten herrischen Musikexerzitie zu verdanken, mit der der Mann sich selbst und die ihm anbefohlenen Musiker teils zu Höchstleistungen peitschte, sie aber teils auch verschliß. Unter den Pianisten gibt es dafür eine Parallele: Arturo Benedetto Michelangeli.
Wahrscheinlich ist Karajan der erste Pop-Star der sogenannten Klassischen Musik gewesen – auf die er sich spezialisierte, von spärlichen Ausnahmen der frühen Moderne abgesehen, die Impressionisten und Stravinski etwa; ansonsten rödelte er das klassische Repertoire auf und ab und hinterließ wie kein zweiter Dirigent einen monströsen Butterberg von Aufnahmen, an dem sich vor allem die Deutsche Grammophon bis heute sattessen kann und mit dem sie 2008 ganze Freßgelage veranstalten wird. Es sind bedeutende Referenzaufnahmen dabei, die uneinholbar bleiben werden. Das eben ist die andere Seite.
Der griechisch-(karajannis-)stämmige Heribert Ritter von Karajan war der klassische Medienherr der autoritären Nachkriegs-Bourgeoisie. Es konnte gut sein, daß die Damen der gehobenen Gesellschaft nach einem Konzert nicht nur schrien vor Jubel, nein sie standen im Scharoun-Bau auch immer kurz davor, sich wie Groupies eines Bildungsbürger-Woodstocks die Blusen aufzureißen. Der kleine, etwas steife Zuchtmeister der Welt-Philharmonie muß eine enorme Aura gehabt haben, der etwas Schauriges eignet, das seine Afficionadas nicht sahen oder das sie, ohne es zu wissen, genossen. Schaut man die alten Covers an, wird einem mulmig zumute, wie das geniale Männchen vor dem Orchester steht, als dessen Mitglied man es ansieht, und einem dirigierend-unerbittlich die am Arm ausgestreckte… ja, Grußhand zuhebt. Wenigstens ist es die linke. Erst in seinen späten Jahren milderte sich das, in den Mehrfachverwertungs-Covers, im gemalten Blumenkitsch seiner letzten Ehefrau ab. Bei Karajan hat man es mit dem personalen Vermarktungszusammenhang eines monomanen Familienpatriarchen zu tun: mit der Erschaffung einer Figur. Dazu gehört auch sein Adelstitel, den er nach Abschaffung des österreichischen Adels als Künstlernamen beibehielt.
Schall und Rauch? Hohler Bedeutungswahn, wie seine Gegner wollten? Sicher nicht. Vielmehr war Karajan einer jener Höchstbegabten, die, werden sie dem eigenen Anspruch gerecht, ihre Begabung offen am Revers tragen, weil das understatement, sie zu verbergen, unsachlich wäre. Die Dinge liegen nicht einfach, sie liegen nie einfach, auch wenn wir demokratischen Moralisten das gerne anders hätten. Hier war einer von Musik tatsächlich und mit vollem Prägerecht besessen. Hört man nämlich seine Einspielung von Schubert VIII, kann man nur tief ergriffen sein. Daran ist nichts Falsches. Und die für die EMI eingespielte, aber technisch von Decca betreute (!) Salome-Aufnahme von 1977 wird wahrscheinlich nie mehr übertroffen werden. Allerdings hat die für Hildegard Behrens’ Stimmentwicklung zu früh gesungene Partie die Sängerin… nein, nicht die Stimme gekostet, aber das, was hätte aus ihr werden können. Was sich hätte festigen müssen. Elisabeth Schwarzkopf hat immer gewarnt. Seither laboriert die Behrens an einem Vibrato, das ihrer großen Stimme damals noch völlig fremd gewesen ist. Hätte Karajan das vorausahnen müssen? Wie weit ist einem Künstler, der seinem Werk verantwortlich ist, Verantwortlichkeit für Anvertraute abzuverlangen? Brecht aber sagt: Wer mit dem Teufel Suppe ißt, braucht einen langen Löffel. – Salome also. Ich habe mir das Album damals zweifach nachgekauft, auf Halde, falls mal eine Platte kaputtgehen sollte… das tut nicht, wer nicht Jochanaans Köpfung für eine herausragende Kulturleistung speziell Herbert von Karajans hält. Ja, das i s t so ambivalent, quälend ambivalent, wenn einer drüber nachdenkt. Das ist immer so mit Kunst.
Karajan liebte technische Panzer und umgab sich mit schnellen Schalen, ob Porsche, ob Cessna… scheingeborgen wie in Ballards Crash: Metall, nicht Plazenta. Perfektion steht nah am Tod: Das Schneekapitel im Zauberberg liest sich wie ein Kommentar zur kristallenen Glätte der ersten digitalen Aufnahmen, deren Technologie sich der technikbegeisterte Herbert von Karajan schon früh verschrieb. Nichts dürfte er mehr gescheut haben als Risiken – gut zu spüren, wenn man sich seine Einspielung von Mahler VI anhört und moderne Auffassungen, etwa die analytische Michael Gielens, oder die glühenden John Barbirollis dagegenhält. Unsicheres Gelände hat Karajan nie betreten, auch das wohl ein Grund für seinen großbürgerlichen Pop-Status: sein Publikum ging nie irritiert heim, sondern von der Klangschwelgerei in seinem Standes- und Machtbewußtsein geradezu orgiastisch zementiert. Daß dieser Klang nicht über Brüchen schwebte, sondern fest auf den Boden einer kalkulierten Klangdinglichkeit trat, tat einiges dazu.
Karajan hat nach seinem Publikum nicht mit der Speckschwarte, sondern mit ganzen Hälften von Schweinen geworfen. Das war dann immer ein Mahl. Die Karten wurden am Schwarzmarkt wie die von Madonna-heute gehandelt; in Wien, 1977, bei seiner legendären Rückkehr, brachten anstehende Leute Schlafsäcke mit… falls man vor der Oper übernachten mußte. Wer wollt’ es einem Maestro übelnehmen, daß er das genoß? Das Problem der Linken ist ihr inneres, ist ein tragisches Kleinbürgertum, das die Freiheit der Grandezza nicht kennt, auch Schwächen lächelnd liebzuhaben.
Aber er wollte nicht abstürzen. Selbst die technische Aufnahmeleitung behielt er in der Hand, so, wie er auch immer seine Interpretationen restlos in der Hand behielt, letztlich auch i h r, der Musik selber, Zuchtmeister war. Nach den vor allem in Karajans Tempoauffassung radikalen 50er Jahren und den interpretierenden Sternstunden der 60er (mit Richter, mit Rostropovitsch) setzte sich Karajans dinglicher Schönklang immer mehr und bis ins Anorganische, eben Kristalline, in seinen Dirigaten fest. Er brauchte dringend frisches Blut; seine Hinwendung zur blutjungen Anne Sophie Mutter, zur ebenso blutjungen Hildegard Behrens und anderen frühen Nachwuchsstars wird hier seinen Nahrungsgrund haben. Völlig undenkbar, daß der Zuchtmeister in einem Sinfoniesatz, weil selber erschüttert, zu weinen angefangen hätte wie Bernstein – so daß man sich fragen kann, ob er der Erschütterungen, die er seinem Publikum schenkte, je selber teilhaftig wurde… ob er nicht letztlich ein Ausgeschlossener blieb, ein verschlossen Abgeschlossener, abgeschlossen im Porsche, abgeschlossen in der Cessna, abgeschlossen im Aufnahmestudio. Um Ernst Jünger zu variieren: ein Techniker, der, um nicht einzusinken, den warmen Schlamm gefriert, bevor er ihn betritt. Man war von dem Mann begeistert, war obsessiv fasziniert, war hörig vielleicht – aber liebte ihn einer, wie Bernstein geliebt worden ist? Sah man ihn je nach glückhaftem Höhepunkt im Dirigat lächeln wie Kleiber – Carlos Kleiber, einen der wenigen Kollegen, die Karajan als ebenbürtig ansah? Wäre hier nicht der Roman eines anderen, eines unbekannten Karajans zu schreiben – eine Erzählung, die die hochkontrollierte Selbst-Fiktion mit Markennamen Karajan über die Fiktion eines Menschen aus diesem Marken- und Warennamen in den Menschen wieder zurücknimmt? Heute, der 5. April 2008, Herbert von Karajans 100. Geburtstag, wäre ein guter Zeitpunkt, dafür den ersten Satz zu schreiben.
[Erschienen am 2. Dezember 2007 mit einer leichten Variante im letzten Satz.]
Man kann Karajan phänomenologisch von außen betrachten. Letztlich kondensiert sich für mich alles in einer Versöhnlichkeit, zu der ich mich auch >>> gestern hingeleitet sah.
In der angesprochenen Sendung wurde übrigens ein Moment angesprochen, an dem HvK tatsächlich gerührt war. Es war nach einer Aufführung des Tschaikovsky-Klavierkonzerts mit Kissin. Eliette von Karajan berichtete, dass sie 30 Jahre mit ihrem Mann zusammen gelebt hatte, ohne dass sie ihn je weinen gesehen hätte. Es war dieser Anlass, der etwas Besonderes angerührt haben muss.
Der Film gestern von Robert Dornhelm war packend und dicht, indem gerade in den Fragmenten die musikalische Intensität zu spüren war. Für mich ist mittlerweile die Disziplin Karajans genauso echt, wie die manchmal überschäumende Freude Bernsteins. Es gab auch eine Passage, in der er bei der Probe zu Beethovens Neunter genauso bewusst versucht hat, das Freudvolle in den Aufführenden hervorzubringen.
Für mich sah das nicht “gespielt” aus.
(Als Referenz für den Umstand, dass Musik für mich mehr als ein beschauliches Diskussionsthema ist, darf ich >>> diesen Link anführen.
@steppenhund. Ich habe an Karajans künstlerischer Integrität keinen Zweifel. Das macht mein Artikel, hoff ich, auch deutlich. Mich interessierte an ihm aber schließlich sehr viel mehr etwas, das mit >>>> unserer von femme100têtes angestoßenen Geschlechterdiskussion zu tun hat. Karajan steht für den gepanzerten Mann. Er hat das “Ritter” seines Geburtsnamens als technischen Harnisch beibehalten. Das heißt eben nicht, daß er i n der Rüstung nicht geschwitzt hätte.