Die Händel-Inszenierungen der >>>> Komischen Oper Berlin haben eine deutliche Handschrift, man kann unterdessen von einer eigenen Ästhetik sprechen, an der ihre Regisseure sehr nachdrücklich und mit dem Akzent auf expressiven Ausdruck weiterarbeiten. So richtig ging das mit Sebastian Baumgartens >>>> Orest los und setzt sich nun in >>>> Benedikt von Peters Theseus-Inszenierung fort. Kennzeichen dieser Ästhetik sind vor allem die Vergegenwärtigung von Grundtrieben, eine zeitgenössische Auffassung von Allegorie, die „Modernisierungen“ erlaubt, ohne daß konkret ein realistischer Rahmen gesetzt werden muß, sondern die Inszenierungen spielen in einem historisch allgemeinen Raum, der sowohl die Gegenwart wie die Vergangenheit sinnlich vergegenwärtigt. Denn das ist in keiner Weise abstrakt… nein nein, Blut bleibt Blut, und Waffe ist Waffe, man futtert Hamburgers und kann sich dennoch im antiken, bzw. barocken Milieu bewegen. Die Viskosität der barocken Musik erlaubt das. Dabei nehmen diese Inszenierungen das unmittelbar „Dokumentarische“ von Handkamerafilmen auf und stellen es geradezu brechtisch aus… was zu einem Bruch der Illusion führt, diese aber zugleich in Bewegung setzt… die Bühne wird ungemein variabel dadurch, ohne daß man denken müßte: oh je, schon wieder ein Video… Man kommt gar nicht auf einen solchen Gedanken, so sehr plausibel ist der dramaturgische Einsatz. Die Szene läßt sich jederzeit auf die Kargheiten psychodramatischer Settings reduzieren, aber dann plötzlich ins Filmische aufentfalten: eine grandiose Mischung aus Protokoll und Kintop… und endet nicht, sondern macht es zur Grundlage ihrer Interpretation, daß bisweilen auch in die Musik selbst eingegriffen wird. Bei Orest war das die Instrumentierung der Rezitative durch Balalaika und Schifferklavier, hier geht es bis in die Notation selbst… bisweilen „entgleitet“ dem Orchester die Harmonie, und als hätte >>>> Alfred Schnittke eingegriffen, wird ein Anfangsakkord zerdehnt oder aus einem Raunen herausgezogen, das an sich schon erschreckend ist und nicht selten ein Echo in aus dem Off zugespielten elektronischen Lauten findet… dunkle, sehr dunkle Orgelpunkte sind das. Daß Händels Musik-an-sich dabei gar nicht verletzt wird, sondern in ihrer ganzen auch P r a c h t erhalten bleibt, ist das besonders Erstaunliche daran, sowie daß dieses nichtverletzende Verletzen zu einer Innigkeit aus Szene (nämlich Theater) und „Begleit“musik führt, wie man sie selten vor Ohr und Auge bekommt. Da die Musik zugleich ganz eigenständig bleibt und nicht etwa willkürlich, sondern allenfalls nach psychoszenischer Notwendigkeit umgebogen wird, und höchst selten, ist die von einigen Kritikern monierte Hereinnahme des Regietheaters in die Oper zumindest bei diesen beiden Inszenierungen alles andere als ein Makel. Es ist vielmehr eine entschiedene Tugend, deren einen Nachteil man dafür gerne in Kauf nimmt: nämlich den unbedingten Vorrang des Ausdrucks vor dem Schönklang. Das entspricht den Forderungen der Moderne.
Benedikt von Peter gelingt in diesem Theseus eine Quadratur des Kreises, die schon im Idiom eigentlich eine Unmöglichkeit ist: er vereint Brechts Episches Theater mit Schiller/Strassbergs Identifikationsmodell. Das ist eine ungeheure Leistung. W i e gut sie sitzt, merkt man an den Reaktionen des Publikums: Man kann solche Arbeiten ablehnen, aber sie lassen einen nicht in Ruhe. Gestern nacht wurde noch am Ampelüberweg Unter den Linden heftig diskutiert, und es diskutierten da nicht etwa die Jungen, deren es zahlreiche unter den Besuchern gab, sondern es diskutierte ein bürgerliches Publikum, dem die Oper nur allzu oft für ideologische Müßigung dient. Die Ampel sprang auf Grün, und man diskutierte weiter.
Die Kraft dieses Händel-Ansatzes, der imgrunde eine moderne Interpretation des Barocks selbst und ihm hochangemessen, also auch historisch geerdet ist, reicht noch sehr viel weiter. Nämlich kommen sogar >>>> pirandelleske Auffassungen zum Tragen, nicht nur in der sich ganz zu Anfang erst langsam strukturierenden Zuschreibung der Rollen, sondern auch in ihren ständigen Wiederauflösungen und diesem harschen Umschlag von hochdramatischer Szene in Komik und nicht selten einer so erschreckenden Absurdität, daß man an Artaud denken muß. Es hat hier einfach alles einen wirkenden und eben nicht nur wirkungsvollen Platz: daß Theseus als alternder Rockstar vorgestellt wird, gehört ebenso dazu, wie daß das Schlachtfeld wirklich schlammig ist und daß sich hinter Palästen kleinbürgerliche Idyllen von solchem Muff verbergen, daß einem übelwerden kann. Das ist nicht pur brutal gemacht, sondern Benedikt von Peters Inszenierung und Natascha von Steigers Bühnenbild kennen den Feingriff sehr wohl: Wenn auf der realen Szene Agilea und Theseus gefesselt sind, befreit Agilea, fast unkenntlich läuft das ab, auf der Filmprojektion Theseus von der Augenbinde. Dazu dann immer, als dunkle Göttin der Triebe, Medea, das Beil Elektras in der Hand und zwei Jungen zur Seite, die bei Gelegenheit geschlechtsindifferent zu Mädchen gemacht werden (bevor sie sich losreißen und hinausspringen, um ihre Bubenschlammschlacht fortzusetzen, die bereits des nächsten Krieges Spielform ist.). Auch sie, natürlich, scheitert, scheitert an ihrer steppenwölfigen Sehnsucht nach den gemütlichen vier Wänden, während sich die Sieger schließlich bekokst auf einem Sofa fläzen mit falschem gelben Haar und, sowieso, der Sonnenbrille des allerkorruptesten Aufsteigertums. Hier ist alles, letzten Endes, entweder Trieb und/oder Schlamm. Selbst die hochelegante Erscheinung Alessandro de Marchis, des Dirigenten, und die festliche Abendgarderobe des Orchesters wird zu einem Teil der Inszenierung, die unser Sein und Scheinen spiegelt. Ich hätt mir allenfalls noch gewünscht, daß man das Orchester aus dem Graben hochgenommen hätte… zum einen des etwas holzdumpfen Klanges wegen, der die musikalische Interpretation manchmal ein wenig undurchsichtig machte, zum anderen, weil der Kontrast dann eine weitere Ausdrucksvariante hinzugewonnen hätte – denn die Musik spielt ja auch, wie immer anders die realen Fakten wollen, von einer Sehnsucht, die selbst im Schlächter ohne Schuld ist. Doch dafür hat es auf der Bühne wohl viel zu viel geregnet.
[Weitere Vorstellungen im März:
Freitag, >>>> 14. 3., 19 Uhr.
Samstag, 22. 3., 19 Uhr.
Sonntag, 29. 3., 19 Uhr.
Vorbildlich übrigens auch das Programmheft, das sich, wie schon >>>> der hiesige Orest tat, immer wieder auf Heiner Müller bezieht.]
@ soldat(en) Der soldat steht für geistige wie materielle not.
Gerade steht er meist da, patroullierend und erkennt
stets viel zu wenig.
Grundsätzlich ist er nämlich der faule narziss,
der nicht gerne verhandelt.
Das darf er auch nicht.