Stoffwechsel sind wir, ich Mann und ich Vater, die Mutter und Frau,
und ist der Sohn , so im Zellturnus, daß keine mehr auf der
anderen s t e h t, das ist die Seele – ein Ungefähres
Weitergereichtes von Zelle zu Zelle, das sind wir, von einer
Absterbenden zur Entstehung, soeben Entstandnen, als ob
Etwas in Flüssen flüstert, wenn’s durchrinnt – nicht Tropfen, getrennt
abgelöste; sie fielen noch kaum, schon warn sie eines,
adhäsiv scheinbar, als locker verbundenes Wasser aus Küssen,
flüchtigen, die man kaum schmeckte, so schnell, wie die Milliarden
Tropfen zerplatzten, wobei sie sich grüßten, begrüßten, einander
aufnahmen und sich für Kurzes vereinten. Wir schmecken dem nach…
alleden Frauen… den Namen. Und schon gehn auch sie in den Kreislauf,
Zelle um Zelle so weiter… so je zu den Seiten versinkt es…
löst sich und knüpft sich aufs Neue mit anderem; aber nicht zyklisch
kreist es; vielmehr, es erschöpft sich gänzlich und endet als Ich.
Erdwärts versiegt’s. Aber es war. (Und so bleibt’s ein Geheimnis.)
War als das bleibende Tier und war gerne, besoff sich und rauchte,
vögelte gerne, verführte, verkniff sich die Eide, verschuldetvögelte gerne, verführte, verkniff sich die Eide, verdiente
soff es und rauchte, ach, stob voller Dasein, und, nein, es verkrümmte,
viel, war verschuldet, ach, stob voller Dasein, und, nein, es verkrümmte,
außer vor Bauchschmerz, sich selten – und fand, das ist das Größte -:
ihm, seinem Sohn, fand es die Mutter, und fand sie im Willen,
daß sie es sei, und im Wissen; und sie – sie fand genauso:
saftig sie es wie es sie. Darum, mein Sohn, bist du schön,
irdisch schön, wehrfähig – weil wir dich wollten und wußten, du würdest –
weil wir so gierig waren – die Schönheit kommt davon…
Wie er sich wälzt, dieser Bamberger Fluß! wie er stets weiter,
Tropfen um Zelle, voranflutet, mainwärts zum Rhein in die Nordsee,
unausgesetzt zelltauschend Meer, immer mehr, werden will…
Wie wir da mitziehen… wie wir nicht merken, wie wahllos gezogen,
Mitgezogne, wir sind; wie grandios wir uns täuschen, daß wir es
derartig wollten und überhaupt Wille, ein freier, im Spiel sei…
folgen doch auch nur, wie sie’s tut, die Regnitz, dem Flußbett und schleifen’s
aus, wo die Ufer, begradigte, fruchtbarkeitshemmend sich vortun,
uns auf ein Zielen verpflichtend, das unseres seltenst auch ist.
Scheinschwere Fußketten, die unsre Knöchel umfassen, sie kaigleich
einfassen… wie Elefanten, den jungen, die schwach sind, am flachen
Fußstumpf die eiserne Kette befestigt wird, so, daß sie’s lernen.
Wie sie da zerren, wie reißen sie da so vergebens! und geben’s
auf, denn die nässende Wunde ringsum schnitt sich zu ein.
Merkt sich zeitlebens, ein Hanfseilchen reicht der Erinnerung später;
das nennt man Prägung. Moral funktioniert so, kein Mensch bricht mehr aus.
unangepaßt, daß die Zähne knirschten, auf Knebel
beißend, zerriß ich die Seile, die Seilchen, ging los
auf die sich Pfleger nannten, lag falsch, lag mal richtig,
aber verlor es fast immer und schleppe die Spuren,
schwärende, schlepp sie, Geliebte, wie euch, in der Seele,
Sohn, segensreich siedende, mit mir herum.
Bis ich mich jetzt ausgestreckt hab, in die Regnitz
gänzlich hineingestreckt, deren Strömung umspült mich,
schnell treibt’s mich mit. Und ich hol nicht mehr aus, und ich kraul nicht.)
Gab denn auch ich auf? noch selber zu schwimmen zu müde geworden..?
Ist es die Stadt, ist es Bamberg, das müdere, was auf mir lastet?
Oder es hebt so, das aufgeschüttelte Federbett matter,
duftender Melancholie, Altern an, derartig plötzlich?
Süß – derart süß – derart bitter! und habe doch keine Beschwerden
(Zipperlein nannte die Großmutter sie) – steh noch im Saft…
immer noch früh Erektionen und mehrfach tags und am Abend
mehrfach, mein bleibendes Tier heult wie je die Verführung im Mond an,
der sich ihm strafend versagt in seinem Bamberger Zwinger.
Reingesperrt hab, wider mein Wissen, ich’s selber. Nun rächt’s sich?
Bricht sich der Blick? Tobte zu lang gegen Gitter und streift noch
wenige Male betäubt dran entlang, und dann legt er sich ab?
Geht so Askese vielleicht? Lust, so erschöpft, wird zur Unlust
großer Willen
Keinen der Obdachlosen erblickte ich, Graffiti schamhaft
abseits, kanalseits, gesprüht, ohne den Hunger auf Zukunft
Wer wie ein Kind noch ganz rund ist, nur der lebt in Bamberg geborgen,
und Kinder selbst. Als riefe es heim: Streuobstterrassen
unter dem Kloster Sankt Michel, verwildert, hinunter zur Altstadt.
Wäre es das, ein hiesiges Eden, und Jungkriminelle
mauert es nicht ein? Ja, flüchtet nicht besser ein jeder, der jung ist –
streitbarer Panther, wie ich war? – voll Wille, die Welt zu verbiegen,
umzuverbiegen… kurzum: einer von denen, die’s wagen?
Die hält hier nichts.
Anwalt nannte ihn so, und er war doch, und blieb es, ein Rōnin,
ausgebildet am Wortschwert, ein wellenverlorener Köter,
der in die Gischt beißt, die zwischen den schnappenden Kiefern zerstiebt;
salziger Feim, was er schmeckt; sinnlos der Aufruhr; ihn wirft es
doch wieder haushoch, es schleudern ihn Brecher, egal, wie er strampelt,
abwärts ins brettharte Wassertal, Schotter aus Wasser, wie Kiesel
spitz – aber er, irgendwie, schafft es, säuft nicht ab, kriegt Land
unter die Pfoten… und plötzlich Familie, er merkt’s kaum und schnappt
immer noch weiter, als wäre, und ist’s nicht?, noch immer das Meer
um ihn wütend herum. Und verliert sie. Jault auf, und er wütet,
abermals Gischt in der Schnauze, das Blut ist ganz schaumig davon
zwischen den Zähnen, sie sind für den Frieden so gar nicht gebaut,
nicht für den Sieg, der sich ausruht und richtet, der mild wird und menschlich –
für den Verlust schon viel eher…
wirklicher Vater, als Krieg war, ein Schmuggler und pfiffig am Schwarzmarkt,
alles verlor er nachher, überschuldet wie ich, und wie ich
nicht für die Steuererklärung gemacht, nicht für die Ordnung,
wild vor Fantastik, zwei Ehen, zugleich, hat er geführt,
Vogelvoliern bis in die Küche, im Wohnraum, und Falken
in der Garage, am Fernsehgerät seine Kolibris und
allesdas zweifach, die Brutmaschinen, die Orchideen,
beide die Frauen dem ausgeliefert, die eine in Bremen
heulend, wo ist er, mein Mann?, und in Düsseldorf heulte die andre,
wochenlang ließ er sie hilflos, kein Anruf, kein Geld, nach Haufen
kamen die Zahlungsbefehle, Gerichtsvollzieher, die Pfändung,
Drohungen, Scham. (Einmal kam fast ein Ameisenbär,
Anruf vom Flugplatz, wohin ist die Kiste zu liefern? Entsetzt
rief die Frau nach dem Tierpark.) Im endenden Krieg schritt der Mann
durch die besatzten Sektoren, vom Russen gefangen, doch er
kochte so gut; nahrungsbepackt brach er allnächtlich auf,
kehrte allmorgens ins Lager zurück, er verschob die Kartoffeln
sackweise, klaute und brachte von hüben nach drüben; den Seinen,
als alles litt, ging’s, wenn nicht gut, so doch leidlich: er sorgte,
brachte sie durch. Tat dann so weiter im Frieden und friedlos
kam er mit ihm in Konflikt. Stets war er flüchtig. Er rauchte
Kette, HB. Die blutigen Stipsen, des Morgens im Kissen,
allnächtlich kratzt‘ er sich wund im Gesicht, dauernd, im Schlaf,
bis ihn der Krebs vorzeitig fortnahm mit all seinen Rändern,
trauernden, unter den Nägeln, wie Schäufelchen warn sie am Finger:
hochgekrempelt zum Ellbogen Hemdsärmel, faßte er tief in
Ameisenhaufen und händevoll Ameiseneier holt‘ er
schaufelnd heraus, mitten im Wald, da war ich dreizehn,
Futter für seine Leidenschaft, Vögel, verbracht‘ er Stunden
in den Volieren… Manche fürchten den Schmerz nicht, sie fürchten
schmerzloses, seinloses Phlegma – und deshalb, vielleicht, ihren Tod,
nicht aber Sterben. „Mein Leben“, das schrieb er in einer Art Nachlaß,
„war ein sehr gutes, nun soll es nur schnell gehn.“ Das tat’s, er verschied schnell,
bürgerlich Unhold, dem Schwiegersohn so verachtet, dem Krämer,
der sich ums Wohl, wiederaufbauend, sorgte, der Pferde hielt schließlich,
morgens umschwamm er sein eigenes Schwimmbad, doch wärn ihm im Sturm
beide Beine zerknickt, und so kam’s auch, die Knie warn wie Butter
unter dem Wämpchen so ohne die Frau, die früh starb.
Fragte dich einer: Gibst du dein Leben für die Geliebte?
fragt es konkret – und für den Sohn? – und er legt die Pistole
auf einen Tisch, und du mußt dich entscheiden – sofort, will die Regnitz –
dann nur entscheidet es sich, wer du bist, und es täuscht nicht und lügt nicht.
Wahrheit liegt nur im Extremen, im Existentiellen. Woanders
fläzt sie sich breit im Behaupteten rum, und gerührt von der Rührung
rührt sie im Teig ihrer Anständigkeit, übersüßt sie und wiegt sich –
– ah wie sie wispert! die Regnitz: und längst, Heraklit, ist sie andres
Wasser, ein nachgeströmtes – denn täusche dich nicht: diese Wehre
rauschen nur scheinhaft so steh’nd, rauschen nur scheinhaft so leis,
wenn auch die Wasser, gewirbelt, zerstäuben und beißen auch hier
Rost aus Metall – hämoglob, doch schon Staub, in den die Zeit bläst
wie auf die wunden Knie von Kindern, damit sie verschorfen…
scheinhaft wie innere Ruhe, die dämpft und splendid isoliert,
eingewattet in Melancholie, meinen Aufruhr so windelt,
daß er, der Köter, nicht schreit, nicht mal winselt – Versuchstier, das Stimmband
durchgeschnitten, liegt da, stimmlos fixiert, und erträgt es.
Lebt aber noch. Hört noch bisweilen im Rauschen das Pulsblut,
Hoffart und Wille – und spürt ein Begehren und bildert’s: Es brennt,
ardet et floret, und immer noch nicht will er Welt lästern.
Immer noch singt ihm nach svanrăd kein Schwan. Nichts, was den Zyklus
ausdrehen würde, geschah schon… so sehr er auch wartet und meint.
Läßt nur die Zeitwirbel schäumen, sich trennen und neu, Moleküle,
wiederfinden; und jetzt, weit vor dem Wind in der Flaute
Bambergs, da dümpeln sie, schlingern, er lauscht – hört derart müd der
flappenden Leinwand rekapitulierend nur zu, der bislang
stets in den Brisen geblähten, in Fallwinden, Stürmen, nach auswärts
drängenden; jetzt aber slackt es gleich schlampig gespannten Wanten…
Man möchte meinen, er mag nicht mehr weiter, ein Mönch, der das Nichts sucht:
innen die Mandel und was in ihr steht; meditierender Körper,
der sich ganz auftut und Tür werden will oder Fenster, ein Schlagbaum
an der vergessenen Grenze, wo Gras sich’s mit wildem Gebüsch teilt,
Buschwindröschen und Brennesseln, blühenden, Labkräutern, Erdrauch…
manchen der Bilder Magrittes gleich, die Treppen ins Sonngeflecht führen,
ehe sie wahr sind – doch werden sie’s wieder… enorme Treppen,
hochstufig… Blut Yucatáns fließt von denen, den Stufen, bis unten…
Leid ist es, leid, der Chilan, ihn, den toltekischen Einfluß…
Stumpf der Katana, er liegt auf dem Beistelltischchen inmitten,
und Wakazashi wie Notung zerbrochen. Wir kommen all‘ einsam,
sagt meine Mutter, zur Welt, und allein gehen wir wieder
(gehn, denke ich, durch die Sonnengeflechte, bevor sie sich schließen);
alles dazwischen ist bloße Begleitung, müßig geborgte…
Das sagte sie ihren Söhnen, den müßigen also genauso,
mutterlos Rōnins sie beide, den Herrn, den verlornen, als ob
der würde Mutter, ein Leben lang suchend… der Bruder – wie starb er! –
auch – und er fand doch zumindest, wie ich, seinem Sohn eine Mutter,
die er, wie ich, dann verriet, aber anders… an seine… und ließ ihn
auch, seinen Jungen… Wo lebt er, so vaterlos wie schon sein Vater?
„Gibt es ein Plätzchen im Himmel, dann halt es mir frei!“ rief die Mutter
hinter dem Sarg her, dem, auf diesen Schienen hinfortgleitend, langsam,
als sich die Luke schloß, brennenden… Wie die gefundene Mutter
neben der unseren dastand, war nicht zu begreifen, vor Schmerzen
kalt stand die Herrin der Witwe zur Seite, in die sie, ihr Haltung
abfordernd, links ihren Ellbogen stieß, als sie schluchzte, die einfach
trostlose, einfache Frau… Darüber geht sie, die Regnitz,
auch – und erzählt’s mir. Ich suchte. Ich fand. Ich verlor und bedenk es.
Aufgeben nun? Träumen und altern? Im Quaken der Enten
schleift wer den Kies. Lassen, was ich aus Hunger verspielte,
der seine Gründe nicht wußte und der in die Acht fiel, die nährt, und
ihn, diesen Wellenmann, der’s nicht begriff, bissig in Wellen,
nur immer Wellen verbissen, zum röchelnden Köter gemacht hat?
Aufgeben nun? Nein. Sondern die Klingen, die stumpf sind,
schärfen und abermals führen fürs bleibende Tier, das drauf wartet,
daß man’s begreift und es weiß: –
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