Gefühle „uncool“, Til Schweiger ff. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 12. April 2016. Sowie zum Schlafen.


[Arbeitswohnung, 8,09 Uhr]

Über den Segen des Schlafes. Er kommt neu, nach rund fünfundvierzig Jahren, über mich. Denn schon vorgestern erinnerte ich mich, wie ich als Jugendlicher mich hineinfloh. aus der damals als sehr beschwerend empfundenen Situation. In der ich aber feststeckte, es gab kein andres Hinaus. So floh ich zum einen in die Literatur – oder ihre Vorform, die ich damals noch für sie hielt oder von der aus ich in sie wollte – , zum anderen eben in den Schlaf, sehnte mich ihm so sehr zu, daß es mir gelang, meine Träume zu steuern. Tatsächlich konnte ich mir erfolgreich vornehmen, was ich träumen würde. Schließlich konnte ich sogar Serien träumen, also gute Träume der Vornacht, ja Vornächte wieder aufnehmen und fortsetzen, sowie ich die Augen schloß. Immer fiel ich dann sofort in Schlaf. Nur selten waren diese Erzählungen, die sie waren, gestört: wenn, dann von einem immer wiederkehrenden Alb, der vor allem klanglicher Natur war: Ich hörte in der Ferne einen >>>> dunkelen, sich drohend nähernden, aber nie wirklich ankommenden Eisenbahnzug, dessen Fahrt ein ebenso dunkeles, aber dumpfes, extrem langsames und so lange unausgesetztes Paukenschlagen begleitete, bis ich erwachte. Schlief ich darauf wieder ein, vermochte ich, sofort an den guten Traum wieder anzuschließen.
Damals entstand in mir die Vorstellung mindestens zweier paralleler Welten, und zwar als eine durchweg konkrete, mich ganz persönlich betreffende Erfahrung.
Diese Flucht in den Schlaf nun, oder dieser Erholung im Schlaf, hat sich >>>> seit Neapel reaktiviert. Wenn ich mich nachts hinlege nun, schon kurz davor, durchbebt mich Freude.

Mit Amélie bis gegen 23 Uhr beisammengesessen, gesprochen; schließlich spielte ich ihr die beiden fertigen, von den >>>> für den WDR insgesamt fünf zu fertigenden Lesungstakes vor, die ich vorsichtig mit OTönen unterlege. Ich mochte eine Meinung hören: ob meine Montagen funktionieren.
„Das ist Musik“, sagte sie. „Es ist wunderschön. Das Sprechen vielleicht etwas zu schnell, andererseits würde es langsamer vielleicht zu getragen. Aber es ist nicht modern.“
„Zu altertümelnd?“
„Nein, zu komplex. Man muß genau zuhören. Das ist nicht mehr en vogue. Vor allem ist es nicht profan, aber das Profane ist derzeit gewollt. Insofern wiederum sind diese Aufnahmen d o c h modern, sogar sehr, aber auf eine andere Weise, als vorausgesetzt wird. Ihre Modi, mit Sprache umzugehen, sind nicht erwünscht.“
Auf eine nicht unperverse Weise gab mir diese Aussage Sicherheit: in meiner Ästhetik zuhause zu sein.

Anlaß war, daß wir auch über Schweiger sprachen; Amélie hatte >>>> meinen Text von gestern noch nicht gesehen, ich laß ihn ihr vor. „Schweiger zeigt Gefühle“, sagte sie, „das gilt für uncool.“ Sie habe sich in letzter Zeit viel auf Jungenforen, bzw. Foren für junge Männer herumgetrieben, da könne man das deutlich lesen.
Es scheint, als würde der gegenwärtige politische „Rollback“, eine moderne Form der >>>> réaction, auch das überkommende Männerbild restituieren, wobei, wie ich schon gestern schrieb, das Schweiger-Bashing >>>> vor allem unter Intellektuellen „in“ ist; im „Volk“, so zeigen‘s die Einspielergebnisse seiner Filme, findet er seine Anerkennung durchaus – und hat damit eine wichtige politische Rolle, gerade, was seine Haltung http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/den-fliehenden-dodicesima-ameriana-venerd-28-agosto-2015” target=>>>> zu den zu uns Geflohenen und Weiterfliehenden angeht.
Es gehört zur reaktionären Konstitution des Bashings, so etwas nicht zu sehen oder herunterzuspielen oder zum charakterlichen Nachteil des Gemobbten auszulegen („die blanke Selbstinszenierung“). Das „Problem“ scheint bei Schweiger eben darin zu bestehen, daß er einerseits eine Art erotischen Machismo pflegt, ihn aber andererseits mit Weichheit, Güte und eben gezeigtem Gefühl verbindet; er s y n t h e t i s i e r t die Männerbilder, weicht damit für sicher gehaltene Rollenbilder auf, bzw. unterläuft sie und unterläuft aber zugleich ihr Unterlaufen: wie der „gute“ Mann zu sein habe (nämlich ein, hätte man vor zehnzwanzig Jahren gesagt) Softie. Nichts ist Schweiger weniger, in seinen Filmpartien jedenfalls, eben trotz seines Pathos und seiner Mitleidsfähigkeit: Hier steckt der Stachel im Fleisch der Basher.
Übrigens bedeutet „Bashing“ die öffentliche Beschimpfung- Zu einer ihrer Strategien gehört auch >>>> das da. Ich formulierte den Paralipomenon bereits gestern nacht. (Daß ich, geliebte Leserin, auch pro domo argumentiere, ist selbstverständlich und mein Recht. Eigene Erfahrung macht sensibel.)

Sie: „Hat er wieder seinen Arsch gezeigt?“
Ich: „Ja. Aber er hat auch einen exemplarisch schönen.“
Sie: (genervtes Augenverdrehen)
Niemand würde aber einer Frau, wenn sie im Film ihre Brüste zeigt, das schauspielerische Vermögen so unmittelbar absprechen. Man denke an Monica Belluci, die es in beinah jedem Spielfilm tut, und zwar mit deutlich spürbarer Lust. Die eigene Schönheit zu inszenieren, ist Frauen mehr als nur zugestanden, Männern nicht. So reussieren die Rollenbilder selbst in kritischen Geistern oder besonders in ihnen. Allenfalls wird die erotische Selbstinszenierung beider Geschlechter negativ besetzt. Was dann ein Ausdruck von Lustfeindlichkeit ist und vor allem von Feindlichkeit gegenüber dem Schönen. „Auch Schönheit“, sagte Amélie, „ist nicht mehr en vogue“, womit sie meinte: gehört nicht mehr zum Guten, nämlich akzeptierten Ton – so daß es insgesamt den Künstler als einen durchstreicht, der sie immer suchte. Aber auch dies ist vor allem ein deutsches Phänomen und als solches ebenfalls eine Hitlerfolge, die übelst perpetuiert wird. Ich werde nicht ablassen, darauf hinzuweisen. Dem Süden ist die Schönheitsfeindlichkeit fremd.

Weiter mit den Tondateien.

ANH



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