Arbeitsjournal. Dienstag, der 20. März 2007.

5 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
„Guten Morgen, liebes Tagebuch, Du glaubst nicht, was passiert ist. Ich muß doch ganz ganz früh aufstehn und hab doch schon zweimal verschlafen. Da bin ich drum ganz ganz aufgeregt gewesen, daß mir das nicht noch einmal passiert, damit Papa Überich und Mama Concordia mich nicht schimpfen und bin von einem Weckerklingeln aufgewacht, daß gar nicht da war. Aber das hab ich, mein Tagebuch, gar nicht bemerkt, sondern bin vom Hochbett runtergekrabbelt und ich habe gedacht, es ist schon vor sechs und habe mich angezogen. Dann bin ich für Kaba in die Küche getappt und ich bin noch sooo verschlafen gewesen und dachte, ich muß jetzt gleich los. Aber hab mich gewundert, daß mein Ohm, der im Geist immer mitfährt, nicht schon dasitzt und tippt. Und hab dann gekuckt auf seinen Compjuta, und da war die Uhr ganz groß drauf zu lesen, und es war erst halb drei, nicht halb fünf. Was bin ich da zurück in mein Bettchen geflizt! Was und wie guuuut hab ich dann noch geschlafen!“

Der Zug geht um 6.40 Uhr ab Gesundbrunnen, in etwa einer Stunde brech ich für die 6.29er S-Bahn hier auf. Mir geht >>>> dieses Gedicht nicht aus dem Kopf, weil die Form noch nicht stimmt. Deshalb hab ich‘s eben im Dts eine „Skizze“ genannt. Aber ich will mich nicht zerfransen und daran verbeißen, sondern laß das Textchen für die spätere Überarbeitung erst noch einmal so stehen. Darf nur nicht vergessen, es auszudrucken, damit ich die spätere Überarbeitung nicht einfach vergesse. Die Dschungel dient freilich für so etwas auch als Archiv, das gewissermaßen einen öffentlichen Nachlaß sichert.
Noch zwei Tage, dann wird, druckfrisch, MEERE wieder in der Welt sein. Eisenhauer, vorgestern: „Das ist eine solche Breitseite gegen den Betrieb, das wird Reaktionen geben.“ Ich, kopfschüttelnd: „Glaub ich nicht. Gerade w e i l es solch eine Breitseite ist. Man wird, wie, wenn der Eber über sie kommt, die zu begattende Sau, in Duldungsstarre verfallen und warten, bis ‚es‘ vorüber ist.“ Ganz ähnlich gestern der Profi: „Da wird was passieren.“ Ich wieder: „Nö.“ – Aber das ist auch egal. L e s e r werden‘s lesen, viele… und dann wissen. Das ist das eigentlich Wichtige: Man wird m e h r lesen wollen und dann vielleicht meine erhältlichen Bücher kaufen. D a s ist der Punkt an diesem Coup. Man wird aufhören, sagen zu können (wie die Hörer auf der >>>> Heidelberger Lesung {9.39 Uhr}): „Wieso haben wir denn noch niemals etwas von Ihnen gehört?“ D a s ist‘s, was ich mir von dieser 55.000er Auflage erwarte.
So, Versarbeit, Dritte Elegie ff. Und nachher die ganze Zugfahrt hindurch.

6.33 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg; Platz op. 111; noch Gesundbrunnen.]
K a l t ist‘s noch im Zug, der gerade am Bahnsteig bereitgestellt wurde; offenbar hat die Bahnaufsicht nicht mit diesem plötzlichen Kälteeinbruch gerechnet; allein der kurze Weg vom Küchentisch zur S-Bahn hat meine Hände ganz eisig werden lassen: letzte bissige Verbeugung >>>> eines Winters, den es kaum gab. Es gibt mich d o c h, will er sagen, ich hab nur verpennt.

N o c h mal zu dem Gedicht: Die Idee war (ist), an die Stelle des Reimes ein rhythmisches Schema zu stellen, nämlich beginnt und endet je die erste und letzte Zeile einer Strophe auftaktlos, während wiederum die Zwischenzeilen Auftakte haben und mit einem „Abtakt“ enden. Als Beispiel (oh, wir fahren los…):

/ – – / / – – /
– / – – / – – / –
– / – (-) / – – / –
/ – / – – / / – – /
Mit einem solchen rhythmischen Schema ließen sich selbst Sonette schreiben; allerdings tendiere ich momentan dazu, dann auch den Binnenrythmus der Verse jeweils festzulegen. Aber ich will erst mal, bevor ich die Strenge darauf ausweite, mit der Grundidee experimentieren. Klar ist, daß mich weder mehr ein einfaches Gedicht „nach Klang“, noch nach Semantik, bzw. „schönen Bildern“ befriedigt – ähnlich dem permutativem Zeugs aus der konkreten Poesie, dessen Schematik ich fast immer als seelenlos empfunden habe. Ausnahmen schrieb Oskar Pastior. Sondern a l l e s sollte beisammensein.

[Poetologie.]

7.09 Uhr:
[Monteverdi, Marienvesper & Combattimento.]
Ich tu jetzt d o c h was andres. Gestern abend erzähte ich dem Profi, daß Barthelmes wegen der MEERE-Volltext-Lesung abgesagt hatte; man habe in der Bar n u r schlechte Erfahrungen mit Veranstaltungen gehabt; selbst internationale Jazz-Stars hätten teils vor leerem Raum gespielt… Aber der Profi will unbedingt, daß es zum Neuerscheinen des Romans eine Berliner Antrittslesung gibt – am besten gleich nächste Woche. „Bitte gib mir für Einladungen deine Berliner Adressen.“ Die kopier ich nun aus dem elektronischen Filofax und schick ihm die Adreßdatei dann gleich nach meiner Anunft in Bamberg. Immerhin kann ich so mal wieder Musik hören.

11.25 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Mein an sich vorletzter Tag in der Villa – jedenfalls wird es der letzte Abend dieses Aufenthalts in meinem Studio sein. Das kam mir auf dem Weg vom Bahnhof hierher in den Sinn. Das Barockgärtchen ist schneebestäubt. Jetzt schau ich nach Post, dann geht die Aus- und Wegräumerei wieder los.Flaschen wegbringen, sonstiger Kleinkram. Abwasche. Übergabe des Studios, in dem ich dann allerdings bis morgen noch bleibe, um 13 Uhr. Gleich danach die Adressen an den Profi mailen. Im Zug kam ich dann d o c h noch an die Dritte Elegie und arbeitete s o gern dran weiter…

12.42 Uhr:
Grrr… jetzt hat mir T-mobile das Mobilchen abgestellt, weil offenbar die am Freitag getätigte Überweisung noch nicht auf dem dortigen Konto ist. Zerfall. Sag ich doch. Sitz hier, weiß nicht recht, was tun, weil ich auf die Studioabnahme-Hospitantin warte. Zerfall. Und Ärger mit dem Profi, weil ich mal wieder meine Post nicht geöffnet habe. Zerfall.

9 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 20. März 2007.

  1. aber wo … gibt es „volltext“ für
    nicht-abonnenten?

    ist die zeitschrift an jedem
    kiosk erhältlich? oder
    im bahnhofsbuchhandel?
    oder im buchhandel?

    1. Wo gibt es Volltext? @rostschleifer. Es gibt die Zeitung, zumindest in größeren Städten, an vielen Kiosken, in Läden mit Internationaler Presse, in einigen Buchhandlungen, sowie im Bahnhofsbuchhandel. Falls n i c h t am Ort erhältlich, läßt sich die Zeitung über diese Adresse bestellen: office@volltext.net

  2. Ja, danke für die Tipps … ich hab heute eine
    berliner buchhandlung
    entdeckt, die volltext
    führt. da war heute noch
    ein altes exemplar. wehe,
    hier schnappt mir morgen
    einer das neue weg!

  3. 55000er auflage…wenn sie für jedes heft auch nur einen euro honorar bekommen sind sie doch aus der schuldenfalle raus oder??? wünsche ihnen einen erfolg!! auch mit den gedichten!!

    1. @ andante & Titania. Krieg ich leider beides nicht. Sondern insgesamt 1500 Euro – und auch die nicht, sondern – so gegenwärtiger Stand meiner Diskussion mit dem >>>> marebuch-Verlag – auch von denen nur 10 %; die übrigen 1350 Euro sollen mit meinem Vorschuß aus dem Jahr 2002 verrechnet werden. Will der Verlag. Ich verhandle noch um eine, sagen wir, Kulanzregelung; aber mehr als 750 Euro werden es sicherlich nicht für mich werden. Das würde grad eine Monatsmiete decken.
      Die existentielle Realität sieht für Künstler wirklich völlig anders aus, als das allgemein bekannt ist. Deshalb spreche ich auch sehr offen darüber, ohne auch nur im geringsten das Gefühl zu haben, mein Gesicht zu verlieren.

      Das ist jetzt, übrigens, kein Klagen, denn die Volltext-Ausgabe von MEERE hat einen völlig anderen Wert – einen, dem Ökonomie (fast) egal ist. Ich wollte, daß der R o m a n wieder da ist. Und sich verbreitet.

  4. vielleicht … belebt das den einstigen
    rotationsroman wieder.

    das wär ja ne geniale
    nummer von volltext,
    jedes mal ein komplettes
    buch beizulegen. oder
    machen die das schon?

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