Arbeitsjournal. Sonnabend, der 17. März 2007.

8 Uhr:
[Heidelberg, Hotel am Rathaus.]
Bin anderthalbe Tage nicht ins Netz gekommen, so ist einiges nachzuerzählen. Eine halbe Stunde hab ich noch hier in dem kleinen, ruhigen Zimmer, in das die Bergchen, zwischen die sich die Stadt am Neckar entlangzieht, über zwei Fensterchen hineinschauen und eine Amsel kraftvoll hineinsingt. Dann brech ich für die halbe Stunde Fußweg zum Bahnhof auf; von dort die S-Bahn nach Mannheim, von da dann um 9.10 Uhr nach Berlin weiter, wo ich, wenn‘s keine Verspätungen gibt, um halb drei nachmittags ankommen werde. Ich werde im Zug weiterschreiben und in Berlin alles dann in Die Dschungel einstellen.

Stromboli also, Bielefeld (15. 3.):

Vielleicht die wichtigste Nachricht: Es hat geklappt, ich werde für die Dichtung vom 12. bis zum 19. April auf Sizilien sein, und mein Junge kann mit. Wir hatten in der >>>> Galerie Jesse einige Netzprobleme; dauernd brach Wlan zusammen, was bei Buchungs- und elektronischen Zahlvorgängen sehr mißlich ist. Aber schließlich gelang es, einen wirklich preiswerten Flug zu ergattern: 121 Euro Hamburg-Catania und retour; dazu die Bahnfahrt Berlin-Hamburg für je 19,90 Euro. Wenn man jetzt noch den sizilischen Zug Catania-Milazzo sowie die Fähre >>>> nach Stromboli hinzurechnet, werden die Reisekosten (für Vater u n d Sohn) bei 200 bis 250 Euro liegen. Was nun wirklich nicht viel ist.
Den 12. (mittags wird der Flieger ankommen) werden meine Junge und ich noch in Catania verbringen – so kann er den Ätna sehen (doch nur von der Stadt aus), vielleicht können wir nachts von der Villa Bellini aus, welches der Park Catanias ist, den Alten spucken sehen. Außerdem sitzt man in Catania, wie mein Globetrotter-Führer schreibt, auf der Spitze des italienischen Eisbergs; davon soll der Junge einiges haben (und ich von der dann hoffentlich schon frisch angesetzten Granita: Granita di caffè und Granita die limone auf Brioche – nämlich zum ostsizilischen Frühstück. Ich hab schon jetzt das Gefühl heimzukehren. Und, was mir besonders wichtig ist, meinen Sohn mit in die Heimat zu bringen.
Am 13. wird es dann mit dem Zug nach Milazzo weitergehen, von wo wir die Fähre nehmen und dreivier Stunden später auf Stromboli ankommen werden. Die Pension steht auch schon fest; eine Deutsche führt sie, die bereits seit Jahren dort lebt. Man habe, heißt es, vom Zimmer aus einen Blick auf den Vulkan, aber den hätten die Häuser auf Stromboli prinzipiell alle… die Information bedeutet wohl: unverbauter Blick. Wobei die Häuser, als ich das letzte Mal dortwar – das liegt über zehn Jahre zurück -, zum Vulkan hin gar keine Fenster hatten, man drehte ihm sozusagen die Rücken zu… es scheint sich aber insgesamt einiges geändert zu haben; heute soll es sogar eine Anlegestelle für den Traghetto geben… (wußten Sie, daß die neue deutsche Rechtschreibung „Spaghetti“ ohne „h“ schreibt? also von Kindern benotet v e r l a n g t, daß sie etwas Falsches schreiben?) – Gut, und wir werden bis zum 18. April bleiben. Das kann insgesamt spannend werden, da der Stromboli momentan stark tätig ist. Ob mein Junge es hinauf zum Krater schaffen wird, ist ungewiß, aber dadurch, daß wir nun fast eine Woche lang dasein werden, kann man getrost auch mal einen Aufstieg abbrechen, zumal er, wie ich ebenfalls hörte, derzeit ohne Bergführer nicht erlaubt sein soll. Aber ich war ja schon dreimal oben und kenne den Weg.
Am 18. geht‘s dann zurück nach Catania, von wo am 19. der Flieger zurück nach Deutschland abheben wird; die Flüge selbst starten in Hamburg; morgens/nachmittags ist also jeweils Zugfahren angesagt. Aber sowas sind wir beiden Männer ja gewohnt.
Vielleicht – wenn ich den neuen Laptop schon übergeben haben sollte – nehme ich den alten nach Stromboli und eben auch nach oben an den Vulkankrater noch einmal mit.. als letzten harten Einsatz, bevor ich ihn entweder – die Idee kam mir gerade – in den Krater werfen, ihn also gleichsam dem Vulkan opfern könnte, oder aber er verzehrt danach ein Ruhebrot als Zweit- und Notgerät. Oder ich gebe ihn meinem Jungen zur Übung und für seine Spiele – auch wenn die marode Tastatur und der von Streifen gestörte Screen eigentlich niemandem mehr zumutbar ist. Mal sehen; ich werd den Jungen einfach fragen.

9.39 Uhr:
[ICE Mannheim-Berlin.]
Dummerweise ein ICE der alten Bauart, worin es nur einen Waggon mit Stromanschluß gibt…normalerweise, ich bin mir für diesen Zug hier auch da nicht ganz sicher und werde nachher, wenn der Akku erschöpft sein wird, mal herumgucken, ob irgendwo ein Platz mit Stromanschluß da und auch frei ist.
Bin ziemlich müde noch von gestern abend, es floß nachts reichlich Bier und auch Ouzo, das hab ich heute morgen sehr gespürt. Also häng ich ein wenig wie ein Schluck abgestandenen Wassers im Sitz. Fußballfans sind unterwegs, überall stehen Bierflaschen herum, in der Regionalbahn von Heidelberg nach Mannheim schenkte sich ein munteres Grüppchen munter aus einem 5-l.-Fäßchen ein. Aber es gibt (noch?) keinerlei Gegröhle. (Nachtrag: Es war d o c h ein Stromanschluß da.)


Lesung, Heidelberg (16. 3.):

Es kamen imgrunde n u r die Leute aus Kühlmanns Literaturkreis, ungefähr 20 oder 25, aber hier gehört das „nur“ ents c h i e den in die Anführungszeichen. Auch, was mich ehrte, waren die Herausgeber der >>>> Kafka-Edition bei Stroemfeld da; >>>> Reuß brachte mir sogar, „als Anerkennung“, wie er sagte, zwei Kafka-Bändchen mit: drei Milena-Briefe, sowie den Reprint der „Verwandlung“s-Erstausgabe von 1915 bei Kurt Wolff. Kühlmann hatte ihm meine poetologischen Essays geben wollen, aber nach dem Gespräch mit >>>> tisch7 war das nun nicht mehr nötig und wäre dem Kölner Verlag gegenüber auch nicht sehr fair gewesen.
Das Publikum insgesamt s e h r aufmerksam, sehr sensibel, genau hinlauschend und eigentlich vom ersten Wort an… ja, bereit… also nicht die Spur von Voreingenommenheit, sondern vor allem von Neugier. Ich las eine Reihe Gedichte, erklärte immer mal wieder ein wenig zur Form, aber nur nebenhin, dann las ich die >>>> LENA PONCE und vor der kleinen Pause die Neunte Elegie in der jetzigen, noch nicht strengen Form, wie sie auch im nächsten >>>> SCHREIBHEFT abgedruckt sein wird…Eine Art Benommenheit im Raum…Ich merke selbst, wie dieser Text wirkt, merke aber auch noch seine formale Schwäche. Des Profis Vorschlag, e r s t aus den unfertigen Elegien zu lesen und d a n n die fertige Erste, erweist sich als superb.
Pause.

Erste Elegie. – Kühlmann, nachher: „Es hat ja in letzter Zeit ein p a a r Versuche gegeben, diese Form wieder zu aktualisieren, aber d a s hier… Ich muß sagen, etwa im Vergleich mit den philologisch hochinteressanten Arbeiten von ***… also d i e sind, hält man sie gegen die Bamberger Elegien, – G i p s.“ (Ich hintertrage das hier nur, weil das Bonmot so genau die Gefahr nennt, der sich formal-historisierende Dichtung aussetzt. Auch die meine, auch wenn das gestern abend – und zuvor von Freunden – entschieden verneint wurde, ist vor ihr noch nicht gänzlich gefeit. Das muß ich gerade bei der genauen Hexameter-Überarbeitung ständig im Blick behalten und sie durch Wortwahl etc. abwehren. Keinerlei ‚Hängen‘ ist hier erlaubt, auch nicht die Ausrede, daß ein antiker Hexameter im Deutschen eigentlich gar nicht nachformbar ist (weil unsere Sprache keine langen und kurzen Silben, sondern nur Betonungen und Nicht-Betonungen kennt und also analog gearbeitet werden muß).
Kühlmann: „Welch einen formalen S c h r i t t Sie jetzt gemacht haben!“ Und er hebt, mir fast z u sehr, die Elegien weit über mein Prosawerk hinaus… was ich s o nicht ganz richtig finde; es ist etwas Anderes gekommen, ja, ich möchte aber nicht – und schon gar nicht wertend – vergleichen. Aber merke zugleich selbst, wie sich mein poetisches Interesse immer mehr der Lyrik zuwendet und sich von der Prosa entfernt… ja, abkehrt. Als hätte ich narrativ gegeben, was zu geben w a r – und nun ist das fertig und Neues steht an, das meine literarische Aufmerksamkeit zunehmend absorbiert. Zum Beispiel heute früh: Plötzlich die Lust, ein Gedicht zu schreiben… doch keine Ahnung worüber, nicht mal eine Idee… nur diese Gedicht-Lust… s c h o n seltsam für einen, der Lyrik immer so geringgeschätzt hat. Gut, Ausnahmen gab es, Benn, Apollinaire, Ungaretti, Pound… aber selber schreiben? Nee, nix lag mir ferner.

Und Bücher wurden verkauft wie selten… Wäre doch >>>> der Gedichtband schon dagewesen! Ach, >>>> dielmann….

12.40 Uhr:
[ICE Mannheim-Berlin, kurz nach Hildesheim.]
Überarbeitung der Zweiten Elegie auf den strengen Hexameter fertig. Es gibt noch drei/vier Trochäen, die fortmüßten, aber ich find keine Lösung, weil es sich um feste Wörter handelt („Polypropylene“), die als Wort in sich trochäisch sind. Das müßte man durch Umschreibung des Gemeinten aufspalten, aber dann kriegt‘s gleich wieder was Historisierendes oder sogar Naives. Deshalb markiere ich mir solche Feinheiten, gehe d a r a n aber dann, wenn alle 13 Elegien so weit fertig sind.
Jetzt versuch ich mal, ein Stündchen zu schlummern.

17.11 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Es hat etwas Rührendes und sehr Schönes, daß mich besorgte Anrufe und Mails erreichen: ob mir etwas zugestoßen sei… seit anderthalb Tagen kein neuer Eintrag in Der Dschungel von mir… – Leute, danke. Aber ich kam einfach nicht richtig ins Netz, sei‘s, daß ein Zugang nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stand, sei‘s, daß mich andres beschäftigte. So bin ich vorhin etwa gleich, nachdem der ICE angekommen war, zur Familie gefahren und mit den Zwillingen knappe zwei Stunden spazierengegangen… aber Sie haben ganz recht, es wird Zeit, wieder das Licht anzuschalten und dem Netz zu sagen: Sono ritornato, oder, mit Parzival, Ich bin am Amt.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 17. März 2007.

  1. ja, es stimmt, ab und an gibt es alarmierende meldungen, was den Stromboli betrifft, aber nur sporadisch. neulich hieß es, die fährverbindungen würden ausfallen müssen. ansonsten mußte ich sehr lächeln über dieses arbeitsjournal! ein entzückender ton!

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