Das ilb 2010 (3): Louis-Philippe Dalembert und als Rückschau Michael Stavarič. Dazu Hans-Christoph Buch. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 23. September 2010. Endlich auch das Kinderbuch. Sowie über kreischende Frauen.

5.29 Uhr:
[Maderna, Grande Aulodia.]
Erster Latte macchiato und zweite Morgenzigarette.
Manchmal kann >>>> solch ein DTs ganz hübsch kompliziert sein, sich einen Tag also eingermaßen verläßlich durchzuplanen. Dabei registriere ich bereits den alten Druck, der sich zeitlich am Vortag orientiert und gegen jeweils d e n in der Zeitorganisation nicht abfallen will: wann habe ich da das Arbeitsjournal geschrieben, wieviel Zeit hat >>>> da das DTs gebraucht, – was verstärkt wird über die Öffentlichkeit, eine Art imaginärer Kontrolle, der ich mich aussetze, mich für mich, wohlgemerkt: das DTs ist mein „Controlling”. Es führt aber auch zu personalem, ja intimem Ärger. Spontan die Nacht anderweitig zu verbringen, etwa, geht nur, wenn die nächste Früharbeit gesichert ist; da braucht selbst das „Spontane” Planung. Wird also nicht immer durchzuhalten sein. Doch es gilt „prima le parole, poi il sesso”, Punkt. Il Sesso steht, wir verstehen uns recht?, selbstverständlich für Musik. Nie denke ich an anderes. So gab es, musikalisch, gestern abend eine ziemliche Verärgerung wegen der Dottoressa, die die Neigung hat, immer mit einer Freundin wozusein. Dominanten-Konkurrenz, könnten Sie mit einigem Recht sagen, und das sagte ich mir auch. Was meinen Ärger nicht verringerte. Jedenfalls hatten wir uns vorgenommen (wäre wenigstens >>>> Ayana dabeigewesen!), nach der Veranstaltung… – kurz: diese Freundin, die ich allmählich überhaupt nicht mehr verknusen kann, schleppte die Dottoressa zum Sushi, was der Dottoressa offenbar wichtiger war. Ich hatte keine Lust aufs dritte Rad und radelte mit zwei Rädern allein davon, immerhin zum Autorenzelt des >>>> ilbs, wo ich dann noch zwei Wein in sehr angenehmer Mitarbeiterinnen-Gesellschaft trank. Auch Verena Auffermann war da, die mir wiederum n i c h t liegt, und ich liege ihr nicht. Wir waren aber so nett zueinander, daß meine Stinkigkeit gegen der Dottoressa Domina verflog, jedenfalls beinahe, denn als ich dann wieder daheim am Schreibtisch saß, sowas gegen 23 Uhr, kochte es wieder in mir hoch und ich schrieb der Dottoressa eine entsprechende Mail. Kann sein, daß es das nun war; daß es das dann auch mit Ayana war. Ja, Löwin, fahr Deine Krallen ein.
Aber kennen Sie das? Frauen, die, wenn sie lachen, kreischen? Und diese Domina lacht permanent: das fährt einem durchs Mark. Da ist solch ein falscher Druck in der Stimme, unter ihr, da ist solch aufgezierteltes Gehabe zugleich, und immer in den allerhöchsten Lagen, Gaumenstimme muß man das nennen, wobei allein schon „Stimme” ein purer Euphemismus ist; „Gaumengekreische” trifft es besser. Jedenfalls liegt das noch weit über der Kopfstimme; alles, was Brust- gar Bauchstimme ist, ist da herausgeschnitten worden, und nun fehlt’s. Dann wird das mit wie Kreissägen schreiender Leere gefüllt.
Also insoweit ging der Abend schief. Man könnte aber auch sagen: er ist gutgegangen, weil genau das Schiefgehen mein DTs garantierte. Ich sollte vielleicht dankbar sein.

Also >>>> Louis-Philippe Dalembert:. Hans-Christoph Buch, ein bisserl z u autoritär-ideologisch, finde ich, hatte die Moderation übernommen. Dalembert bestreitet – oder bestreite, wenn man Buch zitiert -, daß Menschen Wurzeln der Herkunft hätten. Buch setzte die Aussage wie einen Pfahl, selbst seine Handbewegung schnitt mögliche Einwände ab. Dalembert meint das, theoretisch, auch. Er hat ein nomadisches Leben und liebt es, nennt es „Sucht”. Der kommt seine Vielsprachigkeit zupaß. Dennoch aber, wenn man auf seine sehr schönen klaren Texte lauscht… die sprechen eine andere Sprache. Immer wieder der Bezug auf die Kindheit, damit Haiti, woher er stammt. Und stolz sei er darauf, daß ihn jemand für sein letztes Buch, das mit Haiti gar nichts mehr zu tun habe, habe gelobt: hier habe er Haiti ganz erfaßt. Jedenfalls habe ich Lust auf die drei in dem kleinen Verlag >>>> Litraduct erschienenen Bücher Dalemberts bekommen: seine Erzählungen sind >>>> höchst sinnlich, sowohl Reich an Farben wie Rhythmus, und er spielt gerne: etwa mit dem Genre des Abenteuerromans. Sowas ist mir sehr nah. Über die Vortragsweise Christian Klischats, die Buch mit deutlich abwehrender Ironie „eigenwillig” nannte, kann man allerdings streiten. Viel problematischer fand ich, daß Dalembert, der einen Part auf Französisch vorlas, im Baß liest, während Klischat mit Tenor drückt. Macht sich für geeignete Sprecher eigentlich niemand Gedanken? Die Stimmlage ist k e i n Akzidenz. Kein Wunder, daß die Leute Pop für Musik halten.

Und vorgestern Michael Stavarič. Für das Thema >>>> „Böse Spiele” hatte ich etwas anderes erwartet als eine mehr oder minder normale Beziehungsstörungs-Geschichte. Auch kann man, selbst wenn es sich ein„gebürgert” hat, Paarkonflikte nicht einen Krieg nennen; >>>> „Rosenkrieg” eventuell schon, aber nur dann, wenn es tatsächlich blutig zugeht und vor allem eigentlich um etwas ganz anderes gefochten wird. „Geschlechterkampf” hingegen mag angehn. Stavarič ist ein mit der ironischen Freundlichkeit Woody Allans daherkommender Arrangeur von Klischees, Gemeinplätzen und Sprachbildern, auf die er den Geschlechterkampf sprachlich reduziert, bzw. sogar zurückführt. Schärfer konstruiert und stark rhytmisiert ist diese Arbeit mit Gemeinplätzen in dem jetzt neuaufgelegten, weil neu bearbeiteten >>>> „Europeana”, das sich, scheint mir, aber bald in den sprichwörtlichen Redewendungen der Europäer – sie werden hier, ein bißchen grinsend, poetisch durchaus gefeiert – gegeneinander erschöpft und insoweit zwar als virtuoses Stück alle Anerkennung verdient, doch sich letztlich mit Oswald Wieners phänomenalem >>>> „Die Verbesserung von Mitteleuropa” (unglaublich, was das Buch – Taschenbuch! – unterdesen bei amazon kostet) messen lassen muß. Daran versagt es. Bei bei Wiener ausstrahlenden Sphären sind ungleich weiter und differenzierter. – Unterm Strich, also, war ich enttäuscht.

Jetzt der zweite Latte macchiato. Dann ans >>>> Chapellieren. Je vous salut, Marie! Und: Aus die Musik! (Dreieinhalb Stunden Schlaf gehabt, etwas mehr als gestern. Mir tut das ziemlich gut. Der Mittagsschlaf, freilich, muß gesichert sein.)

7.01 Uhr:
Ah ja, wichtig! Der Vertragsvorschlag wegen des Kinderbuches ist vom Verlag an >>>> Stang und mich geschickt worden. Da muß jetzt verhandelt werden. Es geht dabei vor allem ums Geld. Zum anderen haben wir zwar geplant, daß das eine S e r i e von Büchern wird, aber mir sind die Abgabetermine der beiden ersten zu eng aneinander: Band 1 im Januar (das ist jetzt schon kaum zu schaffen, aber ich kriegte es hin), Band 2 dann bereits im Mai. Der Verlag will die Serie auf halbjährliches Erscheinen bekommen. Das würde meine Arbeitskraft zu sehr von den anderen Projekten abziehen, etwa von ANDERSWELT III. Einmal jährlich solch ein Buch reicht völlig, finde ich. (Um welchen Verlag es sich handelt, sag ich Ihnen bewußt weiterhin nicht; nur dieses: es ist eines der größten Häuser im deutschsprachigen Raum. Immerhin.)

10.18 Uhr:
Plan erfüllt bisher. Aber „Die Fenster von Sainte Chapelle” gehen langsamer voran, als ich dachte. Ich schreibe quasi jeden Satz nicht nur um, sondern neu. Das hat auch Gründe der Konstruktion. Jedenfalls auf TS-Seite 9 von 108 angelangt.

Wegen meiner Absicht der Laser/Bifocal-OP hat mir >>>> die Augenärztin einen hinreißenden Vorschlag gemacht; darauf muß ich dringend antworten. Dies sind so die Vorteile, die man als Künstler hat. Sofern man die Ärztin m a g, selbstverständlich, und sie den Künstler. Das ist auch eine Frage des Charmes, aber nicht nur. However, wenn das vom WDR beauftragte Hörstück nun doch ein „großes” Feature werden sollte, könnte ich die OP sogar selbst finanzieren. Mal abgesehen davon, daß die OP-selbst ein Abenteuer ist. Und dann: Niemals mehr Brille, wenn man lesen will. Niemals mehr Kontaktlinsen, wenn man in die Ferne schaut. Sein Gesicht behalten: für mich ist das eine hochsymbolische Angelegenheit. Den scharfen Einwand der Löwin hat die Ärztin entkräftet.

Außerdem mit einem Freund, der sich auskennt, den Vertragsentwurf diskutiert, den mir der Verlag geschickt hat. Jetzt warte ich auf >>>> Stangs Anruf, während ich weiter chapelliere. – Ah, aber dies noch: das gerahmte sehr große „Schweine”bild hängt jetzt an der Bildwand. Erstaunlich ist, wie zwischen Ror Wolf und La Belle Noiseuse, sowie unterm Parsifalplakat der Staatsoper, worauf >>>> Waltraud Meier eine Brust entblößt, und Parsifal schaut, eine Hand auf ihre Mauer gelegt, hoffend zu ihr auf… wie dazwischen das eigentlich-Pornografische des Bildes völlig zurück- und eine Art Poesie der Innigkeit zutagetritt. Jetzt seh ich immer wieder da hin, lächele, seh auf den Laptop zurück und arbeite weiter. Nein, nein, meine Befürchtung ist grundlos: Jeder Besuch, der kommt und das Bild sieht, wird ganz dieselbe Empfindung haben, sofern er nicht allzu verklemmt ist. Dann aber gefielen ihm auch die übrigen Bilder hier nicht.

18.20 Uhr:
[Der Junge übt Cello.]
Da lief dann einiges durcheinander heute, nachdem bis zum Mittag durchgearbeitet war. Also, ich lege mich schlafen in der Erwartung, daß der Junge mit seiner Freundin um halb drei hier auftaucht… ich schlafe ein, schlafe fest… da steht er plötzlich im Zimmer. Es war halb zwei. Die Freundin verharrte immerhin noch an der Wohnungstür. Ich war restlos verwirrt, halb noch im Schlaf… „hattet ihr… früher… Schulschluß?” „Aber nein, Papa! Ganz normal.” Erst da fiel mir ein, daß der Donnerstag eben d e r Tag ist, an dem die Kinder nur sechs Stunden Unterricht haben. „Oh je, verzeih… ich muß mich erstmal anziehen… und das Essen… das braucht dann noch eine halbe Stunde…” „Kein Problem.”
Das Bettzeug wegpacken, das ich von morgens für den Mittag noch offen liegengelassen hatte, die Couch besuchsfähig machen… und wie das hier noch aussah! In Sekundenschnelle geräumt, das vorbereitete Essen aufgesetzt, Backofen für die Tandoori-Hähnchen, die immerhin schon gar waren… – Aber so ganz fand ich über den Nachmittag aus der Störung nicht mehr heraus. Der Verleger rief an: das Probeexemplar des neuen Erzählbandes sei da, ob ich zu ihm schnell herüberradeln wolle. Das verneinte ich und machte dann mit seiner Verlegergefährtin aus, daß wir uns abends im Haus der Kulturen der Welt zu Schädlich und Jünger träfen. So soll es auch geschehen; in zwanzig Minuten ziehe ich los. Immerhin habe ich die Überarbeitung der „Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens” noch angefangen, bin aber nur bis S. 4 oben (von 136) gekommen. 180-200 Buchseiten wird das ergeben, über den Daumen gepeilt.

Mehr dann nachts. Vielleicht.

14 thoughts on “Das ilb 2010 (3): Louis-Philippe Dalembert und als Rückschau Michael Stavarič. Dazu Hans-Christoph Buch. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 23. September 2010. Endlich auch das Kinderbuch. Sowie über kreischende Frauen.

  1. Sie schärft ihre Krallen nur an der Mittelmäßigkeit. Und hat noch selten eine heiße Nacht ausgeschlagen, um stattdessen kleine Päckchen mit kaltem Fisch zu verzehren.
    Weitermachen.

    1. @Mauritius. Darauf könnte ich antworten, wenn entweder Ihre Schlußfolgerung oder doch wenigstens die Beobachtung stimmte. Aber vielleicht zelebriert Ihr Browser eine Fehlfunktion.

      Wozu das DTs dient, wurde >>>> dort erzählt. Über das quasi-Verhaltenstherapeutische an ihm gibt es schon seit langem, und immer wieder, Dschungel-Bemerkungen, zum Beispiel >>>> dort. Wer sich die Mühe macht, die Suchfunktion zu nutzen, wird diesbehufs an zahllosen Stellen fündig werden.

  2. Der richtige Dampfer im falschen Leben! Wenn ich er wäre, schnorrte und schuftete ich im Arsenal, oder er ich, stellte er seinen gekränkten Körper im Ghetto Vecchio unprätentiös zur Schau, oder ich sie, erzählte ich von Raserei und Vernunft, oder sie ich, gestikulierte sie als stummer Chorknabe, geschmückt mit einer eßbaren Orchidee. Dampferreisen, ob von Pula oder Venedig, waren und sind ein kostspieliger Luxus. Ohne eine Lira nach Triest? Für die Passage strich er die Reling eines Frachtschiffs. Die Thunfischjäger fuhren hinaus auf die bleischwere Adria. Und er verließ Triest auf einem geschenkten Fahrrad, um sich später von ihr in Zürich begraben zu lassen. Und e r? Plant und plant, hakt hier ab, streicht dort durch, Mißtrauen pflegend gegenüber allem Polyglotten, unsicher Areale absteckend, Zitate verwendend, um andere von der Lieblingslatrine fernzuhalten. Und s i e? Zerkaut gelangweilt ein halbiertes Tandoori-Hähnchen. Amish People werden es nie verstehen: auf dem falschen Dampfer zu reisen und ein richtiges Leben zu genießen.

    1. Und wenn ich Sie wäre, wär‘ ichs zufrieden, endlich mal ein richtiges Stück Text verfasst zu haben unter all den falschen.

    2. There was a young lady Puella Rigensis ridebat
      Quam tigris in tergo vehebat.
      Externa profecta
      Interna revecta
      Sed risus cum tigre manebat.

    3. @Cosmo Monkhouse zu Betty, sowie Herrn Lebreiter zum Latinerick. Das Stück gefällt auch mir sehr gut; s o mag ich BettyB’s Kritik sogar gerne ertragen. Dann ist sie fruchtbar. Allerdings könnte es sein, daß der Text gar nicht von ihr stammt, wer immer sie sei – meine oder eines/r anderen -, sondern von >>>> read An.

      *

      Es fuhr eine Betty aus Riga
      hinaus für den Ritt auf dem Tiger
      Sie kamen zurück von dem Fick
      da lag schon im Magen die Rick‘
      und es grinste das Maul von dem Tiger

    4. Des Stellvertreters Fick Den eigenen Lenden mißtrauend,
      stellt er den Tiger auf die Hinterbeine.
      So springt er und landet als Blogvorleger,
      zahnlos, aber wortreich die Zungenfreiheit
      beschwörend.

    5. Au verdammt, jetzt werde ich die Betty nicht mehr los!
      Dabei habe ich mich doch um die Bettys gekümmert.
      Man kann Sie offenbar nicht kündigen. Logisch! Mein Fehler! Sklaven werden verkauft.

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