Perlentauchers “Wellen”. (Aus dem freecity-Altblog, 2003).

NOTA, MÄrz 2020:
“Wellen” war in der langen Zeit, in der ich den Romantitel
strafbeschwert nicht nennen durfte, Meeres Anonym.

[Redaktionsmitteilung:]
Kresskopfs Berhorst hat für den → Perlentaucher 
(der sich aufs Schlammtauchen jetzt offen verlegt, ANH) die Gerichtsverhandlung beobachtet, die zum Verbot von Alban Nikolai Herbsts Roman “Wellen” führte:

Die juristische Strategie des Verlags zielte vor allem darauf, die ‘Wiedererkennbarkeit’ der Klägerin in der Romanfigur Irene Adhanari zu bestreiten. Ausführlich wurden daher physiognomische Kennzeichen wie ‘Oberlippenflaum’, ‘ägyptischer Blick’, ‘zurückgekämmtes schwarzes Haar’ traktiert. Bereits in der laufenden Verhandlung deutete die Richterin an, was der spätere Urteilsspruch bestätigte: Das Gericht sieht in Herbsts Protagonistin keine ‘Kunstfigur’, sondern die ‘Wiedergabe eines realen Abbildes‘.

Das ist nun wirklich toll. Obwohl allein in Deutschland schätzungsweise ein paar Millionen Frauen blondes Haar und, sagen wir, Sommersprossen haben, wird einem Autor untersagt, dies auch zu schreiben; denn es leite sich Wiedererkennbarkeit daraus ab. Das Gericht macht sich offenbar selbst zur Possennummer: Jedenfalls darf ANH auf keinen Fall mehr über dunkelhaarige Frauen schreiben, zumal dann nicht, wenn sie ihn an die Büste der Nofretete erinnern. Daß diese, anders als der Gegner des Romanes, ägyptischer Provenienz ist, wird beiseitegewischt. Das hat durchaus etwas Rassistisches: Wir nehmen halt den Orient für ein einzig’ Gebild, ethnisch etwa Osnabrück vergleichbar, wo es eigentlich aber auch schon nicht stimmt.

Literarästhetisch interessant ist etwas anderes, auf das Herr Berhorst in seinem Artikel ja ebenfalls hinweist:

So wurde im Prozess erkennbar, dass dem Rechtsstreit über „Wellen“ neben allen persönlichen Verletzungen wohl auch eine literarische Rivalität unter Autoren zu Grunde liegt. Herbst siedelte seinen Plot an Orten an, die seine frühere Lebensgefährtin, die selbst Schriftstellerin ist, als ihre „Domäne“und „psychische Heimat“ ansah, über die sie selbst noch schreiben wollte.

Da schlägt man doch ziemliche Purzelbäume. Bücher unterliegen jetzt alleine deshab einem Plagiatseinwand, weil jemand anderes über denselben oder einen ähnlichen Gegenstand noch schreiben wolle. Ich werde demnächst Helmut Krausser gerichtlich untersagen dürfen, einen Roman zu veröffentlichen, der im Senegal spielt, und zwar einzig deshalb, weil auch ich mich mit einem solchen Romanprojekt trage. Diese richterliche Entscheidung hat mir das endlich möglich gemacht.

Damit es funktioniert, muß man auch nicht einmal Schriftsteller sein. Es genügt zu erklären, man wolle es werden. Tatsächlich ist ja der Gegner des Romanes bislang jeden solchen Berufsausweis schuldig geblieben, jedenfalls soweit er über gelegentliches Dilettieren, also ein Hobby, hinausgeht. Man stelle sich einmal vor, so etwas risse bei Ärzten oder Sraßenbahnfahrern ein. Nun ja, es geht schließlich nur um Literatur.
Doch selbst, wäre der Gegner des Romanes Siegfried Lenz, muß man sich abermals die Frage nach dem „geistigen Eigentum“ stellen und was das sei. Im Barock, einer höchst kunstschäumenden Epoche, spielte er absolut keine Rolle; wir hätten denn wichtige Musiken von Bach, Händel, Vivaldi nicht. Sie wären schlichtweg verboten. Erst wiederum mit der Autonomisierung des Bürgertums fand der Begriff Eingang in die Köpfe und das Recht. Er hat aber in der Kunst nichts zu suchen, die Themen und die Gegenstände sind frei verfügbar, wozu selbstverständlich auch Landschaften, ja sogar fremde Erlebnisse gehören. Die Frage stellt sich einzig, in welcher Güte sie verarbeitet sind, ob ein Text sinnlicher, näher, schöner als der andere ist. Selbst, nähme ein Dichter aus eines anderen Werk ganze Passagen unverfremdet hinüber — siehe des Hauses Usher Fall — , wäre immer noch einzig zu schauen, in welchem ästhetischen Verhältnis er zum „eigenen“ Text steht, ob er sich darin aufhebt usw. Das ist die ästhetische Grundlage einer jeden Collage, bzw. Montage. Ohne solche wäre die ganze Moderne nicht denkbar.
Der poetische Vorgang ist ein flüssiger, er darf nicht verdinglicht sein, weil die Erzählung sonst ihr (Eigen-) Leben verliert. So etwas kann justiziabel nicht sein. Einmal davon abgesehen, daß mir nun indirekt unterstellt werden könnte, ich hätte beim Gegner des Romanes etwas „abgeschrieben“. Was wirklich ulkig wäre, der Sachverhalt ist eher umgekehrt, besonders was die Stilistik betrifft. Aber darum geht es wirklich nicht, es ist mir schlichtweg egal. Jeder Autor lernt an einem oder mehreren anderen, und etwas zu kopieren gehört dazu. Die Sache aber umzudrehen und den „Lehrer“ zum Plagiator machen zu wollen, wie es der Gegner des Romanes tut, – das ist schon ein in seiner ganzen Lächerlichkeit perfides Stück, vor allem wenn eine gerichtliche Entscheidung solche Hintergründe ignoriert.

Meine Haltung zum sog. Urheberrecht habe ich bereits an anderen Stellen klargestellt. Nichts dagegen, daß jemand mein Leben oder Episoden daraus zum Gegenstand macht, auch nichts dagegen, daß er die Akzente verschiebt oder gar versucht, mich lächerlich zu machen. Das einzige, was ich fordere, ist: daß er es gut tut. Dann werde ich selbst es, auch als Betroffener, genießen. Und mich – allenfalls – mit einem eigenen Text, der dann besser sein muß, wehren. So und nicht anders vollziehen sich Auseinandersetzungen unter Dichtern. Alles andere fällt in die Kategorie Rentenkasse.

[Poetologie]

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