Heimtückisch. Jemandem schaden wollen. Das verbotene Buch.

[Pettersson, Achte Sinfonie.]

Bin ziemlich erregt. Eigentlich habe ich die Rezension dieses anderen, dieses viel wichtigeren Buches zu überarbeiten. Aber bin in kompletter Ambivalenz. Einerseits hatte es mich schon lange gewundert, daß sich gegen ein Buchverbot offenbar keine anderen Widerstände mehr als die juristischen meines Verlages entwickeln und die Öffentlichkeit so etwas desinteressiert oder sogar weitgehend mit Wohlwollen hinnimmt. Ich erinnere mich noch sehr gut an einige Raubdrucke, die in den Achtzigern kursierten, und zwar nahezu sofort, wann immer etwas Strittiges vom Markt genommen werden sollte (oder von Lesern als „überteuert“ eingestuft wurde, ja, auch das gab es, etwa im Fall von Ecos „Der Name der Rose“). Seit das Internet zu dem derzeit gebräuchlichsten und sowieso schnellsten Kommunikationsmedium geworden ist, wäre dergleichen auch für das verbotene Buch längst zu erwarten gewesen: als eine wenn auch illegitime Ausdrucksform öffentlichen Protestes. Die ich einerseits erleichtert, andererseits sehr verärgert hätte – wahrscheinlich hilflos – akzeptieren müssen, obwohl sie meine und des Verlages auch ökonomische Interessen ziemlich grob mißachtet. Es mag aber Proteste geben, für die solche Rücksichtnahme nachvollziehbar ohne Belang ist.
In d i e s e m Fall habe ich jedoch eine ganz andere Befürchtung, und sie hängt indirekt mit dem Daten-Mißbrauch meiner Personalien bei Ebay zusammen: Erst handelt jemand unter meinem Namen mit wahrscheinlich Hehlerware, und kurz darauf bekomm ich im Weblog diesen öffentlichen Hinweis auf einen Link irgendwo in den GUS, unter dem mein umstrittener Text zu finden sei. Vielleicht tanzt in mir wieder die Verschwörungstheorie, aber ich kann nicht anders, als beides zusammenzudenken. Denn warum haben die Leute nicht einen Scan ins Netz gestellt, sondern ein Typoskript? Wer tippt ein Buch ab, anstatt es fotodigital zu erfassen? Weiterhin: Wer kennt meine spezielle Form von Typoskript-Formatierung? Viele, sicherlich. Viele, denen ich immer wieder Arbeiten zugeschickt habe, um mit ihnen darüber zu diskutieren oder um sie ihnen bloß zur Kenntnis zu bringen. Das war auch im Fall des verbotenen Buches nicht anders, jedenfalls bis mich das Verbot traf; danach logischerweise nicht mehr. Entweder hat nun einer von denen geglaubt, mir etwas Gutes tun zu müssen, vielleicht auch, der Literaturgeschichte etwas Gutes tun zu müssen – und dann aus Faulheit dumm gehandelt… oder aber jemand hat diese Dummheit, ganz wie Nietzsche schreibt, mit Vorsatz begangen:




Es gibt keine perfidere Art, einer Sache zu schaden, als sie absichtlich mit fehlerhaften Gründen zu verteidigen.
Fröhliche Wissenschaft, Nr. 191.



Welch ein Glück immerhin, daß ich mir angewöhnt habe, morgens direkt vor der Arbeit die nächtlichen Postings in Den Dschungeln durchzusehen und gegebenenfalls zu reagieren. Wäre das ganze in zwei Wochen geschehen, wenn ich für acht Tage auf dem Olivberg in den Sabriner Bergen sein und keinerlei Internet-Verbindung haben werde, der Schaden wäre nicht abzusehen. So habe ich mit gemäßigter Erleichterung festgestellt, daß die nächtliche referrer-Zahl nicht sehr hoch war und das durch einen Scan auch gleich in einem eigenen File dokumentiert. Und muß jetzt abwarten, was Verlag und Anwalt sagen.


(Daß auch d a s jetzt zu meiner Arbeit gehört. Daß das ein Teil ist, mit dem einer, ist er öffentliche Person – letztlich also endgültig: Fiktion – geworden, rechnen und möglicherweise umgehen muß, ist eine Erkenntnis, die mich wie von hinten trifft. Auf Heimtücke war ich nicht vorbereitet. Darauf, verschwiegen zu werden, schon.)

4 thoughts on “Heimtückisch. Jemandem schaden wollen. Das verbotene Buch.

  1. Raubdruck sind vorhanden, Leser erst recht Ich bin mir sicher, dass es den Protest gegen das Buchverbot gegeben haben muss…oder hoffe zumindest, dass er, wenn auch leiser als gehofft, stattgefunden hat. Alles andere ist undenkbar und soll gar nicht erst zu Ende gedacht werden. Was ich jedoch mit Sicherheit weiß,ist, dass es ihn zumindest jetzt (viel zu spät) gibt. Ich studiere Literatur und habe im vergangenen Semester (wie so viele andere) einen “Raubdruck” von meinem Dozenten bekommen. Bis jetzt standen die Kopierer kaum still und so gelang Ihr Buch in viele Hände. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte Ihnen wenigstens mitgeteilt haben, dass ihr Text auf Umwegen Leser findet, die ihn mit Begeisterung vesrchlingen und empört sind, dass dieses so interessant gestaltete und wahnsinnig intelligent geschriebene Buch letztlich verboten wurde. Ich weiß, unser Protest gegen das Buchverbot kommt zu spät und ist noch immer zu leise, möchte Sie aber wissen lassen, dass es ihn gibt.

    1. @Dreen. Unterdessen wurde mir dies und ähnliches bekannt; meine Haltung dazu ist komplett ambivalent. Einerseits bin ich beruhigt, weil das Buch ganz offenbar nicht untergeht, sondern in sogar beachtlichem Ausmaß kursiert; andererseits muß und will ich strikt zwischen den Interessen des ganz offensichtlich objektiv gekränkten Klägers und der öffentlichen Reaktion trennen, zu der auch die Urteilsbegründungen zählen, von den Schlammschlachten, die in den Feuilletons stattfanden, zu schweigen; es ging ja so weit, daß ich etwa im SPIEGEL mit einem Vergewaltiger verglichen wurde. Dieses Zeug hat Christoph Hein, unser dienernster Staatsdichter, verzapft, dem es in Sachen Obrigkeitshörigkeit seit dem Mauerfall quasi alles an Unterwürfigkeit nachzuholen gelungen ist, was er vordem an Widerstandskraft oder vielleicht nur -aura auszustrahlen vermochte. Er war da mit Recht eine wichtige Integrationsfigur für Dissidenten. Nun ist er’s nicht mehr. Befreiungen haben offenbar ihre auch characterlichen Preise. Und ich möchte jetzt auch gar nicht mehr auf die diversen l i t e r a r i s c h e n Hühnchen eingehen, die öffentlich und seitens der Betriebsler mit mir gerupft werden konnten, weil nun mal so ein hübscher Casus vorlag. Unterdessen geht es – privat wie öffentlich – um anderes – und um eine Lösungsmöglichkeit, die vielleicht endlich eine zivilisierte, vielleicht aber auch eine vollen Umfanges poetische und eine der Liebe sein wird, die das Buch besingt. Lassen wir deshalb uns und ihm und der poetischen Gerechtigkeit einfach noch ein wenig Zeit. Es hat seine Lebenstüchtigkeit erwiesen, das Verbot liegt insgesamt über drei Jahre zurück, jetzt besteht wahrlich kein Grund mehr, noch irgend etwas zu beeilen. Ein nunmehr aufbrausender Widerstand – Sie beziehen sich auf einen Dschungel-Eintrag, der über zwei Jahre zurückliegt – käme ohnedies zu spät und würde nach neuer Lage der Dinge mehr schaden, und zwar a l l e n Beteiligten, als irgend jemandem helfen. Dieses Wort geht auch an die Adresse des deutschen PEN-Zentrums, das sich, wie ich vernahm, nunmehr ebenfalls des Falles entsinnen möchte, nachdem man dort drei Jahre lang die Schultern gezuckt bzw. bewußt geblockt hat. Das Buch selbst ist ja geblieben, auch wenn es noch keinen Niederschlag in den literarwissenschaftlichen Annalen finden konnte. Doch selbst das wird noch kommen, und zwar, worauf ich Wert lege, jenseits der juristischen Fragestellung.

    2. In den literarwissenschaftlichen Annalen, wird man “Meere” irgendwann in die Reihe der großen europäischen Liebes- und Leidensbücher des XXI. Jahrhunderts einordnen , da bin ich sicher..
      Und die da da kläffen , lieber ANH , haben eh Liebe und Leidenschaft in ihre “Beziehungskisten” gegrenzt und Schostakowitschs Katerina Ismailowa bleibt ihnen ebenso fremd, wie Aragons “La Mise à mort” und “Blanche ou l’oubli “.

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