DTs. (13. Oktober 2004).

7.35 Uhr:
[Larsson, Konzert für Saxophon und Streichorchester.]

Aufgestanden, längere Rasiererei, dann latte macchiato und ran an den Schreibtisch. Die Überlegung zu den Kondomen skizziert, bin gespannt, ob darauf reagiert wird. Möglicherweise ist das kein privat-Phänomen, sondern von allgemeinem Charakter, über den so wenig gesprochen wird (werden soll) wie über das Verhältnis von Fremdheit und Erektion. Gleich kurz die Argo-Revision notieren, eigentlich hab ich große Lust, mit der neuen Eingangsszene sofort zu beginnen. Aber es ist Post zu erledigen, die Sendung an Klett-Cotta ist rauszuschicken, der nächste Monatsanfang dräut. Auf meine beiden Mails hat der Deutschlandfunk nicht geantwortet, ich werd jetzt anrufen müssen. Und Ricarda Junges Romantext muß zuende lektoriert sein, es fehlen mir noch zehn Seiten, das wird ein ziemlich gutes Buch.

13.10 Uhr:
[Busoni, Doktor Faust. In der mitreißenden Aufnahme des jungen Kent Naganos.]



Post fertig, auch den Newsletter formuliert und hinausgeschickt. Noch einen Einwand wegen der Vertrages mit “tisch7” formuliert, der mich auf eine Option fürs nächste Buch festlegen will, was ich mir, so ehrenvoll das auch sein mag, einfach finanziell nicht leisten kann. Das Anderswelt-Projekt ist objektiv zu massiv für einen kleinen Verlag, der mich ja niemals ökonomisch am Leben halten könnte. Schwierige Sache. Und mich bei alldem quer durch die frühe Opernmoderne gehört. Dazu ständig die neuen Anfangssätze von “Argo” im Kopf. Bin mal gespannt, wann ich anfange, wann ich nicht mehr anders kann, als die Dinge runterzuschreiben.

18.37 Uhr:
[Wieder Busoni, Doktor Faust.]

Sätze, die einen schmerzen und auch schmerzen s o l l e n:
Da brauchst Du Dich bei Arnold und der Welt nicht entschuldigen und glaubhaft machen, was für ein sorgender Vater Du bist. Deine Sorge gilt – wie immer – nur Deinem Kunstseelengebäude. Vom schlechten Deutsch einmal abgesehen (“da brauchst Du nicht glaubhaft machen”), über das sich zu erheben wirklich keinerlei Freude bereitet, bleibt und nagt die Frage, was diese kaltgewordene Frau dazu treibt, den liebenden Vater anzuzweifeln. Er seinerseits bezweifelte die gute Mutter nie. Das hält furchtbar von der Arbeit ab und nötigte, eine lange, sehr sachliche Erwiderung zu schreiben, die möglichst jederlei Emotion aus sich heraushielt. “Kunstseelengebäude” ist überdies eine infame Denunziation von Künstler und Kunst und klingt wie ein Satz nun wieder m e i n e r Mutter. Das scheint auch der anderen unterdessen starrgewordene Übung geworden zu sein. So viel Trauer hie und dort. Der eine formuliert sie aus, der andren Panzer weist sie ab.




[Faust: Es gibt kein Erbarmen. ]

19.14 Uhr:

Und dann stirbt auch noch der Kühlschrank. Er blutet aus, blutet Unmengen Wassers, so daß man alle naselang aufstehen und aufwischen muß. Immerhin hat er mit seinem Hinübergang gewartet, bis es draußen kalt wurde; jetzt läßt sich ja Verderbliches vor der Scheibe auf dem Fensterbrett deponieren.

22.40 Uhr:
[Nach etwa drei Stunden wegen der Lektoratsarbeit nötiger Musikpause noch einmal den Busoni, nun die dritte CD.]

Den Junge-Text grob durchlektoriert, nun muß sie erst einmal dran, bevor man sich die Feinstruktur anschauen kann. Es sind beeindruckende Ideen und Erfindungen, die aber noch hinter allerlei Sprachverfilzungen festgebackt sind. Daß das Buch im nächsten Frühjahr erscheinen wird, ist schon deshalb gut, weil der Druck einige Knoten einfach wegsprengen und Tempo in diesen Text geben wird. In ihm lebt die Figur einer jungen Frau, in die man sich einfach nur verlieben möchte (obwohl sie einem dafür sofort vors Schienbein träte).

Anderswelt III mußte also wieder mal warten. Selbstverständlich ist das eine willkommene Ausrede.

23.23 Uhr:

Und wieder so ein leidiger Netzfrauen-Chat. Madame beschwert sich, daß ich eine unserer Korrespondenzen veröffentlichte. Und spricht von ihrem an-sich-leidenschaftlichen “Wesen”. Dann schießt man sich noch zweimal vors Knie und geht. Das sieht dann s o aus:




Er: Ich bin da bei Ihnen halt unterdessen skeptisch. Zuviel Netz-Leidenschaft, die vor der Realität zurückschreckt.
Sie: realität hab ich gerade in mengen. und keine schreckhafte. es muss also an Ihnen liegen.
Er: wenn Sie es sagen. Ich glaub es halt nicht. Aber damit werden Sie leben können.

(parallel:)
Sie: sicher. gut monsieur, ich habe Sie nun gerügt, wegen der veröffentlichungen und werde mich wieder unsichtbar machen.
Er: Nun lassen Sie mich wieder brav in Ruhe, ja? Ich finde dieses Netz-hin-und-her langweilig auf die Dauer. Mal zwischendurch ist das sehr nett, da sind Sie gerne eingeladen, mir zu schreiben. Aber ich möchte eigentlich keine langen Korrespondenzen mehr mit Avataren führen.

Sie: s.o.
Er: Na, das paßt ja. Gute Nacht.
Sie: ciao.