DTs. (1. November 2004).

DTs. (1. November 2004).

7.25 Uhr:

Ich hatte einen Traum, der schon, als mich der Wecker um 5.50 weckte, halb zerfallen war. Aber ich wußte, daß ich das wenige, was noch da war, unbedingt und sofort gegens Vergessen annotieren mußte. Hochsymbolische Träume halte ich seit langem schriftlich fest, zum einen für die Analyse, zum anderen – literarisch umformuliert – in meinen Skizzen, um ggbf. später einmal für meine erzählenden Texte darauf zurückzugreifen. Etwa ist solch ein Traum der Kern der gesamten Garrafff-Ebene in BUENOS AIRES. ANDERSWELT.
Dieser Traum nun der heutigen Samhain-Nacht zerfällt immer weiter, ich kann das fast körperlich spüren, versuche Begriffe zu halten, Bilder, Zusammenhänge. Setz mich sofort an den Küchentisch und notiere, widerstehe dem Vergessen (Vergessen-sollen??!) sehr ruhig, sehr konzentriert. Dennoch ist mir einiges entfallen, erkenne ich schon Menschen nicht wieder, die ich im Traum sehr wohl zuzuordnen wußte, sogar die junge Frau, die im Schlaf offenbar meine Partnerin war. Und eine alte Frau. Jetzt habe ich nur noch ihr Alter und Geschlecht. Alles andere hat mir mein Unbewußtes wieder entzogen.

Der stille Kampf hat Zeit gekostet. Ich werd eben noch dieses DTs schreiben können, danach muß der Kleine geweckt werden, der heute wieder in die Kita gebracht sein will.




Tagesplanung

6.45 Uhr:

ARGO (wenigstens kurz ansehen).

7.15 Uhr:

Den Kleinen wecken, anziehen usw. Ihn zur Kita bringen. Damit zugleich die Wohnung wechseln. Also vorher eigenes Zeug zusammenpacken.

8.30 Uhr bis 10.45 Uhr:

Internetverbot
ARGO
Internetverbot

11 Uhr:

Analyse

12.10 Uhr bis 13.30 Uhr:




[6.40 Uhr: Prompt ist mein Junge wach, weil seine biologische Uhr immer noch nach der Sommerzeit tickt, und wirft mich aus dem Konzept. Mit ARGO wird das also vor seiner Kita nichts mehr. Ich mach ihm eben ein Müsli, er schlüpft in Papas vorgewärmten Pullover.Und löffelt jetzt, während ich weiter das DTs notiere.]

DIE DSCHUNGEL.
KETTE.

13.30 Uhr bis 14.30 Uhr:

Mittagsschlaf.

14.30 Uhr bis 18 Uhr:

KETTE.

18 Uhr bis 20 Uhr:

DIE DSCHUNGEL.
ARGO.

Abends:

Treffen im Silberstein. Evtl. noch Bar nachher.






12.03 Uhr:
[Wagner, Der Ring des Nibelungen. „Das Rheingold“ bei der Arbeit komplett gehört. Die Referenzaufnahme unter Karajan (LPs).]

Völlig vergessen, daß die heutige Analysestunde ausfällt, bzw. auf morgen 18 Uhr verschoben ist. Das ist mir eigentlich lieb, da die Vrmittagsstunden die mit Abstand produktivsten sind. Dennoch fiel es mir erst ein, als ich mir gegen halb schon die Schuhe anzog. Immerhin konnte ich so das Fahrrad zur Reparatur bringen, was dringend nötig war, gerade jetzt, wenn es naßklamm wird und die Straßen glatt sind. Vor allem auch so oft mit dem Jungen hinten drauf.
Als ich zurückwar, gleich wieder an ARGO. Die politischen Zusammenhänge aus THETIS und B.A. sind kompliziert, Odysseus ist längst gestorben, also hat jemand anderes seinen Namen genommen und führt als dieser andere den Aufstand des Ostens gegen den Westen an. Bei allem Hin- und Herspringen zwischen den Typoskripten, dem Notiz-Vergleich, der Klärung von Personenkonstellationen komme ich dennoch sehr gut voran. Hätte ich nichts weiteres am Hals, der Roman wäre in einem Jahr geschrieben. Egal.
Jetzt etwas essen, dann den Mittagsschlaf leicht vorziehen und danach gleich, bis zum Abend oder bis zur Fertigstellung, an KETTE.

19.59 Uhr:

Von 14 Uhr bis eben – von einer halben Stunde unterbrochen, während der ich das Fahrrad aus der Werkstatt holte – an KETTE durchgearbeitet. Es läuft jetzt auch hier gut; dennoch werde ich n o c h zwei Tage für diese Erzählung brauchen. ARGO darf ich auf keinen Fall unterbrechen, sonst fliege ich aus dem Fluß. Zwischendurch mal kurz in DIE DSCHUNGEL geguckt, vermittels eines kleinen Auszugs ein Lebenszeichen gegeben, aber sofort zurück in den Text. Das Ding war ja schon einmal veröffentlich worden, Sinn & Form, vor ein paar Jahren, nun wird es halt in einer deutlich schlechteren und einer vollendeten existieren. Das macht nichts. Mir fehlten damals die Erfahrungen, um so etwas wirklich gestalten zu können; für manches sind sie unerläßlich, vor allem dann, wenn es um extreme Zustände geht. Was ich über SM weiß – als gelebte Erlebnisse weiß -, kommt mir für KETTE ausgesprochen zustatten. Irre allerdings, daß mein Text die Seiten tauscht, daß ein Devoter, nicht etwa ein Dominanter erzählt. Sehr wahrscheinlich ist der Mann in der Erzählung ein Kind, also symbolisch gesprochen. Er regrediert gegenüber seiner omnipotenten Mutter-Introjektion. Es ist formal ausgesprochen notwendig, sich über solche Zusammenhänge im klaren zu sein. Nur dann lassen sie sich ästhetisieren. An Unbewußtem kommt dabei immer noch genug hoch.

Noch ein paar Skizzen jetzt. Mein Geist beginnt zu ermüden. Es wäre Raum für Musik, Oper, Konzert. Sich anders anstrengen. Aber es geht in die Bar.

22.46 Uhr:

Eine meiner scharfen und, wenn sie ausbleiben, immer schnell vergessenen Magen-Attacken, die in Wellen durch den unteren Oberleib ziehen, sehr schmerzhaft drücken und pochen und bis zu den Nieren ausstrahlen, so daß ich eigentlich gar nicht weiß, wie mich krümmen. Der Zustand kündigte sich bereits mittags an und zog sich leis über den Tag, aber ich vergaß ihn in der Arbeit. Als ich in der Lützowbar ankam, ging es, kaum war ich vom Rad gestiegen, auf das heftigste los. Ich mag dann nicht sprechen, starre am liebsten stumm vor mich hin, halte einfach aus, bis die Sache vorbei ist. Sie macht einen völlig hilflos, man will nicht mal, wie bei anderem Schmerz, gegen die Wände rennen. Will einfach warten. Lauscht auf ein ganz bestimmtes Grummeln unterhalb des Magens, weil das ankündigt: Es ist bald vorbei. Mitunter läßt das Stunden auf sich warten, ganz selten mehr als einen Tag.
Also abgebrochen und die Freunde sitzen lassen. Selbstverständlich verstanden sie das. Zurückgeradelt. Komischerweise hört der Magenschmerz, wenn ich sehr kräftig trete, wenn ich also schnell fahre, auf. Und setzt ein, kaum sitze oder liege ich wieder oder bewege mich langsam. Gleich meiner afghanischen Freundin Arrianes Tip, vier Löffel pures Olivenöl zu schlucken, beherzigt. Das hat zweidreimal schon geholfen oder doch wenigstens deutlich gemildert. Und Wasser für Kamillentee und für die Wärmflasche aufgesetzt. Während der Tee zieht, noch schnell diesen letzten Eintrag des Tages getippt. Dann werd ich schlafen gehen. Zu schlafen versuchen jedenfalls. Eine Stunde mehr im Bett als normal kann nicht schaden. Morgen früh um sechs will ich fit sein.

(Die Frage ist: Was löst diese Zustände aus? Momentlang kam mir der Gedanke, daß möglicherweise KETTE Geschehen aktualisiert, die ich [es? im Verbund mit dem Über-Ich? – hängt es gar mit dem um 7.25 Uhr notierten Traum zusammen?] lieber vergessen halten möchte. Oder der Körper wehrt sich gegen den Schlafmangel, vielleicht auch gegen meine, wenn der Junge nicht da ist, unregelmäßigen Mahlzeiten. Oder gegen die Situation allgemein. Keine Ahnung. Ein spezieller, also aktueller Grund kann es nicht sein. Denn das erste Mal traten diese anfallsartigen Schmerzen auf, als ich ungefähr zwölf oder dreizehn war. Sie haben mich seitdem nie verlassen, verschwanden monatelang, waren dann immer jäh wieder da.)




Arbeitsfortschritt:
ARGO, TS 19 und Notizen.
(Für einen Strukturplan ist’s noch zu früh.)
KETTE, TS 15.

In „L. Der Literaturbote“ Nr. 75 ist nun endlich, nach Jahren, mein Aufsatz über Hans Henny Jahnn und Medea erschienen.