„Wir sollten beginnen.“ Das ist fast ein Befehl, wenigstens eine Anordnung. Aber ich weiß nicht, wie. Die Dame bemerkt meine Unsicherheit, genießt sie. „Es ist Ihre Entscheidung“, sagt sie. Wiederholt sie. Sagt sie vielleicht zum ersten Mal. Ich weiß das nicht mehr. Sie fügt hinzu: „Ich will Stolz sehen in Ihrem Gesicht.“ Wessen ich mich entsinne – ich erinnre mich an alles – , ist zueinandergeflossen, nebeneinander, ich kann es wenden wie die Blätter aus der Mappe. Da liegt es Kante an Kante vor meinen Augen. Gleichzeitig, nicht sukzessiv. Das gibt es nicht mehr: Die Folge. Das ist völlig dahin. Allerdings kann ich noch ordnen, noch trennen, ein Bild vom andern, Erinnerung für Erinnerung. Doch es kann sein, daß ich die Dame schon vor der Begegnung bei Tippmann traf, daß wir uns dort nur verstellten, weil das zum Spiel gehört. Daß wir unser erstes Treffen schon einmal inszeniert haben und wieder inszenieren werden. Daß es immer so weiter geht. Es kann aber auch nicht so sein. Mir bleibt nichts, als darauf zu warten, daß sich mein Bewußtsein von mir ablöst. Daß die Dame zurückkehrt. Ich sehne mich so nach dem letzten erlösenden Akt, worin wir verschmelzen. Ich weiß, es fehlen nur noch wenige Striche. Da drüben, von wo wir einen Tisch und zwei Sessel weggeschoben haben, und ich habe, damit genug Platz für die Leinwand wird, zwei hohe Bücherstapel beiseitegeräumt, Kataloge, Magazine, – da drüben liegt das beinah vollendete Bild auf dem Boden. Die Dame hat es abgedeckt, „gegen die Zeit“, hat sie gesagt. „Das Leben“, hat sie gesagt, „stellt sich der Zeit entgegen, darin liegt seine Substanz. Die will ich finden und erhalten.“ Seltsam, daß ich kein Bedürfnis habe, mir das Bild in der Abwesenheit der Dame anzusehen. Doch geht etwas Heiliges von ihm aus. „Devot“, sagt die Dame und löst das Tuch von der Schulter, „kommt von gottesergeben. Das devote Modell gibt sich h i n, wußten Sie das? Es ist geweiht. Eine Singularität, die so ewig sein möchte wie Gott. Und dennoch leben. In diesem Sinn sind alle meine Gemälde Devotionalien.“ Sie trägt unter dem Tuch eine enge, für die Brüste offene Corsage. Die massiven, bestürzend blassen Schwämme fallen tief über den umsteppten, gespannten Fischbeinrand dieses samtblauen Mieders.
[Die Niedertracht der Musik.]